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Grundtechniken zur Visualisierung (Karin Kress)

4 Gesprächsführungstechniken und Beratungsansätze

5.4 Grundtechniken zur Visualisierung (Karin Kress)

Karin Kress

Neben den Gesprächsführungstechniken gehören Visualisierungen zum grundlegenden Handwerkszeug in der Beratung. Ratsuchende erhalten einen sichtbareren Zugang zu ihrem Beratungsanliegen als durch das reine Bera-tungsgespräch. Visualisierungen wirken ähnlich wie verbale Spiegeltechni-ken. Ratsuchende vergegenwärtigen sich ihre Situation, ihr Anliegen, ihre Lösungsoptionen je nachdem in welcher Phase die Visualisierung eingesetzt wird. Außerdem können die Visualisierungen je nach Größe der Abbildungen entweder direkt von den Ratsuchenden mitgenommen oder ggf. fotografiert werden. Auf diese Weise können sich die Ratsuchenden auch unabhängig von der Beratungssituation selbst mit ihren Überlegungen weiter beschäftigen oder sich verdeutlichen, zu welchen Erkenntnissen oder Entscheidungen sie mit der Beratung gelangt sind.

Für Beraterinnen und Berater haben Visualisierungen den Vorteil, dass sie die Aussagen des oder der Ratsuchenden nicht nur im Kopf behalten müs-sen. Auch für sie bietet die Visualisierung eine Struktur, die den Beratungspro-zess begleiten kann.

Außerdem können die Ratsuchenden jederzeit in die Visualisierung ein-greifen, diese ergänzen, abwandeln oder umsortieren.

Beraterinnen und Berater können nicht nur das Ergebnis der Visualisie-rung in den Beratungsprozess einbeziehen, sondern auch das Verhalten der Ratsuchenden während der Visualisierung. Sie können den Ratsuchenden

ihre Beobachtung zur Verfügung stellen und die Ratsuchenden zu Kommen-taren einladen. So kann sich z.B. durch eine visualisierte Überfülle von Ent-scheidungsmöglichkeiten für die ratsuchende Person der Gedanke eröffnen, dass nicht die mangelnde Sympathie für eine der Möglichkeiten, sondern der Widerstand dagegen, die anderen Möglichkeiten loszulassen, einer Entschei-dung im Weg steht.

Methoden arbeiten mit unterschiedlichen Visualisierungstechniken und geben oft schon Vorschläge für eine Schrittfolge, in der die Visualisierung in den Beratungsprozess integriert wird. In Methoden werden also schon Ent-scheidungen vorweg genommen, z.B. mit welcher Metapher gearbeitet wird, in welcher Phase die Methode eingesetzt werden kann und welche Fragen durch den Beratungsprozess führen.

Hier soll nun eine Auswahl an grundlegenden Visualisierungstechniken beschrieben werden, in denen diese Entscheidungen noch nicht getroffen wurden. Die Techniken lassen sich daher unterschiedlich in Beratungssituati-onen zusammenfügen und frei in verschiedene Phasen integrieren.

Stichwortkarten

Als Material lassen sich Moderationskarten (10x8 cm), Karteikarten (A6, A7), Klebezettel oder selbst zugeschnittene Karten nutzen. Das Grundprinzip ist immer das gleiche. Im Beratungsprozess werden Stichworte nicht als Liste aufgeschrieben, sondern auf frei bewegliche Karten. Je nach Platz auf dem Tisch oder an der Pinnwand sowie Größe der Karten werden sie mit dicke-ren Filzstiften oder Flipchartstiften vom Beratenden oder Ratsuchenden be-schrieben. Gegebenenfalls symbolisieren verschiedene Farben und Formen unterschiedliche Aspekte.

Die Karten werden anschließend frei zu Gruppen sortiert und danach mit Überschriften versehen. Karten können in kausale oder zeitliche Reihenfol-gen gebracht oder nach Prioritäten gewichtet werden, Widersprüche einan-der gegenübergestellt oeinan-der einzelne Karten ganz zur Seite gelegt werden, um die Nähe oder Distanz der Ratsuchenden zu den Optionen zu verdeutlichen.

