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Musik in der interreligiösen Begegnung

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 186-191)

Ich möchte nun die bis hierhin gesponnen Fäden zusammenführen und das Gesagte auf die Frage nach den Chancen und Risiken von Musik für die interreligiöse Begegnung hin auslegen.

Ich habe erstens dargelegt, dass Musik in der Sphäre der Religion kein neutraler Ort ist. Musik ist zutiefst in das Gespinst der Grammatik des religiösen Systems verstrickt. Sie hat einen religiösen Sinn nicht losgelöst von diesem Geflecht, sondern nur in ihm – und das heißt, dass wir die Musik nicht herauslösen können, ohne ihren Sinn zu verlieren oder zu entstellen.

Ich habe zum anderen betont, dass Musik ein Eigenleben besitzt, das größer ist, als das, was sich musikalisch im Inneren des religiösen Systems abspielt. Und: Musik ist kein Phänomen, mit dem man grundsätzliche hermeneutische Probleme umschiffen kann, sondern das eigene herme-neutische Herausforderungen hat.

Was folgt daraus für die interreligiöse Begegnung? – Um dies heraus-zuarbeiten, möchte ich drei konkrete Beispiele durchspielen.

Nehmen wir erstens den Fall, dass sich zwei Gruppierungen aus unter-schiedlichen religiösen Kontexten treffen und bei diesem Treffen Musik erklingt bzw. gemeinsam musiziert wird – und zwar Musik, die keine der

beiden Gruppen aus ihrem religiösen Kontext mitbringt. Man könnte zum Beispiel daran denken, dass bei einem interreligiösen Jugendtreffen Musik einer bekannten Popband gespielt wird. Oder man könnte sich denken, dass eine Gesprächsgruppe vor ihrer Sitzung gemeinsam einen Kanon singt. In diesen Fällen wird genutzt, dass beide Gruppen, unabhängig von ihrer religiösen Identität, einen eigenen Zugang zur Musik haben. Es wird also produktiv eingesetzt, dass Musik ein Eigenleben besitzt, das über das religiöse System hinausgeht und den Einzelnen involviert. Dies macht es möglich, im gemeinsamen Hören oder Musizieren eine gemeinsame Er-fahrung zu machen: gemeinsam etwas zu gestalten, Emotionen zu teilen – kurz: sich als hörende und klingende Gemeinschaft zu erleben. Aber: Diese Funktion könnte im Prinzip auch ein gemeinsames Fußballspiel oder eine gemeinsame Stadtbesichtigung erfüllen. Die Musik mag zwar das Emoti-onale und den Körper, also nonkognititve Bereiche ansprechen, aber ich wäre zurückhaltend mit der Hoffnung, dass damit schon etwas religiös Bedeutsames und theologisch Relevantes für die interreligiöse Gruppe aufgeschlossen und berührt wäre. Man hat sich musikalisch kennen-gelernt, aber nicht religiös. Dennoch will ich dergleichen nicht gering-schätzen. Gemeinsames Musikerleben – oder der gemeinsame sportliche Wettkampf – macht ja etwas mit den Beteiligten: Man erlebt sich gemein-sam in anderer Weise, und dies mag helfen, eine Atmosphäre gegenseitiger Offenheit zu erzeugen, sodass man danach besser auf einander zugehen kann. Die Ebene von Differenzen in religiös-theologischen Hinsichten ist damit allerdings noch nicht zwangsläufig betreten. Man kann von der-gleichen musikalischer Begegnung also bestenfalls eine Vorbereitung dafür erhoffen, im Anschluss auf die Ebene religiös-theologischer Differenzen zu gelangen und auf ihr in einen inhaltlichen Dialog zu treten. Dies kann durch gemeinsames Musikerleben befördert, aber nicht ersetzt werden.

Nehmen wir zweitens den Fall, dass sich zwei Gemeinden oder andere Gruppierungen aus unterschiedlichen religiösen Kontexten begegnen und den je anderen ihre eigene Musik zu Gehör bringen, also einen Teil jener Musik, der in ihrem eigenen religiösen Kontext, eine Rolle spielt: ein Stück der gesungenen Liturgie oder ein Lied, das religiöse Inhalte thematisiert.

