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Das Konzept eines Umwelt-Gesundheits-Surveillance-Systems

Standortbeschreibung - Strategien - Maßnahmen- Maßnahmen-vorschläge

4.1.5 Das Konzept eines Umwelt-Gesundheits-Surveillance-Systems

Für den Sektor „Umwelt und Gesundheit“ beschreibt der Begriff 'Surveillance' die Messung bzw.

Erfassung, Dokumentation und Analyse anthropogen bedingter Umweltveränderungen und der damit möglicherweise im Zusammenhang stehenden gesundheitlichen Auswirkungen. Aus solchen Zusam-menhangsanalysen können Empfehlungen, Programme und sonstige gezielte Aktivitäten zur Abwehr oder Verringerung von Expositionen sowie zur Prävention gesundheitlicher Beeinträchtigungen abgeleitet werden. Es ist wesentlich, daß Surveillance nicht ausschließlich als Informationsakquisition und -analyse verstanden wird, sondern gleichzeitig als ein Instrument, das Handlungsbedarf aufzeigt und Maßnahmen initiiert.

Ein Surveillance-System im Sinne von Beobachtung und Steuerung muß nicht neu erfunden werden.

Es existiert bereits in verschiedenen Bereichen, wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen und regio-nal unterschiedlich verteilt. Es gilt also, Bestehendes zu vervollständigen. Zu einem derartigen „inte-grierten“ Surveillance-System sind nachfolgend Forderungen formuliert, deren Erfüllung Vorausset-zung ist, angemessen sowohl auf tatsächliche als auch auf vermutete oder auch nur denkbare umwelt-medizinische Probleme zu reagieren.

Die oben im Rahmen des Gesundheits- und Umweltsurveys dargestellten Elemente einer umweltbe-zogenen Gesundheitsberichterstattung bzw. einer gesundheitsbeumweltbe-zogenen Umweltberichterstattung beschreiben bereits im Ansatz vorhandene, wenn auch noch nicht als Routine-Instrumente etablierte Elemente. In Form einer in bestimmten Zeitabständen regelmäßig zu wiederholenden, für die Bundes-republik flächendeckenden Erhebung von Informationen würden sie es gestatten, repräsentative Aussagen über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Umwelteinflüssen in Deutschland zu treffen. Eine darauf aufbauende „Berichterstattung“ ist ein wichtiges Instrument, um

− gegenüber Politik und Öffentlichkeit aufzuzeigen, wo prioritär gehandelt werden muß,

− zeitliche und räumliche Veränderungen insbesondere im Hinblick auf die Wirksamkeit getroffener Maßnahmen zu dokumentieren,

− die Situation in Deutschland im internationalen Rahmen zu vergleichen und einzuordnen,

− zu einer Versachlichung der Diskussion über Risiken aus der Umwelt für die menschliche Ge-sundheit beizutragen.

Die dabei entwickelten Instrumente sind erprobt, haben sich bewährt und sind für die gerade be-schriebenen Zwecke unverzichtbar.

Ziel: Koordinierte Messung/Erfassung, Dokumentation und Analyse anthropogen

bedingter Umweltveränderungen und der damit in Zusammenhang stehenden gesund-heitlichen Auswirkungen

Empfehlungen:

• Zum Aufbau eines entsprechenden Instrumentariums eines Surveillance-Systems ist es erforder-lich, die bereits in einzelnen Bereichen bestehenden Elemente bezogen auf inhaltliche und metho-dische Standards zu vereinheitlichen und die im Bereich „Umwelt und Gesundheit“ bestehenden komplexen Zusammenhänge hinreichend zu berücksichtigen. Die folgenden Empfehlungen sind an unterschiedliche Institutionen des Bundes oder der Länder gerichtet.

Die tragenden Säulen eines bundesweiten Surveillance-Systems für Umwelt und Gesundheit sind die miteinander gekoppelten und in regelmäßigen Abständen, mindestens aber alle sieben Jahre durchzuführenden Gesundheits- und Umwelt-Surveys. Sie stellen die „Normierungsstichprobe“

dar, auf deren Basis sich viele langfristige Maßnahmen und politische Weichenstellungen ableiten und später in ihrer Wirksamkeit messen lassen. Diese Erhebungen sollten als Routineinstrumente installiert werden.

