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3. Die Entwicklung der Sozialen Arbeit als Profession

3.2 Professions- und Professionalisierungsdiskurs im Überblick

Bevor nun die Verberuflichung (vgl. Kap. 3.3.) und die beiden Etappen des Professions- und Professionalisierungsdiskurses der Sozialen Arbeit (vgl.

Kap. 3.4. und Kap. 3.5.) intensiv einzeln rekonstruiert werden, ermöglicht ein separater Überblick, die Phasen in einen übergeordneten Zusammenhang zu bringen und damit zunächst den Prozesscharakter der Entwicklungen in den Blick zu nehmen.

Nach Spiegel (2008, S. 48) begann die Verberuflichung der Sozialen Ar-beit in Deutschland (vgl. Kap. 3.3.) als es der Berufsgründerin Alice Salomon gelang, die erste soziale Frauenschule zu etablieren. Dewe und Otto (2011a, S. 1132f.) hingegen betonen in Bezug auf den Beginn der Verberuflichung die Wandlung der Wohlfahrtspflege zu einem Teilbereich der personenbezo-genen sozialen Dienstleistungen mit starker Abhängigkeit von staatlicher Regulierung und öffentlicher Finanzierung. Olk (1986, S. 99) verbindet beide Sichtweisen, indem er die Bemühungen der Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung um die Etablierung sozialer Ausbildungsstätten zwar als notwendige, nicht aber schon hinreichende Bedingung für den Beginn der Verberuflichung Sozialer Arbeit darstellt. Hinzukommen müssten seiner Auffassung nach die damaligen Bestrebungen zur Reform des kommunalen Fürsorgewesens und die staatliche Mitwirkung an der endgültigen Fixierung der Ausbildungsmodalitäten. Beide Aspekte datieren aus der Zeit zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Viel später erst – zu Beginn der 1970er Jahre – setzte die Diskussion um eine Professionalisierung dieses Berufes ein: Als im Zuge der Bildungsreform die Berufausbildungen Sozial-arbeit und Sozialpädagogik von den Höheren Fachschulen an die Fachhoch-schulen verlegt wurden. Es entstand die Frage, ob Soziale Arbeit (in Folge der Gründung der Fachhochschulen rückten Sozialarbeit und Sozialpädago-gik näher zusammen) ‚nur‘ ein Beruf oder aber eine Profession sei. Damit begann die erste Etappe des Diskurses, die bis in die Mitte der 1980er Jahre hinein reichte (vgl. Kap. 3.4.). Darin versuchte man die Frage nach der Pro-fession durch einen Bezug auf die anglo-amerikanischen, strukturfunktiona-listischen Professionskriterien zu beantworten und arbeitete sich an den Merkmalen und Kriterien für klassische Professionen in Bezug auf die Sozia-le Arbeit ab (vgl. Kap. 2.3.1. und Kap. 2.3.2.). Es ist hervorzuheben, dass diese erste Etappe auf einer Auseinandersetzung mit dem in Deutschland zu dieser Zeit ebenfalls neu entstandenen berufs- und professionssoziologischen

Diskurs fußt (vgl. Kap. 2.1.). Dies zeigt, dass man sich in der Professions- und Professionalisierungsdebatte in der Sozialen Arbeit von Beginn an (z.T.

explizit, z.T. implizit) an einschlägigen soziologischen Diskursen rund um das Thema Profession anlehnte. Dies war auch im weiteren Verlauf der De-batte so, wie beispielsweise die Entwicklungen in Richtung auf ‚professionel-les Handeln‘ im soziologischen Diskurs (vgl. Kap. 2.2.) und in Richtung auf

‚Handlungskompetenz‘ im Diskurs der Sozialen Arbeit seit den 1980er Jah-ren (vgl. Kap. 3.5.1.) verdeutlichen können.