Manche Methoden arbeiten auch mit Metaphern, wie z.B. Karten symbolisch zu zerreißen, zusammen zu kleben oder Formen daraus zu legen.

Auf Pinnwände, A3-Bögen oder Flipchartpapier angeheftet, können die Karten durch Pfeile, Kreise oder Zeichnungen ins Verhältnis zueinander ge-setzt werden.

Diagramme und Strukturbilder

Diagramme und Strukturbilder haben den Vorteil, dass sie bereits mehrere Aspekte ins Verhältnis zueinander setzen. Ich kann Diagramme und Struk-turbilder als Visualisierungen während der Erzählung des oder der

Ratsu-chenden frei entwickeln, oder die bereits angemalte Struktur dem oder der Ratsuchenden zur Füllung anbieten.

Kreisdiagramme symbolisieren beispielsweise die Unter-teilung eines übergeordneten Aspektes in seine Bausteine (z.B. die Auft eilung der eigenen Energien auf verschiede-ne Täti gkeiten im eigeverschiede-nen Alltag).

Zeitleisten ermöglichen die Visualisierung unterschied-licher Etappen in der eigenen Entwicklung, um anschlie-ßend besonders wichti ge Ereignisse für die Verti efung auszuwählen.

Füge ich der x- eine y-Achse hinzu, entsteht aus der Zeit-leiste ein Koordinatensystem, bei dem ich die Ereignisse zu einer weiteren Kategorie ins Verhältnis setzen kann, z.B. die eigene Zufriedenheit oder auch der Bezug zur jetzigen Situati on.

Schnitt mengen erleichtern das Sorti eren von Unter-schieden und Gemeinsamkeiten z.B. beim Abwägen, in welchen Entscheidungsopti onen sich möglichst viele der eigenen Vorstellungen realisieren lassen.

Das Lotus-Diagramm gruppiert zu einem Kernbegriff unterschiedliche Bestandteile. So kann z.B. über die Ein-sti egsfrage, welche Alltagstäti gkeiten die Ratsuchenden bewälti gen, erarbeitet werden, mit welchen Handlungen, Fähigkeiten und Kenntnissen die Ratsuchenden diese Alltagsherausforderungen bereits meistern. Indem an-schließend diese Fähigkeiten mit dem Ausgangsproblem des oder der Ratsuchenden wieder in Beziehung gesetzt werden, lassen sich Ressourcen zur Problembewälti gung ableiten.

Abb. 11: Diagramme und Strukturbilder als Visualisierungstechnik (eigene Darstellung)

Anhand des Lotus-Diagramms lässt sich gut veranschaulichen, wie sich Vi-sualisierungstechniken auf Anliegen und Person der Ratsuchenden anpas-sen lasanpas-sen. Das Lotus-Diagramm mit seiner geometrischen Form wähle ich z.B. eher bei Personen, die mir im Beratungsgespräch ihre technikaffine oder logisch-rationale Seite zeigen. Die Grundstruktur lässt sich jedoch schnell in eine organische Form, wie z.B. eine Blume oder in das offenere Gerüst einer Mindmap übertragen.

Sketchnotes

Diese Visualisierungstechnik braucht etwas Übung, lässt sich jedoch auch von Beraterinnen und Beratern umsetzen, die ihr kreatives Talent sonst eher sel-ten nutzen. Über vereinfachte Symbole und eine Art Bilderwortschatz lassen sich Erzählungen von Ratsuchenden leicht in kleine Zeichnungen übertragen.

Freude Unzufriedenheit Unentschiedenheit Idee

Familie Kollegium Freizeit Finanzen

Favoriten Überraschung Wünsche Abb. 12: Sketchnotes (eigene Darstellung)

Dies hat den Vorteil, dass die Bilder sofort mehrere Gehirnregionen der Rat-suchenden ansprechen, die im reinen Beratungsgespräch nicht aktiviert wer-den. So fällt es z.B. viel leichter, sich in die Lage einer anderen Person hinein zu versetzen, wenn diese einen grafischen Stellvertreter erhält. Ihren Namen hat die Technik vom ‚Kritzeln‘ mit dem Kugelschreiber bei Meetings oder Telefon-gesprächen.1 Durch die Zeichnung erhalten die Ratsuchenden eine Deutungs-variante ihrer Erzählung, auf die er oder sie selbst wieder Bezug nehmen, gegebenenfalls sogar selbst zeichnerisch ergänzen kann.

