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6.2 Typenbildung in der vorliegenden Untersuchung

6.2.4 Charakterisierung der Typen

Im Folgenden werden die vier Typen beschrieben, deren prozesshafte Entstehung vorangehend ausführ-lich beschrieben wurde. Diese Idealtypen sind, wie bereits eingangs erwähnt wurde (vgl. Kapitel 6.1.1), ei-ne Zuspitzung und Überzeichnung des real Gegebeei-nen und entsprechen nicht eins zu eins eiei-ner einzelei-nen untersuchten Kindergartenklasse bzw. -lehrperson. Jeder Fall, der einem bestimmten Typus zugeordnet wurde, ist jedoch durch die typisierte Beschreibung eindeutig wiederzuerkennen. Für die Beschreibungen der Idealtypen wurden Ausprägungen der Vergleichsdimensionen, inhaltliche Sinnzusammenhänge sowie die während der Datenanalyse erkannten Unterschiede und Ähnlichkeiten berücksichtigt und kombiniert.

Um einen Überblick zu geben, werden in einem ersten Schritt die strukturellen Merkmale der vier Typen dargestellt (vgl. Tabelle 40). Hierzu wird mehrheitlich die Bandbreite spezifischer Merkmale angegeben, da diese aussagekräftiger ist als Durchschnittsangaben.

Tabelle 40: Strukturelle Merkmale der vier konstruierten Typen

Mischindex Vorwiegend > 0.4 Vorwiegend < 0.4 Ausgeglichen Ausgeglichen Durchschnittliche

Klassengrösse 20–23 Kinder 14–24 Kinder 21–24 Kinder 17–21 Kinder Altersdifferenz zwischen

dem ältesten und jüngs-ten Kind in der Klasse

1.97 bis 2.06 Jahre 1.74 bis 2.49 Jahre 1.65 bis 2.24 Jahre 1.93 bis 2.15 Jahre

Anzahl Fremdsprachen, die in den Familien der Kinder einer Klasse ge-sprochen werden

1 bis 7 2 bis 10 2 bis 12 6 und 7

Wie in Tabelle 40 ersichtlich ist, unterscheiden sich die vier Typen in Bezug auf strukturelle Merkmale nur geringfügig. Sie verteilen sich mit einer Ausnahme (resignativer Typ) auf drei oder vier unterschiedliche Gemeindetypen. Zudem können allen Typen Fälle mit Kindergartenklassen zugeordnet werden, deren Mischindex sowohl unter als auch über 0.4 liegt (vgl. Kapitel 4.3.1). Was die Kindergartenlehrpersonen an-belangt, betrifft der auffälligste Unterschied die absolvierten Zusatzausbildungen auf Stufe CAS und MAS, die nur bei zwei Typen vorkommen (konstruktiv-agierend und adaptiv-reagierend). Ein weiterer bezieht sich auf die Berufserfahrung der Kindergartenlehrpersonen, welche insbesondere beim konstruktiv-agierenden Typus mit durchschnittlich 26 Jahren deutlich höher liegt als bei den anderen Typen (vgl. Kapitel 4.3.3.2).

Die Typen unterscheiden sich wenig hinsichtlich der Klassengrösse und bezüglich der Altersunterschiede der Kinder innerhalb der Klassen. Ähnlich sieht es bei der sprachlichen Heterogenität aus, also der Anzahl verschiedener Sprachen, die in den Familien der Kinder einer Klasse gesprochen werden (vgl. Kapitel 4.3.3.1).

Ergänzend zu den strukturellen Gemeinsamkeiten teilen die Kindergartenlehrpersonen der vier Typen wei-tere Merkmale, wie beispielsweise das Bestreben, alle Kinder im Unterricht bei ihrem individuellen Entwick-lungsstand abzuholen und bestmöglich zu fördern. Ebenso kommt bei allen vier Typen eine kritische Hal-tung gegenüber den aktuellen bildungspolitischen Rahmenbedingungen im Kanton Zürich zum Ausdruck, insbesondere was den neuen Berufsauftrag anbelangt (Volksschulamt des Kantons Zürich, 2017b). Auch im Hinblick auf die grobe Struktur des Unterrichts sind sich die vier Typen sehr ähnlich (vgl. Abbildung 16).

In den folgenden Kapiteln werden die jeweiligen Auffälligkeiten und Spezifika der konstruierten Idealtypen fokussiert. Bei den Darstellungen wird das Augenmerk auf inhaltliche Zusammenhänge gelegt und es wird insbesondere den jeweiligen Besonderheiten eines Typus Rechnung getragen.