Im Zentrum der Debatten der ersten Etappe stand das Bestreben, den Be-ruf der Sozialen Arbeit in den Status einer Profession zu befördern: Es ging um die Ausbildung eines Berufsprofils, die Ermöglichung einer beruflichen Identität, die Anhebung der gesellschaftlichen Bedeutung der Sozialen Arbeit und um eine Absicherung des Expertenstatus, um dadurch berufliche Domä-nen für die Absolventen der neuen Ausbildungsgänge zu sichern (Spiegel 2008, S. 49). Für diese Phase typisch war eine naive Reduktion der Anstren-gungen zur Professionalisierung auf eine Strategie der Akademisierung der Ausbildung, wodurch vielfach Professionalisierung fälschlicherweise mit Verwissenschaftlichung gleichgesetzt wurde (Dewe et al. 1992b, S. 11). In einer aus dieser Zeit sehr prominenten Veröffentlichung von 1971 weisen Otto und Utermann (1971, S. 9ff.)115 darauf hin, dass die Diskussion über den Stand der Professionalisierung in der ‚Sozialarbeit‘ durch die Verlagerung der Ausbildung auf Fachhochschulen mit deren institutioneller Verzahnung in den Bereich der Gesamthochschule ihre Aktualität gewinnt und daher Leitpunkte für eine zukünftige Orientierung dringend erforderlich seien.116 Unter Professionalisierung verstehen die beiden Autoren einerseits eine Um-orientierung oder Neukonstitution der Berufsidentität in Richtung Autonomie in der beruflichen Entscheidung. Diese Autonomie spiegele sich in einem größeren Freiheitsraum, den der Praktiker auf der Grundlage des anerkannten Sachverstandes erlangt und der es ihm ermögliche, seine Entscheidungen ohne externen Druck durch Anstellungsträger, Klienten und andere zu treffen und durchzusetzen. Dabei verschiebe sich die Basis der Berufsrolle idealty-pisch von dem zugeschriebenen, mit der bürokratischen Organisation ver-bundenen Status hin zu einer eigenständigen Sachverständigkeit. Anderer-seits weisen Otto/Utermann darauf hin, dass Professionalisierung immer auch Statuspolitik ist, bei der es der entsprechenden Berufsgruppe um eine soziale _______________________

115 Nach Hamburger (1995, S. 16) wurde die Professionalisierungsdiskussion in Deutschland durch diesen „legendären Sammelband“ von Otto und Utermann eingeleitet.

116 Weitere Gründe, warum sich der Begriff Professionalisierung erst während der 1960er Jahre entfaltete, nennt Lüders (1989, S. 152f.): 1. Im Zuge der Studentenbewegung wurden soziale Berufe wieder öffentlich und politisch thematisiert und auf Defizite und Missstände aufmerksam gemacht. 2. Die wachsende Verbreitung deutscher Übersetzungen v.a. anglo-amerikanischer Methodenbücher führte auch zur Rezeption der dort stärker etablierten Pro-fessionstheorie. 3. Im Zusammenhang mit dieser Rezeption wurde auch ein soziologischer und funktionstheoretischer ‚Blick‘ auf das eigene Praxisfeld zunehmend populär.

und ökonomische Niveauerhöhung durch Statuserhöhung und Prestigezu-wachs geht. Für Dewe und Otto (2011a, S. 1131) ist aus dieser Veröffentli-chung die Proklamierung des Ziels einer umfassenden Professionalisierung der Sozialen Arbeit herauszulesen. Hohe Erwartungen im Hinblick darauf macht zugleich Peters (1971, S. 120f.) in derselben Publikation zunichte, der der ‚Sozialarbeit‘ eine misslungene Professionalisierung attestiert: Sozialar-beiter forderten zwar eine Professionalisierung z.B. anhand der Etablierung von Methoden oder der Aufgabe ihrer Rolle des Kontrolleurs, fürchteten aber deren Umsetzung bzw. versuchten gar ihre Realisierung zu verhindern, weil sie letztlich dysfunktional für die Sozialarbeiter sei (vgl. Kap. 3.4.1.). Suk-zessive entwickelte sich die Erkenntnis, das Soziale Arbeit einerseits durch-aus Gemeinsamkeiten mit dem Idealtypus klassischer Professionen aufwies, andererseits aber deutliche Abweichungen zu konstatieren waren (Schmidt 2008, S. 850). In diesem Kontext war und ist die Soziale Arbeit im Ergebnis nicht als Profession, sondern nur als Semi-Profession zu bewerten (vgl. Kap.

