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Zur Problematik der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der obersteirischen Industrieregion

3. Die Region

3.2 Die obersteirische Industrieregion

3.2.2 Zur Problematik der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der obersteirischen Industrieregion

Wie bereits dargelegt, entspricht eine Region im seltensten Fall einer Verwaltungs-einheit wie etwa einem politischen Bezirk oder einem Bundesland, sondern sie stellt eine Landschaft oder eine territoriale, möglicherweise grenzüberschreitende Einheit dar, die von gemeinsamen Elementen oder Interessen wirtschaftlicher und/oder kultureller Natur getragen wird. Wenn von der obersteirischen Industrieregion die Rede ist, dominieren oftmals Bilder vom steirischen Erzberg, Donawitz und den Böhlerwerken in Kapfenberg. Es sind Vorstellungen einer tristen, von zahlreichen rauchenden Schlöten, Hochöfen und düsteren Fabrikhallen geprägten Landschaft, die vor dem geistigen Auge entstehen. Oder rußgeschwärzte Gesichter von Berg-arbeitern, die nach Erz oder Kohle schürfen, tauchen erschöpft aus der Tiefe eines Schachtes auf. In der Gluthitze bedienen vermummte Männer riesige Behälter mit flüssigem Stahl, aus dem funkensprühende Schienen gegossen werden. Häufig werden jene klischeehaften „Außenansichten“ von Medien vermittelt, wenn es darum geht, ein Bergwerksunglück, einen Betriebsunfall oder Konjunkturdaten der Schwerin-dustrie zu dokumentieren. Tatsächlich spielten und spielen die inSchwerin-dustriellen Zentren eine Hauptrolle im wirtschaftlichen Leben dieses Raumes, wer jedoch einen Blick hinter die Industriekulissen wirft, wird von einer Vielfalt an Naturlandschaften, Sehenswürdigkeiten, kulturellen Events und wirtschaftlichen Initiativen überrascht.

Seit dem Niedergang der verstaatlichten Eisen- und Stahlindustrie ab der Mitte der 1970er Jahre hat ein gewaltiger demografischer Schrumpfungsprozess in der Region eingesetzt. Durch Abwanderung und eine seit Jahren anhaltende negative Geburtenbilanz ist es zu einem dramatischen Rückgang der jüngeren Bevölkerungs-gruppen in der obersteirischen Industrieregion gekommen, ein Trend, der sich laut neuesten Hochrechnungen weiter fortsetzen wird. Die Auswirkungen dieser Ent-wicklung haben sich vor Ort längst bemerkbar gemacht: Weniger junge Leute, die weniger Kinder bekommen, brauchen auf lange Sicht weniger Schulen und Kinder-gärten, eine Entwicklung, die letztendlich zu einem Rückgang des Konsums und zu einer negativen Wirtschaftsbilanz in der Region führt. Der Wegzug von Menschen aus dezentralen Siedlungsräumen und landwirtschaftlichen Ungunstlagen hat eine Ausdünnung von notwendigen Infrastrukturen in wirtschaftlichen Randgebieten, bedingt durch Sparmaßnahmen (öffentlicher Verkehr, Postämter, Polizeidienststel-len) und Rentabilitätsprobleme (Lebensmittelhandel, Arztpraxen), zur Folge und

birgt obendrein die Gefahr einer fortschreitenden Verödung der Kulturlandschaft in sich.164

Tabelle 1 zeigt, dass die Wohnbevölkerung in allen Bezirken der Region, nimmt man die Zahlen von 1934 als Ausgangsbasis, bis 1971 mit bis zu 43 Prozent relativ stark angewachsen war, anschließend im Zeitraum von 1971 bis 2005 durch Rück-gänge von bis zu 23 Prozent deutlich abnahm. Die Wohnbevölkerung der gesamten obersteirischen Industrieregion ist zwischen 1971 und 2009 von 291.128 auf 243.267 Einwohnern geschrumpft, was einem Rückgang von rund 16,5 Prozent entspricht.

165166167168169170

Pol. Bezirk Judenburg Knittelfeld Leoben Bruck/Mur Mürzzuschlag

1934165 44.974 26.883 67.179 51.208 41.533

(71.857)166 (92.741)167

1961 52.831 28.278 85.200 69.238 47.333

1971168 54.085 29.415 85.959 73.257 48.412

2001169 48.218 29.661 67.767 64.991 42.943

2005 47.192 29.525 66.176 64.146 41.945

2009170 45.681 29.333 64.253 63.145 40.855

Tabelle 1: Quantitativer Vergleich der Wohnbevölkerung in der obersteirischen Industrie-region zwischen 1934 und 2009.

• Bis 1971 war der Zuwachs in den politischen Bezirken Bruck an der Mur mit rund 43 Prozent und Bezirk Leoben mit 28 Prozent am stärksten, im politischen Bezirk Knittelfeld mit etwa 9 Prozent am schwächsten. Die politischen Bezirke Mürzzuschlag und Judenburg hatten Zuwachsraten von jeweils 16 und 20 Prozent zu verzeichnen.

• Gemessen an der Zahl der Wohnbevölkerung von 1971 erlitt der Bezirk Leoben bis 2001 mit einem Minus von rund 21 Prozent den stärksten Verlust

164 Siehe dazu: Entwicklungsszenario Obersteiermark Ost 2020 (Vorstufe zum regionalen Ver-kehrsplan) Bericht Juli 2005, erstellt von der Arbeitsgemeinschaft DI Max Pumpernig, DI Daniel Kampus, Graz, im Auftrag des Regionalmanagements Obersteiermark Ost, S. 39–40 http://www.

obersteiermark.at/pdf/Endbericht_18072005.pdf, 18.12.2009.

