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Interkulturelle Begegnungsprozesse aus musikpädagogischer Perspektive

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 128-132)

Ethnomusikologische Perspektiven

5. Interkulturelle Begegnungsprozesse aus musikpädagogischer Perspektive

Das wirft abschließend die etwas allgemeinere Frage nach dem praktischen Umgang mit interkulturell-religiösen Begegnungsprozessen im Europa der Gegenwart auf. Im Folgenden sollen einige Ansätze aus der mit der Eth-nomusikologie verbundenen Inter- und Transkulturellen Musikpädagogik diskutiert werden, die sich seit den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum mit der Entwicklung eines entsprechenden Musikunterrichts be-schäftigt – und deren Diskurse, aber auch Probleme sich gleichfalls auf den Umgang mit musikalisch-interreligiösen Begegnungen übertragen lassen.

Das betrifft bereits die wissenschaftliche Ausgangssituation: Da sich Deutschland erst seit den späten 1990er Jahren offiziell als Migrationsland wahrzunehmen begann, gab es lange nur wenig ethnomusikologische Grundlagenforschung, welche als Basis für entsprechende pädagogische Adaptionen hätte dienen können: Es wurde vereinzelt zu türkischer Musik gearbeitet41, aber mit Blick auf das komplexe kulturelle Mosaik Deutsch-lands ist die bisherige Forschung fragmentarisch. Da die Ethnomusikolo-gie als Disziplin darüber hinaus gerade im deutschsprachigen Raum ver-gleichsweise klein ist, bleibt die notwendige Aufarbeitung schwierig, auch hinsichtlich der religiösen Musikkulturen oder dem durch die Religion be-stimmten Verhältnis zur Musik (was weitere Aspekte wie Gender, Klasse, ethnische Zugehörigkeit usw. umfasst).

Die Kontextualisierung als zentrale ethnomusikologische Perspektive bliebt ein wichtiger Arbeitsschritt auch in der praktischen Umsetzung:

41 Vgl. etwa Martin Greve: Die Musik der imaginären Türkei. Musik und Musikleben im Kontext der Migration aus der Türkei in Deutschland, Stutt-gart/Weimar 2003.

Dies betrifft etwa die große Spannweite der adressierten bzw. thematisier-ten, z. B. religiösen Kulturen – mit einerseits hochgradig liberalen Musli-men, welche geschlechterübergreifend musikalisch aktiv sind, wie etwa eine britisch-iranische Kollegin muslimischen Hintergrunds, die in einem christlich-kulturellen Schulkontext sozialisiert und von der westlichen Kunstmusik, aber auch religiösen Geschichten ästhetisch angesprochen wurde. Als anderes Extrem stehen dem die in dem Jeki-Beispiel erwähnten konservativen Richtungen gegenüber, die nicht nur die geschlechtliche Trennung der Musikausübung betonen, sondern auch wesentlich schwe-rer für – gerade auch öffentliche – interkulturelle Projekte erreichbar sind als jene aus liberalen Kontexten.42 Das Wissen um Kontexte kann aber ebenfalls hinsichtlich der Verortung der Musikausübung weiterhelfen:

Eigene Seminar-Feldforschungen in Bern aus der Zeit von 2008 bis 2017 haben verdeutlicht (und dies lässt sich auch auf andere Kontexte übertragen), dass viele Migrant/-innen ihre Traditionen mitgebracht haben, die jedoch häufig in einem privaten Kontext oder innerhalb eigener Vereine ausgeübt werden. Gerade in Verbindung mit dem Rostocker

«Polyphonie der Kulturen»-Projekt (2006/2008), in dessen Rahmen auch eine CD mit Weltmusik, Musik von Migranten und von interkulturellen Gruppen produziert wurde43, aber auch in Bern hat sich gezeigt, dass Mu-sik als Kontakt mit der öffentlichen Sphäre oft wiederum nur ein Medium für den liberaleren Teil der Migrant/-innen darstellt, während musi-kalische Fusionen im Sinne eines interkulturellen Austauschs vorwiegend in weltlichen und weniger bzw. langsamer in religiösen Kontexten erfolgen.

