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Exkurs: Das „Superwahljahr“ 1919

Organisation und Aktivitäten

4.3 Die Christlichsoziale Partei (CSP)

4.3.3 Exkurs: Das „Superwahljahr“ 1919

Im Jahr 1919 fanden drei Wahlgänge statt: die Wahlen zur konstituierenden Natio-nalversammlung am 16. Februar, die Landtagswahlen am 11. Mai und die Gemein-deratswahlen am 27. Juli. Um im Wahlkreis Obersteier für den Wahlkampf zu rüs-ten, trafen sich Vertreter der bürgerlichen Parteien bei einer Versammlung des von Walter Pfrimer gegründeten deutschen Volksrates kurz vor Weihnachten 1918 in Leoben. Zweck dieser Zusammenkunft war es, die Möglichkeit einer gemeinsamen Liste zwischen den Vertretern der Deutschdemokraten, Deutschsozialen, Christ-lichsozialen und des Deutschen Bauernbundes zu besprechen. Der Vertreter der Christlichsozialen, Abgeordneter Dechant Franz Prisching, begrüßte das Ansinnen, eine solidarische Front gegen „die heranstürmende rote Sintflut“ zu bilden, stellte dem „antiklerikalen“ liberalen Lager jedoch unannehmbare Bedingungen, die ent-rüstet zurückgewiesen wurden. Schließlich fand man einen Kompromiss. Statt einer gemeinsamen Liste wurde eine Listenkoppelung vereinbart, die jeder Partei erlaubte, ihre eigene Identität zu wahren und selbstständig um Wählerstimmen zu werben.331 In diesem Sinne arbeitete auch der Christlichsoziale Wahlausschuss für Obersteier-mark in Leoben, wo ein Parteisekretariat, zuständig für die ganze ObersteierObersteier-mark, bereits existierte. Am 17. Jänner 1919 präsentierte die CSP die Liste ihrer Wahlwerber

329 Warum christlichsozial? In: Grazer Volksblatt (24.11.1918) S. 1.

330 Sozialdemokratischer Terrorismus. In: Grazer Volksblatt (26.11.1918) S. 1.

331 Zur Wahlbewegung in Obersteiermark. In: Grazer Volksblatt (24.12.1918) S. 1.

für die Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung: Im Wahlkreis IV Ober-steier nahm Michael Schoiswohl332 den ersten Listenplatz ein. Der aus Gusswerk bei Mariazell gebürtige Obersteirer war bereits seit 1907 Mitglied des Abgeordneten-hauses im Reichsrat gewesen und blieb bis Juli 1923 Vertreter der obersteirischen Christlichsozialen im Parlament. Die abschließende Devise der Landesparteilei-tung lautete: Es gilt noch tausende Unentschiedene für unsere Partei zu gewinnen!

Kein Tag bis zum 16. Februar darf unbenutzt vorübergehen! Mit dem christlichen Volke, für das christliche Volk! Das soll unsere Losung sein!333 Spätestens seit dem Wahlgang zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919334 war den Christlichsozialen klar geworden, dass das neue Zeitalter der Demokratie ganz andere politische Organisationsformen als bisher erforderte. Sie begriffen, dass es nicht genügte, bloß „blinde Mitläufer“ bei den Wahlen anzusprechen, sondern dass es galt, das politische Interesse der Menschen für die christliche Weltanschauung zu wecken. Die Politisierung der so genannten Volksmassen hieß, die Wähler und Wählerinnen in feste Organisationsstrukturen einzubinden. Die parteipolitischen Gegensätze zwischen „rot“ und „schwarz“ schienen überdies unüberwindlich gewor-den zu sein: Die letzten Kämpfe haben zur Genüge gezeigt, dass der politische Kampf vorzüglich, wenn nicht in erster Linie, Weltanschauungskampf ist, der seine Wogen in alle Kreise (und) Stände hineinschlägt.335

Um auf die kommenden Landtagswahlen vorbereitet zu sein, beriefen die stei-rischen Christlichsozialen ihren ersten Parteitag im März 1919 ein, bei dem sie ihr neues Organisationskonzept vorstellten. Nicht als „Bauernpartei“, sondern als Volks-partei sollte für alle Stände und für die politischen Organisationen in Stadt und Land ein gemeinsamer Oberbau in der Form der Partei und Parteileitung geschaffen werden. Mit einiger Sorge blickte man auf die landwirtschaftlichen Dienstboten, die „vielfach gewillt sind, zu den Sozialdemokraten überzugehen“. Es war deshalb geplant, jenen eine eigene Organisationsform zu ermöglichen, ohne den „Frieden des Bauernhauses“ zu stören. Grundsätzlich war vorgesehen, die landwirtschaftliche Bevölkerung pfarrweise im Bauernverein, die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung in Ortsgruppen des Christlichsozialen Vereins zu organisieren und in jedem politi-schen Bezirk ein Sekretariat einzurichten. Zusätzlich sollte eine politische Abteilung in der katholischen Frauenorganisation eingerichtet werden, um den Bedürfnissen der Wählerinnen besser zu entsprechen. Zwecks der richtigen ideologischen „Auf-klärung“ hatten außerdem alle politischen Funktionäre dem Katholischen Volksbund beizutreten.336 In einem Aufruf der christlichsozialen Parteileitung vom April 1919 baten Rintelen und Ahrer um reichliche Spenden für den Wahlfonds: Was die Flügel für den Adler sind, das ist der Wahlfonds für die Partei. (…). Am 11. Mai sind die

