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Orientalismus-Diskurs als historischer und theoretischer Be- Be-zugspunkt aktueller Islambilder 37Be-zugspunkt aktueller Islambilder37

Im Dokument Rettungsszenarien im Widerstreit- (Seite 47-53)

II Konstruktionen des ‚islamischen Anderen‘ – Histo- Histo-risch-theoretische Kontexte

1. Orientalismus-Diskurs als historischer und theoretischer Be- Be-zugspunkt aktueller Islambilder 37Be-zugspunkt aktueller Islambilder37

Mit dem Begriff des Orientalismus bezeichnet Said eine Tradition des Umgehens mit dem so genannten Orient auf der Ebene von Kultur, Politik, Wissenschaften, Ideologie etc., die die ehemaligen Kolonialmächte seit etwa Mitte des 17. Jahrhunderts sowie die USA seit etwa dem Zweiten Weltkrieg pflegen (vgl. Said 1995: 1f.). Ausgehend von der grundsätzlichen dichotomen Unterscheidung zwischen dem so genannten Orient38 und

37 Aktuelle Orient-Bilder können im Grunde kaum noch als solche bezeichnet werden – sie haben eine deutliche Entwicklung hin zu Islam-Bildern vollzogen, so dass der Islam als bestimmendes Element des gegenwärtigen Orientalismus-Diskurses gesehen werden muss. Nach Jedlitschka stellt die „Verla-gerung im Verhältnis Orient-Okzident vom Orient zum Islam“ (vgl. Jedlitschka 2004: 23) eines der Merkmale des Orientalismus-Diskurses der Spätmoderne dar. Die Einschätzungen, zu welchem Zeit-punkt genau diese Bewegung eingesetzt hat und wodurch sie ausgelöst wurde, unterscheiden sich je-doch: Pinn (Pinn 1997) und Thofern (Thofern 1998) für Deutschland sowie Rath und Sunier (Rath/Sunier 1993) bzw. Rath/Sunier und Meyer (Rath/Sunier/Meyer 1999) für die Niederlande nen-nen die Revolution im Iran (1979) als Ausgangspunkt einer verstärkten Wahrnehmung des Islam in Deutschland und den Niederlanden. In den 1960er und 70ern Jahren wurde dem Islam als Religion der ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei und aus Marokko bzw. der muslimischen EinwanderInnen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien weder in Deutschland noch in den Niederlanden Aufmerksam-keit geschenkt: „Der Islam bzw. eine islamisch orientierte Lebensweise schien nichts zu sein als Be-standteil einer rückständigen, patriarchalischen Kultur, welche die muslimischen MigrantInnen nach einigen Lehrjahren in einer modernen Industriegesellschaft schon hinter sich lassen würden.“ (Pinn 1997: 216; vgl. auch Bartels 2000: 63) Erst die Revolution im Iran bot zum einen MuslimInnen in Deutschland und den Niederlanden einen Anlass, sich selbst mit dem Islam auseinander zu setzen und rückte zum anderen das Thema Islam stärker in den Fokus von Medienberichterstattung und öffentli-chen Debatten über MigrantInnen (vgl. Pinn 1997, 216f.; Thofern 1998: 78ff.; Rath/Sunier 1993: 54;

Rath/Sunier/Meyer 1999: 81). Mit dem Bedeutungsgewinn des Islam in den Niederlanden befassen sich Shadid und van Koningsveld (vgl. Shadid/van Koningsveld 1997: 9). Hafez (vgl. Hafez 1996a:

43), Jedlitschka (vgl. Jedlitschka 2004: 72f.), Gräfe (vgl. Gräfe 2001: 2), Rommelspacher (vgl.

Rommelspacher 2002: 99) und van der Valk (vgl. van der Valk 2006: 231) dagegen sehen die Grund-lage für den Bedeutungszuwachs des Islam und für das Wiedererstarken eines ‚Feindbildes Islam‘ u.a.

in den geopolitischen Abgrenzungsbestrebungen und neuen Notwendigkeiten der Selbstvergewisse-rung des Westens nach dem Wegfall des ‚Feindbildes Kommunismus‘ und setzen damit den Zeitpunkt einer verstärkten Wahrnehmung des Islam um 1990 an. Rath und Sunier (vgl. Rath/Sunier 1993) ver-weisen zudem auf die Funktionalität zur notwendigen Neuorientierung der NATO nach dem Zusam-menbruch der Sowjetunion auf ein ‚neues Feindbild‘ (vgl. Rath/Sunier 1993: 56).

