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2. Professionssoziologische Perspektive als Analyseinstrument

2.3 Diskursüberblick und Theoriepositionen

2.3.3 Interaktionistische und machtorientierte Ansätze

2.3.3.4 Inszenierungstheoretischer Ansatz von Pfadenhauer

Im Kontext der machtorientierten Perspektive in der Professionssoziologie im deutschsprachigen Raum ist insbesondere Pfadenhauers inszenierungstheore-tischer Ansatz von Bedeutung. Sie ist der Auffassung, dass Professionelle ihre Aufmerksamkeit auf die Darstellung ihrer Leistung statt auf die Leistung selbst richten und versteht daher Professionalität wesentlich als „Kompetenz-darstellungskompetenz“ (Pfadenhauer 2003, S. 115f.). Der Professionelle ist dementsprechend ein „darstellungskompetenter Kompetenzdarsteller“ (Pfa-denhauer 2003, S. 116), dessen Erfolg davon abhängt, ob seine Kompetenz-darstellungen erkannt und anerkannt werden. Hauptproblem für ihn ist folg-lich, seine Darstellung der Kompetenz glaubhaft zu machen. Wer einmal als kompetent anerkannt ist, hat daraufhin gute Chancen, besondere Befugnisse zu bekommen. Somit führt erfolgreiche Kompetenzdarstellung zu legitimer Definitionsmacht und damit auch zur Anerkennung als Experte (Pfadenhauer 2003, S. 117). In diesem Sinne ist Professionalität keine unmittelbar sichtbare Qualität eines Akteurs bzw. ein historischer Zustand, der mittels objektiver Indikatoren beschrieben werden kann, sondern ein über ‚Darstellungen‘ re-konstruierbarer Anspruch – Professionalität erscheint folglich als spezifisches Darstellungsproblem (Cloos 2010, S. 35).

Im Zentrum von Pfadenhauers Überlegungen stehen moderne Professio-nelle als Rollenspieler (Goffman) und moderne Professionen als Kollektiv-Akteure, für deren Professionalitätsanspruch zwei Komponenten wichtig sind: Einerseits die von ihnen reklamierte Orientierung ihres Handelns an zentralen Werten der Gesellschaft bzw. an ihrem Wohl, andererseits die von ihnen reklamierte Problemlösungskompetenz im Bezug auf einen exklusiven Wissensbestand (Pfadenhauer 2003, S. 207). Als wesentliche Bedingung für den modernen Professionalismus nennt sie das Prinzip der Zertifizierung, denn nur Akteure, die in Form von Zertifikaten formale Kompetenznachwei-se erbringen können, sind berechtigt, im Bereich ihrer Zuständigkeit Proble-me zu definieren und Lösungen für diese ProbleProble-me bereitzustellen und anzu-wenden. Dadurch regle das Prinzip der Zertifizierung auch die Ausschaltung von Konkurrenz.

In ihrer Betrachtung von Professionen als politische Kollektiv-Akteure stellt Pfadenhauer Professionelle selbst als politisch handelnde Akteure her-aus, die an der Durchsetzung von kollektiven und individuellen Eigeninteres-sen orientiert sind. Die Profession stellt sozusagen das imaginäre Dach dar, unter dem sich die Akteure der gleichen beruflichen Provenienz zur Durch-setzung ihrer gemeinsamen Interessen und Ziele vereinen (Pfadenhauer 2003, S. 56). Dabei verbindet die Professionsmitglieder als übergeordnetes kollek-tives Ziel „die ‚Sorge‘ um ihre professionelle Definitionsmacht, die in Form von Lizenz und Mandat Exklusivitäten – Exklusivität von Wissen, Exklusivi-tät von Zuständigkeit, ExklusiviExklusivi-tät des Zugangs zu Ressourcen usw. – si-chert“ (Pfadenhauer 2003, S. 56). Der einzelne Professionelle dagegen ver-folgt mittels mikropolitischer Strategien seine eigenen persönlichen und kon-kreten Interessen. Die Profession kann in diesem Kontext gewissermaßen eine Vermittlungsinstanz darstellen – eine Vermittlungsinstanz zwischen heterogenen individuellen Akteursstrategien und homogenen kollektiven Zielen (Pfadenhauer 2003, S. 56). Professionspolitik beinhaltet in diesem Kontext Strategien und Maßnahmen, die den professionellen Status und da-mit die privilegierte Stellung einer Trägerschaft von Sonderwissen bewirken und bewahren. Sie zielt auf Kontrolle über Ressourcen, über Zugänge zu Ressourcen, über Positionen und Praktiken usw. ab, wobei es letztlich immer um die Sicherung von Exklusivitäten und den Erhalt professioneller Definiti-onsmacht und deren Legitimation geht. Die Legitimation erfolgt darüber, dass Professionen einen rollenspezifischen Wissensbestand verwalten (wobei das Wissen sowohl Gegenstand der Verfügung als auch Legitimationsgrund ist) und die Leistung von Professionen als ein Dienst an der Allgemeinheit bzw. als gemeinwohlorientiert inszeniert wird (Pfadenhauer 2003, S. 56f.).88 _______________________