Auch in diesem Fall ist für die Hörenden relevant, dass Musik außerhalb des religiösen Systems vorkommt und die musikhermeneutischen Kompe-tenzen der Beteiligten entsprechend grösser sind, als es die Grenze des je-weiligen religiösen Systems markiert. Dies gestattet es den Teilnehmerin-nen und Teilnehmern einer solchen interreligiösen Gemeindebegegnung,

die Musik der anderen als ästhetisches Ereignis wahrzunehmen und einen musikalischen Zugang zum Gehörten zu finden. Aber auch hier wird zwar ein musikalisch-ästhetischer Zugang gebahnt, nicht aber notwendig auch ein religiöser. Genauer gesagt: Welche Bedeutung die zu hörende Musik innerhalb des religiösen Systems der Singenden hat, auf welchen musik-theologischen Prämissen dies fußt und was im Singen bzw. im Gesunge-nen religiös für die singende Gruppe alles mitschwingt, das ist der anderen Gruppe noch lange nicht eröffnet. Wenn man sich zum Beispiel vorstellt, dass eine protestantisch-christliche Gemeinde sich mit einer muslimischen trifft und Bach-Choräle aus dem Gesangbuch zu Gehör bringt, so wird die muslimische Gruppe das Gehörte vielleicht in musikalisch-ästhetischer Hinsicht würdigen können – soweit es ihnen die eigenen hermeneutischen Kompetenzen hinsichtlich dieser spätbarock-geistlichen Musik ermögli-chen. Das, was aber musiktheologisch bei diesem Bachchoral alles für die Protestantinnen und Protestanten in ihrem religiösen System mitschwingt, das muss den Musliminnen und Muslimen ohne weitere Erläuterung und diskursiv-inhaltliche Auseinandersetzung verborgen bleiben: etwa, welche liturgische Funktion ein Gesangbuchchoral besitzt, welche Atmosphäre mit ihm assoziiert wird, was beim Namen Bach – dem fünften Evangelis-ten deutscher Lutheraner – so alles mitschwingt, was der Choral in Vokal-text und musikalischer Textur an theologischen Sinnpotenzialen berührt.

Drittens möchte ich eine interreligiöse Begegnungssituation imaginie-ren, in der die Grenze zwischen zwei sich begegnenden Gruppen ver-schwimmt. Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn eine gemischtreli-giöse Gruppe ein eigens für diesen Begegnungsanlass komponiertes Musikstück aufführt, welches versucht, Elemente aus beiden Religionen aufzunehmen. Auch in einem solchen Fall ist es ein hilfreicher Faktor, dass beide Gruppen aus dem gemeinsamen musikhermeneutischen Fundus außerhalb der Religion schöpfen und einen gemeinsamen ästhetischen Zugang zur Musik finden können. Wie steht es aber um die religiösen Aspekte? Zunächst muss man sich klarmachen, dass in einem solchen Fall bereits inhaltlich-diskursive interreligiöse Dialogarbeit geleistet worden ist, bevor überhaupt gemeinsam musiziert wird. Diese fand im Rahmen der konzeptionellen Vorbereitung und im Zuge der kompositorischen Arbeit statt. Das heißt: Es wurden bereits musiktheologische Überlegungen ange-stellt, welche Elemente der Grammatik der beiden Systeme sich überhaupt dafür eignen, zusammengestellt zu werden und wie das geschehen kann.

Weiter denke ich, dass sich die entstandene Komposition als eine Art

Mischphänomen, das zwischen zwei religiösen Systemen schillert, in reli-giöser Hinsicht nicht von selbst erklärt. Wenn es um mehr gehen soll, als um ein ästhetisches Ereignis, dann braucht es von den Mitwirkenden eigene diskursive Arbeit, die sich damit auseinandersetzt, wie sich das Musizierte zur Grammatik des eigenen religiösen Systems verhält: wie mit dem Schillern zwischen Vertrautheit und Fremdheit umzugehen ist. Auch in diesem Fall muss also über das Musikalische hinaus noch etwas geschehen, damit es zu einer interreligiösen Begegnung und Verständigung kommt.