Der Bedeutungsgewinn des Islam für die Selbst- und Fremdzuschreibung von MuslimInnen und für die (Re-)Produktion des Gegensatzes von Orient und Okzident muss sicherlich als Prozess begriffen werden, der sich in mehreren zeitlichen Phasen vollzieht und der weder für Deutschland noch für die Niederlande, noch für alle Bevölkerungsteile und Diskursstränge als linear und homogen gedacht wer-den kann. Genauere Aussagen ließen sich nur durch systematische empirische Längsschnitt-Analysen (z.B. zum Bedeutungsgewinn des Islam in Mediendiskursen oder Selbstdefinitionen von MuslimInnen etc.) erarbeiten. Der Frage nach den Zeitpunkten und eventuellen Auslösern eines Bedeutungszuwach-ses des Islam wird für feministische Zeitschriftendiskurse in Deutschland und den Niederlanden im Rahmen der empirischen Analyse in dieser Arbeit nachgegangen. Für den weiteren Fortgang der vor-liegenden Arbeit ist zunächst nur die ‚Tatsache‘ einer Verschiebung von Orient zu Islam, nicht jedoch ihre genaue zeitliche Verortung und die Bedingungen ihres Einsetzens von Bedeutung. Insofern wird im Folgenden lediglich von ‚Islambildern‘ bzw. der ‚(Re-)Produktion des Islam‘ die Rede sein, nicht jedoch von ‚Orientbildern‘ und der ,(Re-)Produktion des Orient‘.

38 Dieser umfasste nach Said zunächst lediglich Indien, wurde dann jedoch ausgedehnt und auch auf Ge-biete des so genannten ‚Fernen Ostens‘ (China, Japan etc.) bezogen (vgl. Said 1995: 17) bzw. im

An-dem Okzident manifestiert sich der Orientalismus nach Said in verschiedenen Ausprä-gungen: Er bezeichnet zum einen eine traditionelle akademische Disziplin bzw. einen wissenschaftlichen Diskurs in den westlichen Ländern, in dessen Rahmen über den Ori-ent geforscht, gelehrt und gesprochen wird. Zum anderen steht der Begriff des OriOri-enta- Orienta-lismus für eine Denkweise, die die oben genannte Unterscheidung zwischen Orient und Okzident zum Ausgangspunkt für literarische, aber auch politische und theoretische Be-schreibungen des Orients nimmt (vgl. Said 1995: 2f.; Gouda 1995: 44f.).

Verbindend zwischen diesen beiden Formen des Orientalismus und als Regulierung des Austauschs zwischen ihnen etablierte sich nach Said seit dem 18. Jahrhundert der ‚ori-entalistische Diskurs‘:39 Said greift hier auf den Diskursbegriff Michel Foucaults40 zu-rück und bezeichnet damit einen hegemonialen und autorisierten konstruierten Korpus von Theorie und Praxis, mit dessen Hilfe der Orient als Einheit hergestellt, begrifflich besetzt und fortwährend reproduziert wird (vgl. Said 1995: 3).

„My contention is that without examining Orientalism as a discourse one cannot possibly un-derstand the enormously systematic discipline by which European Culture was able to manage – and even produce – the Orient politically, militarily, ideologically, scientifically, and imagi-natively during the post-Enlightenment period.“ (Said 1995: 3)

