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Die ursprüngliche Gemeinschaftlichkeit der Musik

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 195-200)

Improvisation und Alterität

2. Die ursprüngliche Gemeinschaftlichkeit der Musik

Adorno attestiert so zwar im besonderen Maße der Musik, im Grunde je-doch jeder Kunst, wie es ebenfalls in den gesammelten Notizen zur «Äs-thetischen Theorie» heißt, «gleichgültig was sie will und sagt,» ein theolo-gisches Moment.12 Es liegt vor allem darin, dass sie, wie vor allem die Musik bezeugt, nicht nur der Singularität ihr Recht zurückerstattet, son-dern auch der kollektiven Erfahrung einer Gemeinschaft angehört. Gleich-zeitig kommt dem Klang, anders als der bildlichen Magie, auf einzigartige Weise die ‹Gabe› einer buchstäblichen Unwahrscheinlichkeit zu, denn der Ton, der Gesang und seine stimmliche Dimension entspringen nirgends der Natur und ihrem Geräusch, vielmehr scheinen sie von weit her zu kommen, einem Anderen, Transzendenten, um uns, durch die Zeit be-wegt, körperlich zu berühren und aufhorchen zu lassen. Was Adorno da-mit ins Spiel bringt, war indes von Anbeginn an allen Kulturen gegenwär-tig. So ist die Musik für die Antike im Wortsinn ‹Theo-Logie›, insofern sie ursprünglich der Ordnung des ‹Theos›, der Götter entstammt, d. h. nicht menschlich erzeugt, sondern göttlich ‹ge-geben› ist, und das nicht nur seit ihren pythagoreischen Anfängen, insofern ihre Ordnung durch die Zahl und deren Proportion verkörpert wurde, die zugleich die Ordnung des Ganzen, der physis wie des kosmos, spiegelte, sondern auch und im besondere Maße durch den Gesang der Musen, wie er im Proöminum der Hesiod’schen «Theogonie» heraufbeschworen wird.13 Als göttlicher Ge-sang verleiht sie dem Dichter allererst seine Stimme, die zum GeGe-sang anhebt, um von der Herkunft der Götter, von dem «was ist, sein wird und was vorher war» in Gestalt einer mystischen Philosophie zu künden.14 Ähnliches gilt für die orphischen Mythen, die ihren vermeintlichen Sieg über den Tod feiern, oder, im selben Kontext, für den von der Göttin Athene dargebotenen Aulos, der einen Wettstreit zwischen Apollon und Marsyas um das bessere, belebtere und damit auch heiligere Spiel entfacht, welches droht, sogar die Gottheit zu übertrumpfen.

12 Adorno: Ästhetische Theorie (Anm. 4), 403.

13 Hesiod: Theogonie, hg. u. übers. v. Karl Albert, 2., durchges. Aufl., St. Augustin 1983; Proömium, V. 1–115, hier 41 ff.; http://gutenberg.spiegel.de/

buch/theogonie-3295/1 (22.10.2018).

14 A. a. O., 35.

Ich erinnere an diese bekannten Erzählungen, um deutlich zu machen, dass die ans Numinose reichende Kraft des Musikalischen in den ältesten Überlieferungen ubiquitär präsent war. Dessen Motiv ist auf alle nach-folgenden westlichen Kulturen übergegangen, wie es gleichzeitig auch auf ähnliche Weise in den nichteuropäischen Kulturen präsent war. Wir fin-den sie wieder in fin-den mittelalterlichen Monodien, die fin-den ‹Lobgesang›

Gottes wie aus einem Munde anstimmen, um durch sie performativ zur Einheit der Versammlung zu gelangen, die erst die ‹christliche Gemeinde›

stiftet, wie er ebenso in der hochgotischen artifiziellen Mehrstimmigkeit der Notre-Dame-Schule zu hören ist, die beinahe dem komplexen Bau einer Kathedrale gleicht. Dasselbe gilt für die zur Konzentration zwin-genden Motettenkunst der frühen Neuzeit mit ihrer sich beständig neu verwebenden Polyphonie oder für die kristallinen Ordnungen der Ora-torien eines Johann Sebastian Bach, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Musik dient hier nicht nur dem religiösen Ausdruck; sie ist nicht Medium einer anderswo erlebten Transzendenzerfahrung, der sie ihre Mittel verleiht, sondern sie ist selbst Religion, ungeschieden von den Tempeln der Antike oder den hohen Architekturen christlicher Baukunst, mit denen sie ihre Strukturen teilt – denn vergessen wir nicht, dass der antike Tempelbau und die pythagoreischen Gesetze der Musik in ‹Ein-klang› miteinander standen und denselben Idealen gehorchten. Eine ähnliche Gleichung lässt sich ebenfalls für das ‹lange› 19. Jahrhundert aufweisen, etwa wenn Richard Wagners «Ring des Nibelungen» auf dem Rheinfelsen eine pagane Religion zelebriert, um die Embleme der christ-lichen Liturgie auf das romantische Gesamtkunstwerk zu übertragen und sich selbst in den Stand einer erträumten ‹Kunstreligion› zu erheben. Sogar dort – oder vielleicht sogar gerade dort –, wo im Zuge der Zäsuren des 20. Jahrhunderts die ‹Avantgarden› gegen sie rebellierten und sich als