Was folgt aus alldem? – Zusammenfassend möchte ich dafür plädieren, die theologischen Erwartungen gegenüber der Musik in interreligiösen Be-gegnungen tief zu hängen. Musik kann ohne Frage ein produktiver Faktor sein, welcher zum Gelingen einer interreligiösen Begegnung beiträgt:

durch ein gemeinsames Erleben, das wechselseitige Offenheit und Ver-trauen zu einander fördert. Ich bin aber kritisch hinsichtlich der Hoff-nung, dass über die Musik als solche schon etwas für die religiösen Aspekte in der interreligiösen Begegnung gewonnen wäre. Die Verbundenheit der Musik mit dem Ganzen der religiösen Grammatik kann nicht übergangen werden.

Das Fazit meiner Überlegungen lautet entsprechend: Man kann sich theologisch von Musik erhoffen, dass sie in der Begegnung den Zugang zueinander erleichtert. Man sollte sich meines Erachtens aber nicht erhoffen, dass Musik diskursive Auseinandersetzungen unnötig macht, eine Abkürzung zu nehmen gestattet oder grundsätzliche hermeneutische Probleme der interreligiösen Begegnung oder des interreligiösen Dialogs zu umschiffen vermag. Denn: Weil und insofern Musik Teil der Gram-matik religiöser Systeme ist, bestehen Differenzen zwischen religiösen Systemen auch in musikalischen Hinsichten – und diese müssen ebenso ernst genommen werden wie alle anderen Differenzen auch.

Von Musik sollte man sich also nicht erhoffen, den mühsamen, um wechselseitiges Verständnis ringenden Diskussionen interreligiöser ständigung aus dem Weg gehen zu können. Die Musik ist in meinem Ver-ständnis also dezidiert keine religiös überlegene Sprache, die besser an das Wesentlich-Religiöse heranreichte, als es die Wortsprache tut. Sie mag andere Aspekte der Religion berühren als die Wortsprache – aber es sind bloß andere, und nicht wichtigere oder entscheidendere Ebenen. Das We-sen der Religion ist meiner Überzeugung nach also nicht in einer imaginä-ren anthropologischen Tiefendimension zu finden, sondern schlägt sich

gleichrangig in allen Medien menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten nie-der. Man sollte die Musik in der interreligiösen Begegnung also nicht gegen die Wortsprache ausspielen und hoffen, dass das, was im Medium der Wortsprache mühsam ist, im Medium der Musik einfach wäre. Um den Diskurs – und zwar: den wortsprachlich geführten Diskurs – kommt man in der interreligiösen Verständigung nicht herum.

Setzt man zu große Hoffnungen in die Musik, so besteht meines Erachtens sogar eine Gefahr. Es könnte sein, dass im ästhetischen Schön-klang und im musikalischen Wohlbefinden Differenzen zu schnell unter den Teppich gekehrt werden. In diesem Fall würde das musikalische Einander-Verstehen kaschieren, dass man sich in anderen Hinsichten nicht oder gar missversteht. So gesehen könnte eine übertriebene Hoff-nung hinsichtlich der interreligiösen Potenz der Musik den interreligiösen Dialog sogar eher hemmen.

Konstruktiv gewendet bleibt es aber dabei, dass die Musik ein durchaus produktives Feld interreligiöser Begegnung und Verständigung sein kann.

Dann können die über die Grenze der Religion hinausgehenden musik-hermeneutischen Kompetenzen der Beteiligten eine Atmosphäre erzeugen, die es ermöglicht, vom Ästhetischen her zu musiktheologischen Ebenen zu kommen, von wo aus beliebig weitere Aspekte der involvierten religiösen Grammatiken in den Blick genommen werden können. Unter solchen Be-dingungen soll die Musik das wortsprachliche interreligiöse Gespräch nicht ersetzen, sondern in es hineinführen, ist also nicht Diskurshemmer, sondern Diskursbeschleuniger. Setzt man so an, so wird die Musik nicht mit Erwartungen überfrachtet, sondern ihr eine Rolle zugesprochen, die sie auch zu erfüllen zu vermag.

Dieter Mersch

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 186-191)