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Musik als Grenzphänomen

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 183-186)

Eine Theologie der Musik muss die Musik der religiösen Sphäre nicht nur nach innen, sondern auch gegen außen abgrenzen. Dies ist deshalb nötig, weil Musik ein Phänomen ist, das in der Umwelt vorkommt und dort ein prägnantes, von der Religion unberührtes Eigenleben besitzt.

Was hat es mit diesem Eigenleben auf sich? Musik ist ein zutiefst menschliches Phänomen: ein Phänomen mit hoher existenzieller Relevanz und hoher existenzieller Intensität. Dies sieht man besonders gut in der Identitätsfindungsphase von Jugendlichen, aber auch an der Energie und Begeisterung, mit der Kinder und Erwachsene auf Musik reagieren. Musik involviert – und zwar durchaus körperlich. Und zugleich besitzt sie eine große und notorische hermeneutische Offenheit: Musik ist aus diesem Grund in besonderer Weise geeignet, unter pluralisierten gesellschaft-lichen Bedingungen auf existenziell bedeutsame Inhalte bezogen zu wer-den – und zwar so, dass ich auf einem Konzert inmitten von hunderten Menschen mein Persönlichstes und Intimstes in sie hineinlegen und aus ihr heraushören kann, ohne dass dies zu einem hermeneutischen Konflikt mit den anderen Anwesenden führen würde.

Das bedeutet allerdings nicht, dass Musik hermeneutisch anspruchslos wäre oder der Umgang mit ihr gar gelingen könnte, ohne musikhermeneu-tische Kompetenzen zu besitzen. Es ist meines Erachtens also nicht hilf-reich, wenn immer wieder behauptet oder insinuiert wird, dass es einen unmittelbaren anthropologischen Zugang zu musikalischen Ereignissen gäbe, der ohne kulturell erlernte musikhermeneutische Kompetenzen aus-käme.4

Das heißt konkret: Die moderne musikhermeneutische Selbstverständ-lichkeit, dass Musik Emotionen artikuliere und zu Gefühlen anstifte, ist

4 Vgl. Stefan Berg: Spielwerk. Orientierungshermeneutische Studien zum Verhältnis von Musik und Religion (RPT 60), Tübingen 2011.

nicht einfach anthropologisch gegeben, sondern hat eine komplexe kul-turelle Genese hinter sich. Vereinfacht gesagt: Wir würden Musik anders hören, wäre nicht die Ausarbeitung einer hochdifferenzierten musikalisch-emotionalen Semantik in der seconda prattica am Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert erfolgt. Wir würden Musik anders hören, hätte das emp-findsame Zeitalter des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht die Möglich-keit entdeckt, dass sich musikalische Gefühle nicht bloß in der Perspektive der dritten Person, sondern auch in der der ersten Person artikulieren las-sen: dass man also nicht bloß musikalisch darstellen kann, wie jemand klingt, der traurig ist, sondern dass sich musikalisch artikulieren lässt, dass ich traurig bin – wie es Carl Philipp Emanuel Bach als einer der ersten Komponisten explizit tat. Und wir würden Musik auch anders hören, hätte sich in der Romantik nicht eine radikale hermeneutische Öffnung vollzogen: die Prämisse, dass Musik unaussprechliche Gefühle aussprechen könne, also Gefühle, die sich in der Wortsprache nicht oder nur missver-ständlich wiedergeben lassen. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Mu-sik zu einer höchst subjektiven Sprache für Unaussprechliches, ja, zu einer Sprache, die der Wortsprache in gewissen Hinsichten sogar überlegen ist und die tiefsten Schichten menschlicher Subjektivität erreichen kann.

Unsere modern-westliche musikalische Hermeneutik ist stark von die-ser Vorgeschichte geprägt – und zwar nicht bloß die elitär-klassische Kunst-musik der Opern- und Konzerthäuser, sondern auch die wichtigsten Zwei-ge der musikalischen Popkultur. Die musikhermeneutischen Prämissen, die dabei Anwendung finden, sind uns so vertraut, dass sie uns kaum bewusst sind – und doch sind sie da. Daraus folgt: Die existenzielle Inten-sität unseres Umgangs mit der Musik, sollte uns nicht dazu verleiten, sie ohne Weiteres als Abkürzung zu tieferen anthropologischen Schichten nutzen zu wollen – als eine Abkürzung, über die man um gewisse herme-neutische Probleme herumkäme und unmittelbar über das Menschliche kommunizieren könnte. Natürlich: Im Umgang mit Musik stellen sich gewisse hermeneutische Probleme nicht, die wir im Umgang mit Wort-sprache haben. Dafür sind wir im Umgang mit Musik aber mit anderen hermeneutischen Problemen konfrontiert.

