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Islam und/oder Islamismus als weltpolitische Bedrohung?

Im Dokument Rettungsszenarien im Widerstreit- (Seite 174-179)

IV Diskursereignisse zum Thema Islam in deutschen und niederländischen Massenmedien

1. Diskursereignisse Deutschland

1.2 Islam und/oder Islamismus als weltpolitische Bedrohung?

Verschiedene Ereignisse in hauptsächlich von MuslimInnen bewohnten Ländern oder Regionen erhielten internationale Aufmerksamkeit und wurden auch in deutschen Me-dien ausführlich diskutiert. Dabei ist auffällig, dass es sich zum einen meist um negativ konnotierte Ereignisse handelte, die in westlichen Medien als Bedrohung empfunden wurden oder als solche dargestellt werden konnten. Dies steht sicherlich in Zusammen-hang mit den Bedingungen medialer Öffentlichkeit und den Konkurrenzstrukturen des Mediengeschäfts, darüber hinaus aber auch mit den bereits genannten negativen Einstel-lungen gegenüber dem Islam, an die die Medienberichterstattung anknüpfen konnte (vgl. u.a. Hafez 2000b; Schiffer 2005). Hafez stellt im Zuge seiner Analyse des Gewalt-bildes des Islam in der deutschen Presse fest:

„Bei der Berichterstattung über den Islam und über Muslime werden selbst anspruchsvolle ü-berregionale Presseorgane zu intellektuellen Sensationsblättern, die historisch vorgeprägte Feindbilder stabilisieren, statt sie zu korrigieren“ (Hafez 1996b: 3).

Zum anderen ist auffällig, dass die Berichterstattung über verschiedene muslimische Länder konjunkturelle Phasen aufweist: Im zeitlichen Kontext eines bestimmten Ereig-nisses nimmt das Ausmaß medialer Aufmerksamkeit für ein Land sprunghaft zu, um nur wenige Jahre später – und oft trotz wenig veränderter Bedingungen in den betreffenden Ländern – wieder weitgehend zu versiegen.

Als ein erstes diskursives Ereignis, das den Islam als weltpolitisch relevanten Faktor im massenmedialen Diskurs in Deutschland präsent werden lässt, muss die ‚Islamische Re-volution‘ im Iran im Februar 1979 genannt werden. Der machthabende westlich orien-tierte Schah wurde gestürzt und die islamische Präsidialrepublik durch den aus dem französischen Exil zurückgekehrten Ayatollah Khomeini proklamiert. Frauen wurden dabei sehr restriktiven Regelungen unterworfen (z.B. Einführung einer strengen Klei-derordnung für Frauen, Ahndung eines Ehebruchs seitens der Frau mit Steinigung, etc.).

Die ‚Islamische Revolution‘ sollte nach dem Willen der Ayatollahs auf den gesamten so genannten Nahen Osten ausgeweitet werden. Für die Medien vieler westlicher Staaten und so auch für die deutschen Medien waren diese Ereignisse der Anlass, dem Islam und MuslimInnen – sowohl als weltpolitische AkteurInnen als auch als EinwanderInnen im ‚eigenen‘ Land – erstmals erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Nachdem ‚Religion‘

zuvor in den durch Säkularisierungsprozesse geprägten westlichen Industrienationen als zu vernachlässigende Kategorie galt, trat nun zu Beginn der 1980er Jahre die politische Brisanz radikaler und politisch ideologisierter religiöser Vorstellungen in das öffentli-che Bewusstsein (vgl. Hafez 1996b: 2).

