• Keine Ergebnisse gefunden

Personzentrierte Gesprächsführung (Christiane Hellwig)

4 Gesprächsführungstechniken und Beratungsansätze

4.2 Personzentrierte Gesprächsführung (Christiane Hellwig)

Christiane Hellwig

Als Basis jeder unterstützenden Gesprächsführung werden meist Empa-thie, Wertschätzung und Kongruenz genannt. Diese drei Kernaspekte der personzentrierten Gesprächsführung werden oft auf die Anwendung reiner

„Techniken“ reduziert. Aktives Zuhören und das Verbalisieren emotionaler Er-lebnisinhalte werden dann als sog. „Rogers-Variablen“ genutzt, damit Themen bearbeitet werden können. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die Beraterin bzw. der Berater selbstverständlich auch wertschätzend und kongruent sein müsse. Wer mit Beratung anfängt, merkt aber schnell, dass es damit nicht ge-tan ist.

Als „Klientenzentrierte Gesprächsführung“ oder auch als „Gesprächspsy-chotherapie“ (vgl. Tausch/Tausch 1968) ist Carl Rogers „Client-Centered Therapy“ (1951) für den deutschen Sprachraum übersetzt worden.

„Je mehr sich die Rogers-Rezeption auf die Durchführung von Gesprächen fo-kussierte, desto mehr entstand der Eindruck, dass sich durch den Einsatz von Gesprächstechniken die Reaktionen von Ratsuchenden quasi vorherbestimmt aktivieren lassen. Doch: Was eine Intervention bei Ratsuchenden auslöst, welche Erinnerungen und Erfahrungsinhalte und welche damit verbundenen Emotionen hervor gerufen werden, ist viel zu komplex, als dass sich dies unabhängig vom realen Beziehungskontakt schematisieren ließe.“ (Tausch/Tausch 1968)

Schaut man auf die ursprüngliche Arbeit Rogers, wird deutlich, dass per-sonzentrierte Gesprächsführung viel mehr ist, als das Anwenden reiner Tech-niken: Es gehört zu Rogers besonderem Verdienst, dass er über lange Jahre zur nicht-direktiven Gesprächsführung geforscht und anhand von protokol-liertem Fallmaterial und Tonbandaufnahmen herausgearbeitet hat, welche spezifische Haltung von Seiten eines Beraters oder einer Beraterin zu den oben genannten konstruktiven Veränderungen bei Ratsuchenden führt (vgl.

Rogers 2009a: 28ff.). Wie sich diese Haltung sprachlich ausdrücken lässt, hat zur Entwicklung der Gesprächsführungstechniken geführt, die in den sechs

„hinreichenden Bedingungen“ zur Beziehungsgestaltung integriert sind (vgl.

Abb. 8). Ursprünglich stellte Rogers diese für die psychotherapeutische Arbeit auf. Heute wird der Personzentrierten Ansatz in unterschiedlichen Berufsfel-dern genutzt. Denn die englische Bezeichnung „Person-Centered Approach (PCA) (= Ansatz, Annäherung) verdeutlicht, dass sich das Vorgehen nicht nur auf die therapeutische Arbeit bezieht, sondern generell auf eine personzent-rierte Beziehungsgestaltung in (professionellen) Kontakten.

Im Nachfolgenden werde ich daher anstatt von bloßen Techniken zu spre-chen, anhand der sechs Bedingungen erläutern, wie sich der Personzentrierte Ansatz in der und für die personzentrierte Gesprächsführung realisieren lässt, da die Gesprächsführung eine spezifische Haltung zur Basis hat, die über ein reines Einüben hinausgeht.

Doch was heißt im Sinne Rogers personzentriert Gespräche führen? Mit personzentrierter Gesprächsführung werden die systemisch relevanten Bezü-ge der Person, die auf ihren individuellen, Bezü-genuin biographischen ErfahrunBezü-gen beruhen, so aufgegriffen, wie sie die Person im Hier und Jetzt der aktuellen Si-tuation wahrnimmt, erlebt und diese in der Beziehung zur Beraterin bzw. zum Berater zeigt. Dieses Erleben und Wahrnehmen kann sich verbal und nonver-bal ausdrücken und sich in bewussten, vor- und unbewussten Handlungen auf unterschiedlichen Ebenen zeigen.

