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Nutzung von Arylseleniden als Redoxauxiliare in Gerüstumlagerungen

3.4 Herausfordernde Nukleophile und alternative Reaktivitäten

3.4.3 Neue Reaktivitäten unter Verwendung von Selenkatalysatoren und -redoxauxiliaren-redoxauxiliaren

3.4.3.2 Nutzung von Arylseleniden als Redoxauxiliare in Gerüstumlagerungen

Me OH

+ O

40 vol%

218 219

134 146a

(3.25)

Um die Flüchtigkeit des erhaltenen Katalyseprodukts zu reduzieren, wurde, anstelle der Kom-bination aus Photokatalysator und AcOH, NFSI als Oxidationsmittel verwendet (Gleichung 3.26).

Zusätzlich wurde die Reaktion bei 100 ℃ durchgeführt, um die Freisetzung des Produkts aus dem Intermediat zu erleichtern. Unter diesen Bedingungen konnte ein Reaktionsprodukt in 49% Aus-beute erhalten werden, das mittels1H-, 13C-NMR-Spektroskopie und Massenspektrometrie als das Imidoallen 220 identifiziert werden konnte. Ausschlaggebend bei der Charakterisierung der Verbin-dung war, neben der ermittelten Feinmasse, das 13C-NMR-Spektrum, das eine für das zentrale C-Atom eines Allens charakteristische Resonanz bei δ = 206.1 ppm aufwies.[401]Das vinylische H-Atom der Verbindung220wies ebenfalls nur eine geringe Verschiebung vonδ= 5.05 ppm auf, trotz der Anwesenheit des stark elektronenziehenden Bissulfonylimids. Die erhaltene Ausbeute von 49%

unter nicht optimierten Bedingungen belegt eindrucksvoll, dass die selenkatalysierte Überführung eines Alkins in ein funktionalisiertes Allen unter oxidativen Bedingungen möglich ist.

Me Me · Me

N(SO2Ph)2

Me 10 Mol-% (PhSe)2

NFSI (1.0 Äq.)

Toluol (0.1 M), 100 °C, 16 h

218 49% 220

(3.26)

3.4.3.2 Nutzung von Arylseleniden als Redoxauxiliare in Gerüstumlagerungen

Neben der Funktionalisierung von Olefinen, bietet die Redoxchemie von Arylselenverbindungen viele weitere Möglichkeiten zur Funktionalisierung diverser Substrate unter oxidativen Bedingungen. Eine solche Möglichkeit ist die Semipinakolumlagerung tertiärer Alkohole infolge der Oxidation von β-Hydroxyseleniden (Schema 3.26). In diesem Szenario wird aus einem Keton derβ-selenierte, tertiäre Alkohol222aufgebaut. Die anschließende Oxidation initiiert eine Semipinakolumlagerung, die nach der Migration eines Substituenten in der Bildung des Ketons 223 resultiert. Wie in Schema 3.26 dargestellt, lag der Fokus auf dem Einsatz zyklischer Ketone, bei denen es durch die Migration eines Ringglieds zu einer Ringexpansion kommen sollte. Da nach erfolgter Umlagerung das Keton regeneriert würde, böte die postulierte Reaktionsabfolge eine Plattform für die Entwicklung eines iterativen Ringexpansionsprotokolls, das den Aufbau divers substituierter Cycloalkanone in wenigen Schritten ermöglichen würde. Vergleichbare Umlagerungen ausgehend von β-Hydroxyselenoethern wurden in den 80er Jahren intensiv von Krief et al.[402–406] und anderen[407,408] untersucht. Im Rahmen dieser Studien gelang die Ringexpansion von Cycloalkanonen bis zur maximalen Ringgröße eines siebengliedrigen Rings, die Umsetzung benötigte jedoch große Mengen an Oxidationsmit-teln[406,408] oder Carbenen[403,404,407] um effektiv abzulaufen. Die Initiation der Umlagerung durch Einelektronenoxidation des Selenatoms wurde in der Literatur bislang nicht beschrieben.

O HO O [ox] R

O Rm

n n n n+x

R PhSe

221 222 223 224

Schema 3.26: Konzept der selenvermittelten Semipinakolumlagerung infolge der Oxidation des Selenids 222.

