• Keine Ergebnisse gefunden

3. Die Entwicklung der Sozialen Arbeit als Profession

3.4 Klassischer Professions- und Professionalisierungsdiskurs

3.4.3 Empirisierung der Professionalisierungsdebatte

Wie bereits im Diskursüberblick erwähnt, sollte auf die Probleme einer zu-nehmend auf sich selbst bezogenen und theoretischen Professionalisierungs-debatte mit dem empirischen Verweis auf tatsächliche Leistungen und Prob-leme reagiert werden (z.B. durch Arbeitsmarktuntersuchungen). Als erster Versuch und Beginn dieser Bemühungen kann das im Auftrag des Bundes-ministeriums für Bildung und Wissenschaft im Herbst 1980 in Berlin veran-staltete Symposium „Zum Berufsfeld von an Fachhochschulen und Hoch-schulen ausgebildeten Sozialpädagogen und Sozialarbeitern“ angesehen wer-den (Lüders 1989, S. 170f.). Im Vorwort einer Publikation im Nachgang zu dieser Veranstaltung wird das Vorhaben skizziert: „Vor dem Hintergrund einer bislang stark ideologisch ausgeprägten und vielseitig interessengebun-denen Grundsatzdebatte über das Verhältnis von Ausbildung und Praxis sowie über die Zielorientierungen im Handlungsfeld Sozialar-beit/Sozialpädagogik hat die Projektgruppe versucht, einige strategische Schwerpunkte der berufs- und ausbildungspolitischen Auseinandersetzung konstruktiv aufzuarbeiten und empirisch zu fundieren“ (Projektgruppe

Sozia-le Berufe 1981, S. 5).158 Dabei ging es um die Schaffung von gegenseitiger Bereicherung:

„Indem aber die eher qualitativ orientierte Professionalisierungsdebatte künftig einer stärkeren Ergänzung durch empirisches Datenmaterial seitens der Berufs- und Verbleibforschung genauso bedarf, wie die bislang eher quantitativ orientierte Kontro-verse um die beruflichen Chancen der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen auf dem Ar-beitsmarkt neue Impulse durch einen Bezug auf die Herausarbeitung problem- und eben nicht primär institutionsbezogener Kompetenzen benötigt, bewegen sich diese beiden Entwicklungen aufeinander zu.“ (Projektgruppe Soziale Berufe 1981, S. 10) Der Projektgruppe (1981, S. 12) war es ein Anliegen zu verdeutlichen, wie der Prozess der Verberuflichung gleichermaßen Aspekte des Arbeitsmarktes, der ihn erzeugenden wie von ihm erzeugten Problemlagen, der Ausbildung und damit auch der Ausbildungsstätten sowie der beruflichen Identität der Sozialpädagogen/ Sozialarbeiter umfasst. Daraus ergab sich ihrer Ansicht nach die vordringliche Aufgabe, Forschungsergebnisse und -vorhaben und damit auch die Reichweite damaliger Aussagemöglichkeiten zum Stand der Verberuflichung in diesen Dimensionen genauer zu bezeichnen. Dies bein-halte einerseits die Erhebung und Interpretation von empirischem Material über die realen Entwicklungen im Schnittpunkt von Ausbildung und Ar-beitsmarkt, andererseits wurden aber auch Möglichkeiten und Grenzen der Berufsfeldforschung selbst genauer analysiert. Als Beispiel sei Band drei der Publikationsreihe genannt, der vorwiegend empirisch orientierte Forschungs-beiträge u.a. zur Situation des Arbeitsmarktes für soziale Berufe, zur Be-rufseinmündungsphase von graduierten Sozialarbeitern/ Sozialpädagogen sowie Diplom-Pädagogen und zum Zusammenhang von Berufsforschung und Studienreform beinhaltet. Auf die ebenfalls dort platzierte, empirisch fundier-te, wenngleich eher theoretische Expertise von Bohle und Grunow zur „Ver-beruflichung der sozialen Arbeit“ sei an dieser Stelle in einigen Aspekten exemplarisch eingegangen. Obwohl diese Expertise im eigentlichen Sinne keine empirischen Fakten liefert, kann sie dennoch Tendenzen der Empirisie-rungsdebatte aufzeigen.

