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Feindbild – ‚Spezialfall‘ einer Konstruktion des ‚islamischen Anderen‘ Anderen‘

Im Dokument Rettungsszenarien im Widerstreit- (Seite 80-84)

II Konstruktionen des ‚islamischen Anderen‘ – Histo- Histo-risch-theoretische Kontexte

5. Feindbild – ‚Spezialfall‘ einer Konstruktion des ‚islamischen Anderen‘ Anderen‘

In Bezug auf die Wahrnehmung des Islam in Deutschland und den Niederlanden ist

‚Feindbild‘ seit einigen Jahren ein viel gebrauchter Begriff. Ist dies auch für die hier un-tersuchten Konstruktionen des Islam in feministischen Medien eine brauchbare Annähe-rung? Um dies zu prüfen, ist es notwendig, die spezifische Konstruktionsweise von Feindbildern identifizieren zu können. Daher wird im Folgenden kurz in eine diskurs-analytisch inspirierte Sicht auf Feindbildkonstruktionen eingeführt. Das Ziel dieses Ab-schnittes ist es, damit zum einen ein ‚Werkzeug‘ für die folgende Analyse feministi-scher Medien zu erhalten und zum anderen einen weiteren Baustein des diskursiven Kontextes zu skizzieren, vor dessen Hintergrund sich Islamdiskurse in feministischen Zeitschriften konstituieren.

Wie im Falle vieler populärer und daher oft inflationär gebrauchter Begriffe scheint eine genaue inhaltliche Bestimmung des Begriffes Feindbild nicht einfach: Die hier ver-wandte Literatur verzichtet z.T. genau darauf und fokussiert auf die Beschreibung der Funktionen von Feindbildern (vgl. z.B. Attia 1994; Geiger 1992; Hippler/Lueg 1993b) oder verbleibt auf einer sehr allgemeinen Ebene (vgl. z.B. Weller 2002).88 Link (Link 1994) bzw. Gerhard/Link (Gerhard/Link 1992) dagegen versuchen eine Definition aus diskursanalytischer Sicht, der vor dem Hintergrund der folgenden, ebenfalls an die Dis-kursanalyse angelehnten Untersuchung nachgegangen werden soll. Die inhaltliche Be-stimmung, die Merkmale sowie die Funktionen eines spezifischen Feindbildes Islam werden aufgrund dieses Definitionsversuches fassbarer.

88 Bei Weller findet sich beispielsweise folgende, wenig weiterführende Definition: „Feindbilder sind die aus einem sozial vermittelten dichotomischen Wahrnehmungsmuster resultierenden negativen Einstel-lungen gegenüber einer anderen Gruppe.“ (Weller 2002: 49)

Nach Link bildet ein negatives stereotypes Charakterbild den ersten Bestandteil eines Feindbildes im allgemeinen Sinn. Der Begriff des Charakterbildes weist darauf hin, dass es sich hierbei um ein symbolisch kodiertes und somit nicht unbedingt im wörtlichen Sinn zu verstehendes Konstrukt handelt. Das historisch gewachsene, der Zeit der Auf-klärung entstammende Charakterbild des ‚Fanatikers‘, das auf symbolischer Ebene Irra-tionalität und Wahn repräsentiert und insbesondere in Bezug auf den Islam oder Araber-Innen Verwendung findet, dient ihm an dieser Stelle als Illustration (vgl. Link 1994: 77).

Im Sinne eines zweiten Bestandteils von Feindbildern wird zur symbolischen Kodie-rung dieses Charakterbildes aus einem Reservoir von Kollektivsymbolen geschöpft: Die-ses beinhaltet kollektiv verankerte ikonische und quasi-ikonische Bilder, Begriffe und Merkmale, die Träger spezifischer symbolischer Bedeutungen sind (vgl. Link 1994: 77;

Gerhard/Link 1992: 278).89 Die Kodierung vollzieht sich dabei auf zwei Stufen: Zu-nächst erfolgt eine fundamentale Kodierung innerhalb einer binären Struktur als sub-jekthaftes System, das dem eigenen agierend entgegensteht oder als Teil eines subjekt-losen außersystemischen Chaos, das das eigene System auf unberechenbare Weise gleich einer Naturkatastrophe oder einer Krankheit bedroht. In einem zweiten Schritt er-fährt diese grundlegende symbolische Zuordnung durch die Verknüpfung mit spezifisch kodierten Elementen eine Konkretisierung (vgl. Link 1994: 79f.; Gerhard/Link 1992:

281).