Bereits im Verlauf der 1970er Jahre waren verschiedene Ereignisse im Rahmen des is-raelisch-palästinensischen Konfliktes zu verzeichnen. Dazu zählt zum Beispiel der so genannte Schwarze September 1970, in dem eine Fraktion der Palästinensischen Befrei-ungsorganisation (PLO) erstmals als gewaltförmig agierende Gruppierung auf internati-onaler Ebene auf sich aufmerksam machte, weiterhin die Entführung und Ermordung von Mitgliedern der israelischen Olympiamannschaft durch Mitglieder der PLO wäh-rend der Sommerspiele in München 1972, sowie der so genannte Jom-Kippur-Krieg 1973, der ein Ölembargo gegen westliche Partnerstaaten Israels nach sich zog und so den westlichen Staaten ihre starke Abhängigkeit von den Ölförderungen arabischer Staaten vor Augen führte. Im Oktober 1977, im Kontext des ‚Deutschen Herbstes‘, ent-führte ein palästinensisches Kommando schließlich ein Flugzeug der Lufthansa mit dem Ziel, die Freilassung von RAF-Gefangenen zu erpressen. Zwar wurden die genannten Ereignisse auch in deutschen Medien vehement diskutiert und als bedrohlich wahrge-nommen; Hauptakteurin auf palästinensischer Seite war jedoch zu diesem Zeitpunkt die PLO, deren Gründung national-politisch, nicht jedoch religiös begründet war und die sich auch bei ihren Aktionen nicht explizit auf den Islam bezog. Erst mit der Gründung der islamistischen Hamas während der 1987 beginnenden so genannten Ersten Intifada

trat der Islam als politischer Bezugspunkt im Rahmen des ‚Nahost-Konfliktes‘ stärker zu Tage. Da der Umsturz im Iran 1979 dezidiert auf einer politischen Ideologisierung des Islam beruhte, wird dieser als Initialzündung einer Wahrnehmung des Islam als be-drohlicher Faktor auf weltpolitischer Ebene aufgefasst (vgl. Pinn 1997: 216ff.; Thofern 1998: 78ff.).

Diese Wahrnehmung wurde durch die zeitliche Koinzidenz der Ereignisse im Iran und in Afghanistan zusätzlich konturiert: Muslimische Kämpfer in Afghanistan zogen gegen Ende der 1970er Jahre, zum Zeitpunkt des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan 1979, bzw. in abnehmendem Maße bis zum Ende des Bürgerkrieges gegen die sowjeti-sche Besatzerarmee (bis 1989) die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und so auch der deutschen Medien auf sich. Wie auch im Iran erschien ‚der Islam‘ als kämpferische, fanatisierte und ideologisierte Religion, deren politische Brisanz 1979 auch durch die nahezu zeitgleich stattfindenden Ereignisse im Iran und in Afghanistan deutlich wurde (vgl. u.a. Der Spiegel 1992).

Der bald nach der Revolution 1980 durch den Einmarsch irakischer Truppen in den Iran ausgelöste Iran-Irak-Krieg um die Vorherrschaft im Persischen Golf wurde – u.a. auf-grund der extremen Brutalität des Krieges, der hohen Opferzahlen sowie z.B. der Auf-deckung der so genannten ‚Iran-Contra-Affäre‘ in den USA – in den deutschen Medien breit rezipiert.

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde dann Algerien zu dem Ort, an dem die Bedrohlich-keit des Islamismus für deutsche Medien zu Tage trat: Der wirtschaftliche Niedergang Algeriens und des überwiegenden Teil der algerischen Bevölkerung war vom Erstarken islamistischer Gruppierungen gefolgt. Infolge dessen konnte die Islamische Heilsfront (Front Islamique du Salut, FIS) große Erfolge bei den algerischen Kommunalwahlen im Sommer 1991 erzielen und kündigte sich als machtvolle politische Gruppierung an.

Nachdem sich auch bei den Parlamentswahlen 1991/1992 ein Sieg der Islamisten abzu-zeichnen begann, wurden die Wahlen abgebrochen (vgl. Kamalutti 1992; O.F. 1992).