3.4.2.).

Aber das damals weit verbreitete und stilisierte Bild klassischer Professi-onen, das auch der Rechtfertigung eines lukrativen Berufsmonopols dient, das gegen Aufsicht von außen schützt und zu Prestige und Respekt führt, hat auch Kritik hervorgerufen (Gildemeister 1992, S. 207f.): Diese Art der Orga-nisation von Arbeit löse zwangsläufig einen Mechanismus der Monopolisie-rung und der Abschottung von Kompetenzbereichen gegenüber anderen aus und degradiere sie zu Laien. Da immer mehr Berufe den Status des Experten für sich reklamierten, würde den anderen immer häufiger der Laienstatus zuteil. Gegen diese Art der Expertisierung wandte man sich Ende der 1970er und in den 1980er Jahren und es entwickelten sich gegenläufige Tendenzen wie die Forderung nach ‚Deprofessionalisierung‘117 oder gar die Forderung nach ‚Entprofessionalisierung‘ (Dewe/Otto 2011a, S. 1135).118 Im Zuge die-ser Bewegungen kam es zu Forderungen nach Rehabilitierung von Laien-kompetenzen und Selbsthilfe sowie von neuer Subsidiarität (Hamburger 1995, S. 16). Daraus erwuchs im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre in Deutschland eine Bürgerinitiativ- und Selbsthilfebewegung, die _______________________

117 Gildemeister (1992, S. 208) merkt an, dass die damals oft genannte Deprofessionalisierung inhaltlich eher als ‚De-Expertisierung‘ zu bezeichnen ist.

118 An die Prozesse der De- und Entprofessionalisierung aus dieser Zeit knüpfen auch Dewe und Ferchhoff mit einer Analyse aus dem Jahr 1987 an. Die Autoren betrachten diese Pro-zesse jedoch grundsätzlicher vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Strukturveränderungen und zwar als logische Folge von Individualisierungs- und Modernisierungstendenzen im Umbruch zur Postmoderne. Aus der Professionalisierungsdebatte der frühen 1970er Jahre sei zu lernen, „von Sequenz- bzw. Kontinuumsvorstellungen einer invarianten Abfolge von Professionalisierungsprozessen Abschied zu nehmen“ (S. 159f.). Vgl.: Dewe, Bernd;

Ferchhoff, Wilfried (1987): Abschied von den Professionen oder die Entzauberung der Ex-perten - Zur Situation der helfenden Berufe in den 80er Jahren. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 23/1987. S. 147-182.

sche und die Betroffenen entmündigenden Hilfeformen kritisierte und ab-lehnte. Die dienstleistenden Sozialberufe versuchten diese Verunsicherungen dadurch zu bewältigen, dass sie erneut ihre kommunikative, zwischen-menschliche Seite betonten und sich vermeintlich wissenschafts- und techno-logiekritische Methoden z.B. der Gestaltlehre oder der humanistischen Psy-chologie aneigneten. Dies geschah im Kontext des sog. ‚Psychobooms‘ der 1980er Jahre, durch den Sozialer Arbeit das Image einer interpersonalen Beziehungsarbeit jenseits von rechtlichen und institutionellen Eingriffen in das Alltagsleben verliehen werden sollte (Dewe et al. 2001, S. 27).

Diesen Zeitabschnitt Ende der 1970er und die 1980er Jahre prägte dar-über hinaus der gesellschaftliche und sozialpolitische Kontext, der die Selbsthilfebewegung zu instrumentalisieren drohte (Dewe et al. 1986, S. 9):

Die Soziale Arbeit in der BRD befand sich nach einer langen Phase des Wachstums in einer Situation der Stagnation und der kritischen Reflexion.

