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2. Die innenpolitische Radikalisierung 1927–1934

2.6 Das Krisenjahr 1934

Die zwei Revolten des Jahres 1934, der so genannte Aufstand des Republikani-schen Schutzbundes im Februar und der Juliputsch der Nationalsozialisten, sind Gegenstand vieler eingehender Publikationen und Dokumentationen, die bis in die Gegenwart für Diskussionsstoff sorgen.123 Insbesondere wird des Februars 1934 im Andenken an die Opfer der Kampfhandlungen und der vollstreckten Todesurteile nach wie vor in verschiedenen Ausstellungen und Jubiläumsfeiern gedacht.

120 Everhard Holtmann, Sozialdemokratische Defensivpolitik vor dem 12. Februar 1934. In: Jedlicka/

Neck, Justizpalast, S. 115.

121 Hinein in die vaterländische Front! In: Wiener Zeitung (21.5.1933) S. 3.

122 Anson Rabinbach, Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg (Wien 1989), Kurzzitat: Rabinbach, Bür-gerkrieg, S. 133–138.

123 Heimo Halbrainer, Martin F. Polaschek (Hrsg.), Aufstand, Putsch und Diktatur. Das Jahr 1934 in der Steiermark. Tagung am 18. Mai 2004 im Steiermärkischen Landesarchiv, Graz (=Styriaca 6, Graz 2007).

Die Erhebung des Republikanischen Schutzbundes ist unbedingt vor dem Hin-tergrund des immer enger werdenden Handlungsspielraumes für die Sozialdemo-kratie zu sehen. Nachdem sich Dollfuß seit seinem Treffen mit Mussolini im August 1933 im Klaren sein musste, dass die zugesagte militärische Hilfe Italiens mit der Forderung nach einer autoritären Umgestaltung Österreichs verknüpft war, prokla-mierte der Kanzler sein Programm zum Neubau des Staates auf berufsständischer Grundlage in der so genannten Wiener Trabrennplatzrede am 11. September 1933.

Dollfuß stand sowohl unter dem inneren Druck der Heimwehren als auch dem äußeren Druck der wirtschaftlichen Sanktionen Hitlers sowie des Propagandakrieges der deutschen NSDAP, die mit dem Einmarsch der aus geflüchteten österreichischen Nazis gebildeten, an der bayrischen-österreichischen Grenze stationierten „Öster-reichischen Legion“ drohte.124 Mitte Jänner 1934 spitzte sich die Lage zu, als sich Dollfuß unter dem Eindruck der italienischen Forderungen entschloss, Vizekanzler Emil Fey mit dem Ressort für Sicherheit zu betrauen. Am 7. Februar ließ dieser das freiwillige Schutzkorps bestehend aus 6000 Hilfspolizisten mobilisieren; außerdem richtete er ein dringendes Ansuchen an den ungarischen Generalstab, moderne Waffen125 für die Heimwehr zu liefern. Am Sonntag den 11. Februar 1934 hielt Fey vor versammelten Heimatschützern in Maria-Enzersdorf seine berüchtigte Rede, die in der historischen Literatur vielfach als Auftakt zur Zerschlagung der Sozial-demokratie dargestellt wird.126 Als sich der Linzer Schutzbund am 12. Februar 1934 gegen die Durchsuchung des sozialdemokratischen Parteiheimes im „Hotel Schiff“

gewaltsam zur Wehr setzte – auch eine Reaktion der Aktionisten auf die Paralyse der sozialdemokratischen Führung – wurde ein blutiger Bürgerkrieg ausgelöst. Ohne die Mitwirkung der Eisenbahner war der vom Parteivorstand ausgerufene Generalstreik zum Scheitern verurteilt, der Kampf des Schutzbundes gegen die Regierungstruppen letztlich aussichtslos.127 Die Kampfhandlungen forderten auf beiden Seiten schwere Opfer: Die Exekutive hatte 124 Tote und 486 Verwundete, die Aufständischen und die Zivilbevölkerung 250 bis 270 Tote und mindestens 319 Verwundete zu verzeich-nen.128 Auf lange Sicht machten die brutalen Repressalien der Regierung viele Sozi-aldemokraten zu deren unversöhnlichen Feinden und trieben manche in das Lager der Nationalsozialisten.

Da Dollfuß für seinen neu zu errichtenden Staat eine Basisakzeptanz auch in ihm ferner stehenden bürgerlichen Kreisen erreichen wollte, warb er erneut um Nationalliberale wie auch national gesinnte Katholiken. Seine früheren Versuche, die Frage der Befriedung des nationalen Lagers in einem selbstständigen Österreich

124 Goldinger/Binder, Österreich, S. 201–210.

125 Es könnte sich um jene 400 Maschinengewehre handeln, die, aus Ungarn kommend, am 13./14.

Februar auf dem Grazer Ostbahnhof eintrafen. StLA MF Akten des Dt. Konsulats P.7/Bd.37/C1/

Pol.III (17.2.1934).

