• Keine Ergebnisse gefunden

Nationalsozialistische Ortsgruppen im obersteirischen Industriegebiet

nationalsozialistischen Bewegung nach 1918

4.5.4 Nationalsozialistische Ortsgruppen im obersteirischen Industriegebiet

Bei diesem Unterabschnitt handelt es sich um einen Versuch, die Entstehung sowie die personelle Zusammensetzung einiger Ortsgruppen anhand von Zeitungsmeldun-gen und Archivmaterial zu rekonstruieren. Eine lückenlose Darstellung ist schon deswegen nicht möglich, weil bei weitem nicht alle Ortsgruppen in den Zeitungen erwähnt werden, von denen man auf Grund von Wahlergebnissen annehmen kann, dass sie bereits existierten. Erst ab etwa 1930, als die Hitlerbewegung einen merk-lichen Aufschwung verzeichnen konnte, kann man davon ausgehen, dass in jenen Ortsgemeinden, wo sich eine nationalsozialistische Liste der Wahl stellte, auch eine Ortsgruppe oder ein „Stützpunkt“ [ein von einem lokalen Vertrauensmann organi-sierter kleinerer Kreis, Anm.] bestand. Laut den parteiinternen „Gaunachrichten“, die erstmals am 1. Jänner 1931 erschienen, war die Mitgliederzahl der NSDAP im Gau Steiermark im Jahr 1930 um 140% angewachsen.

Nach Bezirken gegliedert wiesen der Bezirk Liezen mit 980 Prozent den höchs-ten und Leibnitz mit 34 Prozent den geringshöchs-ten Zuwachs vor dem an vorletzter Stelle gereihten Bezirk Leoben mit 61 Prozent auf. Nach Mitgliederzahlen gewertet rangierte Leoben gleich nach Graz an zweiter Stelle noch vor den Ortsgruppen Tro-faiach und Knittelfeld. Dabei fällt auf, dass jene Ortsgruppen, die ganz vorne gereiht sind, durchaus zu den älteren Gründungen zu zählen sind. Von den insgesamt 23

508 Ergebnisse für Bruck/Mur, Judenburg und Knittelfeld: Gemeindewahlergebnisse in Steiermark und Kärnten. In: Reichspost (25.4.1932) S. 4.

gewerteten Ortsgruppen befanden sich 14 in der obersteirischen Industrieregion, von denen gleich acht die vorderen Plätze belegten. Nach Angaben des Blattes erforderte der „starke Aufschwung“ der Bewegung erstmals eine Unterteilung des Gaues in Gerichtsbezirke, für deren organisatorische und propagandistische Betreuung die ihnen zugeteilten Bezirksleiter, die den Ortsgruppenleitern vorgesetzt waren, ver-antwortlich zeichneten. Im Jänner 1933 wurde der Leobener Vizebürgermeister Karl Cerha, der 1926 die Leitung des neugebildeten Kreises Leoben übernommen hatte, zum Bezirksleiter der NSDAP ernannt.509 Gemäß einem Landesgesetz aus dem Jahr 1924 stand der Partei in den Bezirksvertretungen Leoben, Judenburg, Knittelfeld und Schladming je ein Vertreter zu. Anfang 1931 wurde Gemeinderat Karl Scharitzer aus Trofaiach in die Bezirksvertretung Leoben entsendet.510 Dieser wurde im Juni 1932 aufgrund seines politischen „Aufstieges“ zum Gauleiter von Salzburg durch den Obmann der Ortsgruppe Leoben-Donawitz, Hans Rindler, ersetzt.511

Obwohl die Bildung von einigen wenigen Organisationen der NSDAP amtlich nachweisbar ist,512 geht aus einem 1931 herausgegebenen „Leitfaden zur Gründung neuer Ortsgruppen“ der NSDAP Hitlerbewegung Gau Steiermark hervor, dass die Gründung einer Ortsgruppe nicht behördlich gemeldet werden müsse, weil eine Ortsgruppe kein Verein sei. Demnach bestand eine Ortsgruppe aus dem Ortsgrup-penleiter, dem Kassen-, Propaganda- und dem Schriftwart. Dazu kamen „Vertrau-ensmänner“ aus jenen Orten, die noch über keine eigene Ortsgruppe verfügten.