Bohle und Grunow (s. hier und im Weiteren, wenn nicht anders ausge-wiesen: Bohle/Grunow 1981, S. 151ff.) beschränken sich in ihrem Beitrag bewusst darauf, die Entwicklung von einzelnen Komponenten der Professio-nalisierung der Sozialarbeit herauszuarbeiten, ohne dabei den jeweils erreich-ten ‚Grad‘ der Professionalisierung einschätzen zu wollen. Für sie ist _______________________

158 Im Nachgang des Symposiums entstanden im Verbund mit der genannten Publikation im Jahr 1981 zwei weitere Veröffentlichungen der ‚Projektgruppe Soziale Berufe‘ im Juventa-Verlag: 1. Sozialarbeit: Ausbildung und Qualifikation. Expertisen I, 2. Sozialarbeit Prob-lemwandel und Institutionen. Expertisen II. Der Projektgruppe gehörten an: Jutta Adam, Rüdeger Baron, Sibylle Kleiner, Reinhard Koch, Dieter Kreft, Rolf Landwehr, Christian Marzahn, C. Wolfgang Müller, Hans-Uwe Otto, Andreas Pohl, Reinhard Peglau, Thomas Rauschenbach, Christoph Sachße, Hans Thiersch, Dieter-Peter Weber und Joachim Wieler.

sionalisierung eine über die Verberuflichung hinausgehende Entwicklung, bei der die (strukturfunktionalistischen) Merkmale Wissens- und Methodenka-non, gesellschaftliches Prestige, berufliche Handlungsautonomie und berufli-che Interessenorganisation eine Rolle spielen. Den gesellschaftliberufli-chen Ort, an dem sich Prozesse der Verberuflichung und Professionalisierung konkret abspielen, nennen Bohle und Grunow die ‚Domäne‘: Die ‚Domäne‘ des Be-rufs besteht aus einem Katalog von Funktionen und Aufgaben der BeBe-rufs- Berufs-gruppe, einem bestimmten Klientenkreis, einem Wissenskanon praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie einem spezifisch qualifiziertem Personal (Sozialarbeiter/ Sozialpädagogen). Die Domäne steht jedoch nicht endgültig fest, sondern muss durch die Berufsgruppe der Sozialarbeiter gegen Verdrän-gungsversuche sowohl von hierarchisch gleichwertigen Berufsgruppen (z.B.

Psychologen) als von niedriger qualifizierten Berufsgruppen (z.B. Erzieher) sowie von Laien (Ehrenamtler) verteidigt werden. Dies geschieht einmal faktisch, in der Behauptung gegenüber anderen Professionellen (z.B. Medizi-ner) in der täglichen Arbeit, wird aber auch symbolisch durch die Äußerung genereller Ansprüche auf ihre Domäne z.B. durch die Berufsverbände getä-tigt.

Die Autoren zeichnen zunächst die Hauptkomponenten der Verberufli-chung und Professionalisierung der Sozialarbeit nach – dies tun sie durch eine Darstellung der Berufsentwicklung der Sozialarbeit, wobei sie die Di-mensionen der Entwicklung des beruflichen Wissens- und Methodenreper-toires, die berufliche Interessenorganisation, die Berufsfelder und das Sozial-prestige thematisieren. Die Entwicklung in diesen Merkmalsdimensionen kennzeichnen sie als widersprüchlich: Während Funktionen und Aufgaben der Sozialarbeit wuchsen, stagnierte das Sozialprestige; während die Qualifi-zierung der Sozialarbeiter stieg, hat sich der institutionell-organisatorische Kontext der Arbeit (und damit auch der strukturelle Druck, dem der Sozialar-beiter innerhalb seiner Organisation meist ausgesetzt ist – z.B. aufgrund ho-her Fallzahlen) kaum verändert und lässt zumeist nicht mehr Autonomie der Berufstätigen zu. Weiterhin sehen Bohle und Grunow Widerstände gegen eine Professionalisierung in einer möglichen Unwirksamkeit der Sozialarbeit (aufgrund von Theorielosigkeit und dem Fehlen systematisierten Praxiswis-sens) sowie in Defiziten der professionellen Identität der Berufsgruppenan-gehörigen (Stichworte ‚Helfersyndrom‘, ‚Praxisschock‘). Mit Weber (1973 in: Bohle/Grunow 1981, S. 167) weisen sie aber darauf hin, dass diese Defi-zite durch den für die Sozialarbeit typischen Zugang zu spezifischen Klien-tengruppen und durch die Variierbarkeit von Ziel- und Aufgabenbeschrei-bungen ausgeglichen werden können.