42 Ich möchte hier nicht zu pessimistisch klingen, aber wie mir ein Vertreter des Verfassungsschutzes im Rahmen eines Rostocker Projektes über rechtsextreme Musik (Britta Sweers und Lena Fassnacht: Polyfonie der Kulturen. Bunt statt braun/HMT Rostock, 2 Tle., 2006/2008) sagte – erreichen kann man jene, die unsicher sind oder schwanken, aber nicht jene, die fundamental in der extremen Position sind. Diese sind nicht Ziel der Toleranzprojekte. Das lässt sich in abgewandelter Form auch auf interkulturelle Begegnungsprojekte übertragen.

Vgl. Britta Sweers: The Public Display of Migrants in National(ist) Conflict Situations in Europe. An Analytical Reflection on University-Based Ethno-musicological Activism, in: Svanibor Pettan / Jeff Todd Titon (Hg.): Oxford Handbook of Applied Ethnomusicology, Oxford/New York 2015, 511–550.

43 Vgl. Anm. 42.

Vielen erfolgreichen musikpädagogischen Projekten geht daher eine Bestimmung der Schnittstellen zwischen den Kulturen voraus – und auch Ba-renboims West-Eastern Divan Orchestra funktioniert nur mit der Schnitt-stelle der westlichen Kunstmusik. In der interkulturellen Musikpädagogik wurde das Auffinden von Schnittstellen zum Kern der praktischen Arbeit:

Zentral für den interkulturellen Schnittstellenansatz, der von Musik-pädagogin Irmgard Merkt44 entwickelt und nachfolgend von Wolfgang Martin Stroh erweitert wurde,45 sind die Elemente (Musik-)Erfahrung, interkultureller Vergleich und kulturelle Transformation. Auf der Basis einer wissenschaftlich grundierten Auseinandersetzung mit einer z. B.

nichtwestlichen Kultur durch den Lehrer oder die Lehrerin steht hier zunächst das Auffinden von interkulturellen Gemeinsamkeiten (oder Schnittstellen) im Mittelpunkt. Damit soll es Schulkindern ermöglicht werden, Zugang zu anderen Musikkonzepten zu erlangen – in Form von Aufführungen, Diskussionen, aber auch in hörender Auseinandersetzung, die sich vom Vertrauten hin zum Unbekannten bewegt, abgerundet durch eine öffentliche Präsentation des Erarbeiteten.

Das dahinterstehende Ziel einer selbstbestimmten und sozial verant-wortlichen Beweglichkeit innerhalb eines multikulturellen Deutschlands durch die Erfahrung mit Musik wurde nachfolgend als transkulturelle Mu-sikpädagogik bezeichnet. Dies war nicht nur mit einer zunehmenden Wahrnehmung von Kultur als einem konstanten Prozess verbunden, wel-cher eine Vielfalt an Bedeutungen produziert,46 sondern auch mit der Er-kenntnis, dass Identitätskonstruktionen extrem vielschichtig sein können.

Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung ist daher eine klare (auch Selbst-)Reflexion der den Projekten zugrundeliegenden, oftmals sehr un-bewussten Kulturkonzepte bzw. -ideale aller beteiligten Seiten: Wie

unter-44 Irmgard Merkt: Das Eigene und das Fremde. Aspekte interkultureller Musikpädagogik, in: Reinhard C. Böhle (Hg.): Möglichkeiten der Interkul-turellen Ästhetischen Erziehung in Theorie und Praxis, Frankfurt a. M. 1993, 141–151.

45 Wolfgang Martin Stroh: Musik der einen Welt im Unterricht, in: Werner Jank (Hg.): Musikdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2005, 185–192.

46 Vgl. als frühen Vorläufer: Volker Schütz: Interkulturelle Musikerziehung.

Vom Umgang mit dem Fremden als Weg zum Eigenen, in: Musik und Bildung 5 (1997), 4–8.

schiedlich die Ausrichtungen sein können, wird gerade anhand der Schlag-worte von Inter-, Multi-, und Transkulturalität deutlich, die jeweils eine andere Herangehensweise betonen:47

Interkulturalität repräsentiert hier die dialogische Begegnung zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen, was zu einem neuen Begeg-nungsraum über das Entdecken gemeinsamer Schnittmengen führen kann, wobei aber kulturelle Differenzen beibehalten werden.

Multikulturalität, geprägt von der Perspektive des kulturellen Relati-vismus, beschreibt eine Form gesellschaftlichen Zusammenlebens, das von einem gleichberechtigten Nebeneinander verschiedener Kulturen aus-geht – d. h. die Kulturen werden als farbiges Mosaik wahrgenommen, in dessen Kontext das Zusammenleben von Anerkennung der Differenzen durch alle Seiten geprägt ist.

