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Auftakt zum Bürgerkrieg

obersteirischen Industrieregion

5.1 Die Eskalation der Gewalt im Kampf um die Straße:

5.1.3 Auftakt zum Bürgerkrieg

Als anlässlich der Wiener Unruhen im Juli 1927 der Parteisekretär und Obmann der sozialdemokratischen Gemeindefraktion in Bruck an der Mur, Koloman Wal-lisch600, den Ausnahmezustand in der Stadt ausrief, um laut eigenen Angaben die erregte Arbeiterschaft zu beruhigen und ein Blutvergießen zu vermeiden, eskalierte der politische Kleinkrieg in der obersteirischen Industrieregion. Nun glaubten die dort lebenden Bürgerlichen, einen Vorgeschmack dessen bekommen zu haben, was ihnen im Fall einer „Diktatur des Proletariats“ blühen würde. Als Gegenmaßnahme hatte der Führer des Steirischen Heimatschutzes, Walter Pfrimer, im ganzen oberen Murtal rasch Heimwehrtruppen aufgeboten und sie vermutlich mit Hilfe des mit der Heimwehr sympathisierenden Gendarmerie-Oberin spektors August Meysz-ner bewaffnet. Die Führer dieser Mannschaften hatten sich ebenfalls angemaßt, im ganzen oberen Murtal Kontrollfunktionen und Ordnerdienste auszuüben. Bei Ver-handlungen mit der Streikleitung in Judenburg und in Graz war Pfrimer energisch aufgetreten und hatte die sofortige Beendigung des Streiks gefordert. Angesichts seines angedrohten „Marsch auf den Semmering“ hatten die sozialdemokratischen Führer schließlich kapituliert.601

In einer dringlichen Anfrage der Landtagsabgeordneten der bürgerlichen Ein-heitsliste an Landeshauptmann Paul wurde das Vorgehen der Sozialdemokraten als ein Akt öffentlicher Gewalttätigkeit bezeichnet, da während des Ausnahmezustandes in Bruck an der Mur unter anderem das Gericht und die gesetzlichen Sicherheitsor-gane an ihrer Tätigkeit gehindert worden seien. Die Bevölkerung in den Industrie-gebieten der Obersteiermark sei Opfer einer „systematischen Verhetzung“, die von

„gewissen Elementen“ seit Jahren betrieben werde: Wir sind der Überzeugung, daß es den persönlichen Machtgelüsten, wenn nicht anderen niedrigen Motiven, entspringt, in Obersteiermark im Industriegebiete zwischen der Arbeiterschaft und der übrigen Bevölkerung eine Hetze zu inszenieren, die schließlich und endlich zu solchen trau-rigen Vorfällen führen muß, wie wir sie in Wien erlebt haben, mahnte der Brucker Kaufmann und Landtagsabgeordnete Viktor Hornik. Wallisch, dem die Opposition Aufwiegelei und Verfassungsbruch vorwarf, behauptete in einer schriftlichen Stel-lungnahme an den Landtag, die Vertreter der bürgerlichen Vereinigungen der Stadt Bruck hätten sich mit seinen Forderungen einverstanden erklärt. Es sei weder zu einer Behinderung des Ortspolizeidienstes gekommen, noch habe er eine „Dikta-tur des Proletariates“ ausgerufen. Bei der Versammlung auf dem Hauptplatz seien wohl „scharfe Worte“ gefallen, aber nur „um die Massen in der Hand zu behalten“.

600 Nach einem Intermezzo als sozialdemokratischer Funktionär in der kurzlebigen Budapester Rä-teregierung Bela Kuns im Jahr 1919 war Wallisch nach Marburg an der Drau (Maribor) und an-schließend nach Österreich gezogen, wo er ab Ende Juni 1920 als Bezirkssekretär der SDAPÖ in Fürstenfeld wirkend im Februar 1921 nach Bruck an der Mur berufen wurde. Koloman Wallisch, 50 Jahre „12. Februar 1934“. Zur Erinnerung an die Ereignisse des Februar 1934 im Bezirk Bruck/

Mur hrsg. SPÖ Bezirksorganisation Bruck/Mur (Bruck/Mur 1984) S. 20; Paula Wallisch, Ein Held stirbt (Graz 1978) S. 147–163.

601 StLA Sten. Ber. Stmk. Landtag 1927–1930, 1–61 (25.7.1927) S. 51–66; Pauley, Hahnenschwanz, S. 48–51; ÖHJ 1933, S. 62–63.

