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2. Professionssoziologische Perspektive als Analyseinstrument

2.3 Diskursüberblick und Theoriepositionen

2.3.3 Interaktionistische und machtorientierte Ansätze

2.3.3.1 Interaktionistischer Professionsansatz von Hughes

Prinzi-pien der Arbeitsteilung, Statusdifferenzierung und Leistungsspezialisierung organisiert sind. Als ‚soziale Welt‘ wird ein Kollektiv verstanden, das eine den Mitgliedern gemeinsame Perspektive der Welterfahrung sowie eigene Interaktions- und Kommunikationsstrukturen und darüber hinaus Wissens- und Relevanzsysteme beinhaltet (Pfadenhauer 2003, S. 47). Ausgangspunkt ist dabei die prinzipielle Fremdheit der Ereignis- und Handlungsabläufe in den jeweiligen professionellen Sozialwelten mit dem die methodische Ein-stellung des ethnographischen Fremdverstehens einhergeht (Schütze 1992, S.

139). Dieser Ausgangspunkt bewirkt die Hinwendung zu konkreten Arbeits-abläufen innerhalb professioneller Handlungsbereiche mit Fokus auf die individuellen Handlungsleistungen der Professionellen und der Klienten

sowie auf die systematischen Fehler bei der Arbeit (Schütze 1996, S. 186).

Dieser Ausgangspunkt stellt zugleich eine Akzentsetzung der interaktionisti-schen gegenüber der strukturfunktionalistiinteraktionisti-schen Theorie dar, die die Merk-male des professionellen Handelns in erster Linie als globale evolutionsge-schichtliche Ergebnisse des weltgeevolutionsge-schichtlichen Rationalisierungsprozesses betrachtet (Schütze 1992, S. 138 und Schütze 1996, S. 185).

Für Hughes und Strauss bildet eine Profession eine besondere ‚Sinnwelt‘, die für das berufliche Handeln orientierungsrelevant ist und in die der Profes-sionsnovize einsozialisiert werden muss. Diese Sinnwelt wird nach Hughes und Strauss als ‚höhersymbolisch‘ bezeichnet, d.h. sie beinhaltet Sinnquellen, die Sinnsphären (v.a. der Wissenschaft) entstammen, die die Alltagswelt transzendieren (Schütze 1996, S. 190f.). Die Sinnquellen bringen abstrakte Kategorien hervor, d.h. generalisierende Typenkategorien und Kategorien von Prozessmechanismen der Entfaltung dieser generalisierenden Typenka-tegorien, die für konkrete Problem- und Handlungssituationen der Profession respezifiziert werden müssen. Die Kategorien wiederum weisen eine fundie-rungswissenschaftliche und z.T. auch interdisziplinär-grundlagentheoretische Verankerung auf (Schütze 1996, S. 183) und ermöglichen es, die Projekt- und Fallproblematiken der Klienten79 auf ihre generellen Bewegungsmechanis-men hin zu analysieren und zu bearbeiten. Dabei ergibt sich der Fall aus der Aufschichtung eines Problemzusammenhangs in der alltäglichen Existenz-welt des Klienten. Diese Aufschichtung ist aufgrund von aufeinander folgen-den Schwierigkeiten und Störungen vom Klienten als zusammenhängende Geschichte eines Erleidens bzw. einer Verlaufskurve80 erlebt worden (Schüt-ze 1992, S. 137).

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79 Den Unterschied zwischen Projekt- und Fallcharakter im Kontext verschiedener Professio-nen beschreibt Schütze (1996 S. 191) anhand von Beispielen: Ein Projekt ist, wenn eine Architektin ein Haus für ihren Kunden baut. Ein Fall ist, wenn ein Klient der Sozialarbeit von Arbeitslosigkeit betroffen ist und aus dieser Situation weder praktisch noch psychisch herausfindet. In beiden Beispielen ist die Problematik, die der Professionelle bearbeitet, in die Handlungs-, Erleidens- und Aufgabenbezüge des Lebens des Kunden bzw. des Klienten eingebettet. Pfadenhauer (2003, S. 48) weist darauf hin, dass sich nach Hughes das Projekt oder der Fall erst sukzessive in der Interaktion mit dem Kunden bzw. dem Klienten heraus-kristallisiert und damit Ergebnis eines interaktiven Konstruktionsprozesses ist. In diesem Konstruktionsprozess bestimmt sich dann auch, welche Richtung die Intervention nimmt und welche Ressourcen genutzt werden sollen. Professionelle Arbeit wird damit als eine Form von ‚people processing‘ beschrieben. Dieses Konzept orientiert sich an der Theorie des Symbolischen Interaktionismus, die im Kontext der ‚Chicago School‘ durch Herbert Blumer entwickelt wurde (Kurtz 2002, S. 52). Mit Blick auf den späteren Fokus Soziale Arbeit wird im weiteren Verlauf der Darstellung des interaktionistischen Ansatzes der Pro-jektcharakter vernachlässigt.