Dem Aufruf der FIS zum bewaffneten Kampf folgte ein bis 1994 andauernder Bürger-krieg, dem unzählige Menschen zum Opfer fielen. In seiner Analyse des medialen Um-gangs in Deutschland mit der so genannten Algerien-Krise kommt Hafez zu dem Schluss, die Berichterstattung insbesondere von liberalen und konservativen Zeitungen hätte sich durch eine stark anti-islamische Haltung ausgezeichnet. Die FIS wurde schnell – obwohl sie zunächst in den algerischen Demokratisierungsprozess integriert war – als Gefährdung der Demokratie wahrgenommen. Unter Ausblendung aller

Diffe-renzen zwischen verschiedenen islamischen und islamistischen Strömungen wurde so ausgehend von den Ereignissen in Algerien die Gefahr einer islamischen Blockbildung in Nordafrika/Nahost imaginiert (vgl. Amnesty International 2007; Hafez 1996a: 431f.).

Auch 1992 ist eine deutliche Häufung von islambezogenen Ereignissen auf internatio-naler Ebene zu beobachten, die Eingang in deutsche Medien fanden: Mit den Auseinan-dersetzungen im zerbrechenden Jugoslawien waren in den 1990er Jahren erstmals auch in Europa kriegerische Konflikte zwischen MuslimInnen und Angehörigen anderer Glaubensrichtungen zu verzeichnen. In Bosnien kämpften zwischen 1992 und 1995 bosnische Kroaten und muslimische Bosniaken mit militärischen Mitteln gegen bosni-sche Serben um die Unabhängigkeit des Landes. Allein bei dem serbibosni-schen Angriff auf die UN-Schutzzone Srebrenica am 11. Juni 1995 verloren ca. 8.000 MuslimInnen276 ihr Leben (vgl. die tageszeitung 1995). Auch im Kosovo war vor allem in den Jahren 1998/1999 die Autonomie des Landes der Anlass für kriegerische Auseinandersetzun-gen zwischen Serben und muslimischen Kosovo-Albanern. Sowohl in Bosnien-Herzegowina als auch im Kosovo verliefen die Konfliktlinien jeweils zwischen den muslimischen Bevölkerungsgruppen und Serben; in europäischen und so auch in deut-schen Medien wurden beide Konflikte jedoch interessanterweise als ‚ethnisch‘ klassifi-ziert und mit der Unmöglichkeit des Zusammenlebens verschiedener ethnischer Grup-pen begründet. Die religiösen Zugehörigkeiten der Konfliktparteien war zwar bekannt, spielte aber in der Wahrnehmung und Beurteilung der Konflikte eine untergeordnete Rolle (vgl. Tibi 1997; Rüb 2001). Dennoch, so stellen Tibi und auch Lerch fest, verwies das Schicksal bosnischer MuslimInnen im Zuge des Krieges viele EuropäerInnen erst-mals darauf, dass auch in Europa ‚einheimische‘ MuslimInnen – und nicht ‚nur‘ Einge-wanderte – präsent sind (vgl. Lerch 1993; Tibi 1997).

Die afghanischen Mudschaheddin hatten 1992 durch den Sturz des damaligen Präsiden-ten Nadschibullah, der anschließenden Besetzung Kabuls und der daraufhin fortschrei-tenden Islamisierung des Landes einen zweiten – kurzen – Auftritt auf der Bühne der Weltöffentlichkeit (vgl. Monde Diplomatique 1995): Kurz nach der Machtübergabe an die islamistischen Mudschaheddin verebbte das Interesse der internationalen Medien – obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen und die massiven Menschenrechtsver-letzungen in Afghanistan 1992 keineswegs beendet waren (vgl. Baraki 2002: 35). 1996 übernahmen die islamistischen Taliban dann vollständig die Macht in Afghanistan und

276 Die tatsächliche Zahl der Toten des später so genannten ‚Massakers von Srebrenica‘ war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.

behielten sie bis 2001, als eine Koalition unter der Führung der USA und in Zusammen-arbeit mit der afghanischen Nordallianz als Reaktion auf die Anschläge des 11. Septem-ber 2001, für die der von den Taliban unterstützte Anführer des al-Qaida-Netzwerkes Ossama Bin Laden verantwortlich gemacht wurde, einen Angriffskrieg in Afghanistan startete (vgl. Artico 1995; Ruttig 1996; siehe dazu auch den folgenden Abschnitt 1.4).