Der Orient selbst ist im Rahmen des westlichen Diskurses ein mit einer eigenen Ge-schichte, einer Tradition und einem bestimmten Vokabular verbundenes, aber dennoch konstruiertes System von Repräsentationen, auf das im Falle der konkreten Benennung von Aspekten des Orients und ihrer Darstellung in den unterschiedlichsten Kontexten zurückgegriffen werden konnte und kann (vgl. Said 1995: 40). Die Eigenschaft des ori-entalistischen als hegemonialer Diskurs manifestierte sich nach Ansicht Saids in ihrer umfassenden Wirkmächtigkeit:

schluss an den Zweiten Weltkrieg auf die ‚islamische/arabische Welt‘, d.h. den sogenannten Nahen Osten beschränkt (vgl. Said 1995: 285). Siehe zur Essenzialisierung, Konstruiertheit und Eurozentrik der Begrifflichkeiten ‚Orient‘, ,Naher Osten‘ etc. auch Grimm (vgl. Grimm 1997a: 40ff.), zur Beg-riffsgeschichte im deutschsprachigen Raum Berman (vgl. Berman 1997: 16f.). Landow weist darauf hin, dass Said, indem er selbst den Begriff des ‚Orient‘ wiederum nur auf den Bereich des so genann-ten Nahen Osgenann-tens beschränkt und dennoch den Anspruch verfolgt, eine Studie über die Wahrnehmung des Orient durch den Westen zu verfassen, Orientalismen reproduziert, die er eigentlich kritisiert: „The book completely neglects China, Japan, and South East Asia, and it has very little to say about India.

Although purporting to be a study of how the West treats all of the East, the book focuses almost en-tirely upon the Middle East. Its generalizations about the Orient therefore repeat the very Orientalism it attacks in other texts!” (Landow 2002: o.S.)

39 Grimm verweist zu Recht darauf, dass Saids Denkansatz sich in eine breitere Forschungsrichtung, die so genannte Colonial Discourse Analysis – frühere VertreterInnen sind beispielsweise Frantz Fanon und Aimé Césaire – einfügt (vgl. Grimm 1997a: 39). Dies wird jedoch im Folgenden vernachlässigt.

40 Dieser findet auch Eingang in die diskurstheoretische Fundierung der vorliegende Arbeit (siehe genau-er dazu Kapitel V 1. diesgenau-er Arbeit).

„Moreover, so authoritative a position did Orientalism have that I believe no one writing, thinking, or acting on the Orient could do so without taking account of the limitations on thought and action imposed by Orientalism. In brief, because of Orientalism the Orient was not (and is not) a free subject of thought or action.“ (Said 1995: 3, Anm. i.O.)41

Ausgangspunkt für die Entstehung des Orientalismus-Diskurses sind nach Said die Er-fahrungen insbesondere Englands und Frankreichs, die als Kolonialmächte die von ih-nen dominierten Gebiete als geographische, kulturelle, politische, soziologische und historische Einheit entwarfen, über die sie Rechte zu haben glaubten (vgl. Said 1995:

221). Der Orient wurde damit einhergehend durch seine Erforschung und Beschreibung zum Objekt europäischen Wissens (vgl. Said 1995: 39f.). Im Sinne des Foucaultschen Diskursbegriffs entwickelte sich der Orientalismus-Diskurs entsprechend in enger Ver-knüpfung und im Austausch mit der politischen, intellektuellen, kulturellen und morali-schen (kolonialen) Macht. Er ist somit Ausdruck eines dialektimorali-schen Verhältnisses zwi-schen Wissen und Macht (vgl. Said 1995: 12; Gouda 1995: 42f.). Jedlitschka formuliert treffend, das Machtungleichgewicht zwischen Orient und Okzident sei sowohl als Grundlage als auch als Ergebnis des orientalistischen Diskurses aufzufassen: Domi-nanzgesellschaften des Okzidents bedingten durch ökonomische und militärische Macht und behauptete ideologische Überlegenheit die materielle Abhängigkeit und ‚zivilge-sellschaftliche Unterlegenheit‘ von Gesellschaften des Orients und setzten genau diese letztlich wiederum zur Rechtfertigung ihrer eigenen Dominanzposition voraus (vgl.

