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Erweiterte Perspektiven durch die Soundscape-Forschung

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 124-128)

Ethnomusikologische Perspektiven

4. Erweiterte Perspektiven durch die Soundscape-Forschung

Aufgrund der so unterschiedlichen Konzeptionen von Musik und Klang beschäftigt sich die Ethnomusikologie jedoch nicht nur mit Musik im en-geren Sinne als harmonisch geordnete Klänge, sondern auch mit dem Klang im weitesten Sinne, was Umgebungsgeräusche und Lärm mit ein-schließt. Ein zentrales Themenfeld, das in den vergangenen Jahren an wachsender Popularität gewonnen hat, ist dabei die sogenannte Sound-scape-Forschung: In der Auseinandersetzung mit sogenannten soundscapes geht es um die Erkundung von Klanglandschaften – in kartografischer Form, aber vor allem hinsichtlich der Analyse der soziokulturellen und politischen Bedeutungen, die Klängen zugeschrieben werden.32 Diverse,

32 Prägend war hier vor allem Raymond Murray Schafer: The Tuning of the World, New York 1977.

ebenfalls in Bern durchgeführte Forschungsprojekte33 zeigen, dass die emotionale Bindung an Klänge eine zentrale Rolle im menschlichen Leben spielt. Aber auch in vielen Religionen hat der nach außen gerichtete Klang eine wichtige Funktion. Eine der wenigen Ausnahmen unter den großen Weltreligionen ist das Judentum (außerhalb Israels und größerer, insbe-sondere orthodoxer Gemeinden wie in New York), welches – nicht zuletzt aufgrund der jahrtausendelangen Verfolgung – oftmals (wie im Fall des Chassidismus) eine nach innen gerichtete Klanglandschaft entwickelt hat.34

Im Fall des Christentums stellen hier die Kirchenglocken das zentrale nach außen gerichtete Klangelement dar, deren Wahrnehmbarkeit in früheren Jahrhunderten sogar den Kirchenkreis markieren konnte.35 Wie die noch vorhandenen Glockenfamilien größerer Kathedralen oder Dome belegen, prägten die Glocken den menschlichen Alltag – nicht nur als Zeit-messer (z. B. mit einer Mittagsglocke), sondern auch als Signalgeber für Hinrichtungen (Armesünderglocke) und Gefahren (Feuerglocke) – und gelten bis in die Gegenwart hinein als wichtige Warnsignale bei Sturmflu-ten in Norddeutschland. Im Rahmen des Berner Forschungsprojektes konnte das slowenische Team u. a. nachweisen, dass sich vor allem jene von den Kirchenglocken gestört fühlen (und diese zu falschen Zeiten hö-ren), die nicht Kirchenmitglieder sind.

Bereits der Vergleich zu anderen christlichen Denominationen (z. B.

den orthodoxen Kirchen) zeigt, dass jede Glaubensrichtung, ähnlich wie die liturgische Performativität, ihre eigene äußere soundscape hat, da der Umgang mit den Glocken teilweise sehr unterschiedlich sein kann. Das Nebeneinander christlicher Denominationen bedeutet somit auch ein Ne-beneinander von religiösen soundscapes – die sich aber, anders als im Ideal-fall von schallisolierten Räumlichkeiten, gegenseitig durchdringen oder übertönen und somit zu extrem konfliktbelasteten Situationen führen

33 Vgl. z. B. City Sonic Ecology. The Urban Soundscapes of Bern, Ljubljana, and Belgrade (SNF SCOPES Projekt 2014–2017; Projektleitung: Britta Sweers):

http://citysonicecology.com (01.02.2018).

34 Wie auf einem Diskussionsforum im Rahmen der Veranstaltung Tag der Klänge – «Wie klingt Religion in der Stadt?» – im Berner Haus der Religionen (22.10.2017) deutlich wurde, werden aufgrund der derzeit politisch bedrohlichen Situation inzwischen in der Synagoge auch die Fenster geschlossen gehalten.

35 Vgl. dazu Schafer: The Tuning of the World (Anm. 32).

können. So war die Schweizer Volksinitiative «Gegen den Bau von Mina-retten» (umgangssprachlich «Minarettverbot») von 200936 zwar einerseits vor allem auf die architektonische Seite ausgerichtet, legte damit aber andererseits die Basis für eine fehlende Abbildung der muslimischen Be-völkerung in der öffentlichen soundscape, wodurch diese auf einen inneren Klangraum begrenzt wurde.

In Bern ist die muslimische Gemeinde beispielsweise Teil des «Hauses der Religionen» – das, 2002 gegründet, sich seit 2014 in einem eigenen Gebäude am Europaplatz befindet und insgesamt acht Religionsgemein-schaften unter einem Dach beherbergt.37 Obwohl architektonisch für ein religiöses Miteinander präzise durchgeplant, stellt das Gebäude dennoch Herausforderungen aufgrund der als nicht ganz optimal empfundenen Schalldämmung dar. Wie im Kontext einer Diskussionsrunde «Wie klingt Bern» zum Thementag «Tag der Klänge» (24.10.2017) im Haus der Reli-gionen deutlich wurde, muss das klangliche Miteinander permanent neu ausgehandelt werden – etwa wenn die klanglich sehr durchdringenden Hindu-Rituale zeitgleich zu den buddhistischen Meditationen stattfinden.