Anlass hierfür boten sich entwickelnde tiefgreifende ökonomische und ge-sellschaftliche Strukturkrisen (Krise der Industriegesellschaft und des Sozial- und Wohlfahrtsstaates) und daraus resultierend Finanzierungsschwierigkeiten im System der sozialen Sicherung. Infolgedessen wurde v.a. im Sozialsektor nach Perspektiven zur Einschränkung öffentlicher Ausgaben und nach effi-zienteren und effektiveren Möglichkeiten des Einsatzes verfügbarer Mittel und Handlungsmuster gesucht. Politische Rezepte bestanden dabei einerseits in der weiteren Reduktion sozialstaatlicher Leistungen, andererseits in der staatlichen Förderung eher marktförmiger privater Fürsorge oder eben subsi-diärer Selbsthilfe.

Für Lüders (1989, S. 166) wurden diese Entwicklungen in der Professio-nalisierungsdebatte der Sozialen Arbeit als Herausforderung an das eigene Selbstverständnis und als Kritik an der bisherigen Programmatik wahrge-nommen. Sogar im fünften Jugendbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1979 finden sich Aussagen zu wachsenden Verständigungsproblemen zwi-schen Professionellen und ihrem Klientel. Lüders (1989, S. 167f.) arbeitet heraus, dass an dieser Stelle – und damit kaum zehn Jahre nach dem Beginn der Debatte – die Professionalisierungsbemühungen in der Sozialen Arbeit plötzlich mit ihren eigenen negativen Resultaten konfrontiert wurden: Waren bisher v.a. die bestehenden Defizite und der Modernisierungsrückstand in der Professionalisierung der Sozialen Arbeit betont worden, so musste sich der Diskurs (noch bevor er beendet war) mit den problematischen Implikationen des Professionalisierungsprozesses auseinandersetzen.

Neben dieser Kritik am Bild der klassischen Professionen und der Orien-tierung der Sozialen Arbeit daran, wurde zeitgleich auch grundsätzliche Kri-tik an der Akademisierung der Sozialen Arbeit (Diplomstudiengang Sozial-pädagogik und Fachhochschulausbildungen Sozialarbeit und Sozialpädago-gik) v.a. durch die Anstellungsträger geübt (Gildemeister 1992, S. 209). Sie beklagten die zunehmende Praxisferne der Ausbildung und eine, für den

Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit in ihren Augen unnötige, Verwissen-schaftlichung. Als Resultat daraus und in Verbindung mit den Bewegungen zu De- und Entprofessionalisierung musste sich die Soziale Arbeit Ende der 1970er Jahre erneut mit Inhalt und Struktur einer Studienreform befassen (Lüders 1989, S. 169): 1979 wurde durch die Kultusministerkonferenz in Absprache mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz die Einsetzung einer Studienreformkommission Pädagogik/ Sozialpädagogik/ Sozialarbeit be-schlossen. Sie erarbeitete Empfehlungen zur Neuordnung von Studiengängen im Bereich Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik/ Sozialarbeit. Da-mit war die Soziale Arbeit erneut gezwungen, ihr Anliegen nach außen hin offensiv zu vertreten und gleichzeitig intern umfassender als bisher in einen Selbstverständigungsdiskurs einzutreten, um aus den bisherigen Erfahrungen Perspektiven für eine Weiterentwicklung zu gewinnen.

Auch ist von Anfang der 1980er Jahre der Versuch zu nennen, eine Ver-sachlichung der Debatte durch ihre Empirisierung zu erreichen (vgl. Kap.

3.4.3.). Dabei sollte auf die Probleme einer zunehmend selbstbezogenen, kontroversen und theoretischen Professionalisierungsdebatte, die auf die empirischen Herausforderungen der Expertenkritik sehr anfällig reagierte, mit dem empirischen Verweis auf ‚tatsächliche‘ Leistungen und Probleme z.B. durch Arbeitsmarktuntersuchungen reagiert werden (Lüders 1989, S.