126 „Ganze Arbeit für unser Vaterland“. In: Reichspost (12.2.1934) S. 2: Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten für unser Vaterland, das nur uns Österreichern gehört, das wir uns von niemandem nehmen lassen und für das wir kämpfen wie jene Helden, die wir grüßen mit dem Rufe: Heil Österreich!

127 Rabinbach, Bürgerkrieg, S. 200–208.

128 Goldinger/Binder, Österreich, S. 220.

durch geheime Verhandlungen mit der österreichischen Landesleitung der NSDAP in München zu klären, waren aus verschiedenen Gründen gescheitert.129 Am 1. Mai wurde die neue Verfassung des Bundesstaates Österreich verkündet und von einem Rumpfparlament, das nicht die benötigte Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten repräsentierte, bestätigt. Obwohl Hitler bereits seit März 1934 wegen seiner an Italien orientierten Außenpolitik beschlossen hatte, feindselige Propaganda gegen Öster-reichs Regierung einzustellen und dem Landesleiter, Theo Habicht, Redeverbot zu erteilen, kam es – im April/Mai 1934 – laut Gendarmerieberichten zumindest in der Steiermark – zu einer Intensivierung des nationalsozialistischen Terrors. Laut behördlichen Berichten waren die Exekutivkräfte, bestehend aus Gendarmeriebeam-ten und dem als AssisGendarmeriebeam-tenzkörper aufgestellGendarmeriebeam-ten Schutzkorps, praktisch Tag und Nacht im Einsatz, um die sprunghaft angestiegenen Sprengstoffverbrechen aufzuklären.

Es wurde vermutet, dass weite Kreise der Bevölkerung mit den Nationalsozialisten sympathisierten oder sich passiv verhielten, weil sie sich vor Racheakten fürchteten.130 Gleichzeitig stießen willkürliche Maßnahmen der Regierung wie die „Vorschreibung zur Ersatzleistung von Schäden durch Terrorakte“ in bestimmten Bevölkerungskrei-sen auf immer größere Ablehnung.131

Als am 25. Juli 1934 die Putschisten der SS-Standarte 89 in Wien das RAVAG-Gebäude besetzten und das Bundeskanzleramt erstürmten, wobei Dollfuß durch zwei Schüsse getötet wurde, lösten sie das Signal für weitere Aktionen in ganz Öster-reich aus.132 Noch am selben Tag kam es in der Steiermark zu blutigen Kämpfen zwischen Nationalsozialisten und der Exekutive, die erst nach Tagen durch den Einsatz des Bundesheeres beendet wurden. Etwa 4000 Steirer, darunter ehemalige Heimatschützer, hatten sich am Putsch beteiligt und große Teile des Landes in ihre Gewalt gebracht. Die Kämpfe forderten auf Regierungsseite 107 Tote; bei den Auf-ständischen starben 153 Menschen, einschließlich der Hingerichteten.133 Nach der Niederschlagung des Putsches in der Steiermark rollte eine massive Verhaftungswelle an. Allein im Juli und August wurden mehr als 16.000 „verdächtige“ oder „mitschul-dige“ Personen verhaftet. Trotz aller Disziplinarmaßnahmen der Staatsgewalt sei von einer Gesinnungsänderung, konstatiert der Berichterstatter, nicht viel zu bemerken.

Vielmehr war es von Jugoslawien aus zur Organisierung neuer Gewaltakte gegen

129 Goldinger/Binder, Österreich, S. 211–212; Gerhard Jagschitz, Der Putsch. Die Nationalsozia-listen 1934 in Österreich (Graz/Wien/Köln 1976) S. 55–64: Verhandlungen über eine Regierungs-beteiligung der NSDAP waren bereits im Mai 1933 auf Grund deren Neuwahlforderung geschei-tert. Ein zwischen Habicht und Dollfuß für den 8. Jänner 1934 geplantes Treffen war auf heftige Ablehnung der Heimwehr gestoßen und musste im letzten Moment abgesagt werden. Ende Jänner 1934 hatte Starhemberg dann selbst mit Habicht verhandelt und ihm sogar den Posten des Bundes-kanzlers angeboten.

130 StLA ZGS (BKA) K.85/12 (Fol.1654–1661): NS-Bewegung im Mai 1934 (21.6.1934).

131 StLA ZGS (BKA) K.88/15; Anton Riedler, Die Ausnahmegesetzgebung in Österreich 1933–1936 (Berlin 1936) S. 57–59.

132 Hintergrundinformationen bietet: Hans Schafranek, Sommerfest mit Preisschiessen. Die unbe-kannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934 (Wien 2006), Kurzzitat: Schafranek, Sommer-fest; S. auch Kurt Bauer, Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934 (Wien 2003), Kurzzitat: Bauer, Elementarereignis.

133 Karner, Steiermark, S. 158–160.

Österreich gekommen, von wo aus Personen, die bei der Niederschlagung des Put-sches mitgeholfen hatten, Drohbriefe erhielten.134

134 StLA ZGS (BKA) K.85/12 (Fol.1685–1689): NS-Bewegung im Juli/August 1934 und NS-Bewegung im September 1934 (Fol.1692–1695).