80 „Eine Verlaufskurve ist immer dadurch bestimmt, dass der Betroffene von einer Abfolge übermächtiger (äußerer und innerer) Ereignisse überwältigt wird, auf die er nur noch („konditionell“) reagieren kann, die ihm also zunächst intentionales Handeln verunmögli-chen. Viele Verlaufskurven entstehen auch aus der Behinderung von

Identitäts-In der konkreten Identitäts-Interaktion mit dem Klienten werden die Kundgaben des Klienten dann unter den ‚Sinnwelt‘-Gesichtspunkten der Profession abs-trahierend und zugleich vertiefend interpretiert, anders als das in der alltags-weltlichen Existenzwelt der Fall ist. Dabei sind die Sinnquellen für die pro-fessionellen Interpretationen den Klienten zunächst nicht zugänglich, sondern verborgen (Schütze 1992, S. 136).81 Es muss berücksichtigt werden, dass die Fallentwicklung einer ständigen Veränderung durch das Leben des Klienten, durch die Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungsrahmen sowie durch die Handlungseinwirkungen der Profession selbst unterliegt. Deshalb kann sich auch der Professionelle nie sicher sein, ob er im Wege der Abstrak-tion und Respezifizierung bei der Anwendung von Kategorien auf konkrete Situationen das zugrunde liegende Muster der Falldynamik wirklich hinrei-chend erfasst hat. Auch muss er damit rechnen, dass die existierenden Kate-gorien und Typisierungen nicht mehr greifen und von daher Einsicht in die Notwendigkeit der stetigen Neuschöpfung von Kategorien und Typisierungen sowie der entsprechenden respezifizierenden Analyseschritte in der Fallbear-beitung haben (Schütze 1996, S. 192). Diese Vorgänge verändern die profes-sionelle Sinnwelt permanent.

Aus dieser Perspektive ist eine Profession „ein – von der alltäglichen Laienwelt, aber auch von anderen Expertensinnwelten – relativ abgegrenzter Orientierungs- und Handlungsbereich, in welchem sowohl wissenschaftlich als auch praktisch ausgebildete Berufsexperten gesellschaftlich lizensierte Dienstleistungen für ihnen per gesellschaftlichem Mandat anbefohlene Klien-ten bzw. Abnehmer zu vollbringen“ (Schütze 1992, S. 135). Diese, im inter-aktionistischen Professionsmodell zentralen, Kategorien Lizenz und Mandat verweisen darauf, dass der professionelle Status und die damit verknüpften Privilegien von Macht, Einfluss, Ansehen etc. der gesellschaftlichen Aner-kennung und Legitimation im Sinne von Berger und Luckmann (1997, S.

98ff.) bedürfen. Die Legitimation erfolgt dadurch, dass der professionelle Status einer Trägerschaft rollenspezifischen Wissens exklusiv über einen einschlägigen Sonderwissensbestand, d.h. über einen zentralen Bereich ge-sellschaftlichen Wissens, verfügt. Lizenz und Mandat werden den Professio-nen folglich aufgrund von Fachwissen zuerkannt (Pfadenhauer 2003, S. 49).

Lizenz steht dabei konkret für die an eine Fachausbildung geknüpfte formale Berechtigung, Dinge und Handlungen ausführen zu können. Das Mandat weist darüber hinaus und impliziert Definitionsmacht in einem umfassenden Sinne – die Vollmacht in einem von der Gesellschaft vorgegebenen Bereich, der mit der Verwaltung von Werten zu tun hat, autoritativ tätig zu werden.

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Entwicklungsprozessen bzw. Wandlungsprozessen [Hervorhebungen im Original, Anmerk.

K.M.]“ (Schütze 1992, S. 137).

81 Professionelles Wissen wird dementsprechend von Hughes als „esoteric knowledge“ und professionelle Leistung als „esoteric service“ bezeichnet (Hughes 1971 zitiert in: Pfaden-hauer 2003, S. 49).

