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5. FORSCHUNGSMETHODEN & DATENGRUNDLAGEN

5.3. Die Qualitative Untersuchung 1 Die Datenerhebung

5.3.3 Qualitative Datenauswertung

In einem ersten Schritt wurde das digitale Audio- und Videomaterial inhaltlich detailliert verschriftlicht und anschließend global analysiert (Rosenthal, 2005, S.93; Mayring, 2002, S. 94ff.). Dabei wurden erste offene und axiale Kodierungen des Datenmaterials vorge-nommen (Strübing, 2004, S. 19 ff., S. 28; Rosenthal, 2005, S. 200; Mayring, 2002, S.

472). Die Auswertungsschritte orientierten sich dabei an den Auswertungsmöglichkeiten des Computerprogramms AQUAD. Das qualitative Datenmaterial wurde daher auch in das AQUAD-Format umgewandelt und übertragen. Im Anschluss daran wurden ausführli-che Portraits über die Interviewees erstellt, welausführli-che im Verlauf der weiteren Analyse die

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Funktion einer schnellen Informations- und Übersichtsquelle übernahmen. Für die weitere Auswertung wurde das digitale Audio- und Videomaterial weiter durchkodiert und analy-siert (siehe Fokussierung der Auswertungsschritte). Das Ziel der qualitativen Datenaus-wertung war es zunächst Besonderheiten und auch vergleichbare Regelmäßigkeiten inner-halb der qualitativen Stichprobe zu gewinnen, neue Theorien in Bezug auf den Untersu-chungsgegenstand zu generieren und Theorien weiter zu untermauern (Sackmann, 2007;

Rosenthal, 2005; Strübing, 2004). Die Auswertungsmethode folgte somit der Methode der Grounded Theory (Glaser; u.a., 2008; Rosenthal, 2005; Fuchs-Heinritz, 2005; Strübing, 2004). Abschließende Ergebnisse zu produzieren wurde nicht intendiert, sondern eher ein Aufbrechen und neu formulieren theoretischer Überlegungen (Steinke, 1999, S. 75 In Strübing, 2004, S. 78). Dies bedeutet, dass keiner der Auswertungsprozesse abschließbar gefasst werden kann, so dass die Theoriebildung keinesfalls den Endpunkt der Forschung bildet, sondern durch weitere Erhebungs- und Forschungsphasen analysiert werden kann.

So betont Strübing (2004), dass die Theoriebildung einer Kontinuierlichkeit folgt, die be-reits am Beginn eines Forschungsprozesses ansetzt und ‚keinen festen Endpunkt kennt’

(Strübing 2004, S. 14). In der Untersuchung galt es demnach, den Punkt der theoretischen Sättigung zu erreichen, an welchem im Datenmaterial keine neuen Konzepte und neues Wissen zur Untersuchung zu finden sind (Fuchs-Heinritz, 2005; Strübing, 2004). Sie ist nicht gedacht, um eine statistische Repräsentativität zu präsentieren oder Forschungser-gebnisse auf die Gesamtpopulation zu übertragen (Strübing, 2004, S. 78ff). Ziel der Grounded Theory ist vielmehr, eine konzeptuelle Repräsentativität der generierten Theo-rien, wie Strübing dies benennt, zu erreichen (Strübing, 2004, S. 33).

Zur stärkeren Verallgemeinerung der neu gewonnenen bzw. formulierten Theorien wurden aus diesen im Anschluss an die theoretische Sättigung weitere statistische Hypo-thesen gebildet und soweit möglich innerhalb des quantitativen Forschungsstrangs auf ihre Signifikanz hin geprüft (Mayring 2001). Nach Abschluss der theoretischen Sättigung wurde demnach eine weitere Ebene der Triangulation genutzt – die methodische Triangu-lation (Denzin, 1970, S. 300ff. In Fielding; u.a., 2001; Flick, 2008; Mayring, 2001). Durch die Prüfung dieser Hypothesen auf ihre Signifikanz hin, konnte ein genaueres Bild über den Untersuchungsgegenstand bzw. die Frage erfasst werden. Im Zuge der Verschränkung der quantitativen Zusammenhangsergebnisse wurde das qualitative Datenmaterial auf Zu-sammenhangserklärung gesichtet.