1 Anregungen für die Entwicklung einer eigenen Bildersprache finden sich z.B. in den Bika-blo®-Büchern von Martin Haussmann. Einzelne Zeichnungen und Videotutorials finden sich außerdem im Internet.

Einsatz von Bildimpulsen …

… zur Aktivierung von Erzählungen

Wenn Ratsuchende von ihrer Situation erzählen, orientieren sie sich an dem, worüber sie sich bereits Gedanken gemacht haben. Manche zählen vor allem die äußeren Ereignisse auf, die zu ihrer Situation geführt haben. Andere be-ginnen, sich zu rechtfertigen oder sind vor allem damit beschäftigt, wie an-dere ihnen Unrecht getan haben. Eine Auswahl von Bildimpulsen bringt die Ratsuchenden auf neue Ideen und bietet eine gemeinsame Grundlage, um auch Gefühle und Werte zur Sprache zu bringen. Als Bildimpulse eignen sich Postkarten2 oder Ausschnitte aus Zeitschriften. Letztere haben den Vorteil, dass ich je nach ausgewählten Zeitschriften eine große Bandbreite an Bildim-pulsen anbieten kann, die oft schon eine bestimmte Stimmung transportieren und zu unterschiedlichsten Ratsuchenden passen können.

Die Ratsuchenden wählen eines oder mehrere Bilder aus, mit deren Abbil-dung sie einen Anteil ihrer Situation verbinden. Die Auswahl kann auch unter bestimmten Fragestellungen erfolgen. Zum Beispiel: „Wählen Sie ein Bild für ihre derzeitige Situation aus und eines für die veränderte Situation.“ Ausgehend vom gewählten Bild, beschreibt der oder die Ratsuchende zunächst, was ihn oder sie an die eigene derzeitige Situation erinnert. Anschließend können z.B.

zunächst Gemeinsamkeiten von Ist- und Sollzustand erarbeitet werden, um von da ausgehend zu überlegen, welche Veränderungen zu den Unterschieden führen könnten. Bildimpulse haben vor allem die Funktion, die Ratsuchenden auf neue, für sie ungewöhnliche Ideen zu bringen.

… als kreative Übungen

Wenn Sie mit Zeitschriftenausschnitten arbeiten, lassen sich die Bilder auch verändern und für kreative Übungen nutzen. So entstehen z.B. Collagen, in de-nen das Bild zur aktuellen und zur gewünschten Situation miteinander kom-biniert aufgeklebt und ggf. beschriftet wird.

… als Metaphern im Beratungsgespräch

Manche Bilder bieten auch so viel Potenzial, dass sie eine Metapher für den weiteren Beratungsprozess liefern. Eine Abbildung mit mehreren leeren Flaschen kann z.B. dafür genutzt werden, zu erarbeiten, womit die Flaschen wieder aufgefüllt werden können, um Energien zu sammeln, damit der oder die Ratsuchende eine Umschulung gut bewältigen kann. Auf dem Fußballfeld kann sich der oder die Ratsuchende mit einer Feldposition identifizieren. Ist er 2 Claus Heragon veröffentlicht Fotosammlungen zu unterschiedlichen Oberkategorien, wie

„Emotionen“, „Veränderungen“ oder „Grenzen“, die vor allem für Coachings gut eingesetzt werden können.

oder sie in seinem bzw. ihrem Unternehmen derzeit eher im Sturm oder eher in der Abwehrposition? Kann er oder sie die eigenen Fähigkeiten in dieser Position optimal einsetzen? Anhand eines Gebirges kann erarbeitet werden, welche Wegzehrung in den Rucksack gepackt werden kann, die zwar Energien liefert, aber auch nicht zu schwer zu tragen ist. Welche Wege wähle ich? Den direkten, der vielleicht einige Hindernisse birgt, die ich zur Seite räumen muss oder den verschlungenen Pfad, der zwar länger dauert, dafür aber weniger Energien bindet? Durch das Angebot einer Auswahl an Bildimpulsen, suchen sich die Ratsuchenden diejenigen Metaphern aus, die für sie auch besonders gut funktionieren. Die Passung der Bildimpulse zum Anliegen des oder der Ratsuchenden stellt sich ein, ohne dass ich als Beraterin oder Berater schon Einfluss nehmen muss.