171). Einigkeit bestand darin, das in Diplomstudienrichtung und Fachhoch-schule ausdifferenzierte Ausbildungswesen und das in Sozialpädagogik und Sozialarbeit ausdifferenzierte Praxisfeld unter einer einigenden Perspektive zu betrachten. Diese Entwicklungen führten dahin, dass es in der Professiona-lisierungsdebatte zu einer stärkeren Berücksichtigung empirischer Daten aus der Berufsfeldforschung kam, die jedoch vielfältig interpretierbar und deren Konsequenzen für die Professionalisierungsbestrebungen unklar waren (Lü-ders 1989, S. 173). In der weiteren Entwicklung wurde daher das Thema Professionalisierung einerseits zu einer abstrakten allgemeinen Utopie, ande-rerseits zu einem rein theoretischen und empirischen Gegenstand, der in der ausgebildeten Komplexität nur noch Thema diffiziler, abstrakter wissen-schaftsinterner Diskussion sein konnte und bei dem deshalb zwangsläufig der Praxisbezug vernachlässigt wurde (Lüders 1989, S. 174).

Aus heutiger Sicht beurteilen Dewe und Otto (2011a, S. 1135) die über-wiegend standespolitisch inspirierte Debatte der 1970er und 1980er Jahre und damit die Orientierung am anglo-amerikanischen, strukturfunktionalistischen Modell der Professionen und der Professionalisierung sowie die daraus ent-standene Kritik als wenig gewinnbringend: Sie habe weder zur Klärung des Professionsbegriffs noch zu der Frage nach den Voraussetzungen der Profes-sionalisierbarkeit bestimmter beruflicher Tätigkeiten und damit zum Ver-ständnis der Strukturprobleme des Handelns in der Sozialen Arbeit beigetra-gen. Die damaligen Ansätze bewerten die Autoren als konfus, missverständ-lich und in politisch-praktischer Hinsicht stark legitimationsbedürftig und

von daher teilweise sogar als kontraproduktiv für die Soziale Arbeit (Spiegel 2008, S. 51). Darüber hinaus heben Dewe und Otto (2011c, S. 1742) hervor, dass zugunsten der hier dargelegten Professionalisierungsdiskussionen die wissenschaftstheoretische Debatte der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik stark vernachlässigt wurde (s. S. 20). Auch Gildemeister (1992, S. 210) analysiert die Debatte in der Retrospektive und kommt zu dem Schluss, dass sich darin normative Elemente (wie soll Soziale Arbeit sein), deskriptive Bestandsauf-nahme, die Analyse der Handlungsproblematik und die generelle professiona-lisierungskritische Diskussion um die Gefahren von Professionalisierung unübersichtlich vermischt haben. Das führt sie auf ein Zusammentreffen verschiedener Interessen zurück: Auf der einen Seite existierte ein Interesse an der Professionalisierung des Berufs im Sinne von Aufwertung und kollek-tiver Statusverbesserung, auf der anderen Seite sollte auf konkretes berufli-ches Handeln Einfluss genommen werden, wofür dieses jedoch zunächst fundiert, systematisiert und legitimiert werden musste.119 Mit Dewe et al.

(1993, S. 189) kann resümiert werden: „Die geläufigen Konzepte der Profes-sionalisierung sozialer Arbeit [d.h. aus den 1970er und 1980er Jahren; An-merk. K.M.] zeichnen sich dadurch aus, dass sie die realen Kontextbedingun-gen des beruflichen Handelns sowie die damit verbundenen Strukturprobleme ignorieren, stattdessen die Professionalisierungsproblematik voreilig norma-tiv fassen“.

Das Konzept der Semi-Profession erwies sich also als Sackgasse für die Entwicklung eines eigenen Professionalitätsmodells Sozialer Arbeit (Schmidt 2008, S. 852). Denn aus heutiger Sicht gilt als weitgehend konsensfähig, dass sich Soziale Arbeit nur begrenzt am Modell der klassischen Professionen orientieren kann, dass aber auch das Expertenmodell nicht passt (Müller 2010, S. 963f.; vgl. auch Gildemeister 1992, S. 213)120: Dies gilt einerseits, weil die Soziale Arbeit in Deutschland ihre Entwicklung und gesellschaftli-che Anerkennung dem Ausbau der sozialstaatligesellschaftli-chen Institutionen verdankt – und nicht umgekehrt die Institutionen Produkt der professionellen Ausdiffe-renzierung unter einer Leitdisziplin sind (s. S. 181) – und andererseits, weil zur Bearbeitung der Aufgaben der Sozialen Arbeit nicht nur ein ausdifferen-ziertes Berufsspektrum mit spezifischem Wissen und Können gehört (Exper-tenmodell), sondern auch eine besondere reflexive Art von Professionalität (vgl. Kap. 3.5.). Hinzu kommt, dass bei den klassischen Professionen und den Expertenkulturen Fragen nach Gerechtigkeit und Herrschaft, nach Arten der Lebensführung und sozialen Teilhabemöglichkeiten in der Regel nicht zu _______________________

