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Standortbeschreibung - Strategien - Maßnahmen- Maßnahmen-vorschläge

4.2 Risikobewertung und Standardsetzung

4.2.2 Ziele und Rahmenbedingungen für eine Harmonisierung der Ableitung gesundheitsbezogener Umweltstandards

4.2.2.1 Problematik und Empfehlungen

Verschiedene aktuelle Entwicklungen zielen auf eine Harmonisierung der Risikobewertung und der Ableitung gesundheitsbezogener Standards auf nationaler Ebene ab. Hierzu gehören insbesondere Empfehlungen zu nationalen Aktionsplänen der Zweiten Europakonferenz für Umwelt und Gesund-heit (Helsinki 1994), die Diskussionsentwicklung in verschiedenen Ländergremien (insbesondere Ausschuß für Umwelthygiene der AGLMB - jetzt Länderarbeitsgruppe umweltbezogenener Gesund-heitsschutz der obersten Landesgesundheitsbehörden - AOLG - und Länderausschuß für Immissions-schutz, LAI) sowie die Bestandsaufnahme des Sachverständigenrats für Umweltfragen im Umwelt-gutachten 1996. Als maßgebliche Gründe für die Forderungen nach einer Harmonisierung der Ablei-tung gesundheitsbezogener Standards werden eine sinnvolle und effektive Prioritätensetzung sowie die Herstellung von Glaubwürdigkeit genannt.

Zu den Forderungen nach Harmonisierung auf nationaler Ebene korrespondieren - mit teilweise unterschiedlichen Begründungen - auch Forderungen nach Harmonisierung auf internationaler Ebene.

Die weltweit angestrebte Globalisierung der Handelsbeziehungen sowie die im Bereich der

3 vgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Forschungsbericht 2, Umweltstandards, Verlag Walter de Gruyter, 1992)

schen Union bereits verwirklichten Schritte zu einem einheitlichen Binnenmarkt haben, insbesondere in Hinblick auf Handelsprodukte, schon jetzt zu einer gewissen Vereinheitlichung von Bewertungs-maßstäben geführt. Unabhängig davon hat die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) deutlich gemacht, daß die Aufarbeitung der Altstoffproblematik nur im Rahmen welt-weit abgestimmter Aktionsprogramme möglich ist. Auch hierzu sind einheitliche Bewertungskriterien Voraussetzung.

Diese internationalen Entwicklungen schränken den Spielraum für eine Harmonisierung auf nationa-ler Ebene ein. Dies gilt z.B. für Fragen der Lebensmittelsicherheit, des Immissionsschutzes und des Chemikalienrechtes. Der rechtliche Rahmen der Chemikalienbewertung wird über die EU gewährlei-stet. Bei dem Bestreben, eine weitere Harmonisierung auf nationaler Ebene zu erreichen, muß in Rechnung gestellt werden, daß im Hinblick auf die Chemikalienbewertung (Vorschriften im Techni-cal Guidance Document) der Bewegungsspielraum im Hinblick auf Veränderung der deutschen Re-geln enger geworden ist. Bessere Perspektiven für eine Harmonisierung auf nationaler Ebene bestehen bei der Ableitung von Standards für Kontaminanten im Innenraum oder bei Bodenbelastungen. Be-ginnen könnte man wegen des größeren Spielraums auf nationaler Ebene mit den folgenden Vorschlä-gen.

Ziel: Harmonisierung der Risikobewertung und der Ableitung gesundheitsbezogener Standards

Empfehlungen 4:

• Die Ableitung von gesundheitsbezogenen Umweltstandards sollte in Anlehnung an Verfahrensvor-schläge des Sachverständigenrates für Umweltfragen in einem mehrstufigen Verfahren erfolgen.

Insbesondere ist eine strikte Trennung zwischen Risikoabschätzung und Risikomanagement anzu-streben. Die naturwissenschaftliche Ableitung von Standardvorschlägen ist an zuvor spezifizierten Schutzzielen auszurichten.

• Bei der Ableitung von Standardvorschlägen sollten folgende Schritte unterschieden werden: Iden-tifizierung des Gefährdungspotentials, Dosis-Wirkungs-Abschätzung und - bei medienbezogenen Standards - Expositionsabschätzung. Die Charakterisierung eines tolerablen Risikos muß a priori im Abgleich mit dem Schutzziel erfolgen. Über die zu verwendende Terminologie sollte eine Ver-ständigung erzielt werden.

• Es sollte in Bewertungsleitlinien festgelegt werden, wie im Falle von Bewertungsunsicherheiten bei der Risikoabschätzung vorzugehen ist.

• Unter Praktikabilitätsgesichtspunkten sollte die Entwicklung einheitlicher Bewertungsleitlinien schrittweise im Sinne einer zunehmenden Konkretisierung und Vervollständigung erfolgen. Die Bewertungsleitlinien sind in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren, um dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt, der Rechtsentwicklung sowie Harmonisierungsfortschritten auf internatio-naler Ebene Rechnung tragen zu können.

Aufgrund einer Analyse der Unsicherheiten der Risikoabschätzung lassen sich die Fragekomplexe und Einzelfragen ableiten, zu denen Bewertungsrichtlinien Aussagen enthalten sollten (s.Tabelle 11).

4 Die hier und nachfolgend getroffenen Aussagen orientieren sich an den Ergebnissen eines im Rahmen des Umweltforschungsplans vergebenen Vorhabens (F+E Vorhaben 116 01 001: Harmonisierung gesundheitsbezo-gener Umweltstandards - Probleme und Lösungsansätze)

Tab. 11: Fragenkomplexe, zu denen Bewertungsrichtlinien Aussagen enthalten sollten Fragenkomplex Fragestellungen im einzelnen

biologisch-medizinischer Aspekt

Wie wird eine adverse Wirkung definiert?

