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2. Professionssoziologische Perspektive als Analyseinstrument

2.2 Gegenstandsbereich

2.2.3 Professionelles Handeln

Seit den 1980er Jahren und der Debatte um Professionelle, Experten und Spezialisten sowie der Hinwendung zu Prozessen der Professionalisierung rückte zunehmend der Begriff professionelles Handeln ins Zentrum der Be-trachtung. Fokussiert wurde nun die Praxis der Ausübung der Profession und damit das Handeln des Professionellen bzw. die Interaktion zwischen Profes-sionellem und Klient (Schmidt 2008, S. 843). Kurtz (2007, S. 500) nennt neben den oben angeführten Merkmalen von Professionen die besondere Form des professionellen als ein zusätzliches und wesentliches Abgren-zungskriterium von Professionen zu anderen Berufsgruppen: „Bei professio-nellen Dienstleistungen werden fallspezifische Konkretionen von Struktur-problemen der Privatsphäre in der Form der „Stellvertretung“ (Weiß 1998) bearbeitet. Diese in face-to-face Situationen ablaufende kurativierende, wie-derherstellende und vermittelnde professionelle Arbeit kann in der Regel nicht technokratisch gelöst werden. Professionelles Handeln kann die Klien-tenprobleme nicht kausaladäquat (im Sinne von Ableitungen, Rezeptologien etc.) bearbeiten und dann versuchen, „einzig richtige“ Problemlösungen be-reitzustellen, sondern die Probleme werden hier eher sinnadäquat (in Form von Sinnauslegung, Therapie etc.) bearbeitet und Problemdeutungen angebo-ten [Hervorhebungen im Original, Anmerk. KM]“ (Kurtz 2007, S. 500).

Analog dazu spricht Schützeichel (2007, S. 567) von spezifischen Hand-lungsproblemen mit dem es Professionen im Gegensatz zu anderen Berufs-gruppen zu tun haben.

Die Erfassung von Professionalität über die Rekonstruktion besonderer, bereichstypischer Handlungsanforderungen bzw. -logiken ist Ansätzen aus der strukturfunktionalen Handlungstheorie (Parsons, vgl. Kap. 2.3.2.1.), der _______________________

59 Dabei erfordert die berufliche Organisation von Expertenschaft u.a. eine adäquate Rekrutie-rung des Personals und dessen QualifizieRekrutie-rung, die SicheRekrutie-rung des erworbenen Berufsstatus sowie die Abwehr von Konkurrenz im eigenen Zuständigkeitsbereich – Maßnahmen, die über die eigentliche Funktion, die Bereitstellung von Expertenlösungen, weit hinausreichen (Pfadenhauer 2003, S. 29).

strukturtheoretischen Soziologie (Oevermann, vgl. Kap. 2.3.2.2. und bezogen auf die Soziale Arbeit Kap. 3.5.2.), der Systemtheorie (Luhmann, Stichweh, vgl. Kap. 2.3.2.3.) sowie der interaktionistischen Sozialtheorie (Schütze, vgl.

Kap. 2.3.3.2. und Kap. 3.5.2.) gemeinsam (s. hier und im Weiteren, wenn nicht anders ausgewiesen: Schmidt 2008, S. 843f.):