119 Vergleichbar mit dieser Zustandsbeschreibung ist die Situation der Theorien Sozialer Arbeit (vgl. Kap. 1.3.). Die Vermischung verschiedener Inhalte, Ebenen und Interessen führte zu einem anhaltenden Theoriedilemma in der Sozialen Arbeit. Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Systematisierung der Theorien in Disziplin-, Professions- und Praxistheo-rien kann dabei basale Klärungen und Systematisierungen bewirken.

120 Erstmalig ausgearbeitet wurde diese Position durch Gildemeister 1983, durch Müller 1985 sowie durch Olk 1986 (Müller 2010, S. 963).

professionellen Fachfragen werden, sondern es sich um ethische Fragen han-delt, die der individuellen Moral der einzelnen Akteure zugerechnet werden (Müller 2010, S. 965) – dies ist bei der Sozialen Arbeit nicht der Fall.

Aus diesen Gründen kann sich Soziale Arbeit nach Olk (1986, S. 218) immer nur im Kontext und mit ihrer organisatorischen Struktur professionali-sieren:

„Für sozialarbeiterische Dienstleistungstätigkeit ist nun konstitutiv, dass sie einer dua-len Steuerung unterliegt. Administrative und professionelle Entscheidungsregeln geben den verbleibenden Möglichkeitsspielraum konkreter sozialarbeiterischer Problembear-beitungsstrategien vor. Es wäre daher unzureichend, entweder nur die Strukturmerkma-le und Entwicklungstendenzen administrativer Steuerung oder nur die der professionel-len Steuerung sozialarbeiterischer Dienstleistungstätigkeiten zu analysieren. Stattdes-sen geht es darum, Effekte des Zusammenwirkens beider (gegensätzlicher) Steuerungs-formen im Hinblick auf das praktische Gewährleistungsniveau sozialarbeiterischer Dienstleistungstätigkeit zu untersuchen [Hervorhebungen im Original, Anmerk.

K.M.].“

Von daher lag es nahe, die spezifischen Rahmenbedingungen des Berufsfel-des im weiteren Diskurs ernst zu nehmen und in Richtung einer „alternativen Professionalität“ (Olk 1986, vgl. Kap. 3.4.4.) weiterzuentwickeln (Spiegel 2008, S. 51). Folglich wandte man sich im weiteren Professions- und Profes-sionalisierungsdiskurs der Sozialen Arbeit grundsätzlich vom Professionskri-terienansatz und damit auch von der (unmöglichen) Überwindung des indika-torisch festgestellten Abstands zu den klassischen Professionen ab und fokus-sierte stattdessen die innere Logik professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit unter den ihr ganz eigenen Strukturbedingungen (Schmidt 2008, S.

852). Diese Fokussierung sollte den Schlüssel zu einer eigenständigen Be-stimmung von Professionalität der Sozialen Arbeit darstellen – was in der Literatur auch als ‚Differenzthese‘ (im Gegensatz zur Defizitthese) bezeich-net wird (Cloos 2010, S. 29).121 Als ein weiterer Grund für eine Abwendung vom Vergleich mit den klassischen Professionen kann darüber hinaus die Tatsache genannt werden, dass aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen selbst die klassischen Professionen einige der ihnen zugewiesenen Merkmale nicht mehr erfüllen können bzw. sich die Merkmale der geschichtlich früh entstandenen klassischen Professionen unter den Bedingungen moderner sozialer Berufe letztlich nicht erreichen lassen (Olk 1986, S. 28) (vgl. dazu auch Kap. 2.4.).