Jedlitschka 2004: 21; Gouda 1995: 41f.). Insofern sei der Diskurs über den Orient in Deutschland – ergänzend müsste es heißen: wie auch in anderen Ländern des Okzidents – nie nur als ein literarisches und wissenschaftliches Unternehmen zu verstehen; orien-talistische Bilder und Texte seien vielmehr immer im nationalen, historischen,

41 Landow kritisiert, durch diese Aussage, die er zudem für sich selbst nicht habe gelten lassen, habe Said andere, insbesondere WissenschaftlerInnen aus dem arabischen Sprachraum, von der Teilnahme an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über den Orient ausgeschlossen. „For many scholars, one of Orientalism’s most offensive claims was its dramatic assertion that no European or American scholar could ‚know‘ the Orient and that, moreover, all scholarly attempts to do so (except Said’s own) always constituted acts of oppression. In a single dramatic move, which had great appeal for many, Said com-mitted the greatest single scholarly sin: he silenced others by preventing them from taking part in the debate.“ (Landow 2002: o.S., Hervorhebungen i.O.) In konsequenter Bezugnahme auf einen Foucault-schen Diskursbegriff ist eine solche Wendung – einen Diskurs/eine diskursive Formation für die eige-nen Aussagen als nicht gültig zu erachten – tatsächlich theoretisch unhaltbar. Saids Unterscheidung zwischen kolonialen, d.h. nicht-europäischen, aber mit ‚der europäischen Kultur‘ identifizierten, und postkolonialen, d.h. außerhalb der europäischen (Denk-)Tradition stehenden Intellektuellen, auf die Grimm in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der „holy trinity der Postcolonial Studies“ (E. Said, G. Chakravorty Spivak und H. Bhabha) (vgl. Grimm 1997a; Grimm 1997b) hinweist, spricht jedoch dafür, dass Said seinem Denkansatz im Gegensatz zu Foucault kein umfassendes, Subjekte und Ge-sellschaft prägendes Diskursverständnis zu Grunde legt (vgl. Grimm 1997a; Grimm 1997b). Dies kann jedoch an dieser Stelle nicht erschöpfend diskutiert werden (zur diesbezüglichen Kritik an Saids dis-kurstheoretischer Konzeption vgl. Do Mar Castro Varela/Dhawan 2005: 39f.).

schlechtlichen etc. Kontext ihrer Entstehung und Reproduktion zu verorten (vgl.

Jedlitschka 2004: 23).

Diese Verflechtung mit westlicher Herrschaft und die Unterstützung durch hegemoniale Institutionen (auch Bilderwelten, Doktrinen etc.) sicherten dem Orientalismus-Diskurs in den jeweiligen historisch-situativen Kontexten seine Stärke und seine Dauerhaftigkeit zu (vgl. Said 1995: 7; Gouda 1995: 44).42 Die Stärke des Orientalismus und selbst seine Existenz ist jedoch in einer dialektischen Paradoxie nach Said gleichfalls abhängig von der Abwesenheit des Orients als empfundener und erfahrener einflussreicher Gegen-spieler des Okzidents in der zeitgenössischen westlichen Kultur (vgl. Said 1995: 208).

Der Orientalismus-Diskurs kann nur so lange in der gegebenen Form existieren, wie der Orient nicht in der (machtvollen) Lage ist, entsprechend zu antworten, d.h. seinerseits den Okzident zu objektivieren und zu (re-)produzieren (vgl. Said 1995: 74).43

Bestimmte, dem Orient zugeschriebene Merkmale und Dichotomien im Vergleich mit dem Westen sind nach Said vom Beginn seiner Entwicklung an kaum veränderter Grundbestandteil des Orientalismus-Diskurses: Der Okzident konstruiert sich als Norm, als modern, entwickelt, humanistisch, aufgeklärt, egalitär und zivilisiert, der Orient da-gegen wird objektiviert bzw. ent-subjektiviert, erzeugt, skizziert und erscheint meist ne-gativ-spiegelbildlich als rückständig, traditionell, unterentwickelt, inhuman, irrational, hierarchisch-archaisch und barbarisch (vgl. Said 1995: 40).44 Durch diese Kernelemen-te, die angenommene Überlegenheit der westlichen Welt und die dahinterstehende Denkstruktur, der biologisch fundierten Konstruktion von homogenen Gruppen, stellte der Orientalismus-Diskurs im 19. Jahrhundert einen „willing partner“ (Said 1995: 206) der ‚Rassen‘-Theorien und deren binärer, ebenfalls biologisch begründeter Typologie fortschrittlicher oder zurückgebliebener ‚Rassen‘, ‚Kulturen‘ und Gesellschaften dar.

