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2. Professionssoziologische Perspektive als Analyseinstrument

2.2 Gegenstandsbereich

2.2.1 Beruf und Profession

Bereits die Definition des ureigensten Begriffes der Professionssoziologie ist nicht unproblematisch, denn wie oben aufgezeigt, ist der Begriff ‚freier Be-ruf‘ keine adäquate Entsprechung des englischen Begriffs ‚profession‘. Aus diesem Grund wird in der deutschsprachigen Diskussion inzwischen einheit-lich von ‚Professionen‘ gesprochen. „Etymologisch lässt sich der Begriff

‚Profession‘ auf das lateinische Verb ‚profiteri‘ zurückführen: Dem Begriff wohnt demnach ursprünglich das subjektive Moment des Bekenntnisses im

Sinne eines (Ordens-) Gelübdes inne, worauf man den Sonderstatus jener Berufe zurückführen könnte, die heute (noch) als Professionen bezeichnet werden – allen voran der Beruf des Arztes, des Geistlichen sowie die juristi-schen Berufe“ (Pfadenhauer/Sander 2010, S. 361). Eine zusammenfassende Definition findet sich bei Büschges (2007a, S. 514): Eine Profession ist „ein für die Gesellschaft relevanter Dienstleistungsberuf mit hohem Prestige und Einkommen, der hochgradig spezialisiertes und systematisiertes, nur im Lau-fe langer Ausbildung erwerbbares technisches und/oder institutionelles Wis-sen relativ autonom und kollektivitätsorientiert anwendet (z.B. Arzt oder Richter)“. Die hier genannten Aspekte des Begriffs Profession finden sich in ähnlicher Form auch bei Mieg (2003, S. 15f), der statt einer konkreten Defi-nition einige „charakteristische Rahmenbedingungen“ aufzählt. Dazu gehören die Existenz eines gesellschaftlich relevanten Problembereichs mit zugeord-netem Handlungs- und Erklärungswissen, den Bezug zu einem gesellschaftli-chen Zentralwert (z.B. in der Medizin ‚Gesundheit‘), eine weitgehend aka-demisierte Ausbildung sowie die Existenz einer berufsständischen Vertre-tung.

Im Versuch der Definition des Begriffs spiegelt sich bereits die grund-sätzliche Problematik der (deutschsprachigen) Professionssoziologie wider (vgl. Kap. 2.3.): Die Vertreter der verschiedenen professionstheoretischen Ansätze sind sich zwar darüber einig, dass es sich bei Professionen um Beru-fe handelt, die sich durch bestimmte Merkmale von allen anderen BeruBeru-fen unterscheiden. Bei der konkreten Definition der Kriterien aber herrscht anhal-tend Uneinigkeit (Pfadenhauer/Sander 2010, S. 361f.). Bewertet man die Entwicklung von Berufen anhand der genannten Kriterien, so können viele Berufe allenfalls als ‚Noch-Nicht-Professionen‘ und d.h. als Semi-Professionen bezeichnet werden, denen es an einer eindeutigen Durchset-zungsfähigkeit mangelt (Spiegel 2008, S. 50).48 Gemessen an diesen Merk-malen wurde gerade auch die Soziale Arbeit lange Zeit als Semi-Profession angesehen (vgl. Kap. 3.4.2.).

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48 Büschges (2007c, S. 588) spricht auch von halb- oder noch nicht voll-professionalisierten Berufen. Forsyth und Danisiewicz (1985 in: Schützeichel 2007, S. 562f.) dagegen unter-scheiden zwischen (Voll-) Professionen, Semi-Professionen und mimischen Professionen.

Nach diesem Ansatz verrichten Professionen ihre Tätigkeit mit einer hohen Autonomie und einem hohen Autonomieanspruch, was als Voraussetzung für ihre anderen Eigenschaften angesehen werden kann. Sie stützen sich auf Hall (1969 in: Schützeichel 2007, S. 562f.), der zwischen den Autonomiedimensionen ‚Autonomie gegenüber Klienten‘, ‚Autonomie gegenüber Organisationen‘ und ‚Autonomie gegenüber Personen und Gruppen, die nicht Mitglied der Profession sind‘ unterscheidet. Nach Forsyth und Danisiewicz gelingt es nicht allen Professionen in all diesen Dimensionen Autonomiepotenziale zu entfalten: Die (Voll-) Professionen haben in allen Dimensionen hohe Autonomie. Semi-Professionen bilden in der ein oder anderen Dimension (meist die organisationale) nur eine geringe Autonomie aus und mimische Professionen können in keiner Dimension hohe Autonomie errichten – sie zehren nur auf einer symbolischen Ebene vom Nimbus der Profession.