Um eine weitere Auswertungsperspektive der Einzelfallanalyse zu berücksichtigen und die unterschiedlichen Bildungswege genauer zu untersuchen, wurde das Sample im Zuge des Auswertungsprozess in Fallgruppen aufgeteilt. (Lamnek, 2005, S. 300, 328). Die Konstruktion der Fallgruppen ergab sich aus der Berücksichtigung ähnlicher Merkmals-kombinationen der Interviewees (Lamnek, 2005, S. 315; Mayring, 2001). Kelle und Kluge (1999) sprechen hier auch von einem selectiven Sampling als theoretical Sampling. Die ausgewählten Merkmalskombinationen beziehen sich auf den Bildungsverlauf, einem

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Migrationshintergrund, eine Einwanderung und Integration ins deutsche Schulsystem während der Schulzeit. Die Fallgruppenanalyse ermöglichte einen fokussierten Blick auf die Bildungsverläufe und die Interviewees mit Bezug auf konkrete Merkmale des Bil-dungsverlauf und des Aspekts Migrationsstatus. Dadurch ermöglichte die Fallgruppenana-lyse eine weitere Differenzierung der Interviewees. Darüber hinaus ermöglichte sie, spe-ziell durch die Aufschlüsselung der Bildungswege und –verläufe, die bisherigen Ergebnis-se der thematischen Querauswertung auf dieErgebnis-se zu beziehen und so ein konkreteres Bild der Zusammenhänge und Bildungsverläufe zu erhalten. Das Sample konnte dementsprechend zunächst in zwei Bildungsverläufe eingeteilt werden: in einen direkten Bildungsverlauf bzw. einen direkt erfolgreichen Bildungsweg und in einen indirekt erfolgreichen Bil-dungsverlauf – einen erfolgreichen Bildungsumweg.

Die Fallgruppenanalysen konzentrierten sich auf folgende Analysefragen:

Wie unterscheiden sich die Bildungswege innerhalb der Fallgruppen?

Welche Besonderheiten in Bezug auf die Bildungsverläufe lassen sich innerhalb der Fallgruppen wie auch zwischen den Fallgruppen erkennen?

Welche Unterschiede lassen sich innerhalb der Fallgruppen bezüglich der Her-kunftsfamilien der Interviewees erkennen?

• Durch welche Faktoren, Ereignisse und Situationen wurden die Bildungsverläufe begünstigt oder erschwert?

Die Ergebnisdarstellung der Fallgruppenanalyse wird in Kapitel 9 vorgestellt. Durch die Fokussierung auf einen Ankerfall pro Fallgruppe wird die Beschreitung eines erfolgrei-chen Bildungsweges konkreter dargestellt. Als Ankerfälle wurden jene Fälle einer Fall-gruppe ausgewählt, die ihrem Bildungsmilieu nach den schwierigsten Ausgangspunkt, wie auch den erfolgreichsten Bildungsweg innerhalb der Fallgruppe beschritten haben. Die Ankerfälle ermöglichten demnach exemplarische Aufrisse und Einblicke in Bildungsent-scheidungen und erfolgreiche Bildungswege anhand der Konkretisierung an Interviewees aus dem Sample. Weiter stellen sie eine geeignete Plattform zur Hervorhebung von Resi-lienzmodellen im Kontext eines konkreten Fallbeispiels. Die Intention der Fallgruppen-analyse stellt somit auch eine stärkere Visualisierungsmöglichkeit eines erfolgreichen Bil-dungsweges und bestimmten BilBil-dungsweges anhand eines konkreten Einzelfallbeispiels.

Fokussierung der Auswertungsschritte

Das Datenmaterial wurde zunächst offen durchkodiert. Dabei begann das offene Kodieren mit dem Sichten der einzelnen Datenquellen nach zentralen Themen, Phänomenen und Eigenschaften und ordnete diesen Kodes zu (Strübing, 2004, S. 19ff.; Rosenthal, 2005, S.

200; Mayring, 2001). Dabei wurden die gegenstandsbezogenen Kodes ad hoc aus dem Datenmaterial entwickelt (Kelle, 1995, S. 33). Theoretisch geleitete Kodes waren dabei mit Bezug zum Vorwissen unvermeidlich (Rosenthal, 2005, S. 24; Meinefeld, 1995; Kel-le, 1995). Hervorstechende Interviewpassagen wurden paraphrasiert und in wesentliche

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Elemente verdichtet. Im Anschluss daran wurden die Kodes zu Subkodes und einzelnen Themendimensionen innerhalb der einzelnen Interviews auf ihre Intensität hin zusammen-gefasst und geordnet. Das heißt, es wurden Stellen innerhalb der Interviews gesucht, wel-che die hervorstewel-chende Thematik bzw. ein Phänomen am besten zum Ausdruck bringen (Strübing 2004). Diese inhaltliche Zusammenfassung eines Falles wird als reduktive Aus-wertung bezeichnet (Held, 2001). Der Vorgang ähnelt Mayrings Inhaltsanalyse (Mayring, 2002, 2009).

