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Milieugeschichtliches im Leobener Industriegebiet

in der Landesregierung und im Landtag

4.3.6 Milieugeschichtliches im Leobener Industriegebiet

Wie obige Zahlen beweisen, hatte die CSP eine Minderheit an Anhängerschaft im Bezirk, die sie gegen die übermächtige Stellung der SDAP kaum ausbauen konnte. In Gemeinden mit starker sozialdemokratischer Fraktion wie in Leoben gelang es der

353 Christliche Gewerkschaften, Heimatschutz und Mietenfrage. In: Leobener Zeitung (12.4.1928) S. 1.

354 Die so genannten unternehmergelenkten Gewerkschaften, wie die im Bereich der ÖAMG gegrün-dete Unabhängige Gewerkschaft.

355 Bezirks-Vertrauensmännerkonferenz der christlichen Gewerkschaften in Donawitz. In: Leobener Zeitung (10.11.1929) S. 6.

356 Eine christlichsoz. Bergarbeiterversammlung unter Gendarmeriedeckung. In: Die neue freie Alpi-nepost (21.2.1930) S. 11.

CSP durch verschiedene Wahlbündnisse mit anderen bürgerlichen Parteien – in der Leobener Gemeindewirtschaftspartei, später Deutschen Gemeindepartei waren GDV und CSP vertreten – ein gewisses Mitspracherecht zu behaupten. Obmann der Stadt-parteileitung Leoben war der bereits erwähnte Rechtsanwalt Ludwig Bernhart.357 Das Zusammenwirken mehrerer Ortsgruppen wurde durch die Bildung christlichsozialer Arbeitsgemeinschaften gefördert wie im Fall der AG Leoben-Donawitz-Judendorf-Göß, die Ludwig Bernhart als Obmann neben seinem Stellvertreter, dem Leobener Gemeinderat Walter Sechterberger, betreute.358 Als Gemeinderat zählte Stadtpfarrer Prälat Dr. Thir zu einem der eifrigsten Förderer und Funktionäre der Leobener Ortsbewegung. Im März 1930 übersiedelte er nach Bruck an der Mur, wo er die Stadtpfarrprobstei übernahm.359 Ein weiterer Leobener Geistlicher, Stadtdechant Monsignore Peter Gruber, vertrat die CSP als Bezirksrat in der Bezirksvertretung Leoben.360 Außer der katholischen Bauernschaft zählten auch verschiedene durchaus urbane katholische Bewegungen zu den Stützen der CSP im Bezirk. Eine Ortsgruppe der Katholischen Frauenorganisation (KFO) gab es ebenso in Leoben und Donawitz wie eine Ortsgruppe der christlichen Jugendbewegung für Leoben und Umgebung.

Der christlich-deutsche Elternverein „Frohe Kindheit“ für Leoben und Waasen errichtete ein Jugendheim auf den so genannten Massenberggründen, wo unter der Mitwirkung der örtlichen Pfadfindergruppe und der Donawitzer Jungmannschaft

„Edelweiß“ Sommerfeste und Vereinsabende veranstaltet wurden.361 Im Juni 1928 feierte der christlich-deutsche Turnverein Leoben sein fünfjähriges Bestehen mit einem zweitägigen Fest, das unter anderem vom Bezirkshauptmann Urbanek und Landeshauptmann Rintelen samt Ehefrau, die als Fahnenpatin fungierte, besucht wurde.362 Der Obmann der Leobener christlichsozialen Handels- und Gewerbetrei-benden, Gemeinderat Fuhrmann, organisierte eine Reihe von SprechaGewerbetrei-benden, bei denen direkte Gespräche und Beratungen mit prominenten christlichsozialen Politi-kern ermöglicht wurden.363 Bei der Jahreshauptversammlung im Juli 1932 wurde das langjährige Präsidialmitglied der Landesorganisation Dr. Udo Illig zum Ehrenmit-glied der Ortsgruppe Leoben ernannt. Weitere Beispiele für christlichsoziale Orga-nisationen in Leoben waren der Hausbesorgerverein und der Gastwirteverband.364 In Donawitz stand Stadtpfarrer Weinhandl neben Arbeitervereinsobmann Sormann und Nationalrat Leskovar im Zentrum der verschiedensten Aktivitäten christlicher Vereine, deren Zusammenkünfte im Katholischen Vereinshaus Donawitz stattfanden. Der katholische Volks- und Arbeiterbildungsverein für Donawitz und