Auf der Basis dieses Verständnisses von Profession bezeichnet Professi-onalität „einen Zustand ‚gesteigerter Berufsförmigkeit‘“ (Schmidt 2008, S.

842), welcher sich aus unterschiedlichen und z.T. bereits erwähnten Faktoren ergibt: Bindung der Berufsausübung an das längere Einsozialisieren in eine durch eine wissenschaftliche Disziplin vertretene Wissenstradition, Erwerb eines Berufsethos und Erwerb der Berechtigung der autoritativen Ausführung von gesellschaftlich als zentral erachteten Tätigkeiten am anempfohlenen Menschen zu dessen Wohle. Professionalität kann somit als positive Eigen-schaft (professionell vs. nicht-professionell) Handlungsfeldern, Organisatio-nen sowie Rollen, aber auch PersoOrganisatio-nen zugeschrieben werden. Diese Zu-schreibung fungiert dadurch als Prädikat, dass die Legitimation öffentlich anerkannt wird, als ausgebildeter praktischer Experte einer gesellschaftlich bedeutsamen Tätigkeit nachzugehen, was wiederum zur Macht- und Status-erhöhung der Berufsgruppe beiträgt. Professionalität ist daher immer auch ein reform- und berufsstrategisches Konzept, das unter machttheoretischen Ge-sichtspunkten betrachtet werden kann (Schmidt 2008, S. 843) (vgl. Kap.

2.3.3.).

Dem Begriff Profession ist eine weitere vielschichtige Begrifflichkeit vorgelagert: der Beruf.49 Auch er wird in der (Berufs-) Soziologie je nach weltanschaulicher, sozialhistorischer oder ideengeschichtlicher Grundorien-tierung unterschiedlich definiert (Hillmann 2007, S. 85). Max Weber (1972, S. 80) sieht Beruf als „jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person […], welche für sie Grundlage einer kontinuier-lichen Versorgungs- oder Erwerbschance ist“. Hillmann (2007, S. 85) ergänzt Webers Definition um die Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Erstellung dieser Leistungen und bietet zugleich eine Alternativdefinition an: Beruf meint die

„auf Neigung oder Begabung sowie fachlicher Ausbildung beruhende Eig-nung des einzelnen Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft oder einen von der Gesellschaft als soziale Position abgegrenzten Tätigkeitsbereich mit spe-zifischen Orientierungen, Wertungen und Zielvorstellungen“. In der Regel gelten jene Tätigkeiten als Beruf, die auch selbständig ausgeübt werden kön-nen und mit einem gewissen Ethos verbunden sind (vgl. Kap. 1.4.2.). Neben dem Beruf bestehen zahlreiche Formen der Arbeitsorganisation, die zwar Erwerbstätigkeiten, aber keine Berufe sind (Pfadenhauer 2003, S. 20f.). Als Bedingungen für die Entstehung von Berufen nennt Pfadenhauer (2003, S.

19) einerseits die über die Historie gewandelte Einstellung zur Arbeit50 und _______________________

49 Diesem wiederum vorgelagert ist der Begriff Arbeit, der – im Gegensatz zum spezifisch angelegten Berufsbegriff – sehr weit gefasst ist. Der Beruf steht folglich zwischen den Beg-riffen Arbeit und Profession, zusammen bilden sie ein Kontinuum (Kurtz 2002, S. 70).

Während das Thema Arbeit noch in den 1990er Jahren Konjunktur (nicht nur) in der Sozio-logie hatte, wurde das Thema Beruf immer mehr an den Rand gedrängt (Kurtz 2002, S. 6).