Das skizzierte Eigenleben der Musik kann für die Religion zum Prob-lem werden. An diesem Punkt stellt sich für die Religion eine grundsätzli-che Frage: Wenn die Musik solch ein Eigenleben besitzt, sollte sie nicht besser außen vor bleiben und aus der Religion ausgegrenzt werden?

In der Tradition, in der ich stehe, ist es ja theologisch umstritten, ob die Musik überhaupt etwas in der Religion zu suchen hat und welche Rolle sie darin spielen soll.5 Das eine Extrem des Protestantismus ist sicherlich Huldrych Zwingli, der – obschon selbst sehr musikalisch – die Musik aus den Gottesdiensten und damit aus der Sphäre des reformierten Glaubens verbannte. Musik war für ihn etwas, das nur der profanen Welt angehören sollte; in der Sphäre des Glaubens galt sie ihm als ein Störfaktor, der vom Entscheidendem, dem Wort, ablenkt. Auf der anderen Seite steht Martin Luther, der die musica theologisch so hoch schätzte, dass das evangelische Kirchenlied zu einem wichtigen identitätsstiftenden Merkmal der auf ihn sich berufenden Konfession werden konnte; Musik ist bei ihm also nicht ein Medium des Dialogs, sondern der kämpferischen Abgrenzung: «Ein feste Burg ist unser Gott» als Marseillaise der Reformation, wie es Heinrich Heine formulierte.6

Dass es diese Spannung innerhalb des Protestantismus überhaupt ge-ben kann, hat damit zu tun, dass in ihm ein feines Gespür dafür besteht, dass man sich mit der Musik etwas ins Haus der Religion holt, das eine Eigenwirkung besitzt und sich nicht vollständig kontrollieren lässt. Man kann zwar versuchen, die Musik durch feste funktionale Verankerung in der Grammatik der Religion zu domestizieren, etwa indem man sie an die Wortverkündigung bindet, doch man wird auf diese Weise nie alle Stö-rungen ausschliessen können, die potenziell von der Musik in ihrer her-meneutischen Offenheit ausgehen.

Das Problem schlägt sich noch heute in der Theologie der Kirchen-musik nieder.7 Welche Musik darf im Gottesdienst erklingen? Nur wort-gebundene Musik, also eine solche, die funktional auf die Wortverkündi-gung bezogen werden kann? Oder auch reine Instrumentalmusik, etwa ein Streichquartett?

Die liberal-religionstheologischen Theologen im Gefolge zum Beispiel Schleiermachers sind dabei eher bereit für eine Öffnung, denn ihrer Ansicht nach kann die Sphäre transzendenter Unbedingtheit allerorten in Vollzügen menschlicher Subjektivität aufbrechen, auch – oder vielleicht in

5 Vgl. die Darstellung der einschlägigen Positionen bei Oskar Söhngen:

Theologie der Musik, Kassel 1967.

6 Heinrich Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutsch-land, in: Der Salon II, Hamburg 1834, 80.

7 Für das Folgende vgl. Stefan Berg: Klingende Asche, tönender Staub (Anm. 2).

besonderer Weise – beim Umgang mit reiner Instrumentalmusik. Wir kommen hier in die Nähe der sogenannten Kunstreligion, also jenes Phänomens, das im 19. Jahrhundert entstand und auf der Annahme fußt, dass die Rezeption von gewisser Kunst eine hohe Affinität zum Religiösen habe und entscheidende Inhalte der Religion besser in einem wortlos-ästhetischen Medium kommuniziert werden können als in dem der Wort-sprache.

Demgegenüber vertreten diejenigen Theologen, welche sich in der offenbarungstheologischen Tradition etwa Karl Barths befinden, eine eher zurückhaltende Position. Sie legen Wert auf die Unterscheidung der reli-giösen Sphäre von ihrer Umwelt und wollen sichergehen, dass Gottes Wort nicht mit menschlichen Worten verwechselt wird, wollen, dass The-ologie etwas anderes ist als AnthropThe-ologie, auch wenn es noch so schön klingt und es in einer säkularen Gesellschaft bequem ist, das Religiöse nie-derschwellig ins Spiel bringen zu können.

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 183-186)