Schließlich stellen die Autoren Für und Wider einer weiteren Verberufli-chung und Professionalisierung der Sozialarbeit gegenüber. Dabei raten sie von einer Professionalisierung durch Spezialisierung ab, da dadurch eine Erhöhung der Domänekonkurrenz und der Verlust eines Teils des Klientel

erfolgt. Diese Gefahr wird vermieden durch eine Strategie des Erhalts der gegenwärtigen ‚diffusen Allzuständigkeit‘, wobei die Professionalisierung durch eine Intensivierung der Aufarbeitung wissenschaftlicher Erkenntnisse anderer Disziplinen und durch Systematisierung der Praxiserfahrungen vo-rangetrieben werden kann. Der Beitrag schließt mit einer Liste der wichtigs-ten Forschungsdesiderate im Hinblick auf die Verberuflichung sozialer Ar-beit (empirische Forschungen u.a. zur konkreten Berufstätigkeit, zu Wirkun-gen der sozialarbeiterischen Tätigkeit, zu Ausbildung, GrundlaWirkun-gen und Orga-nisationsgrad der Sozialarbeit).

Die Expertise von Bohle und Grunow kann in gewisser Weise die bishe-rige Fragestellung zum Modell der Semi-Professionen erweitern. Denn: Es geht nicht um die Einschätzung des jeweiligen ‚Grades‘ der erreichten Pro-fessionalisierung, sondern um die Entwicklung einzelner (strukturfunktiona-listischer) Merkmale von Professionen bezogen auf die soziale Arbeit. Im Zusammenhang mit der Professionalisierungsdiskussion neu ist auch die Behauptung, dass Defizite der sozialen Arbeit bei diesen Merkmalen durch andere, ihr eigene Spezifika (Zugang zu spezifischen Klientengruppen, Vari-ierbarkeit von Ziel- und Aufgabenbeschreibungen) ‚ausgeglichen‘ werden können: Dies käme einer funktionalen Äquivalenz von ‚Wissen‘ und ‚Fähig-keiten zur Aufnahme sozialer Beziehungen‘ gleich. Leider wird diese Be-hauptung weder bei Weber noch bei Bohle und Grunow intensiver ausgeführt wird.

Mit der Verwendung des Domänekonzepts zur Charakterisierung des So-zialarbeiterberufs knüpfen die Autoren – wenngleich unausgesprochen – an die professionssoziologische Traditionslinie der interaktionistischen und machtorientierten Ansätze an (vgl. Kap. 2.3.3.). Mit Martin (1981, S. 210) ist an diesen Ausführungen zum Thema Domäne jedoch infrage zu stellen, ob die aufgezeigte Domänekonkurrenz mit anderen Professionen der Sozialar-beit überhaupt als relevantes Phänomen existiert – und nicht vielmehr die faktische Domäne der Sozialarbeit quantitativ, qualitativ und von ihrer ge-sellschaftlichen Notwendigkeit her ständigen Veränderungen unterworfen ist.

Diese Veränderungen erfordern von jedem Sozialarbeiter ständige Neuorien-tierungen und auch die Berufsverbände sind gefordert, fachliche Neuorientie-rung zu ermöglichen, die Ausbildungsinhalte entsprechend zu verändern und inhaltliche Ausgestaltungen mitzuentwickeln. Darüber hinaus kann durch die Ausführungen zur Expertise aufgezeigt werden, dass im Zusammenhang mit der Empirisierung der Professionalisierungsdebatte vermehrt empirische Forschung und die Einbeziehung ihrer Ergebnisse in die Diskussion gefordert wurde. Problematisiert wurde dabei aber auch, dass die empirischen Untersu-chungen v.a. von anderen Disziplinen durchgeführt werden und die Sozialar-beit selber weiterhin forschungsfern bleibt (Martin 1981, S. 211). In diesem Kontext und in seinem Kommentar zur Expertise fordert Sevecke (1981, S.