Zusammen mit anderen, als rückständig und degeneriert konstruierten Gruppen wurden

‚die Orientalen‘ infolge dessen in den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften als

42 Said greift zur Klärung der Dauerhaftigkeit orientalistischer Denkmuster auf die Konzeption der ‚kul-turellen Hegemonie‘ von Gramsci zurück (vgl. Said 1995: 7; vgl. auch Gramsci 1995: 1238ff.). Diese ermöglicht die Dauerhaftigkeit und Wirkungskraft der jeweiligen kulturellen Form, also z.B. des Ori-entalismus-Diskurses. Mit den Ambivalenzen in der Gramsci-Rezeption Saids befassen sich Do Mar Castro Varela und Dhawan (vgl. Do Mar Castro Varela/Dhawan 2005: 44).

43 Grimm äußert Kritik an diesem Opfer-Täter-Dualismus und befasst sich mit der damit verbundenen Frage nach möglichem Widerstand der Kolonisierten (vgl. Grimm 1997a: 40f.). Nach Bertrand wurde koloniales Wissen explizit zur Abwehr antikolonialer, häufig islamisch fundierter Widerstandsbewe-gungen in ‚Niederländisch-Indien‘ nutzbar gemacht (vgl. Bertrand 2006: 96).

44 Zur Wechselhaftigkeit von Orientbildern in verschiedenen zeitlichen Phasen siehe Abschnitt 3. dieses Kapitels.

gen und unwandelbar, d.h. unfähig zu jeglicher Entwicklung angesehen (vgl. Said 1995:

206).

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts präsentiert sich der Orientalismus-Diskurs nach Said als auf einzelne Bevölkerungsgruppen des ehemals als Einheit konzipierten Gebietes Orient bezogener, fragmentierter Diskurs: Inzwischen nicht mehr durch England und Frankreich bestimmt, sondern in stärkerem Maße durch die USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Vormachtstellung im so genannten Nahen Osten auch den orientalis-tischen Diskurs nahezu ungebrochen übernahmen, existieren eine Vielzahl hybrider Repräsentationen des Orients. Die spezifische Repräsentation des Islam und der Araber-Innen stellt sich dabei als diejenige dar, die stärker als die Repräsentationen z.B. Chinas, Japans etc. an den bisher beschriebenen traditionellen orientalistischen Diskurs an-knüpft und dessen Charakteristika aufnimmt (vgl. Said 1995: 284).

In den 1980er Jahren zeigt sich nach Said eine stärkere Orientierung der westlichen Repräsentation des Islam bzw. der AraberInnen an tages- und weltpolitischen Gegeben-heiten: Repräsentationen und Reproduktionen des Orientalismus-Diskurses finden sich infolgedessen vermehrt in der Politik, sozialwissenschaftlichen Forschung, medialen Berichterstattung und den Unterhaltungsmedien wie Büchern oder Filmen und sind nach Said vielfach politisch-strategisch motiviert; die vorrangig epistemologische, phi-lologische und literarische Beschäftigung mit dem Orient trat in den Hintergrund (vgl.

Said 1995: 290).45 An dieser Stelle muss jedoch nochmals kritisch eingewandt werden, dass sich auch diese – literarischen etc. – Thematisierungen des Orient immer in enger Wechselbeziehung mit den jeweiligen historisch-situativen Kontextbedingungen entwi-ckelten: Diese für die Ausformung von diskursiven Formationen konstitutiven Wech-selbeziehungen bleiben bei Said teilweise unberücksichtigt (vgl. Jedlitschka 2004: 23).46 Seit den 1950er Jahren, seitdem die als Orient bezeichneten Gebiete an politischer Un-abhängigkeit gegenüber dem Westen gewinnen, befindet sich der Orientalismus nach Said in einer nachhaltigen Krise. Politisch gewandelt, herausfordernder und souveräner widersetzt sich der Orient stärker als zuvor seiner diskursiven Ent-Subjektivierung. Der orientalistische Diskurs, „unfähig, ‚seinen‘ Orient in der neuen Dritten Welt zu erken-nen“ (Said 1998: 90, Hervorhebung i.O.) reagierte daraufhin weder mit der Aufgabe

45 Für die deutschsprachigen Orientwissenschaften trifft dies jedoch explizit nicht zu: Nach Loimeier ver-folgt der überwiegende Teil orient- oder islamwissenschaftlicher Lehrstühle in Deutschland, Öster-reich und der Schweiz auch in den 2000er Jahren noch eine fast ausschließlich philologische For-schungs- und Lehrausrichtung (vgl. Loimeier 2001: 77).