‹Neue Musik› auf den Thron hoben, um mit den Traditionen und ihrem metaphysischen Ballast radikal zu brechen, bleiben die Anklänge ans Theologische oder Religiöse in den kompositorischen Entfaltungen selbst-verständlich – erinnert sei nur an Arnold Schönbergs «Moses und Aron»

und den Versuch, besonders im dritten, nicht auskomponierten Teil die

‹Wüste› als Ort des Nichts und der Unverfügbarkeit und damit als Ur-sprung gleichermaßen einer radikalen Musik wie eines unbenennbaren Absoluten gegenüber der profanen Illusionskraft der Bilder auszuspielen.

Die Opposition beider – die Aron’schen Götzen wie der Glaube an einen transzendenten und unvorstellbaren Gott: «unvorstellbar, weil unsichtbar;

weil unüberblickbar; weil unendlich; weil ewig; weil allgegenwärtig; weil allmächtig»15, wie es gleich zu Beginn der Oper heißt –, werden auch musikalisch durch die Zäsur zwischen alten und neuen Tönen unter-strichen und folglich zum Vehikel einer ausschließlich intellektuellen Operation. Erinnert sei jedoch gleichermaßen an John Cages Berufung auf das altchinesische I Ging und die Mysterien des ‹Zu-Falls›, nicht ver-standen als bloße Kontingenz, sondern, orientiert an den Lehren des Zen-Buddhismus, als – im Wortsinne – Orte eines uns ‹Zu-Fallenden›, einer Wandlung oder Umkehrung in unserem Bezug zur Welt, der vom Vorrang der actio zur passio einer nicht eingreifenden ‹aisthetischen›

Annahme übergeht, um gleichermaßen jeden Ton, jeden Klang und jedes Geräusch wie auch die Einmaligkeit der Stille willkommen zu heißen: «Ich habe nie einen miserablen Ton gehört, nicht einen!» heißt es in seinen Gesprächen mit Daniel Charles: «Ich habe nie einen Ton gehört, der mich an Dekadenz oder Verwesung erinnert».16 Die unterschiedslose Hingabe an jedes beliebige akustische Phänomen gleich welcher Herkunft ist Teil einer askesis, einer fortgesetzten Übung der meditatio, die zugleich an den Empfang eines Absoluten heranreicht. «Each moment is absolute, alive and significant», ergänzt die «Lecture on Nothing» aus Cages «Silence»:

«Blackbirds rise from a field making sound delicious beyond compare.»17 Erinnert sei schließlich auch an Arvo Pärt, an Philip Glass und die immer wieder anklingende Suche nach alternativen Formen von Spiritualität inmitten des 20. Jahrhunderts, sei es in Gestalt eines Dialogs mit indischen Raga-Rhythmen, mit der Gamelan-Musik Indonesiens oder arabischen Mikrotonalitäten. Die Musik unserer Zeit, insbesondere jene, die sich als world music versteht, bedient sich buchstäblich aller möglichen Vokabu-larien, um die Musikerfahrung von Grund auf zu ‹re-spiritualisieren›.

Tatsächlich bekundet dieses nur lose aneinandergereihte Panorama aus der reichen Geschichte europäischer Kunstmusik, die sich zur Popularmu-sik zunehmend indifferenter verhält, quer zu allen Genres einen anhaltend religiösen Zug des Musikalischen; und dies ist nicht eurozentrisch misszu-verstehen, vielmehr ist der scheinbar einseitige Katalog von Beispielen dem

15 Arnold Schönberg: Moses und Aron, Mainz 1957, 7. Die Reihenfolge der Aufzählung wechselt in der Oper, sodass hier kein Vorrang der Negativität behauptet wird.

16 John Cage: Für die Vögel, Berlin 1984, 303.

17 ders.: Silence, London 1971, 113.

einfachen Umstand geschuldet, dass diese Musik in mir am weitesten Fuß gefasst hat.18 Analoge Geschichten können sicherlich auch für andere Re-gionen und Überlieferungen erzählt werden – in der islamischen Musik-welt genauso wie in der chinesischen Musikgeschichte. Aber was bedeutet diese intrinsische Verwicklung zwischen Musik und Religion, mit der im Übrigen die mosaischen Religionen stets in Konflikt standen? Handelt es sich um eine überhistorische Konstante, ein anthropologisches Gesetz, eine zutiefst humane Eigenschaft? Es geht an dieser Stelle nicht, wie man vielleicht meinen könnte, um das Religiöse in der Musik, d. h. um eine Abbildlichkeit oder Verbeugung, worin sich das musikalische Erlebnis zur Magd einer theologischen Erfahrung verdingt, indem sie bereits bestehende Glaubensgehalte adaptiert, um sie zu illustrieren. Stattdessen dienen die empirischen Befunde einem anderen Zweck, nämlich dem Auf-weis der tieferen, man könnte sagen, subkutanen Verbindungslinie zwi-schen musika und religio, wenn wir die Bedeutung der beiden Worte in ihrem ursprünglichen griechischen und lateinischen Sinn lesen. Sie be-haupten keine ästhetische Universalität, keine ‹Ontologie› des Musikali-schen, sondern eine Art gegenseitige Resonanz. Sie entstammt dem, was im re-sonare mitanklingt: das Hören sowie die Zugehörigkeit, der gemeinsam geteilte Raum. Was daher in diesem Sinne die vorangegangenen Überle-gungen aufzuweisen suchten, ist gleichsam eine Ethik des Hörens, worin Musik und Religion aufeinander reagieren und miteinander übereinstim-men.