332 http://www.parlament.gv.at/WW/DE/PAD_01765/ah_01765.shtml 18.12.2009.

333 An die christlichen deutschen Männer und Frauen des Landes Steiermark! In: Grazer Volksblatt (17.1.1919) S. 1.

334 Die CSP wurde mit 69 Mandaten hinter der Sozialdemokratie mit 72 Mandaten zur zweitstärksten Fraktion in der Konstituierenden Nationalversammlung.

335 Die Organisation der Christlichsozialen. In: Grazer Volksblatt (19.3.1919) S. 1.

336 Die Organisation der Christlichsozialen. In: Grazer Volksblatt (19.3.1919) S. 1.

Wahlen, daher, wer schnell gibt, der gibt doppelt. Die hier getätigte Aussage, die Partei habe und wolle „keine Stützen im Großkapital“, sondern sei auf die „Opferwilligkeit ihrer Gesinnungsgenossen“ angewiesen, kann als Antwort der Christlichsozialen auf die „Verleumdungen“ der Sozialdemokraten gewertet werden, die CSP sei in Wirklichkeit eine bestochene Marionette des Großkapitals.337

WKNV 1919 LTW 1919

CSP/Obersteiermark 29.481 29.800

CSP/Steiermark 170.429 167.545

SDAP/Obersteiermark 73.133 64.142

SDAP/Steiermark 148.730 122.493

Tabelle 7: Vergleich der Wahlergebnisse der beiden Großparteien in der Steiermark 1919.338 Dass die obersteirischen Christlichsozialen von Anfang an einen schweren Stand hatten, zeigt eine Gegenüberstellung der Ergebnisse der ersten beiden Wahlgänge im Jahr 1919 in der Steiermark sowie im Wahlkreis Obersteier, wo die SDAP trotz der bei den Landtagswahlen erlittenen Einbußen noch immer eine überwältigende Mehrheit hatte (Tabelle 7). Im Jahr 1921 war die Organisationsform der Partei ziemlich weit gediehen und gefestigt. Beim 2. Parteitag im Februar desselben Jahres stand fest, dass die Christlichsoziale Partei kräftige Zuwächse in der Steiermark dank der eifrigen Organisationstätigkeit in Stadt und Land zu verzeichnen hatte. Die Mitgliederzahl des Katholischen Bauernvereins war innerhalb eines Jahres von etwa 30.000 auf über 55.000 geklettert; die Frauenorganisation konnte sogar auf einen Mitgliederstand von mehr als 60.000 verweisen. Den katholischen Arbeitervereinen war es „trotz des sozialdemokratischen Terrors“ gelungen, ihre Mitglieder seit Kriegsende mehr als zu verdoppeln, freilich bloß auf bescheidene 4700 Seelen. In der christlichen Gewerkschaft waren rund 7000 Arbeitnehmer organisiert. Schließlich zählte der Christlichsoziale Verein etwas mehr als 8000 Mitglieder. Im Jahr 1921 umfasste die steirische CSP folgende Organisationen:

• Katholischer Bauernverein

• Landarbeiterbund

• Arbeiterverein

• Kath. Frauenorganisation

• Christlichsozialer Verein

337 StLA ZGS K.368: Verschiedenes (1865–):„Christlichsoziale Parteileitung, Brief, 1919. Die Christ-lichsoziale Partei“. Die ChristChrist-lichsozialen beschwerten sich über unlautere Wahlkampfmethoden („Lügen“) der Sozialdemokraten, die behaupteten, die Christlichsozialen seien die Urheber des Krieges, Feinde der Republik und vom Großkapital und Großagrariern bestochen worden. In:

An die christlichen deutschen Männer und Frauen des Landes Steiermark! In: Grazer Volksblatt (17.1.1919) S. 1.

338 Das endgültige Wahlresultat in Steiermark. In: Grazer Volksblatt (18.2.1919) S. 1; Die Stärke der Parteien in Steiermark. In: Ebda (18.5.1919) S. 1.

• div. Berufsvereinigungen (z.B. Handels- und Gewerbebund; Lehrerverband;

öffentliche Angestellte und Privatangestellte)339