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Orientierung zur Auswahl geeigneter Methoden

4 Gesprächsführungstechniken und Beratungsansätze

5.2 Orientierung zur Auswahl geeigneter Methoden

Karin Kress

Eine geeignete Methode auszuwählen, beginnt mit einer eigenen Lern- oder Recherchephase. In Beratungsausbildungen wird oft eine Auswahl von Me-thoden vermittelt. Allerdings ist es wichtig, sich bezogen auf die eigene Ziel-gruppe und häufig auftretende Beratungsanlässe in der eigenen Praxis zu orientieren. Umfasst eine Beratung mehrere Sitzungen, kann ich von Sitzung zu Sitzung überlegen, welche Methode für die nächste Etappe geeignet er-scheint. Da dies aber während des Beratungsprozesses eher umständlich ist, kann es hilfreich sein, sich in regelmäßigen Abständen mit neuen Methoden auseinander zu setzen, um sich so ein eigenes Repertoire anzulegen und zu erweitern.

Die Auswahl von Methoden hängt von vielfältigen Faktoren ab. Hier set-zen Beraterinnen und Berater eigene Prioritäten. Für viele sind die logisti-schen Rahmenbedingungen zuerst ausschlaggebend. Habe ich genug Zeit, um die Methode durchzuführen? Wie teuer sind die Verbrauchsmaterialien? Kann ich die Methode in meinen Räumlichkeiten umsetzen?

Ziele und Funktionen reflektieren

Methoden können helfen, unterschiedliche Ziele zu erreichen (s. 2.1 Ohne The-orie geht es nicht). Bei der Auswahl einer Methode kommt es darauf an, diese Ziele und Funktionen auch zu reflektieren. Warum setze ich diese Vorgehens-weise und nicht etwa eine andere ein? Methoden bieten z.B. eine gute Prozess-strukturierung an (s. 3.2 Verantwortung der Beraterin und des Beraters). Sie helfen dabei, zunächst eine Situation beschreibend mit einzelnen Komponen-ten zu erfassen, bevor ich anfange, diese KomponenKomponen-ten zu gewichKomponen-ten, in eine Reihenfolge zu bringen oder Nebenschauplätze auszusortieren. Sie kann da-bei unterstützten, aus dem Anliegen der Ratsuchenden eine Zielformulierung zu erarbeiten, sowie die Wertehaltung mit einzubeziehen, vor welcher der oder die Ratsuchende entscheidet, ob eine Veränderung für ihn oder sie auch alltagstauglich ist. Sie kann Ressourcen bewusstmachen (s. 4.4 Ressourcen- und Lösungsorientierte Gesprächsführung), über die Ratsuchende verfügen, oder den bzw. die Ratsuchende dabei begleiten, Kontakt zu seinen Gefühlen herzustellen. Dies ist z.B. hilfreich, wenn Ratsuchende zwar Strategien haben

zur Alltagsbewältigung, diese aber bis zur Erschöpfung durchhalten, ohne sich ausreichend Ruhephasen zuzugestehen. Gerade in der Weiterbildungs-beratung kann dies wichtig werden, wenn es um die Frage geht, etwas Neues anzufangen, etwas Altes zu beenden oder frühere Anteile im Leben wieder aufzunehmen, die sich seit vielen Jahren nicht mehr verwirklicht haben (s. 2.3 Bildungsberatung als Begleitung von Selbstlernprozessen).

Neben diesen inhaltlichen Zielen gibt es auch zahlreiche Prozessfunktio-nen, die ich beachten kann. Methoden wie die Netzwerkmethode (S. 162) sind z.B. auch dafür geeignet, von einem zum nächsten Schritt überzuleiten.

Die Reflexion von Zielen und Funktionen ist nicht nur für die Auswahl der Methoden wichtig. Erst wenn ich mir bewusstmache, was ich mit der ent-sprechenden Methode generell erreichen möchte, setze ich diese Ziele auch in der Beratung um. Von den bewussten Zielen und Funktionen hängen auch die Anleitung der Methoden und die Auswahl der wirkungsvollen Interventionen innerhalb der Beratung ab.

Die eigene Zielgruppe ernst nehmen

Der Zielgruppenbegriff ist ambivalent. Mit „Zielgruppe“ ist ein Personenkreis gemeint, an den sich das Beratungsangebot insbesondere richtet. An die För-derung bestimmter Zielgruppen sind häufig kommunale Gelder gebunden.

Um das Beratungsangebot auf eine Zielgruppe zuschneiden zu können, wer-den bestimmte als typisch angesehene Eigenschaften in wer-den Blick genommen.

Die Personen einer Zielgruppe teilen in ihrer Biographie oft ähnliche Erlebnis-se oder Lebensumstände (z.B. die Beratung für Berufsrückkehrerinnen und -rückkehrer). In der Frage, wie die Personen mit diesen Lebensumständen umgehen, unterscheiden sich die Individuen jedoch stark (s. 2.2 Biographie-orientierung). Um geeignete Methoden auszuwählen, muss ich meine eigenen Annahmen über die Zielgruppe kontinuierlich hinterfragen. Diese Annahmen helfen mir bei einer groben Einschätzung, wie die Personen z.B. darauf reagie-ren, wenn sie selbst etwas in der Beratung schreiben sollen, ob sie sich ernst genommen fühlen, wenn ich vorschlage, eine kreative Methode einzubauen usw. Auf der anderen Seite können mich meine Annahmen über eine Zielgrup-pe aber auch hemmen, wirkungsvolle Methoden auszuprobieren oder einzu-setzen.