Bereits die antike musika inkludierte ein komplexes Ganzes aus Lyrik, Klang, Rhythmus und Tanz, die auf das ethos, die Haltung der Beteiligten einwirkte, während die religio direkt auf die ‹Bindung› und communio als ursprünglicher Gemeinschaft hinweist, deren andere Bedeutungsschicht gleichzeitig eine Ethik der Sorgfalt, der Rücksicht oder Achtung aufscheinen lässt, wie sie im Lateinischen mit dem Ausdruck relegere für die gewissen-hafte Beachtung des Ritus, der Regeln und Vorzeichen verbunden ist. Mit Bindung und Bund war natürlich zunächst der ‹Bund› mit der Gottheit gemeint, seine ‹Verbindlichkeit› im wechselseitigen Versprechen, das im Religiösen immer dreifach angezeigt ist: erstens durch das Gesetz und seine Wahrung, das als ‹Ge-Setz› zugleich ein ebenso Gesetztes wie

‹Ge-Gebe-18 Vgl. auch Hans Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland, München 1996.

nes› und damit anderswo Beglaubigtes darstellt – die Menschen empfan-gen gleichsam das göttliche Gesetz wie eine Gabe, wobei hier nur summa-risch auf die ausgedehnten Diskussionen um die «Ethik der Gabe» hin-gewiesen werden soll, wie sie von Marcel Mauss und später noch einmal von Jacques Derrida angestoßen worden ist.19 Zweitens geschieht Bindung durch das Ereignis einer sehr persönlichen Schau, durch Berührung als in-timer Akt einer Meditation wie in der Mystik, zu der das Durchlaufen zahlreicher asketischer Stufen erfordert ist, die sämtlich vorbereitenden Charakter für eine andere Ankunft besitzen, die sich plötzlich und unver-mutet einstellt. Die Bindung geschieht hier als performativer Akt einer einmaligen, alles verändernden Ereignung. Schließlich bedeutet der Bund drittens – und das erscheint mir für unseren Zusammenhang am Wichtigs-ten – als Stiftung einer Gemeinde, die im ChrisWichtigs-tentum auf die ‹Kirche› als deren spezifischer Institution oder Organisationsform überging und eine bestimmte, durch das Religiöse zusammengehaltene Sozialform meinte, wie sie Augustin in seinem «Gottesstaat» erträumte. Viele Religionen ma-nifestieren sich in dieser Triplizität von Regel und Tabu, mystischer Ver-klärung und Reinheit sowie der Stiftung eines Kollektivs, angeleitet durch Ritus, Dogma und Liturgie als den eigentlichen Formen religiösen ‹Dien-stes›, die zugleich den Dienst an der Gemeinschaft vollbringen.

Meine These ist: Die verborgene Verbindung zwischen Musik und Re-ligion liegt in eben dieser Dreifachheit: einerseits zwischen dem ethischen Gesetz des Hörens und Gehörens sowie seiner Verkörperung durch eine mathematische bzw. quasi-mathematische Ordnung, denn die Musik zehrt immer von der Ordnung, die sich in ihr sublimiert; zum Zweiten zwischen der mystifikatorischen Einheit mit einer Transzendenz, wie sie gleichermaßen im Klang und ‹Ein-Klang› mit der Gottheit zum Ausdruck kommt; sowie zum Dritten der Partizipation an einer gemeinsamen ‹Hör-Erfahrung›, die das Selbst und seine ‹Egologie› überwindet oder sogar ganz vergessen lässt. Dem ‹Ein-Klang› entspricht wiederum auf der anderen Seite das von Menschen geschaffene Haus Gottes, dessen Zugehörigkeit ihn jenseits aller humanistischen Selbstermächtigung in ein ‹Ganzes ande-rer Art› stellt. Die Kollektivität des musikalischen Ereignisses und seine

19 Vgl. dazu exemplarisch Michael Wetzel / Jean-Michel Rabaté (Hg.): Ethik der Gabe. Denken nach Jacques Derrida, Berlin 1993, mit Beiträgen von Jacques Derrida, Giorgio Agamben, Bernhard Stiegler, Elisabeth Weber, Jochen Hörich u. a.

elementare, durch den Klang evozierte Sozialität sowie die göttliche oiko-nomia, die den Menschen im gleichen Maße mit der atopischen Alterität eines Nichtmenschlichen konfrontiert, gehören zusammen.

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