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Performativität, Identität, Räumlichkeit, Erfahrung:

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 40-43)

Ästhetische Dimensionen interreligiöser Musikprojekte

Die exemplarische Untersuchung dreier interreligiöser Musikprojekte ver-weist auf die hohe Bedeutung von Musik und klanglicher Performance in interreligiösen Begegnungen. Zukünftige Forschung zu diesem Themen-komplex erfordert unbedingt interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Theologie, Religions-, Musik- und Kulturwissenschaften. Ich möchte ab-schließend die Beobachtungen, die ich anhand der exemplarischen Analy-sen gemacht habe, im Sinne eines zusammenfasAnaly-senden Ausblicks unter fol-genden Aspekten bündeln: Performativität, Identität, Räumlichkeit und religiöse Erfahrung.

Rituelle Performanz – hier insbesondere klangliche Performance durch stimmliche Rezitation oder Gesang sowie durch Instrumentalspiel – ist unverzichtbar für die Hervorbringung und Bestätigung kollektiver religiö-ser Identitäten. Dies gilt für (fast) alle hier vorgestellten Beispiele – für lutherische Erweckungslieder sowie für Gregorianischen Choral, für Qaw-wali ebenso wie für Shõmyõ-Gesänge. Inwieweit dies auch für die avesti-schen Texte in ihrer Neuvertonung mithilfe persischer Modalkomplexe gilt, muss hier offenbleiben. Die hohe Bedeutung der Performativität reli-giöser Klänge für die Konstruktion relireli-giöser Identitäten macht – zusam-men mit ihrer Flüchtigkeit – interreligiöse Musikprojekte zu beliebten Formaten interreligiöser Begegnungen und zu einem Forschungsgegen-stand von weitreichender Bedeutung. Die Eigenschaft von Musik,

Em-pathie zu ermöglichen, macht interreligiöse Musikprojekte zu hervor-gehobenen Erfahrungsfeldern, um verschiedene religiöse Identitäten spie-lerisch zu erproben. Dabei werden die Grenzen kollektiver Identitäten spielerisch überschritten, ohne dass zwangsläufig eine dauerhafte neue Identität eingenommen werden muss.

Dies Hin- und Hergehen scheint insbesondere in dem norwegisch-pakistanischen Projekt «Dialogue» ermöglicht zu werden: Die musikalisch-textliche Collage-Technik lässt beide kollektive Identitäten erkennen, senkt aber die Schwelle zwischen ihnen durch die klangliche Reduktion und die sorgfältige Auswahl der Texte unter dem Gesichtspunkt theologi-scher Konvergenz. Identifikation und Distanzierung werden beim Zuhö-ren so gleichermaßen möglich. Etwas anders stellt sich die Frage im christ-lich-buddhistischen Dialogprojekt: Die Verbindung zweier einstimmiger Gesangstraditionen lässt eine Zweistimmigkeit entstehen, die komple-mentär wirkt, aber gerade dadurch beide religiös-musikalischen Traditio-nen sprengt. Der Zusammenklang lässt nur die gleichzeitige Wahrneh-mung beider Stimmen zu, ein Hin- und Hergehen zwischen beiden ist nicht möglich. Die aufmerksame Hörerin wird vielmehr die Gleichzeitig-keit verschiedenartiger Klänge wahrnehmen und die ästhetische Erfahrung des Zusammenklangs verarbeiten. Wie sich dies auf die Konstruktion re-ligiöser Identität auswirkt, muss hier offenbleiben.

Die Aufführung zoroastrischer Gesänge im christlichen Kirchenraum schließlich verlagert die interreligiöse Begegnung von den musikalischen Klängen weg auf die Interdependenz zwischen Klang und Raum. Mit der performativen Erzeugung von Räumlichkeit durch die Klanglichkeit der Aufführung, die Raumsymbolik und die verschiedenen Akteurinnen und Akteure wird die interreligiöse Begegnung zu einem hochkomplexen, mehrdimensionalen Geschehen. Symbolisch aufgeladene Räumlichkeit einerseits und Klanglichkeit und Körperlichkeit der musikalischen Ak-teur/-innen andererseits werden hier zu den wesentlichen Dimensionen interreligiöser Begegnung. Wie die kontroversen Äußerungen zu inter-religiösen musikalischen Aufführungen in gottesdienstlichen Räumen zei-gen, ist dies die spannungsreichste Gestalt interreligiöser Musikprojekte.

Der Grund dafür liegt in der Affinität von Raum und Macht, die in dieser Form musikalischen Klängen nicht eignet. Klang ist flüchtig und kon-stituiert Identität im Prozess seines Entstehens und Vergehens, Raum dagegen ist materiell und immer schon sozial definiert. Während die Immaterialität und semantische Unbestimmtheit von Musik sie zu einem

bevorzugten Medium des spielerischen Erprobens religiöser und kul-tureller Identitäten macht, setzen Räume Grenzen – selbst da, wo sie rela-tional bestimmt werden. Die verschiedenen Stimmen in der Debatte um die gottesdienstlichen Räume zeigen jedoch, dass räumlich definierte Machtpositionen durch musikalische Performance auch kritisch-kon-struktiv neu gestaltet werden können. Darin liegt eine kaum zu über-schätzende Chance interreligiöser musikalischer Aufführungen in gottes-dienstlichen Räumen, die sorgfältige Reflexion verdient. Die Forschung dazu steht jedoch noch ganz am Anfang.

Schließlich möchte ich die Dimension religiöser Erfahrung durch in-terreligiöse Musikprojekte eigens hervorheben. Auch hierzu ist mir noch keine nennenswerte Forschung bekannt. Bei den von mir im Rahmen mei-ner Feldforschung zum Festival Musica Sacra International interviewten Personen konnte ich jedoch beobachten, wie ästhetische Erfahrung, in der durchaus Differenzen wahrgenommen und verarbeitet werden, in eine af-firmative Grundhaltung gegenüber Angehörigen anderer religiöser und kultureller Traditionen umschlug. Unter den dafür verwendeten Begriffen fand sich mit Abstand am häufigsten der Begriff «Liebe».71 In einigen In-terviews findet sich zur Begründung der Hinweis auf die Wahrnehmung von «Hingabe» bei den Musizierenden. Selbsttranszendierung durch liebe-volle Hingabe stellt eine menschliche Fähigkeit dar, die in vielen religiösen Traditionen als Tugend gilt. Wenn diese Haltung durch interreligiöse Musikprojekte befördert wird, haben sie – jedenfalls punktuell – ihr Ziel erreicht, eine tiefe Empathie zwischen Angehörigen verschiedener religiö-ser Traditionen zu ermöglichen. Empathische Phantasie aber ist – folgt man der Philosophin Martha Nussbaum72 – der Angst entgegengesetzt und bildet daher eine unverzichtbare Voraussetzung für ethisch begrün-dete Wahrnehmungen. Dass interreligiöse Musikprojekte Empathie und ethisch begründete Wahrnehmungen potenziell fördern können, dürfte nach den ersten hier vorgelegten Ergebnissen nicht mehr strittig sein. Da-mit aber sollten sie zukünftig einen bedeutenden Platz in der Theologie und Praxis interreligiöser Beziehungen erhalten.

71 Grüter: Klang – Raum – Religion (Anm. 9), 213 f.

72 Martha Nussbaum: Die neue religiöse Intoleranz. Ein Ausweg aus der Politik der Angst, Darmstadt 2014.

Bettina Strübel / Rainer Kessler

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