Professionelles Handeln wird durch eine besondere Handlungslogik be-stimmt, welche sich aus spezifischen Strukturbedingungen bzw. spezifischen (funktionalen) Anforderungsbedingungen ergibt, denen professionelles Han-deln unterworfen ist. Dies impliziert, dass sich professionelles HanHan-deln von Handlungstypen anderer Bereiche wie z.B. dem bürokratischen (Verwal-tung), dem wirtschaftlichen (Markt) oder dem alltäglichen Handeln (Lebens-welt) abgrenzen lässt. Als allgemeines Kennzeichen einer solchen professio-nellen Handlungslogik kann der widersprüchliche Charakter genannt werden, der alles professionelle Handeln gleichermaßen betrifft. „D.h. die Handlungs-anforderungen und -ziele sind in Widersprüche (Paradoxien) verstrickt, wel-che – aufgrund ihres strukturellen Charakters – nicht auflösbar, wohl aber (praktisch in unterschiedlicher Weise) bewältigbar sind [Hervorhebungen im Original, Anmerk. K.M.]“ (Schmidt 2008, S. 844). Unter Rekurs auf das von Parsons erarbeitete Schema allgemeiner Handlungsorientierungen (pattern variables) spezifiziert Brunkhorst (1992 in: Schmidt 2008, S. 845) die profes-sionelle Handlungslogik in fünf Dimensionen: 1. Leistungsorientierung (achievement) statt Zuschreibung (ascription), 2. Universalismus statt Parti-kularismus, 3. Spezifität statt Diffusität, 4. Affektive Neutralität statt Affekti-vität, 5. Kollektivitätsorientierung statt Selbstorientierung. In Abgrenzung zu wirtschaftlichen, bürokratischen sowie lebensweltlichen Handlungsformen kann professionelles Handeln folglich als auf höherstufiger und universeller Solidarität beruhend bestimmt werden – es geht um eine „Solidarität unter Fremden“ (Brunkhorst 1992 in: Schmidt 2008, S. 845), die prinzipielle Vor-aussetzung für die Arbeit mit und am Menschen ist. Den Anlass zur Etablie-rung einer solchen Solidarität bildet die Notwendigkeit der Bewältigung einer lebenspraktischen Krise aufseiten des Klienten. Wenn für diesen die Fortset-zung seiner autonomen Lebenspraxis nicht mehr möglich ist, weil die Selbstauslegungs- und Selbstheilungskraft des Alltags sie nicht mehr herstel-len kann, zieht der Klient das Wissen eines Experten (Professionelherstel-len) zur Lösung des Problems heran. Der Professionelle hat nun die Aufgabe und qua Qualifikation die Berechtigung, sich der Besonderheit des jeweiligen Prob-lems und Falls zu widmen (dies entspricht Mandat und Lizenz, vgl. interakti-onistischer Ansatz Kap. 2.3.3.) und diesen vor dem Hintergrund theoreti-schen Wissens (um)zudeuten und dadurch Lösungswege aufzuzeigen. Der Professionelle hilft, indem er den Klienten befähigt, sich langfristig wieder selbst zu helfen. Dabei stellt die Deutungsarbeit den Kern der professionellen Tätigkeit dar, die sich als Dialektik von universalistischer Regelanwendung

und hermeneutischem Fallbezug verstehen lässt (vgl. Oevermann Kap.

2.3.2.2.).

Die Notwendigkeit innerhalb moderner Gesellschaften, die Bearbeitung personaler Probleme an die stellvertretende Deutungsleistung anonymer Professioneller zu delegieren, erzeugt eine eigentümliche Beziehungsstruktur, die in spezifische Spannungen und Widersprüche (Paradoxien) verstrickt ist.

Diese strukturell bedingten Paradoxien, die sich in und durch die Interaktion zwischen Professionellem und Klient konkretisieren, bilden den Kern profes-sioneller Handlungslogik und sind konstitutiver Bestandteil allen professio-nellen Handelns. Diese Paradoxien lassen sich als „praktische Entscheidun-gen und Verhaltensweisen des Professionellen im Rahmen eines Möglich-keitsraums strukturell bedingter, sich widersprechender Handlungsorientie-rungen [Hervorhebungen im Original, Anmerk. K.M.]“ (Schmidt 2008, S.

847) begreifen.

Brunkhorst (1992 in: Schmidt 2008, S. 847f.) benennt einige typische Pa-radoxien, die wiederum an das Schema allgemeiner Handlungsorientierungen von Parsons anschließen: 1. Der Professionelle muss dem Klient einerseits das Gefühl geben, ihn als ganze Person (Diffusität) ernst zu nehmen. Ande-rerseits muss er sich auf jene Aspekte der Person konzentrieren, die der Sache dienlich sind (Verunpersönlichung und Versachlichung der Beziehung). 2.

Der Professionelle muss einerseits Affekte kontrollieren (affektive Neutrali-tät), andererseits auch – um den Willen der notwendigen Vertrauensbezie-hung als Grundlage der Interaktion – dosiert zulassen (Affektivität). 3. Der Professionelle muss sich in die lebensweltliche Situation des Klienten hi-neindenken (Partikularismus), diese aber zugleich verallgemeinern (Univer-salismus). 4. Der Professionelle schwankt zwischen der Inanspruchnahme zugeschriebener Autorität und der Verpflichtung gegenüber leistungs- und sachgebundener Fachautorität. Das bedeutet, dass der Professionelle sein Wissen grundsätzlich so vermitteln soll, dass Lösungen nachvollziehbar werden. Da aber der Professionelle auch verpflichtet ist, dem Klienten die beste Lösung zu vermitteln, kann es im Extremfall zur autoritären Verord-nung von Lösungen kommen – solche Unterminierungen professioneller Handlungslogik können sich verselbständigen und habitualisieren (z.B. Ärzte als ‚Halbgötter in Weiß‘). 5. Der Professionelle steht zwischen der Orientie-rung an seinen eigenen Interessen (SelbstorientieOrientie-rung) und der OrientieOrientie-rung am Wohl des Klienten (Kollektivitätsorientierung).