50 Bedeutete Arbeit in der Antike über das römische Kaiserreich bis hin zur jüdisch-christlichen Tradition eher ein Makel, avancierte sie von der Reformation über die

ökono-andererseits Aspekte wie die zunehmende Arbeitsteilung in Industriegesell-schaft und Moderne und den Siegeszug der Leistungs- und Erfolgsideologie (vgl. Kap. 2.1.). Zusammenfassend lässt sich der Beruf als bestimmte Form der sozialen Organisation von Arbeit beschreiben: Idealerweise ist er ein auf Eignung und Neigung basierendes, besonders erlerntes und relativ speziali-siertes Arbeiten gegen Entgelt zur Befriedigung materieller oder immateriel-ler Bedürfnisse Anderer (Pfadenhauer 2003, S. 22).

Speziell der subjektorientierte Ansatz in der Berufssoziologie, der inner-halb des Sonderforschungsbereiches „Theoretische Grundlagen sozialwissen-schaftlicher Berufs- und Arbeitskräfteforschung“ der Deutschen Forschungs-gemeinschaft (DFG) an der Münchener Universität entwickelt wurde (Kurtz 2002, S. 24), betont das Wechselverhältnis zwischen Individuum und Gesell-schaft: Berufe sind in diesem Kontext Zusammensetzungen und Abgrenzun-gen der zu Erwerbszwecken einsetzbaren Arbeitsfähigkeiten, die man sich während der Berufsausbildung und in der Berufspraxis aneignet (Bolte 1983, S. 12ff.). In der beruflichen Sozialisation werden dabei in einem weiten Sinne Arbeitsfähigkeiten vermittelt und damit bestimmte Typen von Subjektivität – v.a. in Bezug auf die personale und soziale Identität, den Lebenslauf und den Lebenssinn – geprägt. Darüber hinaus wurde bei den ursprünglich ständisch organisierten Berufen stets eine innere Berufung unterstellt.51

Mit Verberuflichung wird in der Folge der Prozess umschrieben, in wel-chem menschliche Arbeit sich die Attribute eines Berufes zulegt (Biermann 2006, S. 295): Arbeitsleistungen, die bisher ehrenamtlich, nachbarschaftlich oder familiär erwartet wurden, werden zum Gegenstand einer eigenständigen spezialisierten Rolle mit eigenen Gratifikationen, einer eigenständigen Ent-wicklung des Qualifikations- und Anforderungsprofils und besonderer sym-bolischer Bedeutung für die Rolleninhaber. Heute entwickeln sich dabei neue Berufe seltener durch Verberuflichung vormals familial organisierter Tätig-keiten, als vielmehr durch einfache Berufsdifferenzierung – Berufsdifferen-zierung i.S.v. Abzweigen bestimmter Elemente von einer bereits etablierten Berufsrolle, um diese zum Funktionskern einer eigenen Berufsrolle zu ma-chen.52 Nach der Auffassung von Spiegel (2008, S. 48) begann die Verbe-ruflichung der Sozialen Arbeit als es der Berufsgründerin Alice Salomon zu ________________________________________________

misierte Sicht Adam Smiths bis Karl Marx und v.a. Max Webers protestantischer Ethik zur Sinnmitte der Gesellschaft (Pfadenhauer 2003, S. 15ff.).

51 Vgl. dazu grundlegend: Beck, Ulrich; Brater, Michael (1978): Berufliche Arbeitsteilung und soziale Ungleichheit. Eine historisch-gesellschaftliche Theorie der Berufe. Frankfurt a.M.: Campus und: Beck, Ulrich; Brater, Michael; Daheim, Hansjürgen (1980): Soziologie der Arbeit und Berufe. Reinbeck: Rowohlt.

52 Bezogen auf die Soziale Arbeit weist Biermann (2006, S. 295) darauf hin, dass die heutige Integration von Sozialarbeit und Sozialpädagogik zur Sozialen Arbeit als ein Prozess der beruflichen Entdifferenzierung angesehen werden kann, aus dem ein in seiner Leistungser-wartung hochkomplexer vereinheitlichter Sozialberuf hervorgegangen ist.

Beginn des 20. Jahrhunderts gelang, die erste soziale Frauenschule zu etablie-ren (vgl. Kap. 3.3.).

Durch die bereits erwähnte Hinwendung zum Begriff der Professionali-sierung wurde das eher statische Professionsverständnis erweitert und der Blick auf Prozesse gerichtet: In einem engen Sinne geht es um „den Prozess der Entwicklung einer Berufsgruppe in Richtung einer Profession, d.h. einer Berufsgruppe mit einer gewissen Autonomie in der Leistungskontrolle“

(Mieg 2005, S. 342).53 Dass diese Verschiebung in der Betrachtung des Ge-genstandes in der Fachwelt bereits fest verankert ist, zeigt sich in Nachschla-gewerken und Lehrbüchern (s. u.a. Büschges 2007b, S. 514; Hillmann 2007, S. 706; Mieg 2005, S. 342; Müller 2010, S. 731, Spiegel 2008, S. 48f.).