357 Dr. Strafella in Leoben. In: Leobener Zeitung (27.4.1929) S. 1.

358 Christlichsoziale Arbeitsgemeinschaft. In: Leobener Zeitung (30.7.1927) S. 2.

359 Zum Abschied des Prälaten Dr. Anton Thir. In: Leobener Zeitung (30.3.1930) S. 1.

360 StLA BV Leoben K.94 (Verhandlungsschrift der Bezirksausschuss-Sitzung vom 15. November 1929).

361 Leobener Nachrichten. In: Leobener Zeitung (16.7.1927) S. 4.

362 Zur Fahnenweihe und dem fünfjährigen Bestande des christlich-deutschen Turnvereines Leoben.

In: Leobener Zeitung (30.6.1928) S. 3.

363 Christlichsoziale Sprechabende. In: Leobener Zeitung (10.11.1928) S. 4.

364 Hauptversammlung des christlichsozialen Handels- und Gewerbebundes, Ortsgruppe Leoben.

Ehrenabend für Dr. Udo Illig. In: Leobener Zeitung (3.7.1932) S. 2.

Umgebung sorgte nicht nur für die Unterhaltung und Weiterbildung ihrer Mitglieder durch Theater- und Musikabende, Gesangsunterricht, Kurse sowie die Anschaffung und ständige Erweiterung einer Bibliothek, sondern zahlte auch Unterstützungen an bedürftige und kranke Arbeiter aus.365 Zu den Sorgen um die materielle Not der Donawitzer Bevölkerung gesellte sich plötzlich eine neue seelische „Gefahr“: Im Jahr 1932 musste die Katholische Aktion Donawitz verstärktes Augenmerk auf die

„gegen die katholische Kirche“ gerichtete, von „Bibelforschern“ ins Leobener Gebiet getragene Missionarstätigkeit lenken.366

Trotz des Engagements und Optimismus blieb der prozentuelle Wählerstim-menanteil der CSP in den bevölkerungsreichsten Zentren des Bezirkes jedoch unter 15 Prozent: In der Stadt Leoben entfielen bei den Nationalratswahlen 1930 901 der 6794 gültigen Stimmen auf die CSP (13%); im Vergleich dazu wählten 2918 Men-schen die SDAP (43%). In Donawitz entfielen von 9542 gültigen Stimmen 633 auf die CSP (7%) und 5272 auf die SDAP (55%). Sogar in der ländlichen Marktgemeinde Mautern und Umgebung blieb die CSP hinter der SDAP zurück und konnte ledig-lich 370 der 1232 Stimmen (30%) erobern (SDAP 386). In diesem Zusammenhang ist freilich auf die Konkurrenz des erstmals kandidierenden Heimatblocks hinzu-weisen, der vermutlich einen nicht geringen Anteil der christlichsozialen Wähler und Wählerinnen „wegschnappte“. Ein genauer Vergleich zu den Nationalrats-wahlen 1927 ist wegen der damaligen Zugehörigkeit der CSP zur „Einheitsliste“, in der auch die Großdeutsche Volkspartei vertreten war, kaum möglich. In der Stadt Leoben spielte die nationale Fraktion (GDV und NSDAP) stets eine bedeutende Rolle innerhalb des bürgerlichen Lagers. Mit Max Enserer konnten die Nationalen von 1922 bis 1931 den Bürgermeisterposten wie auch knapp die Hälfte der von der Gemeindepartei errungenen Mandate beanspruchen. Die Nationalsozialisten (Hitlerbewegung) feierten ihren größten Zuwachs bei den Gemeinderatswahlen 1932, zogen mit 6 Vertretern in den Gemeinderat ein und stellten mit Karl Cerha den zweiten Vizebürgermeister.367

In den sozialdemokratischen Hochburgen Bruck an der Mur und Kapfenberg stützte sich die CSP auf eine ähnlich schmale Basis.368 Die kleine christlichso-ziale Fraktion, die gemeinsam mit den Großdeutschen in der „Wirtschaftspar-tei“ das Forum der Bürgerlichen bildete, konnte sich kaum gegen die Übermacht der Sozialdemokraten behaupten.369 Trotzdem oder gerade deswegen ließ sich die Brucker Ortsgruppe von ihren zahlreichen Aktivitäten nicht abbringen. Der

365 StLA BV Leoben K.95 (Kath. Volks & Arbeiterbildungsverein für Donawitz und Umgebung. Beila-ge zum Subventionsansuchen an den Bezirksausschuss Leoben, 21.4.1930).