46 Dies verweist bereits auf eine Widersprüchlichkeit in der diskurstheoretischen Konzeption Saids (siehe auch weiter unten in diesem Abschnitt).

seiner Denkstruktur, noch, entsprechend seinem Postulat des immer gleichen, statischen Orients, mit deren Anpassung an den ‚neuen Orient‘47, sondern vielmehr mit einer ver-stärkten Essenzialisierung seines Objektes. Das ‚Wesentliche‘ des Orients und insbe-sondere des Islam wurde weiterhin durch den Rückgriff auf vergangene Mythen, Erfah-rungen und orientalistische Bilder unter völliger Nichtbeachtung ihres ökonomischen, sozialen und politischen Kontextes konstruiert (vgl. Said 1998: 91f.).

Trotz der Krise des Orientalismus, so Said zusammenfassend, überlebten insbesondere in Studien über den Islam und die AraberInnen die hauptsächlichen, traditionellen ori-entalistischen Dogmen: Immer noch besteht die Grundlage jeglichen Denkens über den diesbezüglichen Orient zum einen in der Annahme einer absoluten, systematischen und unaufhebbaren Differenz zwischen dem rationalen und moralisch überlegenen Westen und dem andersartigen und unterlegenen Orient. Auch die Merkmale, die im Rahmen dieser Zuschreibungen stark verallgemeinernd48 aufgegriffen werden, „represent absolu-tely no change over the virulent anti-Islamic polemics of the Middle-Ages and the Re-naissance“ (Said 1995: 287). Zum zweiten werden die klassischen, abstrakten Repräsen-tationen der orientalischen Zivilisation der Beschäftigung mit der Evidenz der moder-nen Gegebenheiten in arabischen bzw. islamischen Staaten und der dort lebenden Men-schen vorgezogen. Gegenstand des orientalistiMen-schen Diskurses sind infolgedessen ent-weder mythische Verklärungen oder die Charakteristika und Errungenschaften vergan-gener arabischer oder islamisch geprägter Gesellschaften. Die Vorstellung der zur Ver-änderung und Modernität unfähigen AraberInnen bzw. MuslimInnen kann so leicht im-mer wieder Bestätigung finden. Entsprechend wird der Orient zum dritten als ewig,

47 Hier zeigt sich nochmals eindrücklich, wie Said betont, „that Orientalism is – and does not simply rep-resent – a considerable dimension of political-intellectual culture, and as such has less to do with the Orient than it does with ‚our‘ world.“ (Said 1995: 12) Der Orient des Orientalismus, so Said an ande-rer Stelle, „gleicht nicht dem Orient, der ist, sondern dem Orient, der orientalisiert wurde.“ (Said 1998:

89) Nach Grimm steht diese Abgrenzung des ‚diskursiven Feldes‘ Orientalismus vom ‚realen Orient‘, die Said vornimmt, im Widerspruch zur ebenfalls von Said postulierten Dialektik zwischen orientalis-tischem Diskurs und den historischen Bedingungen des Orients: Die Repräsentationen des Orientalis-mus seien dabei Instrumente im Dienst der kolonialen Macht und insofern prägend für die koloniale Eroberung, Besetzung und Administration. Grimm bezeichnet diesen Widerspruch als ein zentrales theoretisches Problem der Studien Saids (vgl. Grimm 1997a: 40). Yeğenoğlu führt ebenfalls überzeu-gend aus, dass Said zwar einen Foucaultschen Diskursbegriff heranzieht, seine Ausführungen aber dennoch zwischen den Vorstellungen schwankten, den Orient einerseits als ‚reale‘ und damit vor- oder außerdiskursive Einheit anzusehen und andererseits den Orient vollständig als diskursives Produkt mit materialen Effekten zu konzipieren. Ihrer Ansicht nach zeigt sich darin, dass Said sich trotz anderslau-tender theoretischer Ausführungen noch nicht ganz von der Idee der Sprache als vermittelndem In-strument verabschiedet hat (vgl. Yeğenoğlu 1998: 17ff.). Sowohl Grimm als auch Yeğenoğlu ist in Bezug auf ihre Kritik an der Verwendung des Diskursbegriffes bei Said zuzustimmen.