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121 Der Differenzthese liegt die Annahme zugrunde, dass sich im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung im 20. Jahrhundert zunehmend mehr Berufe herausgebildet haben, die die Folgekosten des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses, die Paradoxien und die Dia-lektik der Moderne vorwiegend nicht freiberuflich und mit einem geringen Autonomiegrad in den Berufsvollzügen zu bearbeiten haben. Diese Berufe waren stattdessen von Anfang an Bestandteil der Arbeitsteilung und Kontrollhierarchie formaler Organisationen (Olk 1986, S. 38).

Damit begann eine zweite Etappe des Professions- und Professionalisie-rungsdiskurses der Sozialen Arbeit, die von Mitte/ Ende der 1980er Jahre bis in die Gegenwart zu datieren ist und oftmals als ‚neuer Diskurs‘ bezeichnet wird. Gildemeister (1992, S. 212f.) bemerkt zu Beginn der Etappe, dass die Debatte um Professionalisierung „leiser – aber intensiver“ geworden ist und zunehmend inhaltliche Probleme der Grundlegung der Sozialen Arbeit (z.B.

Suche nach einer Leitwissenschaft) in den Mittelpunkt rückten – womit eine Rückverlegung der Debatte in den Wissenschafts- und Ausbildungsbereich einherginge. Gildemeister (1992, S. 213) identifiziert zwei ‚revolutionierende Entdeckungen‘, die entscheidend zu dieser Weiterentwicklung der Professio-nalisierungsdiskussion beigetragen haben: die ‚Alltagswende‘ in der Sozial-arbeit/ Sozialpädagogik sowie die interaktive Verfasstheit der personennahen Sozialen Arbeit.

Mit dem Begriff ‚Alltagswende‘ bezieht sich die Autorin auf übergrei-fende Bewegungen in den Sozialwissenschaften und der Sozialen Arbeit gegen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre, die die schlichte Er-kenntnis in die Diskussion einbrachten, dass sich Handeln nicht abstrakt auf Personen oder Gruppen bezieht, sondern diese bereits verwoben in konkrete Alltags- und Lebenswelten sind (s. S. 133). Die Alltagswende lässt sich daher im Kontext der Sozialen Arbeit auch als Versuch verstehen, eine tragfähige Grundlagentheorie zu entwickeln. Maßgeblich dazu beigetragen hat Thiersch mit seinem Konzept einer alltags- und lebensweltorientierten Sozialen Arbeit (s. S. 90). Infolge dessen entwickelte sich die Debatte mit Blick auf den As-pekt der Alltagsorientierung als Handlungskompetenz und ‚neue Fachlich-keit‘ weiter (vgl. Kap. 3.5.1.). Die andere revolutionierende Erkenntnis lag darin, auf die fundamentale interaktive Verfasstheit der personennahen Sozia-len Arbeit zu verweisen und damit auf die Abhängigkeit der Kommunikation von beiden Seiten (Klient/ Professioneller). Diese zweite Erkenntnis entstand u.a. in der Auseinandersetzung mit den ‚semi-professions‘ in den 1970er Jahren in den USA (Dewe/Otto 2011a, S. 1136).122 Weil mit dem Konzept der ‚semi-professions‘ wichtige Prozesse im Zusammenhang mit der Berufs-rolle oder mit der Aushandlung der Arbeitsteilung in den sozialbürokrati-schen Organisationen konzeptionell nicht erfasst werden konnten, wurde in den USA und in der Rezeption dann auch in Deutschland der Versuch _______________________

122 Nach Dewe und Otto (2011a, S. 1136) geht das Konzept der ‚semi-professions‘ in den USA auf Etzioni (1969), Toren (1972) und Austin (1978) zurück: Etzioni, Amitai (Hg.) (1969):

The Semi-Professions and Their Organizations. Free Press: New York; Toren, Nina (1972);

The Semi-Professions and Their Organizations. Free Press: New York; Toren, Nina (1972);