Zusätzlich zu diesen Routineinstrumenten sind alle anderen regelmäßig erhobenen Daten und In-formationen zu nutzen, die Anhaltspunkte für gesundheitliche Auswirkungen von Umweltbela-stungen liefern können. Dazu gehören besonders Daten aus Fehlbildungsregistern, Krebsregistern, der Humanprobenbank, des bundesweiten Lebensmittelmonitorings, von Verzehrserhebungen, aus Störfällen und Daten des geplanten Umweltbeobachtungsprogramms.

Datenerhebungen, die unabhängig von ihrer primären Zielstellung Anhaltspunkte zu möglichen Zusammenhängen von Umwelt und Gesundheit liefern (z.B. umweltepidemiologische Untersu-chungen), sind miteinander zu vernetzen, methodisch aufeinander abzustimmen (möglichst zu standardisieren) und übergreifend auszuwerten, um vergleichbare Datenbestände zu schaffen und die Ergebnisse in größeren Zusammenhängen zu analysieren. Die Bestrebungen verschiedener Arbeitsgruppen, eine solche Standardisierung herbeizuführen (z.B. Konzeption eines Basis-Fragebogens „Gesundheit und Umwelt“ in Niedersachsen, „Human Biomonitoring“-Projekt des BGA und UBA, Multizenterstudien) sollten unterstützt werden (siehe Empfehlungen der gemein-samen Arbeitsgruppe des Ausschusses für Umwelthygiene der Arbeitsgemeinschaft leitender Medi-zinalbeamter der Länder und des Länderausschusses für Immissionsschutz2, 1993)

2 ”Bewertende Zusammenstellung der in Deutschland durchgeführten umweltmedizinischen, immissionsbezoge-nen Wirkungsuntersuchungen” erarbeitet von einer Arbeitsgruppe der AGLMB und des LAI, LAI, 1993

− Diese Arbeitsgruppe empfiehlt weiterhin, ”.. für zukünftig zu planende umweltepidemiologische Wirkungsuntersuchungen ein fachlich kompetentes interdisziplinäres Gremium unter Beteiligung des LAI, der AGLMB (jetzt AOLG), des UBA, des BGA (jetzt die entsprechenden Nachfolgeein-richtungen BgVV und RKI) einzurichten. Die Aufgabe eines solchen Gremiums sollte es sein, die Länder bei der Durchführung zukünftiger umwelt-epidemiologischer Untersuchungen zu beraten und bereits durchgeführte Untersuchungen zentral zu registrieren und auszuwerten...“

Die Bundesländer sollten die Voraussetzungen dafür schaffen, daß über ein flexibles Netz von Beobachtungspraxen und Beobachtungsgesundheitsämtern zeitnah eindeutig definierte Indikato-ren im Zusammenhang mit umweltbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen erfaßt und an eine zentrale Stelle weitergegeben werden

Dieses System muß in der Lage sein, flexibel gesundheitliche Beeinträchtigungen und deren de-terminierende Umweltfaktoren zu erfassen und auf Veränderungen zu reagieren.

Die oben beschriebenen Instrumente (wie z.B. der Umwelt-Survey) sind in Umfang und Aufwand für ein Reagieren auf aktuelle Bedarfssituationen nicht hinreichend flexibel. Es bedarf also zusätz-licher, sensibel auf punktuell und akut auftretende Ereignisse reagierender Erfassungssysteme, die nicht nur die langfristige und durchschnittliche, sondern auch die individuelle Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt zu berücksichtigen. In Analogie zu Surveillance-Systemen infektiöser Krankheiten (z.B. Sentinel-Netzwerk der Arbeitsgemeinschaft Influenza etc.) bietet sich für die Er-fassung „umweltassoziierter“ Erkrankungen oder Beschwerden ein Netzwerk sogenannter „Beob-achtungsgesundheitsämter“ und/oder „Beobachtungspraxen“ an. Ein Unterschied zur Infektion-sepidemiologie besteht allerdings darin, daß ein Surveillance-System für Umwelt und Gesundheit nicht von eindeutig definierten Krankheitsbildern, standardisierten diagnostischen Kriterien und wissenschaftlich allgemein akzeptierten Zusammenhängen ausgehen kann.