Die Erklärung Wallischs wurde von der bürgerlichen Opposition als „Lüge“ und

„Verdrehung“ des wahren Sachverhaltes abgetan. Von Verhandlungen könne keine Rede sein, erklärte Hornik. Der Kommandant des Republikanischen Schutzbundes Neubauer habe die bürgerliche Partei ultimativ zum Einlenken aufgefordert. Wal-lisch soll außerdem gedroht haben, für den Fall eines Heimwehreinsatzes gegen die Sozialdemokratie in Wien einige ausgesuchte Persönlichkeiten von Bruck an der Mur in Geiselhaft zu nehmen. Nachdem am 18. Juli der Brucker Bürgermeister Gruber das Ende der ungesetzlichen Vorgänge verkünden ließ, habe Wallisch selbst nach den Konsequenzen seines verfassungswidrigen Vorgehens gefragt.602 Hingegen wurde die Gegenoffensive des Steirischen Heimatschutzes von der bürgerlichen Einheitsliste vom Tisch gewischt mit dem Argument, die Empörung sei nicht vom Bürgertum, sondern von den Sozialdemokraten ausgegangen.603 Aus bürgerlicher Sicht war nach der Beendigung des „Kriegszustandes“ lediglich ein „Waffenstillstand“ zwischen den

„Kriegsparteien“ eingetreten. Unter dem Eindruck der außergewöhnlichen Ereignisse appellierte Dr. Paul Weitzer im Namen des Exekutivkomitees der Bürgerschaft an die Solidarität aller Bürger zum „Schutz des Eigentums“.604 Im gleichen Zug erklärte sich das Komitee zu einer permanenten Einrichtung und kündigte die Aufstellung einer „Ordnungsmacht“ an. Als die Brucker Ortsgruppe des Heimatschutzverbandes gegründet wurde,605 verhärteten sich die politischen Fronten zwangsläufig.606 Der fromme Wunsch des Komitees „endlich auch unserer Heimatstadt Befriedung zu geben“ sollte auf Jahre hinaus unerfüllt bleiben.

Im Vergleich zu Bruck an der Mur und einigen Ortschaften des oberen Murtales verlief der 16. Juli in Leoben und Umgebung relativ unspektakulär. Die Leobener Arbeiterkammer war Drehscheibe und Mittelpunkt der Geschehnisse jener Tage.

Hier holten sich sozialdemokratische Vertrauensmänner und Funktionäre ihre Anweisungen; von hier aus wurden Schutzbündler zur Straßensperre aufgeboten und Kontrollorgane, welche den von 6 bis 9 Uhr Vormittags in sämtlichen Betrieben durchgeführten Proteststreik überwachten, ausgesandt. Laut einer Lokalzeitung kam es trotz des von der Bezirkshauptmannschaft Leoben verhängten Alkoholver-botes zu zahlreichen Alkoholexzessen und zu einem „Stau“ im Gemeindearrest, wo

„schon lange nicht mehr so viele Betrunkene“ gesessen waren. In der Stadt Leoben vereinbarten die Parteien, keine Versammlungen oder Demonstrationen durchzu-führen; die Geschäfte blieben den ganzen Tag geöffnet und das Wirtschaftsleben ging seinen gewohnten Weg. In Donawitz, Seegraben, Judendorf und Göss sowie

602 Kritische Tage für Bruck. In: Obersteirerblatt (20.7.1927) S. 5.

603 StLA Sten.Ber. Stmk.Landtag 1927–1930, 1–61 (25.7.1927) S. 50–66.

604 An die Bürgerschaft der Stadt Bruck a d. Mur! In: Obersteirerblatt (20.7.1927) S. 1; Der Aufruf des Exekutivkomitees der Bürgerschaft der Stadt. In: Ebda (23.7.1927) S. 4: Unter „Bürger“ meinte das Exekutivkomitee nicht einen sich abgrenzenden Stand, sondern den Staatsbürger, also „sämtliche heimattreuen Brucker, die auf dem Boden des Gesetzmäßigkeit stehen, ganz gleich ob Arbeiter oder Industrielle, Akademiker oder Bauern, Gewerbetreibende oder Kaufleute“.