366 Tagesnachrichten. In: Leobener Zeitung (6.3.1932) S. 12.

367 Wahlergebnisse im Bezirk Leoben. In: Obersteirische Volkszeitung (26.4.1932) S. 2; Freudentha-ler, „Eisen auf immerdar!“, S. 389–395.

368 Bei den NRW am 9.11.1930 in der Stadt Bruck entfielen 867 von 6778 gültigen Stimmen auf die CSP (rund 13%) und 3685 auf die SDAP (54%).

369 Bei den Gemeinderatswahlen 1928 errangen die Christlichsozialen 7 der 11 Mandate der mit den Großdeutschen gemeinsam gebildeten Brucker Wirtschaftspartei; die Sozialdemokraten gewan-nen 18 Mandate, die NSDAP 1 Mandat. [Die Ergebnisse der Brucker Gemeinderatswahl: In. Leobe-ner Zeitung (6.3.1928) S. 1].

CS-Parteisekretär Dr. Pachler, der über ein Sekretariat in Bruck verfügte, orga-nisierte nicht nur das Programm der Stadtpartei, sondern bot Auskunftstage im ganzen Bezirk an.370 In Bruck gab es auch eine Ortsgruppe des katholischen Volks-bundes, die beispielsweise ein Komitee für die Beschaffung der Kirchenglocken und einen Presse- und Bildungsausschuss, der Vortragsreihen hielt, ins Leben rief, sowie eine Ortsgruppe des Elternvereins „Frohe Kindheit“, die sonntägliche Zusammenkünfte und Ausflüge für Kinder organisierte. Dahinter steckte freilich die Absicht, auf die Eltern in der heftig umkämpften „Schulfrage“371 im Sinne der Kirche einzuwirken.372 Bei einer Versammlung der christlichsozialen Vereinigung im April 1930 wurde eine neue Ortsgruppenleitung gewählt; als Gastreferenten erschienen Bundesrätin Olga Rudel-Zeynek und der Generalsekretär der christ-lichsozialen Landesparteileitung, Dr. Karl Pregel. Der CS-Arbeitsgemeinschaft in Bruck an der Mur gehörten zahlreiche Persönlichkeiten beiderlei Geschlechtes an, unter denen Lehrer, Lehrerinnen und Geistliche, Gemeinderäte und -rätinnen einen Schwerpunkt bildeten. Als Obmann der Gemeinschaft wurde Landtagsabge-ordneter Josef Pichler wiedergewählt. Außer dem Vorstand wurden Vertreter und Vertreterinnen folgender Gruppen für die Dauer von drei Jahren neu gewählt: Frau-enorganisation; öffentliche Körperschaften (Gemeinde und Bezirksvertretung);

Orts- und Bezirksschulrat; Standesorganisationen: Arbeiterverein; katholischer Bauernbund; Handels- und Gewerbetreibende; Lehrerverband; Öffentliche und Privatangestellte.373

4.3.7 Zusammenfassung

Die Tätigkeiten der verschiedenen christlichsozialen und katholischen Vereine im Bezirk finden entsprechende Erwähnung in den christlich-orientierten Medien im Bezirk und Land wie z.B. im „Grazer Volksblatt“, einem Produkt des Grazer

„Styria“-Verlages, sowie ab 1924 in der „Leobener Zeitung“ [ab September 1929

„Leobener Sonntagspost“, Anm.], der Ende 1932 als „Obersteirische Volkspresse“

geführten Zeitung der Druckerei Horst in Leoben.374 In behördlichen Quellen

fin-370 Brucker Nachrichten. Auskunftstage des christlichsozialen Parteisekretariates. In: Leobener Zei-tung (30.7.1927) S. 4.

371 Hierbei ging es um die von den Sozialdemokraten verlangte Trennung von Kirche und Schule, also die Freistellung des Religionsunterrichts. Das bürgerliche Lager befürchtete jedoch eine viel weitergehende „marxistische Umerziehung“ der Kinder.

372 Jahreshauptversammlung des Kath. Volksbundes Bruck an der Mur. In: Leobener Zeitung (11.4.1925) S. 1.

373 Jahres-Hauptversammlung der christlichsoz. Parteiorganisation von Bruck a. d. M. In: Leobener Sonntagspost (27.4.1930) S. 3.