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Interaktion zwischen Professionel-lem und Klient als temporäre, zweckgebundene und widernatürliche Bezie-hung begreifen, die im Dienste des Ziels der Wiederherstellung der autono-men Lebenspraxis des Klienten kurzzeitig vorgibt, eine natürliche Beziehung zu sein (Schmidt 2008, S. 848). V.a. aufgrund dieser Paradoxien muss pro-fessionelles Handeln Abstand halten zu den benachbarten Handlungsformen, um weiterhin als professionelles Handeln gelten zu können und nicht

unter-laufen zu werden.60 Insgesamt beruht die Beziehung zwischen Professionel-lem und Klient also auf kontinuierlichen Kommunikationsleistungen der Akteure, wobei eine gelingende Beziehung ein funktionierendes Arbeits-bündnis (Oevermann, vgl. Kap. 2.3.2.2.) voraussetzt (Schmidt 2008, S. 849).

Professionen zeichnen sich folglich nicht primär durch ihr Wissen aus, sondern durch eine „spezifische Reflektiertheit des Wissens“ (Schützeichel 2007, S. 567), welche durch diese Handlungsprobleme verursacht werden.

Die Abhängigkeit von der Interaktionssituation und der Person des Klienten bedeutet, dass die Arbeitssituation sehr viel komplexer ist als das dem profes-sionell Handelnden zur Verfügung stehende Wissen (Kurtz 2007, S. 501).

Hinzu kommt, dass die professionelle Arbeitssituation fallweise variiert und unter Zeitdruck steht – sie ist daher durch die Merkmale Ungewissheit und Unbestimmtheit geprägt. Schützeichel (2007, S. 567) identifiziert im profes-sionellen Handeln drei Problembereiche als Quelle solcher Ungewissheiten:

„Professionellem Handeln ist die Ungewissheit über die Sozialbeziehung, die Problemsituation und über die zu wählenden Handlungsstrategien inhärent“.

Für Abbott (1988 in: Schützeichel 2007, S. 567) macht folglich der Umgang mit Unbestimmtheitsproblemen den Kern professionellen Handelns aus. Um dies zu verdeutlichen, unterscheidet er analytisch drei Phasen professionellen Handelns: Die Diagnose des Problems, die Erstellung von möglichen Lö-sungsvorschlägen auf der Grundlage eines theoretischen Modells und die Behandlung/Anwendung. Jede Phase ist nicht oder nur in Maßen standardi-sierbar – die zweite Phase ist die wichtigste, sie ist am wenigsten formalisier- und technisierbar, aber aus ihr leiten die Professionen ihre Legitimität ab.61 Diese Tatsache macht deutlich, dass professionelles Handeln von außen kaum kontrollier-, verobjektivier- und messbar ist (Schützeichel 2007, S.

567). Grund dafür ist die Anforderungsstruktur der Praxis, die stets ergebnis-offen, diffus und sehr heterogen ist. Daraus resultieren auch erhebliche _______________________

60 So muss mit Blick auf marktförmiges Handeln der Professionelle notwendigerweise die instrumentellen Aspekte der Berufsrolle (Verdienst, Karriere) verschleiern und eine ganz-heitliche Beziehung simulieren, der Klient muss sich hingegen seine eigene Hilfsbedürftig-keit eingestehen und sich auf den Professionellen einlassen. Mit Blick auf lebensweltliches Handeln müssen der Professionelle und der Klient hinreichend Abstand zur Lebenswelt etablieren, um die therapeutische Struktur als Voraussetzung für ein Gelingen der Zusam-menarbeit nicht zu zerstören. Mit Blick auf administratives Handeln muss der Professionel-le augrund des Handlungsdrucks bei der Anwendung von wissenschaftlichem Wissen die Tendenz regulieren, Wissen und seine Anwendung zu technologisieren. (Brunkhorst 1992 in: Schmidt 2008, S. 848)

61 Nach Abbott (1988 in: Schützeichel 2007, S. 567) beinhaltet diese Phase der Erstellung von Lösungsvorschlägen zwei Möglichkeiten: Entweder versucht der Professionsvertreter mit Hilfe von Hypothesen einen Zusammenhang zwischen Problembeschreibung und mögli-chen Problemlösungen oder zwismögli-chen Diagnose und Behandlung herzustellen (Inferenz durch Konstruktion). Oder aber er probiert durch mehrmalige Diagnose, durch mehrmalige Problembeschreibung oder auch mehrmalige Behandlungen spezifische Hypothesen über die Problemsituation und mögliche Problemlösungen zu validieren oder auszuschließen (In-ferenz durch Exklusion).

scheidungs- und Ermessensspielräume und es ist Zeichen der sachgerechten Entscheidung von Professionsvertretern, diese Spielräume auf der Basis ihres formalen Wissens eigenständig zu beurteilen und zu bearbeiten. Eine erhebli-che Rolle spielen daher die personalen Kompetenzen, Urteilsfähigkeiten und Verantwortungsübernahmen der Professionsvertreter – das Vertrauen, wel-ches ihnen die Klienten entgegenbringen, ist immer auch an ihre Person ge-knüpft (Schützeichel 2007, S. 568).