88 Anlässe zu Professionspolitik ergeben sich nach Pfadenhauer (2003, S. 57f.) aus der Tatsa-che, dass zwischen Professionen oder innerhalb von Professionen Konflikte um Anschau-ungsweisen, Kämpfe um Zuständigkeiten und Streitigkeiten um Ressourcen entstehen kön-nen. Als Strategien nennt sie beispielsweise die Erhaltung und Verteidigung professioneller

Neben ihrem professionstheoretischen Ansatz diagnostiziert Pfadenhauer eine Krise des modernen Professionalismus in der individualisierten und pluralisierten Gegenwartsgesellschaft, in der die bisher als wesentlich erach-tete Exklusivität professioneller Sonderwissensbestände fragwürdig wird (s.

hier und im Weiteren, wenn nicht anderes ausgewiesen: Pfadenhauer 2003, S.

174ff.). In Bezug auf den Anspruch von Professionellen auf kognitive Über-legenheit (Mandat) stellt sich die Krise als Destruktionsprozess dar: Weil den Klienten das Vertrauen in die professionelle Expertise zunehmend schwindet, verweigern diese ihre Mitarbeit, wodurch die Leistungsfähigkeit der Profes-sionellen und der Profession grundsätzlich bedroht wird.89 Der Vertrauens-schwund geht einher mit Zweifeln an der Exklusivität des Sonderwissensbe-stands der Professionellen, zumal professionelles Sonderwissen durch die massenmediale Verbreitung zunehmend als bekannt unterstellt wird und dadurch immer weiter in den alltäglichen Kenntnis- und Verwendungszu-sammenhang diffundiert. Hinzu kommt, dass an die Stelle von Selbstkontrol-le immer häufiger FremdkontrolSelbstkontrol-le tritt, die – beispielsweise durch Evaluati-onsprogramme und Supervisionsauflagen – eine verstärkte Orientierung der Professionellen an fachfremden Kriterien verlangt. In diesem Zusammenhang verweist Pfadenhauer mit Blick auf die Soziale Arbeit auf deren multiprofes-sionelle und multidimensionale Problembearbeitung von und für Personen, denn diese könnte zukünftig möglicher Weise auch die klassischen Professi-onen kennzeichnen. In Bezug auf den aus Reklamation von Zentralwertbin-dung bzw. Gemeinwohlorientierung resultierenden Anspruch auf normative Überlegenheit (Lizenz) stellt sich die Krise des modernen Professionalismus als Erosionsprozess dar: Im Zuge von Pluralisierung (d.h. Vervielfältigung von Sinn- und Deutungsangeboten) beansprucht jeder Einzelne zunehmend für sich und seine Interessen und Wertvorstellungen einen Sonderstatus und ist immer weniger bereit, seine Interessen und Ansprüche den Interessen der ________________________________________________

Autonomie und Selbstkontrolle oder den Versuch, innerhalb einer Profession einen eigen-ständigen Zuständigkeitsbereich auszuweisen, zu dem ausschließlich eine klar definierte und als solche legitimierte Teil-Gruppe der Profession Zugang hat. Darüber hinaus be-schreibt Pfadenhauer (2003, S. 58) zwei Stoßrichtungen von Professionspolitik: Einerseits die Reklamation eines alleinigen Zuständigkeitsbereiches, zu dem ausschließlich eine klar definierte und legitimierte Personengruppe Zugang hat sowie andererseits den Einsatz von Uneigennützigkeit und Gemeinwohlorientierung als „Rhetorik der Selbstdarstellung“

(Stichweh 1994 zitiert in: Pfadenhauer 2003, S. 58). Die Autorin verdeutlicht diese theore-tischen Überlegungen konkret und ausführlich am Beispiel der medizinischen Profession und der Humangenetik (Pfadenhauer 2003, S. 58ff.).

89 Meuser (in: Pfadenhauer 2003, S. 176) macht darauf aufmerksam, dass sich das gleiche Phänomen in Anlehnung an Lucke (1995) als Akzeptanzverlust des Expertentums zeigt, das sich gegenwärtig in einem Übergang von einer ‚naiv-habituellen Akzeptanz‘ (d.h. Klient übernimmt fraglos die Empfehlungen des Professionellen) zu einer ‚elaboriert-reflektierten Akzeptanz‘ (d.h. Klient zweifelt grundsätzlich an der Angemessenheit professioneller Ex-pertise) niederschlage. Vgl. dazu Lucke, Doris (1995): Akzeptanz. Legitimität in der ‚Ab-stimmungsgesellschaft‘. Opladen: Leske + Budrich.