Basierend auf den Arbeiten zur photochemischen Oxidation von Diseleniden und Selenoethern, wurde die Semipinakolumlagerung zu Verbindung222analoger Alkohole näher beleuchtet. Als Stan-dardedukt wurde das von Cyclohexanon abgeleitete Phenylselenid 222a verwendet. Die Synthese von Verbindung 222a erforderte das Selenoacetal 227, das in einer Transacetalisierung aus Ben-zaldehyddimethylacetal (225) und Phenylselenol (226) unter Lewis-Säure-Vermittlung in 90%

Ausbeute erhalten werden konnte.[409] Die nachfolgende Lithiierung des Selenoacetals und die Re-aktion des Anions mit Cyclohexanon lieferte das Hydroxyselenid222ain einer exzellenten Ausbeute von 94%.[410]

Ph OMe

OMe PhSeH ZnCl2 (0.5 Äq.) DCM (0.1 M), 23 °C

15 min., 90% Ph SePh

SePh 1) n-BuLi (1.1 Äq.) Et2O, –78 °C, 30 min.

2) Cyclohexanon Et2O, –78 °C, 1 h 3) NH4Cl, 94%

+ HO

1.2 Äq.

2.0 Äq.

PhSe Ph

225 226 227 222a

Schema 3.27:Synthese desβ-Hydroxyselenids222azur oxidativen Semipinakolumlagerung.

Nach der erfolgreichen Darstellung des Substrats222awurde dessen Ringerweiterung unter oxidativen Bedingungen untersucht (Tabelle 3.33). Ausgangspunkt der Untersuchung bildete die Verwendung des Photokatalysators134in Kombination mit Na2HPO4 als Base (Eintrag 1). Unter diesen Bedingungen kam es zur vollständigen Zersetzung des Substrats. Auch der Wechsel des Photokatalysators und die Zugabe von (PhSe)2 als Kokatalysator resultierten nicht in der Bildung des gewünschten Produkts (Einträge 2 und 3), genausowenig wie die Durchführung der Reaktion unter einer O2-Atmosphäre (Eintrag 4). In allen Fällen kam es zu einer oxidativen Pinakolspaltung des Substrats in Cyclohexanon und Benzaldehyd. Um die Zersetzung der Startverbindung oder oxidierter Intermediate durch H2O aus dem Lösungsmittel als Fehlerquelle auszuschließen, wurde die Reaktion unter Verwendung von Molekularsieb durchgeführt. Unter diesen Bedingungen konnte das Produkt 223ajedoch ebenfalls nicht erhalten werden (Eintrag 5).

Da die Anwendung von Photokatalysatoren zur Oxidation des Hydroxyselenids 222a nicht erfolgreich war, wurde in der Folge auf andere Oxidationsmittel zurückgegriffen. Beim Einsatz von NFSI wurde das gewünschte Umlagerungsprodukt 223a erstmals in einer geringen Ausbeute von 10% erhalten. Durch den Wechsel des Lösungsmittels konnte die Produktbildung leicht auf 15% ge-steigert werden. Zusätzlich zum gewünschten Cycloheptanon223atraten mehrere Nebenprodukte auf, die jedoch nicht identifiziert werden konnten (Einträge 6 und 7). Die Verwendung des Oxidati-onsmittelsN-Fluor-2,4,6-trimethylpyridiniumtetrafluorborat (TMPyF), das vonZhaoet al.in einer selenkatalysierten Pyridinierung erfolgreich angewendet wurde,[181]führte nicht zur Bildung des sie-bengliedrigen Rings. Eine deutliche Steigerung der Produktbildung wurde durch den Einsatz von [NO][BF4] erreicht. Da das Redoxpotential von [NO][BF4] nicht ausreicht um Arylselenide analog

zu Verbindung222a direkt zu oxidieren, wurde (PhSe)2 zur Erzeugung elektrophiler Selenspezies hinzugefügt. Unter diesen Bedingungen konnte das Produkt 223a in einer akzeptablen Ausbeute von 50% erhalten werden (Eintrag 9). Die Verwendung von [Me3O][BF4] lieferte das Produkt nur in Spuren. Obwohl die Initiierung der Semipinakolumlagerung unter photochemischen Bedingungen bisher nicht erfolgreich war, konnte gezeigt werden, dass die Auslösung entsprechender Gerüstum-lagerungsreaktionen durch die Einelektronenoxidation von Arylseleniden grundsätzlich möglich ist.