In den Jahren der Taliban-Herrschaft wurde ein streng islamistisches Regime einge-führt, das in westlichen Medien aufgrund seiner repressiven Strukturen und Regelungen vor allem gegenüber Frauen als abschreckendes Beispiel für die möglichen Folgen eines weiteren Machtgewinns islamistischer Kräfte genannt wurde.

In den 2000er Jahren werden schließlich noch einmal Ereignisse mit Bezug auf den Iran sowie Israel und Palästina in deutschen Medien breit rezipiert: Mit der Iranerin Shirin Ebadi erhielt 2003 erstmals eine muslimische Frau den Friedensnobelpreis – eine Tatsa-che, die ihre mediale Aufmerksamkeit sicherlich auch der Verwunderung und dem Re-spekt davor zu verdanken hat, dass ‚ausgerechnet eine Muslimin‘ als so kämpferische Juristin und Menschenrechtsaktivistin tätig werden kann (vgl. u.a. Wurst 2003). Seit et-wa 2003 überwiegen in der deutschen Öffentlichkeit jedoch wieder Negativ-Schlagzeilen – in Bezug auf die Auseinandersetzung um die friedliche oder nicht-friedliche Nutzung der Atomkraft – das Bild des Iran als bedrohliche, unkontrollierbare und religiös-fanatische Macht. Auch dem seit August 2005 amtierenden Präsidenten des Iran, Mahmud Ahmadinedschad, wird nicht nur aufgrund der durch den ‚Atomstreit‘

ausgelösten, weltpolitisch konflikthaften Situation, sondern auch aufgrund seiner pro-vozierenden, häufig stark antisemitischen Reden viel Aufmerksamkeit gewidmet (vgl.

Der Spiegel 2006; Gruppe Arbeiterfotografie 2006).

Im Nahostkonflikt war am 28. September 2000 der Beginn der so genannten Zweiten Intifada zu verzeichnen: Dem (Wieder-)Aufflammen des gewaltsamen Konfliktes zwi-schen Palästinensern und israelizwi-schen Sicherheitskräften, der hohe Opferzahlen forderte, ging das Scheitern der so genannten Camp David II-Verhandlungen sowie ein Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon auf dem Tempelberg in Jerusalem voraus. Ein zwischen dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde Mah-mud Abbas und Scharon geschlossener Waffenstillstand im Februar 2005 beendet die Zweite Intifada offiziell. Seit 2003 wird von israelischer Seite an der Errichtung einer Sperrmauer gearbeitet, die einen großen Teil der jüdischen Siedlungen an das israeli-sche Staatsgebiet anbinden und das Eindringen palästinensiisraeli-scher Selbstmordattentäte-rInnen nach Israel verhindern soll. Die Sperranlage wurde von palästinensischer Seite

genauso wie von israelischen Oppositionellen massiv kritisiert und löste erneut vehe-mente Diskussionen im Ausland aus (vgl. Nahostarchiv Heidelberg 2007).

Die genannten Diskursereignisse lassen in jeweils unterschiedlicher Intensität den Islam und MuslimInnen als weltpolitisch relevanten Faktor erscheinen. Trotz eigentlich sehr heterogener Erscheinungsweisen des Islam (modernistisch, traditionalistisch, moderat und radikal fundamentalistisch), findet im Rahmen der medialen Berichterstattung meist eine Reduktion der komplexen Realität des Islam auf Repressions- und Gewaltbilder statt (vgl. Hafez 1996a; Hafez 2002). Die wahrgenommene Bedrohung konstituiert sich in Bezug auf die bisher genannten Ereignisse jedoch indirekt –der Islam wird dabei, oft unter Ausblendung anderer Faktoren, zum erklärenden Moment für die Destabilisierung verschiedener Staaten oder Regionen betrachtet.

1.3 Islam und/oder Islamismus als Mittel der ‚Kriegserklärung an die

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