Den Beratungsraum zur Visualisierung einbeziehen

In unserer Methodensammlung stellen wir eine Variante der Bodenanker-übung (S. 127) vor. Mit Bodenankern zu arbeiten, ist nach unserem Verständ-nis erst einmal eine Technik, die in Methoden unterschiedlich ausgestaltet werden kann.

In der Grundstruktur nutze ich eine freie Fläche, um darauf verschiede-ne Positioverschiede-nen, Wege oder auch Perspektiven auf ein Problem oder Entschei-dungsmöglichkeiten zu versinnbildlichen. In der Regel werden diese als beschriftete Karten im Raum ausgelegt. Abstände und Positionen der Karten zueinander können gemeinsam mit dem oder der Ratsuchenden verändert werden (ähnlich wie bei der Arbeit mit Stichwortkarten s.o.). Anschließend bewegt sich der oder die Ratsuchende von einer Stelle im Raum zur anderen und beschreibt, was er oder sie aus dieser Position im Raum bezogen auf seine Fragestellung wahrnehmen kann. Wie von hier aus Lösungen und neue Ideen entwickelt werden, hängt stark davon ab, wie die Technik in unterschiedli-chen Methoden eingebunden wird (s. als Vergleich Tetralemma (S. 132) und die Bodenankerübung (S. 127)). Einer der Klassiker, bei denen Bodenanker und Stellvertreter miteinander kombiniert werden, ist die Methode „Der leere Stuhl“. Darin werden für unterschiedliche Entscheidungsvarianten Stühle im Raum aufgestellt. Anstatt sich nur auf die Position zu stellen, nimmt der oder die Ratsuchende auf dem Stuhl Platz. Besonders wirkungsvoll ist diese Vari-ante, wenn das Beratungsanliegen mit Konflikten zu tun hat und sich der oder die Ratsuchende in die Position seiner Konfliktpartner und -partnerinnen hi-neinversetzen kann.

Arbeit mit Stellvertretern

Stellvertreter können auf dem Tisch oder im Raum aufgestellt werden. Statt mit Stichwortkarten arbeitet diese Technik mit Gegenständen, denen eine be-stimmte Funktion oder Rolle zugeschrieben wird. Als Stellvertreter können

Spielfiguren, kleine Plastiktiere, Schokoladenbonbons, vom Ratsuchenden selbst gestaltete Knetgummiformen oder im Beratungsraum ohnehin vorhan-dene Büroutensilien verwendet werden.

Der oder die Ratsuchende wählt wiederum die Stellvertreter aus (oder gestaltet sie) bezüglich der im Beratungsprozess gerade aktuellen Fragestel-lung. Welche unterschiedlichen Sichtweisen gibt es auf das Problem? Welche Optionen stehen zur Debatte? Welche Hindernisse stehen im Weg? Je nach Fragestellung können die Stellvertreter dann in ihrer Position zueinander ver-ändert, aussortiert oder sogar umgestaltet werden.

Kommentar zum Einsatz

Methodenbeschreibungen bieten auf den ersten Blick die Sicherheit, dass ich als Beraterin oder Berater recht gut weiß, was auf mich zukommt, wenn ich mit einer bestimmten Visualisierung oder einer bestimmten durch die Metho-de vorgegebene Metapher arbeite. Durch die Beschreibung einer vorgegebe-nen Schrittfolge habe ich eine Orientierung, wie ich Ratsuchende durch den Beratungsprozess begleiten kann. Sie eignen sich besonders, um den Einsatz von Visualisierungstechniken zu üben. Je freier ich die Techniken aber anwen-de und selbst kombiniere, anwen-desto näher komme ich anwen-dem tatsächlichen Anliegen von Ratsuchenden.