Weitere Experimente zur Optimierung und Generalisierung der Umsetzung verbleiben Bestandteil zukünftiger Studien im Arbeitskreis.

Tabelle 3.33:Versuche der Semipinakolumlagerung desβ-Hydroxyselenids222ain das Cycloheptanon223a unter oxidativen Bedingungen.a

HO PhSe

Ph

O Bedingungen Ph

222a 223a

Eintrag Bedingungen Ausbeute [%]

1 5 Mol-% PyrOMe (134), Na2HPO4 (1.0 Äq.),

MeCN, 465 nm, Luft 0b

2 5 Mol-% AcridOMe (215), MeCN, 465 nm, Luft 0b 3 5 Mol-% (PhSe)2, 5 Mol-% AcridOMe (215),

MeCN, 465 nm, Luft 0b

4 5 Mol-% (PhSe)2, 5 Mol-% AcridOMe (215), MeCN, 465 nm, O2

0b

5 5 Mol-% (PhSe)2, 5 Mol-% AcridOMe (215),

MeCN, 465 nm, O2, 4 ÅMS 0b

6c NFSI (1.0 Äq.), THF 10

7c NFSI (1.0 Äq.), Toluol 15

8c TMPyF (1.0 Äq.), THF k.R.

9c 5 Mol-% (PhSe)2, [NO][BF4] (1.0 Äq.), DCM 50

10c [Me3O][BF4] (1.0 Äq.), DCM Spuren

a200 µmol des Edukts 222a wurden verwendet; b(teilweise) Zersetzung des Substrats in Cyclohexanon und Benzaldehyd;cunter einer Argonatmosphäre; MS = Molekularsieb, TMPyF =N-Fluor-2,4,6-trimethylpyridiniumtetrafluorborat.

Im Rahmen dieser Arbeit konnte die vonBrederet al.entwickelte intermolekulare Imidierung ein-facher Alkene mit NFSI als Oxidationsmittel[162] auf die Selen-π-Säure-katalysierte Synthese von Indolen erweitert werden.[1] Hiermit konnte gezeigt werden, dass durch den Einsatz von NFSI als Oxidationsmittel neben dem Einbau des endogenen Imids auch intramolekulare Umsetzungen mit exogenen Nukleophilen möglich sind. Unter Verwendung von nur 2.5 Mol-% (PhSe)2 gelang die Darstellung der vielfältig substituierten und funktionalisierten Indole 99 in sehr guten Ausbeuten.

Neben den Anilinsubstraten, gelang unter leicht modifizierten Bedingungen ebenfalls die Zyklisie-rung der anspruchsvollen Aminopyridine 118 zur Synthese der Azaindole 119. Diese Ergebnisse unterstreichen die Robustheit der Methodik und stellen das erste Beispiel einer selenkatalysierten C – N-Bindungsknüpfung mit exogenem Nukleophil dar. Im Rahmen der mechanistischen Studi-en zur SelStudi-en-π-Säure-katalysiertStudi-en Indolbildung wurde darüber hinaus festgestellt, dass es bei der Verwendung von NFSI als Oxidationsmittel, analog zu anderen Oxidantien,[71,151,155,169,189] zum Bruch der Se – Se-Bindung kommt. Entgegen der von anderen Autoren vorgeschlagenen Addukte mit dem Oxidationsmittel,[71,93,169,179] konnte mittels Massenspektrometrie das trimere Selenoni-umkation124als Reaktionsprodukt der Oxidation des Diselenids durch NFSI nachgewiesen werden.

Die Bildung dieser Spezies ist von einiger mechanistischer Bedeutung und legt den Schluss nahe, dass oligomere Selenoniumkationen bei der Bildung von Seleniraniumionen eventuell eine Rolle spielen. Hinweise zur Unterstützung dieser Hypothese wurden zu einem späteren Zeitpunkt der Ar-beit im Rahmen mechanistischer Untersuchungen zur dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse erhalten.

Aufbauend auf diesen Ergebnisse wurde versucht, die NFSI-basierte Selenkatalyse auf inter-molekulare Umsetzungen mit exogenem Nukleophil zu erweitern, was jedoch nicht erfolgreich war.

