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Kunst und Religion

Im Dokument Musik in interreligiösen Begegnungen (Seite 191-195)

Improvisation und Alterität

1. Kunst und Religion

Als die drei kardinalen Beziehungsweisen zum Absoluten hatte Georg Friedrich Hegel bekanntlich die bildende Kunst mit Skulptur, Bild und Architektur auf die unterste Stufe, die Musik auf die mittlere und Drama und Literatur auf die oberste Stufe in der Hierarchie künstlerischer ‹Wahr-heiten› platziert – sämtlich aber gehen sie der Religion und Philosophie voraus, werden von ihnen ebenso überschattet wie überflügelt. Denn we-der «dem Inhalte noch we-der Form nach», wie es in den «Vorlesungen über die Ästhetik» heißt, erscheine die Kunst als «die höchste und absolute Weise […], dem Geiste, seine wahrhaften Interessen zu Bewusstsein zu bringen»; vielmehr dränge sie von sich her zur Überschreitung durch den Glanz des Heiligen und den Begriff:

«Die eigentümliche Art der Kunstproduktion und ihrer Werke füllt unser höchstes Bedürfnis nicht mehr aus; wir sind darüber hinaus, Werke der Kunst göttlich zu verehren und sie anbeten zu können; der Eindruck, den sie machen, ist besonnenerer Art, und was durch sie in uns erregt wird, bedarf noch eines höheren Prüfsteins und anderweitiger Bewährung», weshalb, so Hegel weiter, in jeder Hinsicht «[…] die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes [ist]».1 Unterstellt wird jedoch in diesem provokativen Diktum, das die gesamte Geschichte der Kulturen einer kontinuierlichen Linearisierung unterzieht, immerhin eine besondere Beziehung sowohl der Ästhetik als auch – im Wortsinne – der ‹Theo-Logie›, der Lehre vom Göttlichen, oder wie es die phänomeno-logische Religionsphilosophie eines Rudolf Otto (übrigens in erklärter

1 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, in: Wer-ke in 20 Bänden, hg. v. Eva Moldenhauer / Karl Markus Michel, Bde. 13–15, Bd. 13, 25.

Opposition zu Hegel) ausgedrückt hatte: dem «Numinosen» als dem un-verfügbaren «Mysterium tremendum et fascinosum»2, zur Wahrheit. Mit höherer Intensität als einer «intellektuellen Anschauung» komme sie aber durch die ‹Logik› des Urteils zur Geltung, so allerdings, dass ihre Be-stimmtheit durch den religiösen Glanz und das ästhetische Scheinen hin-durchgegangen sein muss, um sukzessive ihre Gebundenheit ans Materi-elle oder Transzendente abzustreifen und zuletzt das Reale ganz der Luzidität des Geistes zu unterwerfen.

Was uns hier interessiert, ist die damit behauptete innige Nähe zwischen Kunst und Religion, die als eine Konvergenz weder ästhetisch noch religiös, sondern bezeichnenderweise philosophisch beglaubigt wird.

Sie ist, seit der Antike, durch die Geschichte des Denkens auf ähnliche Weise immer wieder heraufbeschworen worden, sodass sowohl von einer Erfahrung mit Kunst als auch von einer spirituellen Intuition auszugehen ist, die beide, wenn auch fremden Ausdrucks, miteinander konvergieren lässt und in eine tiefere Einheit zueinander stellt. Dass die Kunst von Anfang an mit dem Kultus verwoben ist, worin sie zugleich ihr Auratisches besitzt – die Aura als Nähe, die in die Ferne weist und uns der Erschei-nungen entrückt, indem sie das Anwesende mit der Spur einer Alterität belehnt –, bildete gleichzeitig auch den Ausgangspunkt der Überlegungen Walter Benjamins zum «Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Repro-duzierbarkeit»3. Die Auffassung wird in weiteren Schriften Benjamins wiederholt.4 Bleibt dabei seine Ästhetik – mit ihren Bezügen auf den Surrealismus und Dadaismus sowie auf den gerade erst geborenen Film –

2 Rudolf Otto: Das Heilige, München 31–351963, 28 ff.

3 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit, in: Gesammelte Schriften I.2, hg. v. Rolf Tiedemann u. a., Frankfurt a. M. 1974, 1. und 2. Fassung, 431–507, hier 475; auch 479 f. passim. Die Formulierung fin-det sich bereits in ders.: Kleine Geschichte der Photographie, in: Gesammelte Werke, II.1, hg. v. Rolf Tiedemann u. a., Frankfurt a. M. 1977, 368–385, hier 378.

4 ders.: Das Passagenwerk: Der Flaneur, in: ders., Gesammelte Schriften, V. 1, hg. v. Rolf Tiedemann u. a., Frankfurt a. M. 1982, 560. Ausdrücklich wird in einem Brief an Adorno vom 9. Dezember 1938 die Opposition zwischen Spur und Aura als Schlüssel zum Verständnis des Aura-Begriffs herausgestellt; vgl. ders.:

Gesammelte Schriften I.3, hg. v. Rolf Tiedemann u. a., Frankfurt a. M. 1974, 1102. Nach Adorno meint ‹Aura› insbesondere das, «was an Kunstwerken deren bloßes Dasein transzendiert»; Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frank-furt a. M. 1970, 460.

auf besondere Weise dem Visuellen verpflichtet, hatte sich wiederum Theodor W. Adorno, mit vielfacher Referenz auf Benjamin, bevorzugt dem Medium der Musik, der musikalischen Komposition, zumal der Neuen Musik verschrieben, um in seinem kleinen, jedoch zentralen «Frag-ment über Musik und Sprache» die genuine Theologizität des Musika-lischen direkt zu benennen.5 Denn die Musik sei zwar sprachähnlich, aber nicht Sprache, weil sie sich weder zum Urteil schließe noch sich einem