Mit den Individuen im Prozess arbeiten

Letztlich kommt es nicht auf die äußere Form der Methode an, ob sich die Ratsuchenden in ihrem Anliegen ernst genommen fühlen, sondern ob ich mich tatsächlich auf sie als Personen einlasse. Dazu gehört, mir zu überlegen, welche Art von Methoden zu den Ratsuchenden passt. Mit einem guten Bezie-hungsaufbau ist es auch möglich, Ratsuchende für Methoden zu öffnen. Denn

letztlich geht es in der Beratung darum, dass die Person andere Perspektiven kennen lernt, die sie sich selbst im Alltag nicht erschließen würde.

Um ein vertrauensvolles Beratungsverhältnis aufzubauen, sollte man da-rauf achten, ob die Metaphern, der Abstraktionsgrad und die Handlungsfor-men für die ratsuchende Person passen.

Rahmenbedingungen in der Beratung einschätzen

Methoden brauchen Zeit und einen Raum, in dem ich sie unbeobachtet von anderen durchführen kann. Beratung am Infopoint ist daher z.B. kein Rahmen, in dem ich eine Methode durchführen sollte. Ich kann allerdings Methoden zur eigenen Anwendung vorschlagen wie z.B. die PMI-Tabelle (S. 136).

Es ist dann eher eine Einstellungsfrage, wie ich mit den Rahmenbedingun-gen in meiner Beratungseinrichtung umgehe. Das reine Beratungsgespräch ist sicherlich am flexibelsten was Zeit, Raum und Material angeht. Letzten Endes lassen sich aber Rahmenbedingungen auch beeinflussen. Wenn mir z.B. der Platz für eine Bodenankerübung fehlt, kann ich stattdessen mit Stellvertre-tern auf einem Tisch arbeiten. Visualisierungsmethoden haben den Vorteil, dass ich einen Beratungsprozess auch unterbrechen und in einer kommenden Sitzung wieder anknüpfen kann, wenn die zeitliche Taktung aufeinander fol-gender Termine zu eng gefasst ist.

Die Tiefungsebene beachten

Methodensammlungen geben in der Regel nicht vor, für welches Beratungs-format sie die Methoden beschreiben. Häufig nennen sie sogar Anwendungen in Therapie und Beratung (s. 2.3 Bildungsberatung als Begleitung von Selbst-lernprozessen). Es ist daher wichtig, sich bei der Umsetzung einer Methode Gedanken darüber zu machen, wie tiefgehend die Prozesse beim Ratsuchen-den sind, die ich mit einer Methode eröffnen kann.

Es gibt Methoden, die ein Anliegen eher auf der konkreten Handlungs- oder Organisationsebene bearbeiten, andere zielen mehr auf Erkenntnisse darüber, wie die Ratsuchenden durch ihre Art des Umgangs mit dem Problem mit dazu beitragen, dass sich an ihrer Situation nichts verändert (vgl. z.B. der Antreiber-Test, S. 178). Letztgenannte Methoden sind dann zwar auch beson-ders wirkungsvoll, lassen sich aber in der Regel nicht in einer halben Stunde abhandeln und bergen außerdem die Gefahr, dass auch Aspekte einfließen, die eher in einem Coaching oder in therapeutischen Verfahren bearbeitet werden können.

Nicht immer ist an der äußeren Form einer Methodenbeschreibung er-kennbar, wie weitgehend sie eingesetzt werden kann. Ich kann eine Methode oft sowohl in therapeutischen als auch beraterischen Situationen einsetzen.

Es ist dann die Aufgabe des Beraters bzw. der Beraterin darauf zu achten, die angemessene Ebene anzusteuern.

Informative, situative und biographieorientierte Beratung

Wiltrud Gieseke unterscheidet drei unterschiedliche Beratungstypen, die dafür eine zusätzliche Orientierung bieten. Beratungen können informativ, situativ und biographieorientiert angelegt sein (Gieseke 2000). Beratungsfor-mate können allerdings allenfalls in einer Tendenz diesen drei Typen zuge-ordnet werden. Auch eine Kursberatung, die eher zur informativen Beratung zuzuordnen ist, bezieht oft eine situative Beratung mit ein, wenn z.B. über die Gründe für die Kurswahl gesprochen wird. Wenngleich der situative Anteil in einer Kursberatung geringer ist als z.B. in der Karriereberatung, die wie-derum Anteile an der biographieorientierten Beratung aufweisen kann, die (je nach eingesetztem Instrument) z.B. in der Kompetenzberatung stärker im Vordergrund steht.