Hinsichtlich der äußeren soundscape hat sich gerade die Hindu-Gemein-schaft stark an die Schweizer Bedürfnisse angepasst – etwa, indem die An-zahl der Prozessionen reduziert wurde oder auch, indem auf Glocken-klänge im Außenraum verzichtet wurde. Stattdessen wurde, wie Sivakeerty Thillaiambelem (Verein Saivanerikoodam) als Vertreter der Hindu-Ge-meinschaft berichtete, der Klang der christlichen Glocken zu etwas Eige-nem – als Repräsentant für den OM-Klang – adaptiert, indem innerlich beim Klang einer Kirchenglocke gebetet wird. Aus seiner Sicht macht es keinen Unterschied, welche konkrete Glocke hier ertönt.

Bereits die westlich-christlichen Konflikte um die Kirchenglocken illustrieren, dass ein zentrales Problem in der Lautstärke liegt, wobei in der Gegenwart vor allem die Verwendung von elektronischen Hilfsmitteln die Konflikte zwischen den Religionen extrem verstärkt: So wurde im März 2017 in Israel die sogenannte «Muezzin Bill» verabschiedet, wonach Laut-sprecherdurchsagen an religiösen Stätten von 23.00 bis 7.00 Uhr verboten

36 Vgl. dazu Eidgenössische Volksinitiative «Gegen den Bau von Mina-retten», Schweizer Eidgenossenschaft, Bundeskanzlei BK:

https://www. bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis353.html (01.02.2018).

37 Vgl. dazu die Webseite Haus der Religionen – Dialog der Kulturen:

https://www.haus-der-religionen.ch (01.02.2018).

sind – und damit auch der morgendliche Gebetsruf.38 Anders formuliert wurde hier der politisch-religiöse Konflikt durch die Implementierung ei-nes Anti-Lärm-Gesetzes (das sich offiziell gegen eine technische Einrich-tung, den Lautsprecher, richtet) beendet, jedoch nicht wirklich gelöst.

Ähnliche Klangstrategien lassen sich jedoch gleichfalls innerhalb orthodo-xer jüdischer Bevölkerungsschichten beobachten – etwa durch die Ver-wendung von Sirenen zum Beginn und Ende des Sabbats, was etwa in Brooklyn/New York zu entsprechenden Debatten und Fernsehberichten hinsichtlich der Lärmbelastung für die nichtjüdischen und Anwohner li-beralerer Ausrichtungen geführt hat.39

Doch auch Märsche und Prozessionen gehören zu den äußeren Klang-landschaften, welche durch eine entsprechende Kontextualisierung – und Musik existiert niemals in einem neutralen Raum – verstärkendes Kon-fliktpotential in sich tragen: War es in Nordirland bereits der ebenfalls von Musik mit lokal-historisch eindeutig konnotierten Repertoires begleitete Marsch des protestantischen «Orange Order» am 12. Juli zum Sieg des protestantischen William of Orange über den katholischen James II. im Battle of Boyne (1690), so geht es im hinduistischen Kontext auch um den Lärmpegel selbst: So entschied sich der indische Supreme Court – ausge-hend von der Beobachtung, dass Prozessionen (oftmals mit Trommeln und Lautsprechern), die an anderen religiösen Stätten vorbeiziehen, zu Konflikten wegen Lärmbelästigung führen – für die Implementierung ei-ner gesetzlichen Regelung: Da die Verbreitung der entsprechenden Religi-onen mit Trommeln und Lautsprechern in den gesetzlichen Texten nicht ausdrücklich gefordert wird, ist er nicht zwingend notwendig – und muss entsprechend reduziert werden.40

Diese Beispiele werfen eine Vielfalt von Fragen nach dem klanglichen Umgang mit einem religiösen Miteinander auf: Ist es ein kakofones oder

38 Vgl. dazu Raoul Wootliff / Alexander Fulbright: ‹Muezzin bill› passes first hurdle in stormy knesset session, The Times of Israel, 08.03.2017:

www.timesofisrael.com/muezzin-bill-passes-first-hurdle-in-stormy-knesset-session/

(01.02.2018).

39 Vgl. New York Neighbors. Brooklyn Synagogue Siren is Dangerously Loud, CBS, 28.10.2016:

https://newyork.cbslocal.com/2016/10/28/bedford-stuyvesant-syngagoue-siren/

(01.02.2018).

40 Ira Das: Staat und Religion in Indien. Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung, Tübingen 2004, 92.

polyfones Nebeneinander? Unter welchen Voraussetzungen kann ein klangliches Miteinander funktionieren? Gibt es eine dominante Stimme?

Werden weitere Stimmen zugelassen – oder als Bedrohung empfunden?

Welche (auch historischen) Faktoren spielen hier noch mit hinein – wenn man etwa an die Konflikte in den südlichen Gebieten des ehemaligen Ju-goslawiens denkt, wo die religiösen Klänge zugleich hochgradig emotional aufgeladen waren bzw. sind?

5. Interkulturelle Begegnungsprozesse aus musikpädagogischer

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 124-128)