Allgemeinheit unterzuordnen. Dadurch wird die Autorität von Professionel-len schleichend unterhöhlt bzw. untergraben.90

Schmeiser (2006, S. 308) kritisiert den inszenierungstheoretischen An-satz an seinem interaktionistischen Bezugspunkt, der Theorie Goffmans. Er stellt die Frage, ob die Inszenierungsleistungen, die nach Goffman jeder All-tagsmensch vollbringt, grundsätzlich von den Inszenierungsleistungen von Berufs- oder Professionsangehörigen unterscheidbar sind. Folglich moniert er, dass in Pfadenhauers Theorie lediglich die allgemeinsoziologische Per-spektive Goffmans der Sicht auf Professionen ‚übergestülpt‘ wird, ohne dabei einen genuin professionssoziologischen Gewinn zu produzieren. Darüber hinaus beanstandet er, dass „mit der Übertragung des Schauspielerparadig-mas in den Phänomenbereich der Professionen hinein unterschwellig nur die Vorbehaltsseite unserer alltäglichen Ambivalenz gegenüber Professionen gestützt wird“ (Schmeiser 2006, S. 309), also Professionellen bzw. Akademi-kern generell zu misstrauen ist.

In der deutschsprachigen Professionssoziologie kann die machtorientierte Perspektive, zu der auch der inszenierungstheoretische Ansatz von Pfaden-hauer zu zählen ist, keine kontinuierliche Forschungsarbeit vorweisen – im Gegensatz zur Situation von strukturtheoretischen und funktionalistischen Ansätzen (Schmeiser 2006, S. 306). Hinzu kommt, dass sich die strukturtheo-retisch und interaktionistisch orientierten professionssoziologischen For-schungsstätten Frankfurt a.M. (Oevermann) und Kassel/ Magdeburg (Schüt-ze) und der machtorientierte Arbeitskreis ‚Professionelles Handeln‘ (s. S. 71) (u.a. Pfadenhauer) lange Zeit gegenseitig nicht zur Kenntnis genommen ha-ben. Erst mit der Anerkennung des Arbeitskreises als Sektion Professionsso-ziologie der DGS wurde eine Zusammenarbeit aufgenommen. Schmeiser (2006, S. 307) charakterisiert die machtorientierte Perspektive im deutsch-sprachigen Raum einerseits durch die Rezeption wissenssoziologischer _______________________

90 Im Zusammenhang mit der Krise des modernen Professionalismus spricht Pfadenhauer (2003, S. 183f.) von einer allmählichen Durchsetzung der Reihen typisch ‚moderner Pro-fessioneller‘ mit verunsicherten ‚postmodernen Professionellen‘ (d.h. Professionelle mit Zweifel am professionellen Überlegenheitsanspruch), die auch einem weiteren Typus des

‚Gegen-Experten‘ (d.h. nicht institutionelle legitimierte Akteure mit alternativen Problem-definitionen und -lösungen) Legitimation verschaffen. Darüber hinaus identifiziert sie am Übergang in eine andere Moderne zwei weitere Akteurstypen (Pfadenhauer 2003, S. 185):

Die ‚neuen Professionals‘ (d.h. Akteure, die neben allen erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten keine Gemeinwohlorientierung bzw. Uneigennützigkeit für sich reklamieren, sondern im Gegenteil selbst- bzw. profitorientiert handeln) sowie die ‚postmodernen Exper-ten‘ (d.h. Akteure, für die eine Zentralwertorientierung essentiell ist, die aber nicht über formale Nachweise für ihre Kompetenz via Zertifizierung verfügen müssen). Gegenwärtig wie zukünftig sieht sie aber keine Dominanz eines Akteurstyps, sondern vielmehr eine

„Vielfalt von kompetenten Professionalitätsinszenieren [Hervorhebungen im Original, An-merkung KM]“, die „zwar nicht unbedingt friedlich, jedenfalls aber ‚irgendwie‘ [Hervorhe-bungen im Original, Anmerkung KM]“ (Pfadenhauer 2003, S. 185) koexistieren und ver-weist damit auf einen Professionalitätspluralismus.