Transkulturalität repräsentiert eine wechselseitige Durchdringung, welche zu einer Auflösung der Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen und gleichfalls zur Entwicklung neuer kultureller Verbindungen führt.

Das zunehmende Plädoyer für eine transkulturelle Musikpädagogik kann dabei aber auch als Abgrenzung von weiteren, die pädagogischen Umsetzungen prägenden Konzepten verstanden werden, wie anhand von Dorothee Barths Differenzierung eines normativen, ethnisch-holistischen und konzeptorientieren Kulturbegriffs48 deutlich wird:

Die bewertende oder vorschreibende normative Sichtweise legt (be-wusst oder unbe(be-wusst) jene Normen fest, anhand derer Schülerinnen und Schüler lernen, Musik zu bewerten. Die oftmals in Lehrplänen vorgenom-mene Fixierung auf Werke der Hochkultur als Referenzpunkt steht jedoch der Alltagserfahrung der Schülerinnen und Schüler gegenüber, welche häufig andere Normen – gerade auch hinsichtlich ihrer popmusikalischen Sozialisation oder ihres Migrationskontextes – mitbringen. Dies wirft die Frage auf, was z. B. bei interkulturell-religiösen Projekten jeweils als Referenzpunkt genommen wird.

47 Die Begriffe werden teilweise sehr unterschiedlich definiert. Vgl. etwa Barbara Alge / Oliver Krämer: Glossar zentraler Begriffe, in: dies. (Hg.): Beyond Borders: Welt – Musik – Pädagogik. Musikpädagogik und Ethnomusikologie im Diskurs, Augsburg 2013, 249–256.

48 Dorothee Barth: Ethnie, Bildung oder Bedeutung? Zum Kulturbegriff in der interkulturell orientierten Musikpädagogik [2008], Augsburg 22013.

Barth geht darüber hinaus der Frage nach, inwieweit der Unterricht nicht oftmals von einer ethnisch-holistischen Wahrnehmung geprägt ist, welche eine andere Kultur als Einheit mit einer identifizierbaren kulturel-len Basis betrachtet. Dadurch werden Differenzen innerhalb einer eigent-lich aus individuellen Mikrokulturen bestehenden Kultur negiert und gleichzeitig deutlich abgegrenzt. Dieser Ansatz zeigt sich häufig in päda-gogischen Materialien zu nichtwestlichen Kulturen, welche vor allem das Andere einer fremden Kultur hervorheben (z. B. japanische Shakuhachi-Musik), die Gemeinsamkeiten, etwa mit dem globalen Mainstream, eher übergehen und Musiker/-innen trotz generationsmäßiger oder soziologi-scher Unterschiede auf eine einzige ethnische Klangidentität reduzieren.

Inwiefern liegt dieser Ansatz unbewusst auch interreligiösen Projekten zugrunde?

Der konzeptorientierte Ansatz geht schließlich davon aus, dass ein Indi-viduum sich alle umgebenden kulturellen Elemente als etwas Eigenes an-eignen kann. Ein einzelnes Musikstück oder Genre kann somit eine Viel-falt an Bedeutungen annehmen. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass Teenager – wie Erwachsene – ständig sich ändernde Präferenzen ha-ben. Musik in jeder Form bedeutet hier einen Weg, um eine vielschichtige Identität zu entwickeln – sei es mit Klezmer-Musik, Balkan-Rhythmen oder Hip Hop. Der transkulturellen Musikpädagogik entsprechend geht Barth von einem sehr optimistischen Ideal der Wahlfreiheit bezüglich der kulturellen Determinanten aus – was aber, wie ich hier argumentieren würde, nur in einem liberalen soziokulturellen Kontext funktioniert. Das sind Beobachtungen, die sich auch auf religiös-interkulturelle Projekte übertragen lassen.

Während ich diese Diskurse aus der inter-/transkulturellen Musikpä-dagogik hier nur kurz allgemein skizziert habe, so denke ich, dass viele musikalisch-interreligiöse Projekte von entsprechenden Überlegungen stark profitieren könnten bzw. dass diese als noch weiter auszubauender Orientierungsrahmen dazu beitragen könnten, mögliche Konfliktpunkte und Missverständnisse zu reflektieren.

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 128-132)