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Kreativität und Imagination als ergänzende Ansätze für den interreligiösen Dialog

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 162-167)

Ein nicht-binärer Ansatz

2. Kreativität und Imagination als ergänzende Ansätze für den interreligiösen Dialog

Wenn der theoretische Rahmen, der oben entworfen wurde, nun auf den spezifischeren Kontext des interreligiösen Dialogs im Medium der Kunst angewandt wird, erscheinen einige Aspekte der zeitgenössischen Religiosi-tät in einem neuen Licht. Das Verständnis von interreligiösem Dialog als einem intellektuellen Vorgang wird ergänzt durch andere – z. B. visuelle, musikalische und poetische Dimensionen.20 Dadurch können sich neue

17 Laack: Sound, Music and Religion (Anm. 3); Wijnia: Making Sense through Music (Anm. 1).

18 DeNora: Music in Everyday Life (Anm. 1).

19 Tia DeNora: Music Asylums. Wellbeing through Music in Everyday Life, Farnham 2013.

20 Kate Siejk: Wonder. The Creative Condition for Interreligious Dialogue.

In: RelEd 90/2 (1995), 227–240.

Wege der Verständigung, des Selbstverständnisses und des Zusammenle-bens eröffnen.21 Kunst vermag uns nicht nur als vernunftbegabte Wesen zu berühren, sondern als komplexe erfahrende Wesen mit Gefühlen, An-sichten, Erinnerungen und Hoffnungen für die Zukunft. Innerhalb der Kunst wird offensichtlich, dass die Begegnung mit dem religiös Anderen eine «enorme Herausforderung für Kopf und Herz» darstellt, wie Abraham Joshua Heschel formuliert.22

Intellektualistische Zugänge, die den interreligiösen Dialog als Suche nach der einen Wahrheit verstehen, führen zur Frage, wie verschiedene Wahrheitsansprüche miteinander in Einklang gebracht werden können.

Die Begegnung mit der/dem religiös Anderen stellt aber nicht nur eine intellektuelle Herausforderung dar, sondern auch eine ethische. Sie stellt vor die Frage, wie ich mich auf meinen eigenen Glauben verlassen und gleichzeitig offen und respektvoll mit anderen Sichtweisen umgehen kann.

Kann ich das Anderssein der/des Anderen akzeptieren und können wir miteinander in einer pluralistischen Welt leben?23

Die Künste bieten der individuellen Selbstreflexion eine Plattform, in-dem sie Individualität, Verkörperung, Emotionen und Kreativität anspre-chen und hervorheben. Sie vermögen die menschliche Fähigkeit der Ima-gination zu wecken, wodurch sie die Basis bilden für «eine Art von imaginativem Engagement, das wir beim Lesen eines Romans, beim An-schauen eines Films oder bei der Auseinandersetzung mit einem Kunst-werk zeigen, die aus einer anderen, neuen Perspektive zu uns sprechen»24. Die Künste stellen wesentliche Ansatzpunkte für transformative Metho-den zur Verfügung, die schlussendlich zum Verständnis des Andersseins und der anderen Sichtweisen beitragen. Demzufolge wird die Imagination zur treibenden Kraft, die konkrete Beziehungen mit anderen ermöglicht.25

21 Vgl. z. B. Ruth Illman: Artists in Dialogue. Creative Approaches to Inter-religious Encounters, in: Approaching Religion 1/1 (2011), 59–71.

22 Abraham J. Heschel: No Religion is an Island, in: Fritz A. Rothschild (Hg.): Jewish Perspectives on Christianity, 309–324, hier 312, New York 2000.

23 Ruth Illman: Art and Belief. Artists Engaged in Interreligious Dialogue, London 2012; Ruth Illman / W. Alan Smith: Theology of the Arts. Engaging Faith, New York 2013.

24 Kwame Anthony Appiah: Cosmopolitanism. Ethics in a World of Stran-gers, New York 2006, 85.

25 Rosi Braidotti: In Spite of the Times. The Postsecular Turn in Feminism, in: Theory, Culture, Society 25/1 (2008), 1–24, hier 16.

Die Imagination eröffnet Zugang zu Erfahrungen und Einsichten, die nicht Teil unseres persönlichen religiösen Repertoires sind: Imagination befreit uns von den Grenzen unserer unmittelbaren Erinnerung an Erfah-rungen und öffnet das Fenster zu einer Welt religiöser Verschiedenheit.