Rogers nennt dies den „individuellen Bezugsrahmen“ (Rogers 2009) der Ratsuchenden. Dieser ist die Erfahrungsquelle eines jeden Menschen. Und die Chance, die in der personzentrierten Gesprächsführung liegt, ist, das implizite Wissen so zu nutzten, dass es der Entwicklung und Entfaltung förderlich ist – sodass die Person ihren echten Motiven auf die Spur kommen kann. Für die pragmatische Situation von Beratung bedeutet dies, der Gefahr zu entgehen, Lösungen für die Person zu finden, die nicht ihre eigenen sind. Nachhaltige Umsetzungsenergien werden dadurch gesichert.

Die sechs hinreichenden Bedingungen für den (Beratungs-) Prozess

Das „Original“: Carl Roger´s „Bedingungen

des therapeutischen Prozesses“ (2009: 46f.): Für die Beratungspraxis übersetzt:

1. Zwei Personen befinden sich in Kontakt. Verbindung herstellen und In-Kontakt-kommen 2. Die erste, die wir Klient nennen, befindet

sich in einem Zustand der Inkongruenz, ist verletzlich oder ängstlich.

Inkongruenzen prüfen: Diskrepanzen und Unstimmigkeit wahrnehmen

3. Die zweite Person, die wir Therapeut nennen wollen, ist kongruent in der Beziehung.

Kongruent sein: Einklang finden

4. Der Therapeut empfindet eine bedin-gungslose Wertschätzung gegenüber dem Klienten.

Wertschätzung überprüfen: Bedingungslo-se, aufmerksame Beachtung

5. Der Therapeut erfährt den inneren

Bezugs-rahmen des Klienten. Empathie und empathisches Verstehen:

Einfühlung erfahren 6. Die Kommunikation des Therapeuten

über sein empathisches Verstehen und seine bedingungslose positive Beachtung gegenüber dem Klienten erreicht diesen zumindest ansatzweise.

Den Klienten erreichen und Resonanz spüren

Abb. 9: Die sechs hinreichenden Bedingungen für den (Beratungs-Prozess) nach Rogers (eigene Darstellung)

Verbindung herstellen und in Kontakt kommen

Zunächst sollte überprüft werden, wie weit es gelingt, mit einer Person in Kontakt zu kommen und eine tragfähige Beziehung herzustellen, die sich auf drei Ebenen bezieht:

1. Sie umfasst den wechselseitigen aufrechten Kontakt zwischen Beraterin oder Berater und den Ratsuchenden: den Grad der vollständigen Aufmerk-samkeit zum anderen; es sichert Verbindung.

2. Wie zeigt sich dieser Kontakt im Verhalten zueinander? Wie nimmt der oder die Ratsuchende mit der Beraterin bzw. dem Berater (ersten) Kontakt auf?

Wie reagiert die Beraterin bzw. der Berater auf die Ratsuchenden?

3. Welchen Kontakt kann die Beraterin oder der Berater zu sich selber aufneh-men? Wie bewusst ist ihr oder ihm die Gestaltung ihres bzw. seines Bera-tungsangebotes? Welche Botschaften sendet sie oder er durch was? Welche Bedingungen braucht sie oder er im und für den tragfähigen Kontaktaufbau

mit dem oder der Ratsuchenden (s. 3.2 Verantwortung der Beraterin und des Beraters)?

Die Sensibilität, diese Fragen im Beratungsprozess immer wieder beantwor-ten zu können, verfolgt das Ziel, eine tragfähige Beziehung und damit einen belastbaren Kontakt aufzubauen. Wenn ich mich nicht ganz auf diesen Kontakt mit dem oder der Ratsuchenden einlasse, sind Inhalte – besonders schwieri-ge – nicht zu bearbeiten. Ratsuchende werden sich auf die Begleitung von Ver-änderungsprozessen nicht einlassen und z.B. mit Passivität oder Widerstand reagieren (s.u.).

Inkongruenzen prüfen: Diskrepanzen und Unstimmigkeit wahrnehmen Von der oder dem Ratsuchenden wird u.a. erwartet, dass er oder sie sich in der Beratung mit seinem bzw. ihrem Anliegen öffnet, von sich und dem eige-nen Anliegen erzählt. Doch die Ratsuchenden kommen mit ihrer individuellen

„Indikationsstellung“, sie sind problembelastet und das macht sie besonders empfindsam und vorsichtig; sie kommen in Inkongruenz. Gerade deshalb be-nötigen sie eine sichere Beziehungsbasis, die sie in ihrem Befinden annimmt und zum Einlassen in den (Beratungs-)Prozess einlädt.