Eine informative Beratung ist gegeben, wenn der fachlich-informative Beratungsanteil im Mittelpunkt steht. Der Berater bzw. die Beraterin verfügt über einen guten Überblick über vorhandene Angebote, rechtliche Rahmen-bedingungen oder auch Kenntnisse oder eigene Erfahrungen über Prozesse und Strategien, wie die Ratsuchenden vorgehen können, um ein für sie pas-sendes Angebot zu finden und sich auch zu erschließen (z.B. durch die Be-antragung von Fördermitteln). Eine rein informative Beratung findet in der Regel als Beratungsgespräch statt, in dem der Berater oder die Beraterin auf Informationsmaterialien zur Visualisierung zurückgreift. Der Einsatz von Be-ratungsmethoden ist hier eher selten.

Eine situative Beratung macht sich an einem Ereignis in der Lebenssi-tuation der Ratsuchenden fest. In der Regel handelt es sich um eine zeitlich umfangreichere Beratung als die informative Beratung. Hier hat der oder die Beratende nicht nur die Funktion zu informieren, sondern die ratsuchende Person dabei zu begleiten, einen Entscheidungs- oder Übergangsprozess für sich möglichst gewinnbringend zu gestalten. Ein Spezifikum der Bildungs-beratung ist außerdem, dass der Wunsch nach neuen Lernanregungen und Weiterqualifizierung auch darin begründet liegen kann, dass sich die Ratsu-chenden nach einer höheren Sinnhaftigkeit in ihrem Alltag sehnen und An-teile ihrer Persönlichkeit mehr zur Entfaltung bringen möchten, die in der Vergangenheit zu kurz gekommen sind.

Wiltrud Gieseke weist darauf hin, dass die biographieorientierte Beratung bisher noch weniger Eingang in Beratungsprozesse findet, als die anderen beiden Beratungsformen, aber immer mehr an Bedeutung gewinnt. Biogra-phieorientiert ist eine Beratung dann, wenn sie die jetzige Situation, in der sich der oder die Ratsuchende befindet, in den Kontext seines oder ihres bis-herigen Lebenslaufs, der individuellen Deutungsmuster und entwickelten Selbstbilder stellt (s. 2.2 Biographieorientierung). Für die Wiedereingliede-rungsberatung oder die Beratung von Berufsrückkehrerinnen und -rückkeh-rer ist es elementar, dass die Ratsuchenden dabei unterstützt werden, die oft als Brüche erlebten Etappen ihrer Biographie in ein sinnhaftes Selbstbild zu

integrieren. Mit jeder Entscheidung, die wir in unserem Leben fällen, treffen wir eine Auswahl aus mehreren Möglichkeiten. Menschen gehen mit diesen vergangenen Möglichkeiten unterschiedlich um. Viele Personen vergessen sie, andere hängen ihnen sehr nach. So kann die biographieorientierte Beratung ein Weg sein, um ungenutzte Potenziale und Ressourcen frei zu legen, die für die neue Lebenssituation wieder wichtig werden. In anderen Fällen kann es bedeutsam sein, sich von lange offen gehaltenen Möglichkeiten zu verabschie-den, weil sie Energien für die getroffenen Entscheidungen binden und ihrer Umsetzung im Wege stehen.

Beratungsphasen für die Wahl von Methoden abschätzen

Beratungsmethoden lassen sich außerdem unterschiedlichen Etappen im Beratungsprozess zuordnen. Manche eigenen sich eher zur Beschreibung oder der gemeinsamen Analyse der Situation, indem Stichworte gesammelt werden, woraus das Problem besteht (z.B. „Stolpersteine“, S. 123), andere begleiten Ratsuchende bei der Erarbeitung von Problemlösungen (z.B. die hier vorgestellte Variante des Bodenankers, S. 127), wieder andere bereiten eine Entscheidungsfindung durch ein strukturiertes Brainstorming (z.B. PMI- Tabelle, S. 136) vor. Wenn ich die groben Phasen einer Beratung im Hinterkopf habe (s. 3.2 Verantwortung der Beraterin und des Beraters), lassen sich dar-aufhin gezielt geeignete Methoden auswählen.

Was passt zu mir als Berater oder Beraterin?

Zu guter Letzt oder zu allererst sollte die Methode auch zum eigenen berate-rischen Selbstverständnis passen und mich dabei unterstützen, in der Bera-tung kongruent zu bleiben. Auch dies gehört zu dem eigenen Reflexions- und Entwicklungsprozess. Es kann hilfreich sein, Methoden z.B. im Kollegium mit anderen Beraterinnen und Beratern auszuprobieren, um sich in Ratsuchende einfühlen zu können. Hier ist auch der kollegiale Austausch hilfreich. Oft er-leben wir dabei eine Überraschung, dass auch Methoden, die wir sonst nicht übernommen hätten, unerwartete Prozesse in Gang setzen.

Eigene Widerstände gegen die Durchführung von Methoden muss ich als Beraterin oder Berater ebenfalls ernst nehmen, um abschätzen zu können, ob ich mich in die Interventionen einfinden kann, die die Methode erfordert. An-dernfalls ist es besser, die Methode abzuwandeln oder eine andere zu wählen.