Weder verdrängt noch verhärtet die kreative Wahrnehmung Verschieden-heit; sie macht diese uns auf fruchtbare Weise zugänglich. Ein Kunstwerk inspiriert uns, unsere Imagination auszuweiten, um jenseits der Konven-tion das bislang Ungeahnte zu erreichen. So kann die Kunst noch weitere Glieder zu der Kette von Interpretationen hinzufügen, die durch die viel-fachen Versuche, unsere multireligiöse Realität zu begreifen, entstanden ist.26

Musik gilt als besonders geeignet, um interreligiöses Engagement und Dialog zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Religionen zu för-dern. Während Glaube und Handeln Dialogpartner trennen können, bie-tet Musik eine gemeinsame Sprache von Spiritualität und existenziellem Sinn, die sensibel bleibt gegenüber Unterschieden und die Integrität jedes teilnehmenden Individuums wertschätzt.27 Dieser Doppelcharakter von Musik kristallisiert sich heraus in Frank Burch Browns Worten:

«Musik ist nicht nur ein Zeichen von Verschiedenheit unterschiedlicher Gruppen; sie ist einer der Wege Verschiedenheit zu schaffen und zu zei-gen, dass diese von Belang sind. Auch ist Musik nicht nur ein Zeichen zwischenmenschlicher Bindungen; sie ist einer der Wege, jene Verbindun-gen entstehen zu lassen.»28

Im Rahmen von Dialogen ist Musik in besonderer Weise geeignet, Men-schen auf mehreren Bewusstseinsebenen gleichzeitig anzusprechen, und ermöglicht dadurch spirituelle Erfahrungen. Alejandro Garcia-Rivera beschreibt Musik und andere Kunstrichtungen als «lebendige Theologie», womit er Situationen des Dialogs meint, die «das ausleben, was die

‹Lehrbuch-Theologie› versucht zu verstehen»29. Nach Jeremy Begbie ist Musik besonders prädestiniert, in Menschen spirituelle Erfahrungen zu

26 Illman/Smith: Theology of the Arts (Anm. 23).

27 Amir Dastmalchian: Music as a Means of dialogue with/by Muslims, in:

SIRD 26/1 (2016), 92–110, hier 92.

28 Frank Burch Brown: Good Taste, Bad Taste, and Christian Taste. Aes-thetics in Religious Life, New York 2000, 163.

29 Alex García-Rivera: A Wounded Innocence: Sketches for a Theology of Art, Collegeville (MN) 2003, viii.

evozieren; Musik bildet für ihn eine Brücke zwischen Menschen und dem Göttlichen.30 Brown unterstreicht, dass der musikalische Dialog nicht über die

«konzeptuelle Präzision gesprochener Sprache [verfügt]. Dennoch ist Mu-sik sowohl präziser als auch kraftvoller als bloße Worte, wenn es darum geht, dem Inneren und der ‹gefühlten› Bedeutung von Gedanken eine Stimme zu geben, besonders wenn diese Gedanken im Rahmen musikali-scher Ausdrucksweisen geäußert werden.»31

Wie sich dieser Ansatz in der Praxis darstellt, soll nun am Beispiel eines Forschungsprojekts gezeigt werden. Es lenkt den Blick auf Künstlerinnen und Künstler, die sich im interreligiösen Dialog engagieren. In den Jahren 2008–2012 forschte ich über Kunst als Plattform für interreligiösen Dialog und versuchte zu verstehen, wie imaginative und leibbezogene Konzepte, visuelle oder musikalische Ausdrucksformen innovative Ansätze für den Dialog liefern können. Für mein Buch «Art and Belief» (2012) begleitete ich die Arbeit von sechs Künstlerinnen und Künstler, die sich in ihrer Kunst mit religiöser Verschiedenheit und Dialog auseinandersetzen.