Inkongruenz ist ein Widerspruch, eine Unstimmigkeit zwischen dem in-neren und äußeren Erleben und den Erfahrungen und lässt einen Zustand der Spannung und inneren Konfusion entstehen. Es ist die Quelle von unverständ-lichem oder irritierendem Verhalten der Ratsuchenden.

Personzentriert Gespräche zu führen setzt somit auch voraus, innere Dis-krepanzen beim Ratsuchenden als solche zu erkennen. Dies gelingt mit kri-tisch-konstruktiver Wahrnehmung, bspw. über die Fragen:

● Gibt es Unterschiede in verbaler und nonverbaler Äußerung? Wo erlebe ich den Ratsuchenden als unstimmig?

● Wann werden meine Interventionen umgedeutet oder wann wird auswei-chend geantwortet?

● Worin scheint der oder die Ratsuchende besonders empfindsam oder vor-sichtig zu sein? Wie macht sich das im Kontakt bemerkbar?

Kongruent sein: Einklang finden

Dagegen sollte die Beraterin bzw. der Berater kongruent, also echt im Kontakt mit sich selbst und in der Folge in Beziehung zum bzw. zur Ratsuchenden sein können. Damit ist zunächst die Selbstwahrnehmung der Beraterin und des Beraters gemeint, die innere Antworten geben kann, bspw. auf die Frage: „Wie geht es mir, was denke und spüre ich gerade?“ Es ist das (Eigen-)Kapital, das ggf. auch dem oder Ratsuchenden zur Verfügung gestellt werden kann, wenn es für die Beziehungsklärung und Entwicklung förderlich erscheint.

Kongruent sein ist ein „weg von den Fassaden, weg vom ,Eigentlich-soll-te-ich‘ […] hin zu einer Entwicklung zur Selbstbestimmung“ (Rogers 1973:

168). Diesem Gefühl nachzugehen bedeutet, dem Selbst, dem Wichtigen auf die Spur zu kommen. Es sichert die eigene, psychische „Funktionsfähigkeit“

(Biermann-Ratjen, 1981: 108).

Diese Bedingung ist die schwerste, von der auch Rogers sagt, dass sie nicht vollständig erreichbar ist (vgl. Rogers 1983: 30). Sich selbst auf die Spur kommen, kann man bspw. mit folgenden Reflexionsfragen:

● Wie geht es mir im Kontakt mit dieser Person? Wo erlebe ich mich als (un-) stimmig?

● Ist meine innerliche Stimmung eine andere, als die, die ich nach außen trage? Welche Gründe könnte es dafür geben?

Mitzubekommen, wann Denken, Fühlen und Handeln übereinstimmen – oder eben nicht – ist „überlebenswichtig“; das gilt besonders in kritischen (zwi-schenmenschlichen) Situationen.

Wertschätzung überprüfen: Bedingungslose, aufmerksame Beachtung Werte sind handlungsdeterminierend. Treffen fremde Bewertungen und ei-gene Wertvorstellungen aufeinander, können Konflikte und Widerstände die Folge sein.

Unbedingte Wertschätzung, „positiv regard“, bedeutet „der aufmerksa-men/ausdrücklichen Beachtung wert“ (vgl. Rogers 1987, zitiert nach: Bier-mann-Ratjen et al. 2006: 71f.). Es umfasst das Schätzen und den Respekt der Person und seinen Werten gegenüber und fordert „Zuwendung ohne Bedin-gungen“ (ebd.).

Wertschätzend dem oder der Ratsuchenden begegnen meint somit, ihn bzw. sie in seinem bzw. ihrem So-Sein bedingungslos anzunehmen und sei-ne bzw. ihre Werte gemeinsam zu ergründen – ihn oder sie als Person anzu-nehmen, unabhängig von den verschiedenen Bewertungen, die man aus der eigenen Perspektive vornehmen kann. Im Beratungsgespräch sollte daher der Grad an unbedingter Wertschätzung, der den Ratsuchenden entgegenge-bracht werden kann, überprüft werden. Also: In welchen Situationen knüp-fe ich was an welche Bedingungen? Gibt es „Wenn-Dann-Gedanken“, wie z.B.:

„Wenn er spontaner reagieren würde und nicht so lethargisch, dann wäre die Beratung leichter und er könnte die Vorschläge besser umsetzten“. Gelingt es stattdessen, dass ich mich auf das Erleben der Person, auf ihre Wahrnehmun-gen, VorstellunWahrnehmun-gen, Emotionen „unbedingt“ einlassen kann?