Infolgedessen unterscheiden sich Professionen von anderen Berufen dadurch, dass mit ihrem Mandat die Definitionsmacht gegenüber den Sachverhalten und Dienstleistungen in ihrem Geltungsbereich verknüpft ist (Pfadenhauer 2003, S. 50). Diese Annahmen verdeutlichen, dass die Grundidee des interak-tionistischen Ansatzes mit der der strukturtheoretischen und funktionalisti-schen Ansätze übereinstimmt und bestätigen infolgedessen die von Schmei-ser entwickelte Systematik der professionssoziologischen Ansätze.

Anders als in der US-amerikanischen strukturfunktionalistischen Theo-rietradition hingegen werden im US-amerikanischen interaktionistischen Ansatz nicht die klassischen ‚professions‘ als Normalfall professionellen Handelns dargestellt (s. S. 69), sondern die ‚neuen Professionen‘, deren An-gehörige ihre Tätigkeiten im Rahmen von Organisationen ausüben (Nagel 1997, S. 57).82 Dadurch wird betont, dass jede Profession immer auch in innerbetriebliche und gesellschaftliche Organisationsstrukturen eingebettet ist. Da die Professionen diese Strukturen einerseits für die Steuerung ihrer komplexen Arbeitsabläufe nutzen, sie aber andererseits Gefahr laufen, von ihnen zu stark kontrolliert zu werden, haben sie ein prekäres und kritisches Verhältnis zu ihrer organisatorischen Einbettung (Schütze 1996, S. 185).

Diese Unterscheidung zwischen alten (klassischen) und neuen Professionen wird auch in der Analyse des Professions- und Professionalisierungsdiskurses in der Sozialen Arbeit erneut aufgegriffen werden.

Die interaktionistische Theorie fokussiert auch, dass es bei der Anwen-dung der professionellen Analyse- und Handlungsverfahren einer Profession auf die konkrete Fallproblematik immer wieder zu Paradoxien professionel-len Handelns kommt – d.h. zu Schwierigkeiten und Dilemmata im Arbeitsab-lauf, die nicht aufhebbar und nicht umgehbar sind (Schütze 1992, S. 137).

Jedoch sind diese Paradoxien professionell bearbeitbar, d.h. sie sind immer wieder professionsethisch, in der eigenen Selbsterfahrung und persönlichen Handlungsreflexion sowie sozialwissenschaftlich zu reflektieren (Schütze 1996, S. 193-194). Sie resultieren letztlich daraus, dass der abgegrenzte ‚hö-hersymbolische Orientierungsbereich‘, an dem sich der Berufsexperte aus-richtet, nicht problemlos mit der alltäglichen Existenzwelt seines faktischen Berufshandelns und der Lebensführung des Klienten vermittelbar ist (Schütze 1992, S. 137). Die Abarbeitung an den Paradoxien des professionellen Han-delns erfolgt jedoch sehr häufig fehlerhaft: Dadurch, dass der Professionelle _______________________

82 Nagel (1997, S. 46) bezeichnet in Anlehnung an Larson (1979 in: Nagel 1997, S. 46) diejenigen Berufe als ‚neue Professionen‘, die gegenüber den klassischen Professionen (z.B. Ärzte, Juristen) a) zeithistorisch später entstehen, deren Professionalisierung sich b) im Schatten des Staates vollzieht und deren Arbeitsleistung c) nicht marktförmig nach An-gebot und Nachfrage organisiert ist, sondern korporatistisch bzw. im Rahmen wohlfahrts-staatlicher Einrichtungen erbracht wird. Wie aus den weiteren Ausführungen in dieser Ar-beit ersichtlich, wird Larson als wesentliche Vertreterin des ‚power approach‘ angesehen, weshalb dieses Verständnis der ‚neuen Professionen‘ auch eine Voraussetzung für diesen Ansatz darstellt.

die unaufhebbaren Antinomien in den Paradoxien nicht aushält, verschleiert er sie sich selbst und dem Klienten. „Die systematische Tendenz zu Berufs-fehlern bei der Bearbeitung der Paradoxien professionellen Handelns hat unnötige (d.h. letztlich nicht legitimierbare) negative Auswirkungen auf das Leben des Klienten, aber auch auf das des Berufsexperten“ (Schütze 1992, S.

138). Hinzu kommt, dass die Arbeitsverfahren der Profession stets in einer sich verändernden und ungewissen gesellschaftlichen Praxis angewandt wer-den müssen, was die systematische Fehlertenwer-denz ihres je spezifischen Be-rufsfeldes zusätzlich erhöht (Schütze 1996, S. 194).