Der Islam und die MuslimInnen erscheinen in diesem Sinne, z.B. personalisiert durch Ayatollah Khomeini, als wahnhaft oder aber, z.B. dargestellt durch die Person Saddam Husseins, als gewalttätige, irrational handelnde ‚Irre‘. Trotz der personalisierten Form der symbolischen Darstellung findet in beiden Fällen aufgrund der damit verbundenen Zuschreibungen (wahnhaft, irrational etc.) eine Verortung innerhalb des außersystemi-schen, subjektlosen Chaos statt. In dieser personalisierten Form fungiert z.B. das Feind-bild Ayatollah Khomeini gleichzeitig als symbolischer Repräsentant für eine als unbe-rechenbar und fanatisch vorgestellte, ebenfalls subjektlose Masse wahnhaft agierender Personen (vgl. Link 1994: 85f.; Gerhard/Link 1992: 279f.). In einem zweiten konkreti-sierenden Schritt erfahren diese groben symbolischen Kodierungen schließlich eine ge-nauere Bestimmung durch die Zuschreibung von entsprechenden bedeutungsbeladenen

89 Die Wahrnehmung und Kennzeichnung solcher Kollektivsymbole insbesondere in ihrer tatsächlich i-konischen Form, die Untersuchung ihres Auftauchens in empirischen Diskursen (Reden, Mediensen-dungen, Artikeln etc.), ihrer Stereotypie sowie ihrer funktionalen Beziehung zu Verhaltensweisen sind grundlegende Themen der Diskursanalyse im Verständnis des Duisburger Instituts für Sprach- und So-zialforschung (vgl. Gerhard/Link 1992: 278). Ausführlicheres zur Kollektivsymbolik bieten die ver-schiedenen Publikationen von Jürgen Link (vgl. z.B. Link 1998; Link 1994) sowie zahlreiche Aufsätze in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift kultuRRevolution (vgl. z.B. Link 1982; Link 1983).

Kollektivsymbolen: Das unberechenbare außersystemische Chaos wird meist repräsen-tiert durch Bilder und Metaphern, die ebenfalls unberechenbare Naturkatastrophen bzw.

Krankheiten bezeichnen (‚Einwanderungsströme‘, ‚Asylantenfluten‘ etc.).90 Das eigene System (der eigene Status, Deutschland, die ‚Festung Europa‘ etc.) erscheint dagegen z.B. als der von einer Krankheit angegriffene eigene Menschenkörper oder als vom Un-tergang bedrohtes Schiff. Entsprechend dieser symbolischen Kodierung durch Begriffe, die Naturkatastrophen oder Krankheiten91 bezeichnen, ist nach Link IslamistInnen z.B.

nicht mit auf Dialog angelegten, sondern nur mit Hilfe technischer Lösungen zu begeg-nen (vgl. Link 1994: 79).

Den dritten, eng mit dem Bezug auf Kollektivsymbolik in Verbindung stehenden Be-standteil eines Feindbildes bildet nach Link die Schaffung einer Subjekt-Situation, d.h.

einer imaginären Situation, in die sich der Rezipient oder die Rezipientin durch das Feindbild in seiner bisher beschriebenen Form versetzt fühlt. Durch den Rückgriff auf bestimmte Kollektivsymbole (z.B. den ‚eigenen Körper‘ oder das ‚eigene Haus‘) und bestimmte Betrachtungsperspektiven bei Bildern (etwas Bedrohliches kommt perspekti-visch auf den Betrachter/die Betrachterin zu) wird das abstrakte Feindbild zur individu-ell nachvollziehbaren Bedrohung und löst eine hohe emotionale Beteiligung aus:

„(…) [D]as symbolische Feindbild [wirkt dadurch] wie ein superscharfes Fernrohr (…): es nä-hert die Bedrohung auf Hautnähe an, holt die Tausende von Kilometern entfernten Fanatiker ins Wohnzimmer hinein.“ (Link 1994: 83, Hervorhebung i.O.)

In seiner Gesamtheit schließlich, in der Auswahl der herangezogenen Kollektivsymbole sowie der damit verbundenen Bedeutungen knüpfen Feindbilder nach Link an beste-hende Kulturtypologien und historisch verankerte orientalistische Bilder und Erzählun-gen an, konkretisieren, aktualisieren und verstärken diese: Die Aufnahme latent vorhan-dener Diskurse über ‚den/die Anderen‘ und der entsprechend transportierten Merkmale und Wertungen begründet zum einen die Dauerhaftigkeit und die inhaltliche Stabilität von Feindbildern. Zum anderen ist es dadurch möglich, in vergleichsweise kurzer Zeit und mit wenig Aufwand ein Feindbild – gleich einem „Geist aus der Flasche“ (Klemm 1993: 18) – zum Leben wiederzuerwecken (vgl. Link 1994: 85; Gerhard/Link 1992:

286f.; Rommelspacher 2002: 100).92 Dabei wird immer auch das ‚eigene‘ Selbstver-ständnis mit verhandelt:

90 Vgl. dazu z.B. die Beiträge von Sabine Schiffer (vgl. Schiffer 2005), Ute Gerhard (vgl. Gerhard 1992) und verschiedene Aufsätze in Jung/Wengeler/Böke (vgl. Jung/Wengeler/Böke 1997).

