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Folgen der Anschläge des 11. September 2001

Im Dokument Rettungsszenarien im Widerstreit- (Seite 197-200)

IV Diskursereignisse zum Thema Islam in deutschen und niederländischen Massenmedien

2. Diskursereignisse Niederlande

2.4 Folgen der Anschläge des 11. September 2001

„Nergens in Europa leidden de terroristische aanslagen op het World Trade Center en het Pen-tagon tot zoveel uitingen van publiek wantrouwen tegen de islam als in Nederland.“301 (Prins 2000a: 11)

Die beschriebene Vorgeschichte bildete den Hintergrund der vehementen und polari-sierten Reaktionen in den Niederlanden auf die Anschläge des 11. September 2001: In keinem anderen europäischen Land waren im Verlauf des Septembers 2001 so viele Anschläge auf muslimische und christliche Einrichtungen sowie eine derart aggressive Stimmung gegen MuslimInnen im Allgemeinen im Alltagsleben zu verzeichnen wie in den Niederlanden (vgl. Prins 2000a: 11; Phalet/ter Wal 2004b: 10; van der Valk 2006:

nannten El-Moumni-Affäre bieten Phalt und ter Wal (vgl. Phalet/ter Wal 2004a: 51f.).

299 In bekannt gewordenen Aussprüchen bezeichnete Theo van Gogh MuslimInnen als ‚Ziegenficker‘;

Kolumnist Ephimenco erklärte den Islam zu einer ‚Krankheit, die den Geist antaste und die Wirklich-keit verforme‘ (vgl. Prins 2000a: 41; Fennema 2002: 6f.). Siehe ausführlicher zu Theo van Gogh auch den Abschnitt 2.7 in diesem Kapitel.

300 Im Endeffekt bekam El-Moumni vor Gericht Recht: Nach Ansicht der Richter hatte er nur seine religi-öse Überzeugung geäußert, so dass Klagen wegen Diskriminierung gegen ihn fallen gelassen werden mussten (vgl. Prins 2000a: 41).

301 „Nirgends in Europa führten die terroristischen Anschläge auf das World Trade Center und das Penta-gon zu so vielen Äußerungen öffentlichen Misstrauens gegen den Islam wie in den Niederlanden“ (Ü-bers. D.M.).

232ff.).302 Bevölkerungsumfragen ergaben klare Mehrheiten für Vorschläge wie die Ausweisung radikaler MuslimInnen, so sie Verständnis für die Anschläge in den USA äußern sollten (vgl. Fennema 2002: 13; EUMC 2006: 37f.);303 in verschiedenen Artikeln wurde radikale Kritik an Islamismus und Islam geäußert und mit absurd erscheinenden Forderungen – wie z.B. die eines ‚Islamverbots‘ in den Niederlanden304 – verbunden.

Fennema verweist jedoch explizit darauf, dass in den ersten vier Wochen nach den An-schlägen insgesamt nicht von einer umfassenden anti-islamischen Hetze in den großen niederländischen Tages- und Wochenzeitungen die Rede sein könne. In verschiedenen Medien waren jedoch Artikel zu finden, die die Argumentationslinie eines sich abzeich-nenden ‚Zusammenpralls der Zivilisationen‘ in Frage stellten, auf der Suche nach einer Begründung für die Anschläge auch die Außenpolitik der USA kritisierten oder auch gemäßigten MuslimInnen ein Forum boten, um ihren Einschätzungen Gehör zu ver-schaffen (vgl. Fennema 2002: 2ff.).

Die größte Aufmerksamkeit in den niederländischen Medien erhielten Berichte über ei-ne Gruppe Jugendlicher mit marokkanischem Migrationshintergrund, die anlässlich der Nachricht über die Anschläge in den USA feiernd durch die Straßen der Kleinstadt Ede zogen. Trotz ungesicherter Quellenlage305 brachten fast alle Tageszeitungen die Nach-richt über die vermeintlichen Anhänger Bin Laden in Ede, die vehemente Empörung in der niederländischen Öffentlichkeit erzeugte, auf der Titelseite (vgl. Top 2002: 8).

Die Ergebnisse zweier Umfragen sorgten schließlich für eine weitere öffentliche Emoti-onalisierung: Laut einer Erhebung der multikulturellen Wochenzeitung Contraste, deren Ergebnisse eine Woche nach den Anschlägen veröffentlicht wurden, äußerte eine knap-pe Mehrheit der befragten MuslimInnen Verständnis für die Anschläge. Dass aber dem Verständnis zum Trotz gleichzeitig die überwältigende Mehrheit der Befragten die An-schläge dezidiert ablehnte, fand demgegenüber kaum Beachtung (vgl. Fennema 2002:

302 Im Auftrag des Ministers für Großstadt- und Integrationspolitik untersuchte Fennema die Reaktionen der niederländischen Tages- und Wochenpresse zwischen dem 11. September und dem 11. Oktober 2001 (vgl. Fennema 2002). Dabei stößt er auf Berichte über die genannten Anschläge und gewalttäti-gen Übergriffe, schließt aber dennoch nicht aus, dass deren Zahl in den Niederlanden gegewalttäti-genüber ande-ren EU-Ländern durch ein gut funktionieande-rendes Melde- und Berichtswesen in Bezug auf Diskriminie-rung ‚überhöht‘ ist (vgl. Fennema 2002: 14). Der Bericht des Dutch Monitoring Center on Racism and Islamophobia gibt einen detaillierten Überblick über die gewalttätigen Reaktionen in den Niederlanden zwischen September und Dezember 2001 (vgl. DUMC 2002).