«System aus Zeichen» füge; vielmehr vollziehe sie eine «urteilslose Syn-thesis», wie die frühen, fragmentarisch gebliebenen Studien zu Beethoven gleich zu Anfang pointieren6 – ein Motiv, das Adorno immer wieder variiert hat und das noch in der «Ästhetischen Theorie» prominent wiederkehrt, um zuletzt in dem zu kulminieren, was im Unterschied zum aussagenden Satz und seiner Bestimmung eine «Konfiguration des Namens» genannt wird.7 Als zentrale Stelle im «Fragment über Musik und Sprache» fährt Adorno fort:

«Gegenüber der meinenden Sprache ist Musik eine von ganz anderem Ty-pus. In ihm liegt ihr theologischer Aspekt. Was sie sagt, ist als Erscheinen-des bestimmt zugleich und verborgen. Ihre Idee ist die Gestalt Erscheinen-des göttli-chen Namens. Sie ist entmythologisierendes Gebet, befreit von der Magie des Einwirkens; der wie immer auch vergebliche menschliche Versuch, den Namen selber zu nennen, nicht Bedeutungen mitzuteilen.»8

Adorno weist die Musik damit dem Gebet, der Liturgie, dem ‹Dienst› zu, gleichzeitig aber entbinde sie sich der Macht, halte sich von jedem verlet-zenden Eingriff fern, denn die Religionen, sei es als Animismus oder seien es die monotheistischen Theologien, bergen in sich die Ambiguität, sich einerseits einem ganz Anderen, Höheren oder Unverfügbaren – im Sinne einer Schöpfung – hinzugeben, andererseits gerade durch die menschliche Beschwörung im Gebet oder durch den Gottesdienst das Unbeherrschbare für sich zu gewinnen und über es Herrschaft erlangen zu wollen, und sei

5 Theodor W. Adorno: Fragment über Musik und Sprache, in: Musikalische Schriften I–III (= Gesammelte Schriften, Bd. 16), hg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 22003, 251–256, hier 251. 256.

6 ders.: Beethoven, Frankfurt a. M. 1993, 32 ff.

7 ders.: Musik, Sprache und ihr Verhältnis im gegenwärtigen Komponieren (= lange Version des Fragments über Musik und Sprache), in: ders.:

Musikphilosophische Schriften I–III, (Anm. 5), 649–664, hier 652.

8 ders.: Fragment über Musik und Sprache (Anm. 5), 252.

es nur durch ein wie immer geartetes demütiges Phantasma. Was die Kunst daher nur berühre, verfalle im Religiösen der Bannung. Viel ent-scheidender jedoch als diese, dem Übersinnlichen anheimgegebene reli-giöse Ambivalenz gegenüber einer Kunstauffassung als spezifisch mensch-licher Feier, ist dabei, wie auch Benjamin betont hat, das im Hintergrund der Überlegungen anwesende Motiv einer jüdischen Sprachphilosophie, die als eine ‹Theorie des Namens› ausbuchstabiert werden kann, ohne jedoch nominalistisch enggeführt zu sein. Im ‹Namen› versammele sich nämlich das Singuläre selbst: als Irreduzibilität jedes einzelnen Dings wie auch seiner unverwechselbaren Existenz und Wahrheit, die gleichzeitig dem Einzelnen seine eigene Würde zurückerstatte – denn der Name sei göttlich, soweit ein jedes seit seiner Schöpfung ein eigenes, unersetzbares Gesicht trage, das nicht auf ein Allgemeines reduziert werden dürfe.9 Das bedeutet auch: Der Name begleitet nicht nur die Phänomene, indem er sie benennt, sondern er entbirgt von sich her ihr Verhülltes – gleich wie das Antlitz Erscheinung ist, die durch alle Maskenhaftigkeit und Ver-stellung hindurch auf die Einzigartigkeit des Geschöpfs, sozusagen seine absolute Persönlichkeit verweist, der es gilt, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Manifestation einer einzelnen Stimme, eines Klangs – Sinn-liches zugleich und Transzendentes – bildet, obzwar immer schon ein Vermitteltes, seine unmittelbare Entsprechung: Etwas, was sowohl Hegel als auch Arthur Schopenhauer wussten, wenn jener der Musik eine Gleichzeitigkeit vom Abstrakten und Konkreten bescheinigte – «denn jeder Ton ist eine selbständige, in sich fertige Existenz», wie es in den Hegel’schen «Vorlesungen über die Ästhetik» heißt,10 während Schopen-hauer weit darüber hinaus gehend in seiner «Welt als Wille und Vor-stellung» einen fundamentalen Bruch zwischen allen anderen Kunst-formen einerseits und der Musik andererseits konstatiert, sofern erstere lediglich darstellend verführen, letztere aber den Willen selbst unmittelbar zum Ausdruck bringe.11

9 Vgl. zur Beziehung Adornos und Benjamins zur jüdischen Sprach-philosophie Anja Hallacker: Es spricht der Mensch. Walter Benjamins Suche nach einer lingua adamica, München 2004; Sigrid Weigel: Walter Benjamin. Die Kreatur, das Heilige, die Bilder, Frankfurt a. M. 2008, sowie Marleen Stoessel:

Aura. Das vergessene Menschliche, München/Wien 1983.

10 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik (Anm. 1), III. Teil, Bd. 15, 159.

11 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, in: ders.:

Sämmtliche Werke in sechs Bänden, Leipzig o. D., Bde. 1 u. 2, Bd. 1, § 38.

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