165 Die Ergebnisse der österreichischen Volkszählung vom 22. März 1934, bearb. v. Bundesamt für Statistik, H.7 Steiermark (Wien 1935).

166 Diese Zahl ergibt sich aus der Summe der Wohnbevölkerung des pol. Bezirkes Judenburg (44.974) und des damals dazugehörigen Gerichtsbezirkes Knittelfeld (26.883).

167 Diese Zahl ergibt sich aus der Summe der Wohnbevölkerung des pol. Bezirkes Bruck an der Mur (51.208) und der damals dazugehörigen Gerichtsbezirke Kindberg und Mürzzuschlag (41.533).

168 Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung 1971 nach Gemeinden, bearb. u. hrsg. vom Österreichi-schen StatistiÖsterreichi-schen Zentralamt (Wien 1971); die Ergebnisse von 1961 werden hier ebenfalls zitiert.

169 Die Daten für 2001 und 2005 wurden dem Gemeindeverzeichnis Stand 1.1.2005, hrsg. Statistik Austria (Wien 2005) entnommen.

170 Die Daten für 2009 wurden der folgenden Websites entnommen: http://www.statistik.at/web_de/

statistiken/regionales/regionale_gliederungen/PolitischeBezirke/index.html; http://www.verwaltung.

steiermark.at/cms/dokumente/10004611_97710/115a1df3/Wbinsgesamt-09.pdf, 18.12.2009.

an Wohnbevölkerung. In Vordernberg etwa, der Gemeinde mit der stärksten Abwanderung, und in der Stadt Eisenerz konnte die Lage noch immer nicht stabilisiert werden, hingegen konnten günstiger gelegene Siedlungsräume, wie etwa das Trofaiacher Becken, durch Zuwanderung sogar profitieren. Die Bezirke Bruck an der Mur und Mürzzuschlag hatten einen Rückgang von rund 12 Prozent und Judenburg einen solchen von etwa 11 Prozent aufzuweisen.

• Der Bezirk Knittelfeld hatte bis 2001 sogar einen leichten Zuwachs von etwa 0,8 Prozent zu verzeichnen, bis 2005 nur noch 0,4 Prozent.

• Von 2001 bis 2005 sank die Zahl der Wohnbevölkerung nochmals mit Werten zwischen 0,5 bis 2,4 Prozent, wobei der Bezirk Leoben die höchsten, der Bezirk Knittelfeld die geringsten Verluste aufzuweisen hatte.

• Die Wohnbevölkerung der Bezirke Leoben und nun auch Mürzzuschlag liegt unter der Marke von 1934.

• Die Zunahme an ausländischer Wohnbevölkerung hat dieser Entwicklung in allen drei Bezirken entgegengesteuert und verhindert, dass die Verluste noch höher ausgefallen sind.171

Rückblickend auf das Jahr 1934 präsentiert sich die obersteirische Industrieregion im Sinne der Wirtschaftssektorentheorie als wirtschaftliche „Übergangsregion“ mit einem kleineren Agrarsektor (Rohstofferzeugung), einem dominanten sekundären Produktionssektor und einem weniger gut entwickelten tertiären Dienstleistungs-sektor. Im Jahr 1934 war der industriell-gewerbliche Sektor noch stärker als gegen-wärtig ausgeprägt, während der Dienstleistungssektor je nach Region mehr oder weniger deutlich dahinter rangierte.172 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Trend zur Abwanderung aus der wirtschaftlichen Peripherie in Ballungs-räume nicht nur Problemregionen wie die obersteirische Industrieregion betrifft, sondern ein europaweites Phänomen ist. Außerhalb der großen Ballungszentren und deren unmittelbaren Umgebung kämpfen Gemeinden mit Abwanderung, nied-rigen Geburtsraten, Überalterung und einer immer dünner werdenden sozialen Infrastruktur. Charakteristisch für die demografische Lage der Steiermark ist die Abwanderung aus den alpinen Gebieten zugunsten von verkehrsmäßig gut erschlos-senen Zentralregionen wie beispielsweise dem Bezirk Graz-Umgebung, einem der wenigen Bezirke mit einem überdurchschnittlichen Zuwanderungsplus von mehr als 11 Prozent zwischen 1991 und 2001.173

171 Entwicklungsszenario Obersteiermark Ost 2020 (Vorstufe zum regionalen Verkehrsplan) Bericht Juli 2005, erstellt von der Arbeitsgemeinschaft DI Max Pumpernig, DI Daniel Kampus, Graz, im Auftrag des Regionalmanagements Obersteiermark Ost, S. 11–13, http://www.obersteiermark.at/

pdf/Endbericht_18072005.pdf, 18.12.2009.

172 Kurt Bauer, Struktur und Dynamik des illegalen Nationalsozialismus in der obersteirischen In-dustrieregion 1933/1934 (Dipl. Arb., Wien 1998) S. 17.

173 Statistische Details sind der Publikation des Landes Steiermark entnommen: Regionale Bevölke-rungsprognosen Steiermark: Gemeindeprognose 2007, ÖRÖK Bezirksprognose 2006 (Graz 2007) S. 65–68: http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/dokumente/10004611_97710/5c8995e7/Pub-likation%2011-2007.pdf, 18.12.2009.

3.2.3 Politische Entwicklungen in der