374 Die Kunstdruckerei Horst wurde nach dem 1. Weltkrieg in Leoben gegründet und 1924 von dem Katholischen Preßverein der Diözese Seckau als obersteirische Filiale der „Styria“-Universitäts-buchdruckerei übernommen; 1932 erwarb der langjährige Chefredakteur der LZ/LSP, Josef Her-zog, die Kunstdruckerei Horst. Für diesen Hinweis danke ich Herrn Mag. Roland Steiner sehr herzlich: Roland Steiner, Die „Obersteirische Volkspresse“ (1924–1938). Ein Beispiel publizisti-scher und personeller Diskontinuität im österreichischen Journalismus 1938–1945 (Seminararbeit,

den sich nur spärliche Hinweise, vorwiegend in Verbindung mit Anschlägen der NSDAP und/oder anderer politischer Gegner auf katholische Vereinsheime und Einrichtungen der Kirche.375 In einem von einer sozialdemokratischen Indust-riearbeiterschaft dominierten Umfeld war die Gefolgschaft der CSP häufig stark exponiert, weil sie durch ihr öffentliches Bekenntnis zum Katholizismus gegen den weltanschaulichen Strom schwamm und dabei in einen scharfen ideologischen Gegensatz zur Sozialdemokratie geriet. Und auch demokratiepolitisch steuerten die obersteirischen Christlichsozialen einen bedenklichen Kurs, als sie die Ausschal-tung des Parlaments am 15. März 1933 als „eine große nationale Tat“ begrüßten und die Regierung Dollfuß „im Namen der gesamten Bevölkerung von Leoben-Donawitz“ in einer Resolution bat, den „eingeschlagenen Weg“ fortzusetzen.376 Zusätzlich trug die Unterstützung der Heimwehrbewegung durch prominente christlichsoziale Politiker wie Seipel und Rintelen zur Polarisierung der klerika-len und antiklerikaklerika-len Parteien bei. Von Anfang an spielten römisch-katholische Priester eine zweifelhafte Rolle bei der Legitimierung kultischer Handlungen im Rahmen von Heimwehrfeiern: Die religiöse Verbrämung von Wimpelweihen und Heldenehrungen verwischte die Grenzen zwischen christlichsozialer, nationaler und faschistischer Gesinnung: Der sonntägliche Aufmarsch der Antimarxisten geriet so zum Kreuzzug gegen die „Antichristen“. Mit dem Erstarken der Heim-wehren nach dem Justizpalastbrand im Juli 1927 zerbröckelte das einst so stolze Gebäude der „Lueger-Partei“ innerlich. Das Ende der Christlichsozialen Partei wurde de facto durch die Schaffung der VF im Mai 1933 sowie durch den Rück-zug der Kirche aus der Politik, der einen personellen Aderlass zur Folge hatte, eingeläutet. Der christlichsoziale Kanzler Dollfuß hatte seine eigene Partei auf dem Altar einer „höheren Staatsidee“, des Ständestaates, geopfert. Am 14. Mai 1934 verkündete die CSP ihre Selbstauflösung und Überführung in die VF. Ihr Ende wurde am 28. September 1934 offiziell besiegelt, als die Bundesparteileitung bekannt gab, die CSP sei angesichts der grundlegenden Veränderungen nicht mehr in der Lage in das politische Geschehen einzugreifen. Nun beende sie ihre Tätigkeit in dem Bewusstsein, eine historische Aufgabe erfüllt zu haben.377

Wien 2008) S. 29–40: http://textfeld.ac.at/text/1355/, 18.12.2009. Grundlegend zur steirischen Presse: Nora Aschacher, Die Presse der Steiermark von 1918 bis 31. Juli 1955 (Diss., Wien 1972), Kurzzitat: Aschacher, Presse.

375 Beispielsweise in Eisenerz und Kapfenberg, wo katholische Vereinsheime im Dezember 1933 durch Explosions- und Brandattentate schwer beschädigt wurden (StLA ZGS (BKA) K.83/10 (Fol.909;

1182–1183).

376 Eine große nationale Tat. In: Obersteirische Volkspresse (26.3.1933) S. 1: In der am 17.3.1933 ge-fassten, an BM und LH Rintelen gerichteten Entschließung erklärte die Christlichsozialen Ar-beitsgemeinschaft Leoben, sie begrüße es einhellig, dass die Regierung nach Selbstausschaltung des ohnehin seit langem schon durch das demagogische Verhalten der Marxisten und ihrer Helfershelfer kaum mehr arbeitsfähigen Parlaments mit fester Hand längst erwartete Reformen zugunsten von Volk, Staat und Wirtschaft durchführt.

377 Kriechbaumer, „Dieses Österreich retten …“, S. 465–478.