Im Leitfaden wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Funktionäre nicht gewählt, sondern vom Ortsgruppenleiter ernannt und vom Bezirksleiter bestätigt werden mussten. Eine Ortsgruppe konnte gegründet werden, sobald sich etwa 15

„Parteigenossen“ in einem Ort zusammenfanden. Oberste Bedingung dafür war das Vorhandensein eines „zur Führung geeigneten Parteigenossen“, der für die Weiterentwicklung der Ortsgruppe zu sorgen hatte. Eine weitere wichtige Voraus-setzung war die finanzielle Selbsterhaltung der Organisation. Für die Gründung einer Ortsgruppe galt daher das eherne Prinzip: Keine Ortsgruppengründung ohne Aufbringung entsprechender finanzieller Mittel. Ebenso musste jede Ortsgruppe für Propagandamaßnahmen selbst aufkommen, denn die Parteizentrale sprang nur in äußersten Ausnahmefällen in die Bresche. Geldmittel flossen in Form einer ein-maligen Aufnahmegebühr (S 1.50) plus Werbebeitrag (S 0.50) pro Person sowie der monatlichen Mitgliedsbeiträge (S 1.30 für Erwerbstätige und S 0.70 für Erwerbslose) in die Kasse der Landesleitung ein, die davon monatlich S 0.93 pro Kopf und Nase, ob erwerbstätig oder nicht, kassierte. Die Ortsgruppen selbst durften von den Mit-gliedsbeiträgen nur den Rest einbehalten, der je nach Zahl der arbeitslosen

Partei-509 Steirische Gaunachrichten der NSDAP (31.1.1933) S. 4; Freudenthaler, „Eisen auf immerdar!“ Bd.2, S. 12.

510 Steirische Gaunachrichten der NSDAP (23.1.1931) S. 2–5.

511 Steirische Gaunachrichten der NSDAP (17.6.1932) S. 3; StLA BV Leoben K.96.

512 StLA L.Reg. Gr.206 Index (1926–1928; 1929–1931): wie beispielsweise der „Verband der National-sozialistischen Lehrerschaft in Steiermark“ in Bruck an der Mur im Juni 1930, die Trofaiacher OG der „Vereinigung der nationalsozialistischen Jugend Österreichs“ im August 1926 sowie der OG Donawitz in 1927.

mitglieder mehr oder weniger erklecklich ausfiel. Zum Ausgleich empfahl die Partei den Ortsgruppenfunktionären, besser situierte Mitglieder um Mehrleistungen zu bitten, welche bei der jeweiligen Ortsgruppe verbleiben durften. Untergliederungen der Partei hatten kein Recht, in Geldbeschaffungssachen selbständig zu handeln.

Eine dahingehende Verfügung der Landesleitung betraf Geld- und sonstige Samm-lungen innerhalb eines Verwaltungsbereichs [Gau, Ortsgruppe, Anm.], die nur mit ausdrücklicher Genehmigung des betreffenden politischen Leiters vorgenommen werden durften. Strengstens geahndet wurde Säumigkeit bei der Einsendung der von der Landesleitung verlangten Mitgliederlisten sowie der monatlichen Berichte.

Die angedrohten Konsequenzen [„rücksichtloses Durchgreifen“, Anm.] richteten sich vor allem gegen den jeweiligen Ortsgruppenleiter, dem in einem solchen Fall

„Unbrauchbarkeit“ attestiert wurde.513 Auch das Dienstbuch der NSDAP, das beim Partei-Verlag in Linz um wohlfeile 4,50 Schilling erhältlich war, gehörte zur Grund-ausstattung einer jeden Ortsgruppe.514

Es ist fraglich, ob in allen jenen kleineren Gemeinden, in denen Stimmen für die

„nationalen Sozialisten“ abgegeben wurden, bereits ab 1919 Ortsgruppen existierten.

Aufgrund der Wahlergebnisse kann jedoch angenommen werden, dass städtische Siedlungen wie Leoben, Bruck an der Mur, Kapfenberg, Judenburg und Knittelfeld, die zu den ältesten nationalsozialistischen Zentren in der obersteirischen Industrie-region zählen, über diverse Parteiorganisationen verfügten. Einer Zeitungsmeldung aus dem Jahr 1929 ist zu entnehmen, dass eine Ortsgruppe Leoben-Donawitz bereits 1919 gegründet wurde [siehe Tabelle 12, Anm.].