Das axiale Kodieren erfolgte wie das offene Kodieren gesondert für jeden Einzelfall.

Beim axialen Kodieren wird das Datenmaterial bezüglich der erarbeiteten Phänomene und Themen auf Zusammenhänge hin gesichtet (Strübing, 2004, S. 19ff, 21). Für die verschie-denen Kategorien und Konzepte (Phänomene und Themen) wurden Zusammenhangser-klärung innerhalb des Falles gesucht (fallbezogenen ErZusammenhangser-klärung). Dazu wurden zusätzliche Datenquellen zum Verständnis des persönlichen Kontexts des Falles herangezogen (Köt-tig, 2005, S. 70ff.). Im Speziellen wurden dabei auch nur jene Phänomene auf Zusammen-hangserklärungen weiter verfolgt, die für die Forschungsfrage von Bedeutung waren (Strübing, 2004, S. 21). Somit wurden in diesem Schritt erste theoretische Grundlagen und Hypothesen formuliert. Diese ersten Formulierungsversuche bewegten sich allerdings noch an der Oberfläche des Datenmaterials. Es war jedoch wichtig bereits an diesem Ana-lysepunkt Erklärungsversuche zu formulieren, um die weiteren Schritte zu begünstigen (Strübing, 2004, S. 28). Darüber hinaus ist anzumerken, dass das axiale Kodieren in der Grounded Theory nicht streng nach dem offenen Kodieren angegangen wird. Vielmehr wechseln die Auswertungsschritte zwischen dem offenen und axialen Kodieren hin und her. Dabei geht es um das Verbinden der bisherigen Kodes und Kategorien wie ihre neue Zusammensetzung (Rosenthal 2005, S. 213).

Weiter folgte das selektive Kodieren. In dieser Auswertungsphase wurden die bisheri-gen Kategorien und Kodes der Interviewees zu Kernkategorien (core categories) zusam-mengefasst und das Datenmaterial re-kodiert (Strübing, 2004, S. 19ff.). Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring wurde dabei methodisch berücksichtigt, da sie mit der Grounded Theory kombinierbar ist. In der Kombination lässt sich die offene Herange-hensweise der Grounded Theory mit den inhaltsanalytischen Verfahren gut verschränken und ermöglicht so die Analyse des Materials durch ein am Material selbst entwickeltes und theoriegestütztes Kategoriensystem (Mayring, 2001, S. 114; Flick, 2004). Die Kom-bination von strukturierten Leitfadenanalysen und Grounded Theorey konnte dadurch zu-sätzlich ermöglicht werden. Auf diese Weise ließen sich Einzelfallübersichten erstellen durch welche eine Grundlage für eine Auswahl einzelner Fälle für vertiefende Einzelfall-analysen bereitgestellt wurde (vgl. Schmidt, 2004, S. 448).

Im Anschluss an die Rekodierung des gesamten qualitativen Datenmaterials wurden die Interviewees bezüglich der Kernkategorien (core categories) kontrastierend miteinan-der verglichen. Dieser Auswertungsschritt kann auch als thematische Querauswertung

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bezeichnet werden. Die aus dem Kodierungsprozess entstandenen Kernkategorien stellen dabei die Thematiken für eine horizontale Auswertung des qualitativen Datenmaterials.

Ziel der thematischen Querauswertung der Untersuchung war es, die Bedeutung der im Sample auftretenden bildungsfördernden Faktoren wie bildungshindernden Faktoren durch einen kontrastierenden Vergleich der Interviewees zu analysieren. Der kontrastierende Vergleich der thematischen Hauptkategorien ermöglichte eine genauere Erfassung wie Beschreibung der Voraussetzung für die erfolgreiche Wirkung eines vermeidlich bildungs-fördernden oder gar -hindernden Faktors (Risiko- und Schutzfaktoren/Identifikation von Resilienzfaktoren und Empowermentstrukturen). Bestehende Theorien über erfolgreiche Bildungswege, die über die Literaturrecherche berücksichtigt wurden, konnten so in Frage gestellt und neu definiert werden. Darüber hinaus konnten neue Theorien gefasst und for-muliert werden, die einen erfolgreichen Bildungsweg begünstigen können bzw. innerhalb des Samples begünstigt haben. Durch das Berücksichtigen aller Interviews in der Quer-auswertung wurde das vorläufige theoretical Sampling aufgebrochen, das heißt die Fälle, die aufgrund des theoretical Sampling ausgewählt und geordnet wurden, konnten neu sor-tiert werden. Durch den kontrastierenden Vergleich der Thematiken innerhalb des qualita-tiven Gesamtsamples konnten Gemeinsamkeiten und Differenzierungen spezifischer Merkmalskonstellationen des Datenmaterials auf der Einzelfallebene herausgefiltert bzw.