303 Dieses Ergebnis, veröffentlicht am 26. September 2001 in der Zeitung de Volkskrant, erbrachte eine Umfrage des Meinungs- und Marktforschungsinstituts NIPO (vgl. Fennema 2002: 13f.).

304 Geäußert von Paul Fentrop im Wochenmagazin HP/de Tijd am 5. Oktober 2001 für den Fall, dass sich herausstellen sollte, dass ‚die Ideologie des Islam‘ nicht mit ‚westlichen Werten‘ vereinbar sei (vgl.

Fennema 2002: 18; Top 2002: 9f.).

305 Zwei Wochen nach dem Erscheinen der Nachricht musste diese widerrufen werden. Dies wurde je-doch in der Öffentlichkeit kaum beachtet (vgl. Top 2002: 8).

11ff.; Top 2002: 8). Einer am 26. September 2001 veröffentlichten Studie des NIPO (Nederlands Instituut voor de Publieke Opinie en het Marktonderzoek) zufolge befür-worteten 60 Prozent der niederländischen Bevölkerung die Ausweisung von MuslimIn-nen, sofern sie ‚anti-westliche Einstellungen‘ zeigten (vgl. Fennema 2002; Top 2002:

9). ExpertInnen schätzten zwar beide Studien aufgrund ihrer Anlage und der jeweiligen Fragestellungen als nicht vertrauenswürdig und in wissenschaftlicher Hinsicht fraglich ein; aufgrund der aufgeheizten Stimmung in der niederländischen Öffentlichkeit spielte dies jedoch kaum eine Rolle (vgl. Top 2002: 9).

Nachdem einige niederländische Medien die sich abzeichnende anti-muslimische Stimmung mit immer weiter gehenden Forderungen aufheizten, wurde zunehmend (Selbst-)Kritik an der Medienberichterstattung laut (vgl. Top 2002: 9).306 JournalistIn-nen mit muslimischem Hintergrund erhielten viel Raum in der Tages- und Wochenpres-se, um ihre Kritik und gegenläufigen Einschätzungen zu äußern; auch führende Politike-rInnen verwiesen auf die verantwortungsvolle Rolle von Medien in Krisenmomenten.

Viele Medien entwickelten eine zweigeteilte Vorgehensweise: polarisierenden Kolum-nen und Kurzberichte wurden von ausführlichen und differenziert recherchierten Hin-tergrundartikeln begleitet, die das gewachsene Informationsbedürfnis der LeserInnen zum Thema Islam stillen sollten (vgl. Top 2002:11).

Die Reaktionen des überwiegenden Teils der politischen Entscheidungsträger glichen denen in Deutschland: Die Anschläge wurden mehrheitlich nicht nur als Angriffe auf die USA, sondern auch auf westliche Werte wie Freiheit und Demokratie interpretiert und infolgedessen die Notwendigkeit einer solidarischen Haltung gegenüber den USA nicht in Frage gestellt. Innenpolitisch wurde ähnlich wie in Deutschland die ‚Wieder-herstellung bzw. Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit‘ zu einem zentralen Thema erklärt und die Ausweitung der Kompetenzen des Algemeene Inlichtingen en Veilig-heidsdienstes (AIVD), der dem deutschen Verfassungsschutz ähnelt, und der Sicher-heitskräfte beschlossen. Zusätzlich verabschiedete die Regierung im Dezember 2003 das Wet terroristische misdrijven, das u.a. den Zusammenschluss von Gruppen mit dem Ziel des Begehens terroristischer Straftaten und das Werben für den bewaffneten Kampf insgesamt unter Strafe stellt (vgl. Ministerie van Binnenlandse Zaken en Koninkrijksre-laties 2004).

306 Diese zunehmend kritische Haltung war sicherlich auch der Anlass für die bereits zitierte Kurzstudie Meindert Fennemas, die durch den Großstadt- und Integrationsminister in Auftrag gegeben wurde (vgl. Fennema 2002).

Auch wenn die Anschläge des 11. September vor dem Hintergrund der bereits aufge-heizten Stimmung im Vorfeld nicht als ein tatsächlicher Wendepunkt im massenmedia-len Diskurs der Niederlande bezeichnet werden können, so war in Folge der Anschläge doch ein deutlicher Bedeutungszuwachs des Islam in der politischen Debatte – eine „‚is-lamisering‘ van diversiteits- en integratievraagstukken“307 (Gorashi 2006: 5) – zu ver-zeichnen. Insgesamt jedoch begreift Fennema die Reaktionen auf die Anschläge in de-mokratischer Hinsicht als Fortschritt, da die Angriffe gegen den Islam, wie er resümiert, weitgehend durch IslamwissenschaftlerInnen und MuslimInnen selbst – ergänzend muss gesagt werden: auch durch kritische Stimme vieler autochthoner – pariert werden konn-ten (vgl. Fennema 2002: 22).

Im Dokument Rettungsszenarien im Widerstreit- (Seite 197-200)