Die Bezeichnung Professionalisierung vertieft somit neben dem Aspekt der Verberuflichung die Betrachtung beruflicher Entwicklungen in charakte-ristischer Weise (Biermann 2006, S. 298): Sie beschreibt eine besondere Form beruflicher Weiterentwicklung, die v.a. an einer verstärkten Verfachli-chung und theoretischen Systematisierung der Wissensgrundlagen des beruf-lichen Handelns erkennbar wird. Darüber hinaus werden sich Berufe im Pro-zess der Professionalisierung auch ihrer ethischen Verantwortung und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bewusst und geben dem unter anderem durch Aufbau einer Berufsorganisation Ausdruck.

Da Professionalität einerseits als Attribut eines Berufes bzw. einer Be-rufsrolle aber andererseits auch als persönliches Merkmal betrachtet werden kann (s.o.) hat der Begriff Professionalisierung im Grunde genommen zwei Bedeutungen (Biermann 2006, S. 300): Erstens bezeichnet er die Berufsent-wicklung, d.h. den Prozess, in dem ein Beruf sich zunehmend auf ein Laien nicht zugängliches systematisches Expertenwissen stützt und sich selbst an-hand einer Dienstleistungsethik und mittels einer ständischen Berufsorganisa-tion steuert. Zweitens charakterisiert er aber auch individuelle Veränderungen in der Ausübung einer Berufsrolle – im Sinne der fachlichen Anhebung und Reflexion der eigenen Tätigkeit, die mit der persönlichen Verinnerlichung berufsethischer Handlungsmaßstäbe und dem Engagement in einem Berufs-verband einhergehen kann. Auch Pfadenhauer (2003, S. 15) weist im Zuge der Auseinandersetzung mit Professionalisierung u.a. auf die berufsbiogra-phische Herausbildung eines bestimmten professionellen Habitus hin. Da aber in der vorliegenden Arbeit die Berufs- und Professionsentwicklung (der Sozialen Arbeit) im Zentrum steht, wird auf diese zweite Bedeutung des Begriffs Professionalisierung und damit einhergehenden Fragen sowie den in _______________________

53 Nach Mieg (2003, S. 22) hat die Prozesssicht den Vorteil, dass man die Entwicklung von Berufen auch international vergleichen kann, ohne dass jede Entwicklung zu ‚vollgültigen‘

Professionen im Sinne der klassischen Professionen führen muss. Der Begriff eignet sich daher auch für historische Studien: Er ist eine historisch aufweisbare Strategie, mit der eine Berufsgruppe in einer kapitalistischen Markt- und Klassengesellschaft ihre ökonomische und soziale Stellung anzuheben versucht (Siegrist 1988 in: Mieg 2003, S. 22).

den letzten Jahren zahlreicher gewordenen professionsbezogenen empiri-schen Analysen nur hingewiesen, ohne eine Auseinandersetzung damit zu vertiefen. So existiert auch im Kontext von Sozialer Arbeit und Professionali-tät als persönliches Merkmal eine Vielzahl neuer empirischer Studien, die z.B. den Aufbau beruflicher Identität oder die Übernahme beruflicher Orien-tierungen bei Fachkräften der Sozialen Arbeit analysieren (s. S. 116). Im Sinne von Professionalisierung als Berufsentwicklung können also grund-sätzlich diejenigen Berufe als Professionen bezeichnet werden, die schließ-lich – als Resultat eines historischen Professionalisierungsprozesses – über eine weitreichende Autonomie hinsichtlich der Gestaltung und Regelung ihrer berufseigenen Belange verfügen (Pfadenhauer 2003, S. 30).