Mein Ziel bei der Begleitung dieser Künstler/-innen war eine breit ge-fächerte empirische Studie über interreligiöse Beziehungen. Ich wollte nachvollziehen, wie diese Menschen Dialog verstehen, wer diejenigen sind, die sich entscheiden, für diese Bemühungen all ihre Sinne einzuset-zen, und ich wollte die Lebensrealität dieser Menschen kennenlernen. Wie sehen sie die Welt? Wer bringt sich in einen Dialog ein, der nicht die traditionelle Gestalt hochkomplexer Debatten zwischen einflussreichen und gebildeten Männern annimmt? Dies weckte mein Interesse an Kunst als einem Weg, den interreligiösen Dialog voranzubringen. Welche Auf-fassung von Dialog motiviert Menschen, die mit Musik, Literatur und Film arbeiten?

In meinen Forschungen habe ich versucht, die Gedanken und Reflexi-onen dieser Künstlerinnen und Künstler festzuhalten, sowohl durch in-tensive Gespräche und Schriftwechsel als auch durch Besuche ihrer Aus-stellungen, Lesen von Pressemeldungen und ihren eigenen Texten. Ich wollte verstehen, wie sie das Thema religiöser Verschiedenheit betrachten,

30 Jeremy Begbie: Resounding Truth. Christian Wisdom in the World of Music, London 2007, 15–18.

31 Brown: Good Taste, Bad Taste (Anm. 28), 183.

was sie dazu veranlasst, sich im Dialog zu engagieren und wie sie die Rolle der Kunst in diesem Kontext beurteilen. Aus diesen Gedanken habe ich in dem Buch «Theology and the Arts. Engaging Faith» (2013), das ich ge-meinsam mit Adam Smith herausgebracht habe, eine allgemeinere Theorie entwickelt.

Die Künstlerinnen und Künstler, die an der Studie teilnahmen, waren die Autorin Susanne Levin, die Multimediakünstlerin Marita Liulia, der Sänger und Muezzin Chokri Mensi, die Regisseurin Cecilia Parsberg, der Dirigent Jordi Savall und der Autor Eric-Emmanuel Schmitt. Gründe für die Wahl dieser Künstler/-innen waren, dass sie an Kunstprojekten mit interreligiöser Thematik gearbeitet hatten, dass sie ein eigenes Verständnis von Dialog entwickelt hatten und – natürlich – dass sie gewillt waren, ihre Ansichten und Beweggründe mit mir aufzuarbeiten. Sie haben ihre Wur-zeln in Judentum, Christentum und Islam. Manche der Künstler/-innen bewegen sich problemlos innerhalb des traditionellen Rahmens ihrer eige-nen Religion, während andere nicht religiös gebunden sind, sondern die Rolle distanzierter Beobachter einnehmen. Wieder andere beschreiben ihre religiöse Position mit Begriffen wie Spiritualität und Mystik. Wie viele Menschen im Westen heute empfinden sie die traditionellen Institutionen mit ihren Hierarchien und Lehrsätzen als spröde und sind eher daran interessiert, eine individuelle Spiritualität auf Grundlage von persönlicher Wahl, Selbstverwirklichung und emotional erfüllenden Erfahrungen zu entwickeln.

Die Künstlerinnen und Künstler waren an kreativen Elementen inte-ressiert. Kreativität war dabei immer auch mit einer ethischen Perspektive verbunden, dem Fokus auf Praxis und Imagination statt auf Prinzipien.

Sie wollten Menschen auf einer spirituellen Ebene durch künstlerische Kommunikationsformen – Bilder, Klänge und Geschichten – miteinander verbinden. Die meisten von ihnen betonten jedoch die Notwendigkeit, künstlerische Ansätze mit anderen Arten des Dialogs zu kombinieren. Sie sahen in Kunst nicht den einzig tragfähigen Weg zum Dialog, sondern eine Ergänzung zu anderen Arten des Dialogs, z. B. theologischen Diskus-sionen, politischer Zusammenarbeit, NGO-Projekten und Basis-Initiativen.

Die Betonung der Kreativität war nicht Ausdruck eines Antiintellektua-lismus. Philosophische und praktisch-ästhetische Äußerungen förderten sich gegenseitig.

Die Kunstprojekte innerhalb dieser Forschung weisen eine Fülle von intellektuellen und analytischen Inhalten auf. Der kreative Ansatz sollte

also nicht als bevorzugte Alternative zu anderen Arten des Dialogs betrach-tet werden. Die hier untersuchten Projekte trugen dazu bei, Imagination und interreligiöses Verständnis zu fördern.

Im Folgenden stelle ich den Bericht eines Künstlers aus dem For-schungsprojekt vor.

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 162-167)