Das im Kontext „Umwelt und Gesundheit“ benötigte System muß deshalb weitaus flexibler im Hinblick auf die zu erfassenden Parameter sein und bedarf deshalb auch einer intensiveren Betreu-ung und Koordination. Die ErfahrBetreu-ung hat gezeigt, daß eine BeteiligBetreu-ung der datenerhebenden Ein-richtungen bei der Auswahl der zu erhebenden Indikatoren wesentlich ist. Eine weitere essentielle Voraussetzung für das Funktionieren solcher Netze ist die Schaffung einer zentralen Stelle, die ko-ordiniert, organisiert, anleitet und durch geeignete „feed back“-Systeme die datenerhebenden Ein-richtungen über die Ergebnisse zeitnah informiert. Eine strukturelle Anbindung einer solchen Ko-ordinationsstelle an die Einrichtungen, die den Gesundheits- und Umwelt-Survey durchführen, er-scheint sinnvoll. Aufgrund der im Kapitel 2.2 bereits dargestellten Probleme der diagnostischen Möglichkeiten und der methodischen Grenzen der Umweltmedizin ist es ratsam, als ersten Schritt rein deskriptive Indikatoren und erst in einer späteren Phase diagnostizierende und klassifizierende Indikatoren zu erfassen. Wegen der im föderalen System der Bundesrepublik geteilten Zuständig-keiten und Kompetenzen wird ein solches System von Beobachtungseinrichtungen nur im Einver-nehmen mit den Ländern und Kommunen einzurichten sein.

Das Surveillance-System muß bestimmte Qualitätskriterien im Hinblick auf Methodik, Organisati-on und inhaltliche Ausgestaltung der Beobachtung erfüllen.

Das Instrumentarium eines Surveillance-Systems muß valide, zuverlässig und effizient sein. Dies beinhaltet insbesondere eine exakte und sachlich angemessene Definition des zu untersuchenden Gegenstandes (z.B. Krankheitsgeschehen, Expositionen) und der hierfür geeigneten Indikatoren.

Dazu sind regelmäßige Schulungen aller Akteure eines solchen Systems erforderlich und entspre-chend zu organisieren. Auf dem Gebiet der Surveillance von Infektionskrankheiten bestehen im Robert Koch-Institut entsprechende Erfahrungen. Durch das Institut werden regelmäßig Schulun-gen angeboten, in denen den Akteure „vor Ort“ das epidemiologische Grundwissen vermittelt wird.

In Analogie zur infektionsepidemiologischen Feuerwehr ist im Einvernehmen zwischen Bund und Ländern eine „umweltmedizinische Feuerwehr“ einzurichten, die bei akuten Problemfällen den Akteuren vor Ort Hilfe leistet.

Das Surveillance-Netz ist, wie oben dargestellt, nicht zur Informationserfassung „an sich“, sondern zur Feststellung dessen, was getan werden muß, und zur Evaluation von Maßnahmen gedacht. Ins-besondere im Zusammenhang mit dem Auftreten und der Aufdeckung sogenannter „hot spots“ sind gezielte und gut organisierte Maßnahmen zur Aufklärung vermuteter Zusammenhänge und zum Schutz der Gesundheit Betroffener erforderlich. Nach dem Beispiel der US-amerikanischen Cen-ters for Disease Control (CDC) und in Übertragung des inzwischen auch am RKI verwirklichten Konzepts der „Epidemiologischen Feuerwehr“ sollte eine „Umweltmedizinische Feuerwehr“ ein-gerichtet werden. Dabei sollte auch geprüft werden, wie die Kompetenz und Erfahrungen des BgVV im Umgang mit den Meldungen über toxische Wirkungen von Chemikalien (Meldungen nach §16e ChemG s. 2.4.3.3) nutzbar gemacht werden können.