Nach welchen Kriterien und Verfahren kann die Adversität im Einzel-fall beurteilt werden ?

Wie kann der Schweregrad charakterisiert werden?

Qualitätskriterien

(Eignung von Studien für die Identifizierung eines Gefähr-dungspotentials)

Welchen methodischen Anforderungen müssen Untersuchungen in Hinblick auf ihre Durchführung genügen, um zur Identifizierung eines Gefährdungspotentials im Rahmen der Risikoabschätzung herangezo-gen zu werden ?

a) im Bereich der Toxikologie b) im Bereich der Epidemiologie c) im Falle von Kasuistiken

Evidenzkriterien Welchen methodischen Anforderungen muß die Datenlage insgesamt in Hinblick auf die Ergebnisse genügen, um zu der Schlußfolgerung zu gelangen, daß beim Menschen infolge der Exposition adverse Reaktion auftreten können ?

a) in Hinblick auf toxikologische Evidenz

(Problem der Übertragbarkeit von Befunden aus Tierversuchen) b) in Hinblick auf epidemiologische Evidenz

(Problem der Kausalität)

c) in Hinblick auf eine zusammenfassende (integrierte) Betrachtung der gesamten Datengrundlagen (Toxikologie, Epidemiologie und Kasuistik)

Existenz einer Wirkungsschwelle

Aufgrund welcher Erfahrungsdaten und theoretischen Modelle kann man bei einem gegebenen Stoff und bei einem gegebenen Effekt auf das Vorliegen einer Wirkungsschwelle schließen?

a) in Bezug auf die Mikroebene (zelluläre/subzelluläre Ebene) b) in Bezug auf Organ- und Organismusebene

Wie und wie genau kann man ggf. die Lage des Schwellenwertes bestimmen?

a) beim Individuum b) in einer Population

Welche Mechanismen und Daten schließen die Existenz eines Schwellenwertes nach überwiegender Meinung der Fachwelt aus?

Eignung von Studien für Dosis-Wirkungs-Abschätzung

Welchen, über die Qualitätskriterien für die Identifizierung von Gefährdungspotentialen hinausgehenden, methodischen Anforderun-gen müssen UntersuchunAnforderun-gen in Hinblick auf die Durchführung Anforderun- genü-gen, um zur Wirkungsabschätzung im Rahmen der Risikoabschätzung herangezogen zu werden?

a) im Bereich der Toxikologie b) im Bereich der Epidemiologie

Wichtung und Auswahl geeig-neter

Daten-grundlagen

Wird bei der Dosis-Wirkungsabschätzung auf eine einzelne, zentrale Studie (pivotal study) zurückgegriffen oder erfolgt die Auswertung über eine zusammenfassende Bewertung (z.B. Metaanalyse)?

Wenn der Rückgriff auf eine zentrale Studie favorisiert wird:

nach welchen Kriterien wird die zentrale Studie ausgewählt ? statistische Verfahren Welche statistischen Verfahren der Datenauswertung sollten bei der

Ableitung quantitativer Kennwerte der Dosis-Wirkungs-Beziehung (z.B. NOAEL, Benchmark-Dosis, unit risk) verwendet werden ? a) im Bereich der Toxikologie

b) im Bereich der Epidemiologie Umrechnung von

Studienergebnissen in Standardvorschläge

(bei Stoffen mit angenommener Wirkungsschwelle)

Von welchem Kennwert der Dosis-Wirkungs-Beziehung nimmt die Standardableitung ihren Ausgang (NOAEL, LOAEL,

Benchmark-Dosis) ?

Welche Extrapolations- bzw. Unsicherheitsfaktoren sind - ggf. unter welchen Zusatzbedingungen - mit welchem Standard-Zahlenwert (default value) zu berücksichtigen ?

a) Interspeziesvariabilität (Umrechnung tierexperimenteller Daten auf den Menschen, Scaling)

b) Intraspeziesvariabilität (Berücksichtigung empfindlicher Personengruppen)

c) Zeitextrapolation (subchronisch / chronisch) d) (ggf.) Umrechnung LOAEL in NOAEL

Welche sonstigen Unsicherheitsfaktoren sollen zur Anwendung kommen (z.B. unsichere Datengrundlagen, gravierende Effekte)?

Unter welchen Voraussetzungen ist eine Pfad-zu-Pfad-Extrapolation (z.B. oral - inhalativ) zu befürworten ?

Probabilistische Expositions-abschätzung

Welcher Stellenwert ist probabilistischen Expositionsabschätzungen im Rahmen der Standardsetzung beizumessen?

In welchen Bereichen gibt es die größten Forschungs- und Entwick-lungdefizite?

a) in Hinblick auf die Verfügbarkeit von Datengrundlagen b) in Hinblick auf Algorithmen, Software u.ä.

In welchen Anwendungsbereichen sind probabilistische Verfahren bereits soweit entwickelt, daß sie gegenüber Punktschätzungen schon jetzt bevorzugt werden sollten?

Quotierungsproblem (Exposition über mehrere Pfade)

Mit welchen methodischen Ansätzen kann berücksichtigt werden, daß Schadstoffe unter Umständen über mehrere Pfade aufgenommen werden können?

Gibt es methodische Ansatzpunkte für Optimierungsverfahren (Er-mittlung der effizientesten Regulierungsstrategie zur Einhaltung einer angestrebten maximalen Gesamtbelastung über mehrere Eintragspfa-de)?