91 Metaphern aus Bereichen wie Krankheiten und Naturkatastrophen sind v.a. auch aus antisemitischen Diskursen bekannt (vgl. z.B. Schiffer 2005b: 46).

92 Link beschreibt beispielhaft die Produktion des ‚Feindbildes Saddam Hussein‘: Jahrelang war dessen

„Im Feindbild wird der Andere in einer widersprüchlichen Bewegung sowohl fremd gemacht, also in die Distanz geschoben, wie auch vereinnahmt, indem er mit eigenen Vorstellungen aus-gestattet wird, namentlich in Form von Gegenbildern.“ (Rommelspacher 2002: 100)

Daraus erklärt sich schließlich auch die Wechselhaftigkeit der westlichen Bilder des O-rients in verschiedenen zeitlichen Phasen, die im Abschnitt 3. dieses Kapitels beispiel-haft für den deutschen Kontext aufgezeigt wurde: Sie variierten zwischen Verherrli-chung und Ablehnung, je nachdem, in welcher Phase der Selbstkonstitution sich europä-ische Gesellschaften befanden und je nachdem in welchem Machtverhältnis sich Orient und Okzident gegenüber standen (vgl. Rommelspacher 2002: 100).

Diese genaue Beschreibung der inhaltlichen Ausgestaltung des ‚Feindbildes Islam‘ und der Mechanismen seiner (Re-)Produktion soll für die folgende Analyse feministischer Islamdiskurse sensibilisieren: Inwiefern entsprechen feministische Konstruktionen des Islam und von MuslimInnen der hier skizzierten Konstruktionsweise? Die Figur des

‚Feindbildes Islam‘ bildet außerdem einen zentralen Bestandteil aktualisierter, histo-risch verankerter Konstruktionen des Islam, vor deren Hintergrund feministische Zeit-schriften ihre Beiträge zum Thema Islam entwickeln. Ob und inwiefern sich dieser Hin-tergrund evtl. prägend auswirkt, wird im Rahmen der Analyse von Argumentationswei-sen in feministischen Zeitschriften ersichtlich werden.

Auffällig ist jedoch, dass die hier genannten Betrachtungen zur Konstitution eines Feindbildes Islam die mögliche Bedeutsamkeit der Strukturkategorie Geschlecht für die inhaltliche Ausgestaltung dieses Feindbildes ignorieren. Diese Leerstelle begreife ich im Rahmen der vorliegenden Analyse auch als Herausforderung, indem ich einer even-tuellen Vergeschlechtlichung von Feindbildkonstruktionen im untersuchten Material, d.h. in feministischen Zeitschriften, Aufmerksamkeit widme.

Darstellung in den Medien als positiv gezeichneter Gegenentwurf zu den ‚Fanatikern‘ Ayatollah Kho-meini und Muammar al-Gaddafi zu verstehen. Als anlässlich des Zweiten Golfkrieges der Bedarf eines solchen Feindbildes offensichtlich wurde, gelang es den westlichen Medien durch Anknüpfung an die bereits seit den 1980er Jahren bestehenden Feindbilder ‚Ghaddafi‘ und ‚Khomeini‘ sowie an das tradi-tionelle Orientstereotyp, innerhalb kürzester Zeit das ‚Feindbild Saddam Hussein‘ neu zu entwerfen und mit einer eigenen Symbolik zu versehen (vgl. Gerhard/Link 1992: 284f.). Link verweist in seiner ausführlichen Beschreibung der Genese dieses Feindbildes darauf, dass in dessen Darstellung eine in-teressante Entwicklung vom an Hitler erinnernden ‚Irren‘ hin zum strategisch handelnden Zyniker zu verzeichnen ist: Symbolisch erfährt das Feindbild damit eine durchaus selten zu beobachtende Verla-gerung vom subjektlosen Chaos zum subjekthaften Gegensystem (vgl. Link 1994: 87f.).

Im Dokument Rettungsszenarien im Widerstreit- (Seite 80-84)