Die erläuterte Unbestimmtheit des professionellen Handelns ist einerseits der Garant für die Existenz von Professionen. Andererseits führt die Unbe-stimmtheit der Praxis dazu, dass Professionen versuchen, Probleme möglichst

‚rein‘ zu behandeln („professional purity“) (Abbott 1981 in: Schützeichel 2007, S. 568). Dies kann dann so weit gehen, dass Professionelle die Proble-me, mit den sie sich auseinandersetzen, so zu definieren wissen, dass diese weitgehend den Lösungen entsprechen, über die sie professionell verfügen (Pfadenhauer 2005, S. 14): Professionelle verwalten bestimmte Lösungen (d.h. Lösungen zu Problemtypen) mehr, als das sie Lösungen zu existentiel-len Problemen bereitstelexistentiel-len. Diese Sicht steht im Widerspruch zur bereits dargelegten Annahme, dass das wesentliche Element professionellen Han-delns darin besteht, Probleme stellvertretend zu deuten und zu bewältigen (vgl. Oevermann, Kap. 2.3.2.2.).

Im Kontext der ausstehenden Analyse der Entwicklung der Sozialen Ar-beit als Profession (vgl. Kap. 3.) bildet der Begriff professionelles Handeln einen zentralen Begriff für die neue Professions- und Professionalisierungs-debatte in der Sozialen Arbeit seit Mitte/ Ende der 1980er Jahre: Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen nun die Handlungsprobleme der sozialpädago-gischen und sozialarbeiterischen Praxis und die Frage nach der Qualität des Handelns (Dewe et al. 2001, S. 14f.). Zum Thema der Fachdiskussion wurde damit das Wissen und Können von Berufspraktikern vor dem Hintergrund des Theorie-Praxis-Problems (vgl. Kap. 1.1.2.). Professionelles Handeln wird hier als „ein personenbezogenes, kommunikativem Handeln verpflichtetes stellvertretendes Agieren auf der Basis und unter Anwendung eine relativ abstrakten, Laien nicht zugänglichen Sonderwissensbestandes sowie einer praktisch erworbenen hermeneutischen Fähigkeit der Rekonstruktion von Problemen defizitären Handlungssinns“ (Dewe/Otto 2011a, S. 1137) verstan-den. Ziel dessen ist es, über eine sozial legitimierte sowie institutionalisierte Kompetenz eine bessere Problemwahrnehmung und in deren Folge eine (Verhaltens-) Veränderung bei den Klienten herbeizuführen.

Neben diesen zentral diskutierten Begriffen ist noch der weniger stark verwendete Begriff der professionellen Kompetenz zu nennen: Sie ist konkret

„dadurch gekennzeichnet, dass sich Befähigung (nachgewiesen durch eine meist wissenschaftliche Ausbildung), Bereitschaft (angezeigt durch

‚Leistungs-Angebote‘) und Befugnis (beglaubigt durch ‚Zertifikate‘) in for-maler Deckung befinden [Hervorhebungen im Original, Anmerk. KM]“

(Pfadenhauer 2005, S. 14). In diesem Zusammenhang weist Pfadenhauer auf eine seit Ende der 1990er Jahre anhaltende Konjunktur des Kompetenzbeg-riffs hin, der mit einer massiven Verdrängung herkömmlicher Begrifflichkei-ten einhergeht (z.B. Qualifikation, Lernen, Bildung). Diese „kompeBegrifflichkei-tenzorien- „kompetenzorien-tierte Wende“ (Arnold 1997 in: Pfadenhauer 2010, S. 149) ist v.a. auf die nationale und internationale Bildungspolitik zurückzuführen. Spezifiziert meint professionelle Kompetenz Handlungskompetenz, die das Gelingen professioneller Praxis sicherstellen soll (bezogen auf die Soziale Arbeit vgl.

Kap. 1.4.1.).

Auf Basis dieser ausdifferenzierten begrifflichen Grundlage können nun der professionssoziologische Diskurs und die darin entstandenen Theoriepo-sitionen näher betrachtet werden. Sie bilden das Fundament für die Analyse der Entwicklung der Sozialen Arbeit als Profession und deren Systematisie-rung aus professionssoziologischer Perspektive (Kap. 3.).