Empathie und empathisches Verstehen: Einfühlung erfahren

Ebenfalls ist die Empathie bzw. die damit verbundene Reaktion des einfühlen-den oder empathischen Verstehens keine Gesprächstechnik – auch wenn sie

häufig als solche, als „Verbalisierung“ emotionaler Erlebnisinhalte verstanden wird.

Empathisches Verstehen richtet seine Aufmerksamkeit auf den inneren Bezugsrahmen der Ratsuchenden und erweitert die Perspektive auf relevan-te Eigenanrelevan-teile. Es setzt voraus, den Ratsuchenden konzentriert zuhören und zusehen zu wollen und ihnen auf dieser Basis mitteilen zu können, was aktuell von ihnen wahrgenommen wurde – einschließlich der vielleicht nur indirekt geäußerten (Selbst-)Bewertungen. Genau hier liegt oft die Schwierigkeit, wa-rum es Personen schwerfällt, Entscheidungen zu treffen. Ihre eigenen Wün-sche und Bedürfnisse werden überlagert von biographisch erlernten Regeln und Werten, die nicht bewusst genug sind, um sie hinterfragen zu können.

Es ist das Wahrnehmen der inneren Erlebniswelt der Ratsuchenden, des-sen was im Moment unmittelbar wahrzunehmen ist. Die Rückmeldung dazu sollte in einfacher, verständlicher und konkreter Form erfolgen. So kann dem oder der Ratsuchenden zur Verfügung gestellt werden, was von ihm bzw. ihr angekommen ist. Dies gelingt nur, wenn ich als Beraterin oder Berater kon-gruent bin (s.o.), da ich sonst Gefahr laufe, dass meine Wahrnehmung, durch meine eigene Befindlichkeit (Ungeduld, Anspannung, unterschwellige Sympa-thie oder AntipaSympa-thie …) gefärbt wird. Nur wenn es mir gelingt, Eigenes und Fremdes voneinander zu trennen, mache ich den Weg frei zur Weiterentwick-lung.

Den Klienten erreichen und Resonanz spüren

Deshalb ist die sechste Bedingung ein wichtiger Indikator für die Qualität der Beziehung. Die gute Absicht ist hier nicht das Entscheidende, sondern das, was bei dem oder der Ratsuchenden ankommt: Was macht sicher/unsicher in der Annahme, dass mein wertschätzendes, empathisches Beziehungsangebot die Ratsuchenden auch wirklich erreicht hat?

Resonanz spüren bedeutet, den Ratsuchenden bzw. die Ratsuchende als

„Seismographen“ zu sehen, der oder die die Wellen der Empathie und Wert-schätzung anzeigt, so wie sie bei ihm oder ihr angekommen sind. Resonanz wird auch deutlich durch den Grad der Motivation, die bei der Person sichtbar wird, sich für eine Sache einzusetzen: Wie viel Energie ist zu spüren, eigene konstruktive Lösungen zu finden?

Erst wenn die Bedingungen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit von der Beraterin bzw. dem Berater als Haltung integriert werden können, kann die ratsuchende Person die Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte im Gegenzug wahrnehmen. Dann erst findet ein Zugang zu seinem bzw. ihrem inneren Bezug statt (vgl. Rogers 2009: 44f.).

Jeder Versuch personzentrierte Gesprächstechniken bei Ratsuchenden

„anzuwenden“, können für diese schnell als Floskel erscheinen. Das ist das Problem. Und die Erklärung dafür, warum gerade als schwierig erlebte

Rat-suchende mit individuellen Widerständen – besser: Schutzmechanismen – re-agieren: Sie fühlen sich als Fall gesehen und nicht als Person angenommen.

In der Konsequenz bewirkt eine integrierte personzentrierte Haltung im besten Fall ein Nachlassen solcher Schutzfunktionen der Ratsuchenden.

Denn wer sich angenommen und verstanden fühlt, braucht sich weniger zu schützen.