48 Said formuliert ironisch: „Ein Orientale lebt im Orient, er lebt ein Leben in orientalischer Bequemlich-keit, in einem Zustand orientalischen Despotismus und orientalischer SinnlichBequemlich-keit, getränkt mit einem Gefühl orientalischen Fatalismus.“ (Said 1998: 87)

form, zur Selbstdefinition nicht befähigt und insofern abhängig von den allgemeinen und systematischen Deutungen, Bezeichnungen und Beschreibungen der OrientalistIn-nen wahrgenommen. Viertens erscheiOrientalistIn-nen der Islam und die AraberInOrientalistIn-nen, sicherlich ver-stärkt durch die zunehmende Orientierung orientalistischen Denkens an tages- und weltpolitischem Geschehen, als eine Bedrohung, die der Kontrolle (sei es durch For-schung und Entwicklung oder durch direkte Okkupation) durch den Westen bedarf (vgl.

Said 1995: 300f.).

Für die Analyse von Islambildern in aktuellen Debatten in Deutschland und den Nieder-landen gilt es, den Blick dafür zu öffnen, inwiefern diese von einem historisch gewach-senen orientalistischen Diskurs, wie Said ihn skizzierte, geprägt sind: Schließen sie nahtlos an oder stellen sie Modifikationen, vielleicht sogar (reflektierte) Gegenentwürfe dar? Saids Betrachtungen datieren vom Beginn der 1980er Jahre. Seitdem ist in ver-schiedenen westlichen Gesellschaften und so auch in Deutschland und den Niederlan-den eine deutlich verstärkte Beschäftigung mit dem Islam selbst und der Wahrnehmung des Islam in Wissenschaft, Politik und öffentlichen Debatten zu konstatieren. Die Grün-de dafür sind vielfältig: Migrationsbewegungen und daraus resultierenGrün-de VeränGrün-derun- Veränderun-gen in der Zusammensetzung von Gesellschaften des Okzidents werden verstärkt reflek-tiert, der Islam wird zunehmend auch in Gesellschaften des Okzidents als identitätsstif-tender Bezugspunkt wahrgenommen und es sind vermehrt weltpolitische Ereignisse zu verzeichnen, deren AkteurInnen sich auf den Islam beziehen. Teil dieser erhöhten Auf-merksamkeit für den Islam ist auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Ausar-beitungen Saids, deren Verkürzungen insbesondere aus der Perspektive der postkolonia-len und feministischen Theoriebildung sowie im Rahmen geschichts- und

Für die Analyse von Islambildern in aktuellen Debatten in Deutschland und den Nieder-landen gilt es, den Blick dafür zu öffnen, inwiefern diese von einem historisch gewach-senen orientalistischen Diskurs, wie Said ihn skizzierte, geprägt sind: Schließen sie nahtlos an oder stellen sie Modifikationen, vielleicht sogar (reflektierte) Gegenentwürfe dar? Saids Betrachtungen datieren vom Beginn der 1980er Jahre. Seitdem ist in ver-schiedenen westlichen Gesellschaften und so auch in Deutschland und den Niederlan-den eine deutlich verstärkte Beschäftigung mit dem Islam selbst und der Wahrnehmung des Islam in Wissenschaft, Politik und öffentlichen Debatten zu konstatieren. Die Grün-de dafür sind vielfältig: Migrationsbewegungen und daraus resultierenGrün-de VeränGrün-derun- Veränderun-gen in der Zusammensetzung von Gesellschaften des Okzidents werden verstärkt reflek-tiert, der Islam wird zunehmend auch in Gesellschaften des Okzidents als identitätsstif-tender Bezugspunkt wahrgenommen und es sind vermehrt weltpolitische Ereignisse zu verzeichnen, deren AkteurInnen sich auf den Islam beziehen. Teil dieser erhöhten Auf-merksamkeit für den Islam ist auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Ausar-beitungen Saids, deren Verkürzungen insbesondere aus der Perspektive der postkolonia-len und feministischen Theoriebildung sowie im Rahmen geschichts- und

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