sätze (z.B. Schütz, Berger/Luckmann) und damit durch die soziologische Rekonstruktion der Wissensverteilung in modernen Gesellschaften. Anderer-seits nennt er die interaktionistische Theorie von Goffman sowie die soziolo-gische Elitetheorie91 als Bezugsrahmen. Aus diesem Grund diagnostiziert Schmeiser der deutschsprachigen machttheoretischen Perspektive einen un-spezifischeren professionssoziologischen Charakter als dem ‚power appro-ach‘ der anglo-amerikanischen Soziologie. Denn der ‚power approappro-ach‘ ent-wickelte sich aus einer direkten Auseinandersetzung mit den strukturtheoreti-schen Ansätzen von Parsons und anderen und verfügte daher von Anfang an über einen genuin professionssoziologischen Fokus. Im deutschsprachigen Raum erfolgte analog keine explizite und argumentative Auseinandersetzung mit den (eher) strukturtheoretischen Positionen von Oevermann, Stichweh oder Schütze (Schmeiser 2006, S. 307).

Im Kontext der machttheoretischen Perspektive ist mit Blick auf die So-ziale Arbeit noch ein Anknüpfungspunkt an die neuere Frauenforschung interessant (Kurtz 2002, S. 54): Wird der Prozess der Professionalisierung als Verfolgung monopolistischer Ziele beschrieben, werden damit die Ausdiffe-renzierungsprozesse von Professionen im Zusammenhang mit sozialer Macht und Ungleichheit thematisiert. Professionen werden mit hoch qualifizierten akademischen Berufen gleichgesetzt und auf die Partizipationsformen von Frauen hin untersucht. Es zeigt sich heute, dass Frauen, obwohl sie mindes-tens genauso gut qualifiziert sind wie Männer, weitaus weniger in diesen Berufsfeldern zu finden sind. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sie sich, wenn sie sich in Professionen etablieren, vorwiegend in weniger bedeutenden und weniger angesehenen Positionen etablieren. Aus dieser Perspektive er-scheinen die Professionen daher als ein kollektives Ausschlussprojekt von Frauen (Wetterer 1992 in: Kurtz 2002, S. 54).92

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91 Als erklärende Elitetheorie im Kontext von Professionen eignet sich nach Pfadenhauer (2003, S. 75f.) das Konzept der Funktionselite (Stammer, Dahrendorf), das an der Vorstel-lung einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft ansetzt. Die klassischen Modelle der Elitetheorie (Pareto, Mosca, Michels, Mills) hingegen können nach Pfadenhauer (2003, S.

75) moderne Gesellschaften und ihre Struktur nicht mehr angemessen beschreiben. Spezifi-ziert lassen sich Professionen als „relative Eliten“ (Dreitzel 1962 in: Pfadenhauer 2003, S.

80) kennzeichnen, deren relativer Status sich auf das Verhältnis zu anderen gesellschaftli-chen Elitegruppen bezieht und auch in Bezug zur jeweiligen „Basisgruppe“ (Jaeggi 1960 zitiert in: Pfadenhauer 2003, S. 80) zu sehen ist, aus der sie hervorgehen. Stichweh (1994 in: Pfadenhauer 2003, S. 80f.) betrachtet moderne Professionen schließlich als „duale Eli-ten“ - die „akademisch-szientifische“ Elite einerseits und die „praktizierende“ Elite ande-rerseits. Dabei ist für die Mitglieder der Praktiker-Elite, die exzellente Leistungen bei der Bewältigung der Probleme ihrer Klienten erbringen, ein akademisches Studium unverzicht-bar. Umgekehrt ist aber für die Mitglieder der akademischen Elite (Hochschulprofessoren) ein Praxisbezug nicht zwingend erforderlich (s. S. 108).

92 Auch Schmeiser (2006, S. 311) plädiert für die Auf- und Einarbeitung der zahlreichen Studien über Profession und Geschlecht. Kritisch merkt er jedoch an, dass dabei analytisch mehr zu leisten ist, als Professionen als kollektives Ausschlussprojekt von Frauen zu inter-pretieren.

Insgesamt kann resümiert werden, dass in der amerikanischen Professi-onssoziologie der ‚power approach‘ als eine starke Gegenbewegung auf die strukturtheoretischen Ansätze v.a. in der Auseinandersetzung mit Parsons folgte (Schmeiser 2006, S. 311). Heute dominieren diese Ansätze die For-schung im anglo-amerikanischen Bereich. Auch im deutschsprachigen Raum entwickelten sich die strukturtheoretischen Perspektiven früher als die machtorientierten Ansätze. Jedoch sind letztere nicht – wie in den USA – als Folge einer systematisch geführten Auseinandersetzung mit den Vertretern der strukturtheoretischen Richtung entstanden. Bis heute nehmen die struk-turtheoretischen Ansätze in Deutschland viel Raum ein und können daher in ihrer breiten theoretischen Ausdifferenzierung als spezifische Leistung der deutschsprachigen Professionssoziologie betrachtet werden.