bestimmt werden (Kelle; u.a., 1999, S. 78; Lamnek, 2005, S. 320). Für die Bestimmung spezifischer Konstellationen war die Nutzung theoretischer Überlegungen obligatorisch (Held, 2001).19 Lamnek (2005) spricht hier konkret von einer Typisierung.

Durch eine Kreuztabellierung der Einzelfallergebnisse konnten zunächst einzelne Thematiken untersucht und in Zusammenhänge zueinander gestellt werden (Kelle; u.a., 1999, S. 78). Im weiteren Auswertungsprozess konnten weitere Thematiken zum Ver-gleich herangezogen werden - die Fälle bezüglich der Thematiken auf ihre Gemeinsamkei-ten und Unterschiede weiter verglichen werden, sowie Zusammenhangserklärungen zwi-schen einzelnen Thematiken hergeleitet werden. Die Schnittstellen der Kreuztabellierung ermöglichten die Zusammenfassung ähnlicher Fälle in Gruppen bzw. zu Typen (Typenbil-dung) (Kluge, 1999). Basierend auf den Ergebnissen der thematischen Querauswertung beruht die Typisierung des qualitativen Datenmaterials folglich nicht auf persönlichen Charakteristika, welche die Interviewees mitbringen oder inkorporieren, sondern auf den Merkmalsbeschreibungen bzw. –ausprägungen der thematischen Querauswertung. „Die typischen Konstellationen sind der Ausgangspunkt für die eigentliche Theoriebildung.

Dabei wird versucht, die Vermittlung zwischen Kontext und Person(en) theoretisch zu fassen“ (vgl. Held, 2001). Diese Form der Typenbildung stellt die Übertragbarkeit und Verallgemeinerung der Ergebnisse dar (Held, 2001). Die Typisierung kann daher als

19 „Um etwas als ‚typisch’ bezeichnen zu können, braucht man eine Theorie, die erklärt, warum etwas ty-pisch oder charakteristisch ist, warum in Situationen einer bestimmten Art so und nicht anders gehandelt

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justierung/Sortierung des Theoretical Sampling betrachtet werden. Sie spiegelt den For-schungsprozess und das Ergebnis der theoretischen Sättigung wider.

Die Ergebnisse der thematischen Querauswertung wurden im Vergleich zu den quanti-tativen Ergebnissen mit diesen verschränkt und werden im Folgenden so vorgestellt. Die gewonnen theoretischen Grundannahmen und Hypothesen wurden innerhalb des gesamt-gesellschaftlichen Zusammenhangs eingeordnet und weiter interpretiert und das qualitati-ve Datenmaterial auf Zusammenhangserklärungen untersucht. Dieser Schritt der Untersu-chung war wichtig, um die Stichprobe in Bezug auf eine größere Population zu verstehen und teilweise diese auf die Gesamtpopulation übertragbar zu machen. Die Ergebnisdarstel-lung der thematischen Querauswertung ist in Unterkapitel aufgeteilt. Die AufteiErgebnisdarstel-lung ergibt sich durch die Zuordnung der im Kodierungsprozess entstandenen Thematiken wie auch der Zuordnung dieser zu den einzelnen Sozialisationsinstanzen (primäre, sekundäre, tertiä-re) und den befragten Subjekten. Die Intention dieser Aufteilung ist es, zum einen eine fokussierte Sichtweise auf die für den Erwerb subjektbezogener Handlungsbefähigung und bildungsspezifischen Bewältigungsstrategien einwirkenden Sozialisationsinstanzen zu ermöglichen. Zum anderen wird durch die genutzte Ergebnisaufeilung die Verschränkung der quantitativen und qualitativen Ergebnisse erleichtert.