605 Die Heimatschutzbewegung in Bruck. In: Leobener Zeitung (23.7.1927) S. 3.

606 Robert Hinteregger, Karin M. Schmidlechner, Eduard Staudinger, Koloman Wallisch und die obersteirische Arbeiterbewegung. In: Hinteregger/Müller/Staudinger, Freiheit, S. 204;

Die „Diktatur“ in Bruck a. Mur. In: Obersteirische Volkszeitung (21.7.1927) S. 1–2.

in anderen Ortsgemeinden des Bezirkes hielt die Arbeiterschaft Protestversamm-lungen ab und verfasste Resolutionen. Zu Ausschreitungen soll es jedoch nirgends gekommen sein.607 Bald nach dem Ablauf des vom Landeshauptmann Paul verfüg-ten Aufmarschverbotes608 Ende September 1927 marschierten die Formationen der

„marxistischen“ und „antimarxistischen“ Lager in der Region auf, um ihren Willen zur Macht in der Öffentlichkeit zu demonstrieren. Laut der Chronik des Bezirks-gendarmeriekommandanten fand bereits am 10. Oktober eine Parade des Gaues Leoben statt, bei dem rund 3000 Heimatschützer, mit dabei der Leobener Studen-tenbataillon, in Leoben aufmarschierten, wo sie von der bürgerlichen Bevölkerung stürmisch begrüßt und vom Gauleiter Bundesrat Anton Höpfl angelobt wurden.609 Der Tag der Republik wurde am 11. und 12. November von der sozialdemokratisch organisierten Arbeiterschaft von Leoben und Umgebung trotz oder gerade wegen des Aufschwunges der bürgerlichen Wehrbewegung entsprechend feierlich begangen.610 Als Antwort auf den ersten großen Aufmarsch der uniformierten Heimatschützer in Bruck an der Mur, der, etwa 8000 Mann stark, am 27. November stattgefunden hatte, ließ die Bezirksleitung der sozialdemokratischen Partei bei einem Bezirkstreffen am 4. Dezember Arbeiterordner aus Wien, Wiener Neustadt, Graz, Leoben, Eisenerz, Judenburg, Knittelfeld und aus dem ganzen Bezirk Bruck, laut behördlicher Schät-zung insgesamt mehr als 14.000 Mann, aufmarschieren. In seiner Begrüßungsan-sprache wies der Kommandant des Republikanischen Schutzbundes Julius Deutsch auf die Notwendigkeit hin, dem Sozialismus die Treue zu halten:

Wir wissen wer die Heimwehren organisiert, das sind die Abgetakelten der alten Habsburgerarmee. Wir wissen, wer das Geld für die Ausrüstung gibt und wer die politischen Führer sind. (…). Wir wollen niemanden bedrohen (…). Wir wollen aber sagen, wer uns mit Gewalt bedroht, dem werden wir mit Gewalt entgegentreten.611 Deutsch reagierte damit auf den von Pfrimer geworfenen Fehdehandschuh, der anlässlich einer großen Heimwehrtagung den „roten Hunden“ einen „Kampf aufs Messer“ angekündigt haben soll.612 Somit wurden die Weichen in Bruck und Umgebung auf Konfrontation gestellt: Der Juli 1927 hatte sich in die Erinnerung der Menschen „eingebrannt“: Bei jedem sich bietenden Anlass zitierten Vertreter der bürgerlichen Parteien die Brucker Ereignisse als Beispiel für die Machtgelüste der „Marxisten“ und ihres Führers Koloman Wallisch.613 Als Konsequenz der

607 Situationsberichte. In: Obersteirische Volkszeitung (19.7.1927) S. 3.

608 StLA BH Leoben Gr.14: K.8 (Zl. 384W 9/4 1927): Landeshauptmann Paul hob das von ihm am 29.7.1927 verfügte „Verbot von Umzügen von Wehrschutzverbänden in Steiermark“ am 30.9.1927 vorzeitig auf.

609 Chronik des BGK Leoben, 1927.

610 StLA BH Leoben Gr.14: K.8 (LGK E.Nr.4229, 12.11.1927).

611 StLA ZGS (BKA) K.74/1 (Fol.244–248); ÖHJ 1933, S. 36.

612 StLA BH Leoben Gr.14: K.16 (Der Alpine Sklave, November 1927).

613 Koloman Wallisch, 50 Jahre „12. Februar 1934“. Zur Erinnerung an die Ereignisse des Februar 1934 im Bezirk Bruck/Mur hrsg. SPÖ Bezirksorganisation Bruck/Mur (Bruck/Mur 1984) S. 20;

Paula Wallisch, Ein Held stirbt (Graz 1978) S. 147–163.

„Machtübernahme“ Wallischs in Bruck beantragte das Kreisgericht Leoben seine Auslieferung. Die Frage einer reinen Willkürmaßnahme der Justiz im Falle Wal-lisch erscheint im Lichte seiner späteren Verfolgung und Justifizierung im Februar 1934 berechtigt zu sein, die Bevorzugung des Heimatschutzes als „Wachhund“ und Angriffstruppe gegen den roten Schutzbund evident.