213) daher: „Die Fachhochschulen für Sozialarbeit müssen in die Lage

ver-setzt werden, Forschung in diesem Sinne betreiben zu können. Forschung über Sozialarbeit gehört nach unserer Meinung an die Fachhochschulen für Sozialarbeit.“ Auf weitergehende Probleme dieser Strategie der Empirisie-rung der Debatte macht darüber hinaus Lüders (1989, S. 172f.) aufmerksam:

Einerseits führe das Einlassen auf die konkreten Realitäten der Praxis dazu, dass die jeweiligen Besonderheiten und praxisimmanenten Widersprüche der Sozialen Arbeit sich zunehmend als widerstandsfähig gegenüber einer verall-gemeinernden Theorie erweisen. Andererseits müssten die erhobenen Daten interpretiert werden und es entstehe die Frage, welche Konsequenzen daraus für die Professionalisierungsbestrebungen zu ziehen seien.

Gepaart mit der Sensibilisierung durch Hinweise auf die kontraprodukti-ven Folgen des Professionalisierungsprozesses lenkte das durch die Empiri-sierung entstandene Bemühen, Abschied zu nehmen von generalisierenden Globalaussagen und Programmen, den Blick verstärkt auf die der Praxis inhärenten Schwierigkeiten und Widersprüche. Dabei machten zunächst phänomenologische Beschreibungen von Erfahrungen und später dann sys-tematisch fundierte empirische Analysen auf die Ambivalenzen, Widerstän-de, Bedrohungen, Banalitäten und Zwänge praktischen Handelns in der Sozi-alen Arbeit und auf die damit verbundenen Belastungen für den Sozialarbei-ter/Sozialpädagogen in verschiedenen Praxisbereichen aufmerksam (Lüders 1989, S. 173). Folglich rückten die Binnenperspektive des Handelns in der Sozialen Arbeit und die dazu notwendigen Voraussetzungen in den Vorder-grund. Auch in den Studiengängen der Sozialen Arbeit wandte man sich zunehmend von der Professionalisierung der Praxis ab und hin zur Ausbil-dung einer wissenschaftlich fundierten Handlungskompetenz. Damit wird deutlich, dass auch diese Entwicklungen dazu beitrugen, im Professions- und Professionalisierungsdiskurs der Sozialen Arbeit die Handlungskompetenz-debatte und damit die zweite Etappe einzuläuten (vgl. Kap. 3.5.).

An diesem Punkt der Debatte herrschte Einigkeit: Es bestand die Not-wendigkeit, eine Art eigenes Professionalitätsmodell der Sozialen Arbeit zu erarbeiten (s. S. 143). Im Kontext der beginnenden Handlungskompetenzde-batte konzentrierte sich Olk (1986) dabei auf die Tatsache, dass nicht jenseits der Bürokratie, sondern nur innerhalb veränderter institutioneller Organisati-onsformen die Möglichkeitsbedingungen für den Weg der Sozialarbeit zu einer ‚alternativen Professionalität‘ liegen (s. S. 143). Die nun folgende kriti-sche Würdigung seines breit angelegten und für die Debatte zentralen Ansat-zes soll damit den abschließenden Teil des in diesem Kapitel behandelten und als klassisch oder konventionell zu bezeichnenden Professions- und Professionalisierungsdiskurses in der Sozialen Arbeit bilden. Diese Zuord-nung von Olks Ansatz wurde gewählt, weil er zahlreiche Anknüpfungspunkte zu wesentlichen Entwicklungen aus der Zeit des klassischen Diskurses ent-hält und zugleich die Phase des Übergangs zum neuen Diskurs repräsentiert.

Olk zeigte den Weg der Sozialarbeit weg vom Expertentum und hin zu einer

‚alternativen Professionalität‘ auf und prägte damit die Übergangsphase ent-scheidend. Eine Zuordnung zum neuen Professions- und Professionalisie-rungskurs in der Sozialen Arbeit wäre aber ebenso möglich gewesen – zumal Olk in seinen Ausführungen an die Handlungskompetenzdebatte (vgl. Kap.

3.5.), die Alltagsweltorientierung (vgl. Kap. 3.5.1.) sowie den (zweiten) Dienstleistungsdiskurs (s. S. 145) anschließt.

3.4.4 Sozialarbeit auf dem Weg zu einer alternativen Professionalität