Diese Möglichkeit der Fokussierung des Prozesses im Kontext von Pro-fessionalisierung soll auch in der Analyse der Entwicklung der Sozialen Ar-beit genutzt werden (vgl. Kap. 3.). Es macht aber nur dann Sinn von Profes-sionalisierung zu sprechen, wenn man die Richtung des Prozesses und das Ziel der Professionalisierung angeben kann, den ein Beruf erreichen wird (Schmeiser 2006, S. 302). Richtung und Ziel kann nur angegeben werden, wenn zuvor eine Definition des Begriffes Profession existiert, auf die Bezug genommen werden kann - der Begriff Professionalisierung kann folglich den schwer definierbaren Begriff Profession nicht ersetzen oder umgehbar ma-chen (vgl. Schmeiser in Auseinandersetzung mit dem Professionskriterienan-satz, S. 90).

Professionalisierung wird darüber hinaus einerseits – im Sinne einer funktionalistischen Betrachtungsweise von Berufen – als zwingende Not-wendigkeit und als Antwort des Berufs auf die angewachsenen Leistungsan-forderungen einer modernen Gesellschaft angesehen. Eine Vielzahl gesell-schaftlicher Faktoren gilt dabei als Motor der fortschreitenden Professionali-sierung (auch der sozialen Berufe).54 Andererseits treiben Berufsgruppen ihre Professionalisierung aber auch aus ganz eigennützigen Interessen voran: Sie streben für ihre Mitglieder nach höherem Prestige und finanziellen Beloh-nungen und bedienen sich dabei der Anforderungen an das systematisierte Wissen als Mittel, indem sie – ohne weitere Gründe – die Ausbildung der Berufsangehörigen wesentlich verbessern. Biermann (2006, S. 307) führt dafür den Begriff der ‚Scheinprofessionalisierung‘ an. Wurden im Zuge der Professionalisierung der Sozialen Arbeit in den 1970er Jahren noch Bemü-hungen zum Nachweis einer ‚echten‘ Professionalisierung erbracht, so wird _______________________

54 Biermann (2006, S. 307) nennt als gesellschaftliche Faktoren beispielsweise die Verschär-fung sozialer Ungleichheiten und Problemlagen, eine wachsende Sensibilisierung für Be-ziehungsprobleme verbunden mit einer Psychologisierung des familiären Erziehungsalltags, steigende Ansprüche an die Leistungen der sozialen Hilfen und ein großes Angebot an Me-thoden, Konzepten und Theorien professioneller Problembearbeitung verbunden mit einem allgemeinen Nachlassen der Selbsthilfekompetenz.

heute nüchtern konstatiert, dass Berufe gemacht und berufliche Entwicklun-gen bewusst eingeleitet werden.55

Grundlegende Zweifel und Kritik an einer professionalisierten Sozialen Arbeit benennt Biermann (2006, S. 308), wenn er von ‚Professionalisierungs-illusionen‘ spricht und sich dabei auf die Kluft zwischen den Professionali-sierungserwartungen der Wissenschaftsinstanzen einerseits und dem Profes-sionalisierungsinteresse der durchschnittlichen Praktiker der Sozialen Arbeit andererseits bezieht. Während das akademische Fach hochgesteckte Ansprü-che an das Abstraktionsvermögen, das Verständnis komplexer theoretisAnsprü-cher Ansätze sowie die Bereitschaft zur Reflexion des eigenen beruflichen Han-delns anhand dieser Ansätze hat, ist bei vielen Studierenden und Praktikern

‚Theorie‘ allenfalls als unmittelbar umsetzbares Handlungs- und Rezeptwis-sen akzeptiert und wird meist in eine Gegenposition zur ‚Praxis‘ gebracht.

Auch stehen professionelle Hilfen grundsätzlich unter dem Verdacht, den Laien ihre Problem(löse)kompetenz abzusprechen und durch die Verallge-meinerung der eigenen fachlichen Kategorien die Lebenswelt der Klienten zu

‚kolonialisieren‘ (Biermann 2006, S. 309-310). Ebenso kann eine ‚Überpro-fessionalisierung‘ kontraproduktiv wirken (Utermann 1971, S. 21): Sie ergibt sich, wenn in der Ausbildung ein viel umfangreicheres und stärker systemati-siertes Wissen vermittelt wird, als es zur Ausübung des Berufes notwendig ist. Wenn sich dadurch Teile einer Berufsgruppe bedroht oder verunsichert fühlen und sich den Befürwortern einer weiterreichenden Professionalisie-rung entgegenstellen, kann Widerstand in den eigenen Reihen auftreten.