6.2.4.1 Konstruktiv-reagierender Typus

Die Kindergartenlehrpersonen dieses Typus zeichnen sich durch eine positive Wahrnehmung und Haltung gegenüber ihrer Kindergartenklasse aus und betonen die Stärken der Kinder ihrer Klasse. Ihr Unterricht ist insbesondere auf die Klasse als Ganzes fokussiert, wobei die Beziehungen zu den Kindern und deren Wohlbefinden im Vordergrund stehen. Diese Kindergartenlehrpersonen lassen den Kindern mit einem aus-gedehnten freien Spiel viel Freiraum. Das zeigt sich vor allem darin, dass es in ihrem Unterricht nach dem

gemeinsamen Znüni keine weiteren geführten Sequenzen gibt. Stattdessen finden lange offene Sequenzen und Übergänge am Ende des Morgens statt. Während des freien Spiels verfolgen diese Kindergartenlehr-personen sehr aufmerksam das Geschehen im Klassenzimmer. Sie reagieren insbesondere dann, wenn sie von den Kindern angesprochen und um Hilfe gebeten werden oder wenn sie einen Konflikt wahrneh-men. Typischerweise zeigt sich während der geführten Sequenzen wenig Variation in den gewählten Sozi-alformen und die Individualisierung wird primär über ein breites Spiel- und Lernangebot realisiert, das un-terschiedliche Interessensbereiche und Lernniveaus der Kindergartenkinder anspricht.

Diese Lehrpersonen nehmen ihre Vorstellungen vom Kindergartenunterricht und von den Kindern in ihrem Kindergarten als gut zusammenpassend wahr, so dass sie ihrer Auffassung nach keine besonderen An-passungsleistungen erbringen müssen. Ebenso wenige besteht aus ihrer Perspektive ein offensichtlicher Bedarf an Zusatzausbildungen (z. B. CAS oder MAS) oder an einer aktiven und verbindlichen Zusammen-arbeit mit der Schulleitung. Folglich nehmen die Lehrpersonen seitens der Schulleitung wenig Interesse und Unterstützung wahr und haben diesbezüglich auch keinen Bedarf. Insgesamt kommt bei den Kinder-gartenlehrpersonen, die diesem Typ zugeordnet werden, zum Ausdruck, dass ihr Unterrichtskonzept ge-kennzeichnet ist durch einen grosse Wahlfreiheit der Kinder und starke persönliche Beziehungen, was ihnen Zufriedenheit mit ihrer beruflichen Situation vermittelt.

6.2.4.2 Konstruktiv-agierender Typus

Die Kindergartenlehrpersonen dieses Typus erleben ihre Klasse positiv und betonen die Stärken der Kin-der. Sie legen Wert auf eine gute Atmosphäre in ihrem Klassenzimmer und auf eine klare Strukturierung des Unterrichts. Sie orientieren sich am einzelnen Kind erachten es ausdrücklich als ihre Aufgabe, sich mit jedem Kind persönlich auseinanderzusetzen und es in seiner individuellen Entwicklung zu fördern. Für die individuelle Förderung nutzen sie insbesondere die erste geführte Sequenz des Morgens, während der sie den Kindern typischerweise individuelle Aufgaben zuteilen und dazu spezifische Rückmeldungen geben.

Das freie Spiel begleiten diese Kindergartenlehrpersonen aktiv. Typischerweise sind ihnen die persönlichen Vorstellungen von dem, was ein guter Unterricht ist, wichtiger als institutionelle Vorgaben. Dieser Typus zeichnet sich vor allem aus durch ein grosses Interesse und Freude an den Kindern und am Beruf sowie an einer bewussten und kontinuierlichen Auseinandersetzung mit der aktuellen bildungspolitischen Situation im Kindergarten. Diese äussert sich einerseits in persönlichen Überlegungen zu zukünftigen Entwicklungen des Kindergartens – typischerweise bezüglich der Art und Weise, wie der Unterricht für die jüngeren Kinder angepasst werden kann. Andererseits manifestiert sich dies in der bewussten kontinuierlichen Reflexion des eigenen Handelns im Unterricht. Diesbezüglich wird insbesondere dem Austausch mit Stellenpartne-rinnen und -partnern sowie mit weiteren Fachpersonen eine grosse Bedeutung zugeschrieben. Die Lehr-personen dieses Typus verfügen über langjährige Berufserfahrungen und über fundiertes pädagogisches Wissen und Können, sowie über eine grosse Gelassenheit. Diese Ressourcen nutzen sie unter anderem für die Einschätzung von Übertritten der Kindergartenkinder in die erste Primarklasse oder in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der Schulleitung und den Eltern. Insgesamt gestalten diese Kindergartenlehrpersonen ihre Tätigkeit mit Blick über das aktuelle Unterrichtsgeschehen hinaus und sie experimentieren beispiels-weise mit unterschiedlichen Unterrichtsformen. Sie fordern sich selbst immer wieder durch neue Themen und Inhalte heraus, absolvieren Zusatzausbildungen und schätzen in diesem Zusammenhang auch die systematische Zusammenarbeit und den Austausch mit unterschiedlichen Personen.