515516517518519520521522

Ortsgruppe NSDAP Ortsgruppenleiter wann erwähnt

Donawitz (Gründung)515 ? Februar 1927

Eisenerz516 (Gründung)

Gai (Gründung) Pg. Adalbert Walter519 12. Oktober 1932

„Geschäftsstelle“ (Gründung)520

OGL Josef Scheuchl522 März 1931 Mai 1931

513 Verlautbarungen der Landesleitung. In: Der Kampf (15.8.1931) S. 7.

514 StLA ZGS K.204: Verschiedenes (1932 – Hitlerbewegung NSDAP).

515 StLA L.Reg. Gr.206 Index (1926–1928).

516 Ortsgruppen-Nachrichten. In: Die Sturmfahne (24.11.1923) S. 4.

517 StLA ZGS K.48: Heimwehr (1927–1935).

518 StLA L.Reg. Gr.384: Na14 (1933).

519 Neue Ortsgruppe der NSDAP. In: Der Kampf (22.10.1932) S. 4.

520 Ortsgruppen-Nachrichten. In: Die Sturmfahne (19.7.1924) S. 4 521 Ortsgruppengründung in Göß. In: Der Kampf (18.6.1932) S. 10.

522 Versammlung in Kallwang. In: Der Kampf (11.4.1931), (6.6.1931) S. 7.

Ortsgruppe NSDAP Ortsgruppenleiter wann erwähnt Kammern (Gründung)523 OGL Johann Gasteiner

Propagandaleiter Karl Kaml März 1932

St. Michael536 Pg. Moretti 18. März 1925

St. Peter/Freienstein ? August 1932

St. Stefan ob Leoben Pg. Egger537 Mai 1931

Trofaiach538

gegr. am 18. August 1926641 Juni 1931

Wald am Schoberpass542 ? 12. März 1932

Tabelle 12: Versuchte Lokalisierung von Ortsgruppen der NSDAP im Bezirk Leoben.523524525526527528529530531532533534535 523 StLA BH Leoben Gr.14: K.77 (Abschaffungsantrag Kaml,16.6.1933).

524 Ein deutscher Abend der Nationalsozialisten. In: Obersteirische Volkszeitung (10.01.1929) S. 3: An diesem Abend wurde das 10-jährige Bestehen der Ortsgruppe Leoben-Donawitz gefeiert.

525 Gründung von NS-Frauenschaften. In: Der Kampf (15.10.1932) S. 6; Kinderjulfeier der Ortsgruppe Leoben-Donawitz. In: Ebda (24.12.1932) S. 6.

526 Ortsgruppennachrichten. In: Die Sturmfahne (7.2.1924) S. 4; StLA ZGS (BKA) K.77/4 (Fol.62–63):

Pach-Haussenheimb war bis August 1931 Gaupropagandaleiter.

527 Freudenthaler, „Eisen auf immerdar!“ Bd.2, S. 12.

528 Deutscher Abend in Leoben. In: Der Kampf (28.3.1931) S. 7.

529 Steirische Gaunachrichten der NSDAP (22.5.1931) S. 4.

530 Versammlung in Leoben. In: Der Kampf (16.7.1932) S. 9.

531 StLA ZGS (BKA) K.81/8 (Fol.307).

532 Ortsgruppen-Nachrichten. In: Die Sturmfahne (19.7.1924) S. 4.

533 StLA L.Reg. Gr.206: E 52 (1933):„Aktivitäten des deutschen Turnvereins Eisenerz“.

534 Versammlung in Kallwang. In: Der Kampf (11.4.1931).

535 Steirische Gaunachrichten der NSDAP (8.9.1932) S. 2: Ortsgruppen in Radmer und St. Peter Frei-enstein gegründet.

536537538539540541542

In der näheren Umgebung Leobens können auch die Ortsgemeinden St. Michael und Trofaiach als kleinere nationalsozialistische Schwerpunkte gelten. Aus einem parteiinternen Briefwechsel geht beispielsweise hervor, dass die Ortsgruppe Trofaiach erst am 6. Juni 1923 gegründet wurde und am 1. Oktober 1926 zur „Hitlerbewegung“

übertrat.543 Zu den ältesten Gründungen in der obersteirischen Industrieregion gehö-ren auch die Ortsgruppen Eisenerz, Mautern, Zeltweg und Fohnsdorf, die in der

„Sturmfahne“ von 1923 bis 1924 in der Rubrik „Ortsgruppennachrichten“ erwähnt werden. Die personelle Besetzung einiger Ortsgruppen im Bezirk Leoben konnte mit Hilfe verschiedener Parteizeitungen und diverser anderer Quellen zumindest teilweise rekonstruiert werden (Tabelle 12).