6.2.4.3 Adaptiv-reagierender Typus

Die Kindergartenlehrpersonen dieses Typus nennen in der Beschreibung ihrer Klassen explizit einzelne Herausforderungen, insbesondere die teilweise sehr unterschiedlich ausgeprägten sprachlichen und sozio-emotionalen Fähigkeiten der Kinder, aber auch die Grösse der Gruppe oder spezifische soziale Konstellati-onen innerhalb der Klasse. Typischerweise wissen die KindergartenlehrpersKonstellati-onen, wie sie mit diesen Her-ausforderungen am besten umgehen können. Dazu holen sie sich insbesondere gezielte Unterstützung, sei es durch den Besuch von bewusst ausgewählten Zusatzausbildungen auf der Stufe CAS/MAS (typischer-weise zum Thema Heterogenität), oder durch eine enge Zusammenarbeit mit den Schulleitungen. Ebenso pflegen sie einen bewussten Austausch im Kollegium, insbesondere auf der Kindergartenstufe, aber auch

mit Lehrkräften der Primarschule. Sofern vorhanden, nutzen sie die strukturellen Vorteile von Doppelkin-dergärten, beispielsweise um Unterrichtsmaterialien auszutauschen.

Bei ihrer Unterrichtsgestaltung haben Kindergartenlehrpersonen dieses Typus vor allem die gesamte Klas-se im Fokus. Während des freien Spiels verhalten sie sich zurückhaltend und nutzen die Zeit, um einzelne Kinder systematisch zu beobachten, im Fall von Konflikten zu reagieren oder Unterstützung zu leisten, wenn eine Spielsituation dies erfordert. Ebenfalls nutzen die Lehrpersonen diese Zeit, um bewusst die Be-ziehungen zu den Kindern zu pflegen. Diese gezielte Wahrnehmung der einzelnen Kinder kann als kom-plementäres Element zum Fokus auf die gesamte Klasse gesehen werden kann. Bei geführten Sequenzen verwenden sie typischerweise unterschiedliche Sozialformen, dabei setzen sie manchmal auch nach dem Znüni geführte Sequenzen ein. Viele dieser Kindergartenlehrpersonen bringen zudem persönliche Präfe-renzen wie Musik oder Bewegung in ihren Unterricht ein. Insgesamt fühlen sich diese Kindergartenlehrper-sonen in ihrem beruflichen Alltag herausgefordert und zugleich von der Schulleitung unterstützt, wodurch sie Freude und Zufriedenheit in ihrem beruflichen Handeln erfahren. Sie nutzen vorhandene Gestaltungs-möglichkeiten, ohne die Gegebenheiten grundsätzlich zu hinterfragen.

6.2.4.4 Resignativer Typus

Das prägende Merkmal der Kindegartenlehrpersonen dieses Typus ist ihre grundlegend negativ gefärbte Wahrnehmung der Situation im Kindergarten. Diese lässt weitere Faktoren, wie die Unterrichtsgestaltung, in den Hintergrund treten. Das heisst, dass sich die Lehrpersonen dieses Typus teilweise in ihrer konkreten Unterrichtsgestaltung unterscheiden, doch sind die vorhandenen Unterschiede angesichts der pessimisti-schen Grundhaltung sekundär. Typischerweise trägt die Wahrnehmung, dass ihre Kindergartenklassen be-sonders schwierig seien, zur Grundhaltung dieser Kindergartenlehrpersonen bei. Ihrer Auffassung nach verfügen die Kindergartenkinder entweder über unzureichende Sprach- und Sozialkompetenzen oder sie bringen nicht die erwarteten Vorerfahrungen mit Spielen oder kreativem Gestalten mit. Zudem ist es typisch für diese Kindergartenlehrpersonen, dass sie strukturelle Aspekte bemängeln wie zu enge und ungünstige Raumverhältnisse im Kindergarten oder die Zusammenarbeit mit der Schulleitung und anderen Lehrperso-nen im Kollegium. Diese grundlegende Unzufriedenheit macht sich in der Unterrichtsgestaltung bemerkbar.

So besteht das Hauptziel des Unterrichts darin, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die geführten Sequenzen finden typischerweise im Klassenverband statt, sodass einige Kinder viel Zeit mit Warten verbringen, bis die jeweiligen Anweisungen der Kindergartenlehrperson von allen Kindern entsprechend umgesetzt wer-den. Die Begleitung des freien Spiels besteht insbesondere aus disziplinarischen Interventionen, typi-scherweise wiederholtes Verweisen auf Regeln. Ein inhaltlicher und persönlicher Austausch zwischen den Kindergartenlehrpersonen und einzelnen Kindern findet nur vereinzelt statt. Zudem sind diese Lehrperso-nen während des freien Spiels der Kinder oftmals auf Materielles fokussiert und räumen beispielsweise auf oder bereiten eine nächste Sequenz vor. Die Resignation der Lehrpersonen drückt sich typischerweise auch darin aus, dass sie die Zusammenarbeit innerhalb der Schule als Pflichtübung und wenig gewinnbrin-gend wahrnimmt. Insgesamt befinden sich diese Lehrpersonen in einem Dilemma. Zum einen zeigen sie kaum Motivation und Begeisterung für ihre aktuelle Situation und nehmen im Rahmen ihrer Anstellung vor-wiegend Probleme und Schwierigkeiten wahr. Da sie damit nicht entsprechend umgehen können, erhalten sie zum anderen nur wenig Bestätigung und positive Rückmeldungen für ihre Arbeit. Insgesamt sehen die-se Kindergartenlehrpersonen keine Möglichkeit, ihre Situation zu verändern und verharren in Resignation.

7 Pädagogische Konsequenzen

„Focus on making schools ready for children, not children ready for school.”

(OECD, 2017b, S. 17) Im Rahmen der vorliegenden Studie zur Situation auf der Kindergartenstufe im Kanton Zürich wurden zwanzig Kindergärten untersucht. Diese wurden aufgrund von drei Merkmalen (Gemeindetyp, Mischindex und Berufserfahrung der Kindergartenlehrperson) ausgewählt. Es wurde darauf geachtet, dass die ausge-wählten Kindergärten bezüglich der definierten Merkmale möglichst kontrastreich waren, damit sie eine breite Vielfalt von möglichen Konstellationen repräsentierten. Das Design sowie die methodische Vorge-hensweise der empirischen Untersuchung werden in Kapitel 4 des vorliegenden Berichts ausführlich be-schrieben.

Die Studie beruht auf einem konzeptionellen Rahmenmodell, das für die Entwicklung der gesamten Unter-suchung wegleitend war (vgl. Kapitel 3). Auch die Präsentation der empirischen Erkenntnisse (vgl. Kapi-tel 5), aus denen die nachfolgenden pädagogischen Konsequenzen abgleitet werden, basiert auf diesem Rahmenmodell. Die eruierten Konsequenzen richten sich an amtierende und zukünftige Kindergarten- und Lehrpersonen, an Schulen und Schulleitungen, Verantwortliche im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie an die Bildungspolitik und an die Gesellschaft.

Die Gliederung folgt ebenfalls der Logik des Rahmenmodells, so dass zu den folgenden Bereichen zentrale pädagogische Konsequenzen erörtert werden: zu den Kindergartenlehrpersonen (Kapitel 7.1), den Unter-richtsprozessen im Kindergarten (Kapitel 7.2), den Bildungs- und Entwicklungsprozessen der kinder (Kapitel 7.3), der Erziehungs- und Bildungskooperation zwischen den Eltern und den Kindergarten-lehrpersonen (Kapitel 7.4), den Übergängen in den Kindergarten und in die Primarschule (Kapitel 7.5) so-wie zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungen (Kapitel 7.6).

Dem Anspruch der empirischen Bildungsforschung entsprechend, dass sie einen Beitrag zu rationalen Be-gründungen von bildungspraktischen und -politischen Empfehlungen leistet, werden im Folgenden diejeni-gen Bereich aufgeführt, die über ein Optimierungspotenzial verfüdiejeni-gen.