Problematisch in diesem Zusammenhang war der bevorzugte Einbau des aus NFSI generierten en-dogenen Imids, was die Reaktion des Seleniraniumions mit exogenen Nukleophilen verhinderte. Um ebensolche Funktionalisierungen zu realisieren, war die Identifikation eines neuartigen Oxidations-mittels notwendig, das kein starkes, endogenes Nukleophil freisetzt, nicht direkt mit dem Substrat reagiert, eine hohe Toleranz gegenüber funktionellen Gruppen besitzt, leicht handhabbar ist und eine hohe Atomökonomie[190] aufweist. Basierend auf diesen Kriterien wurde O2 als ideales Oxida-tionsmittel identifiziert. Der Schlüssel zum Erfolg bei der Entwicklung einer Selenkatalyse mit O2 als terminales Oxidationsmittel war die Kombination der Selen-π-Säure-Katalyse mit einem Pho-toredoxkatalysator zur Harmonisierung des Elektronenflusses.[191,192,258,259] Dies ermöglichte die Kopplung eines 4-e-Oxidationsmittels (O2) an einen 2-e-Redoxprozess (Selen-π-Säure-Katalyse) mittels eines 1-e-Redoxmediators (PyrOMe (134)).[307] Um das Anwendungspotential der neu entwickelten dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse zu testen, wurde die regiospezifische, in-termolekulare Acyloxylierung einfacher, interner Alkene mit Carbonsäuren durchgeführt,[307] eine Umsetzung, für die vergleichbare metallkatalysierte Verfahren bislang nicht beschrieben wurden.

Unter Verwendung eines Katalysatorsystems bestehend aus (PhSe)2 und dem Pyryliumsalz 134 konnten diverse Olefine in guten bis exzellenten Ausbeuten in die allylischen Ester 151 überführt werden (Schema 4.1, links). Neben präfunktionalisierten Substraten, wurden auch unfunktionali-sierte, interne Alkene unter den Reaktionsbedingungen toleriert, eine Substratklasse, die in vielen metallkatalysierten Umsetzungen aufgrund der Isomerisierung interner Doppelbindungen problema-tisch ist.[7] Durch die Anwendung der dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse konnte somit eine breit anwendbare, intermolekulare Alkenfunktionalisierung mit exogenen Nukleophilen reali-siert werden. Die entwickelte Methodik ließ sich ebenfalls auf die intramolekulare Veresterung zur Synthese fünf- und sechsgliedriger Laktone erweitern.[320] Unter leicht modifizierten Bedingungen konnten diverse β,γ- undγ,δ-ungesättigte Carbonsäuren in einer 5-endo- bzw. 6-exo-Zyklisierung in die entsprechenden Laktone 155 und 169 überführt werden (Schema 4.1, rechts). Zusätzlich konnte die O2-Konzentration in der Gasphase ohne Verlust der katalytischen Aktivität auf 6 Vol.-%

gesenkt werden, was vor dem Hintergrund sicherheitsrelevanter Aspekte besonders im Hinblick auf industrielle Anwendungen von großem Interesse ist.

R1 R2

Schema 4.1:Inter- und intramolekulare Acyloxylierung der Alkene145und162mittels dualer Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse.

Neben den synthetischen Studien wurde dem Mechanismus der dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse große Aufmerksamkeit gewidmet. In Kooperation mit Frau Prof. Dr. Christina M.

Thiele (Technische Universität Darmstadt), Herrn Prof. Dr. Konrad Koszinowski (Georg-August-Universität Göttingen), Frau Prof. Dr. Julia Rehbein ((Georg-August-Universität Regensburg) und Frau Prof. Dr.

Inke Siewert (Georg-August-Universität Göttingen) konnte die duale Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse am Beispiel der Laktonisierung intensiv mechanistisch analysiert werden. Dabei kamen verschiedene Analysemethoden zum Einsatz, was die Beleuchtung der zugrundeliegenden Elemen-tarschritte aus verschiedenen Blickwinkeln ermöglichte.[320]Im Rahmen der mechanistischen Unter-suchungen konnte zum einen bestätigt werden, dass O2, entsprechend des postulierten Szenarios, als 4-e-Akzeptor fungiert und als Reduktionsprodukt H2O freisetzt. Zusätzlich wurde festgestellt, dass die Freisetzung des Produkts aus dem Intermediat V nicht wie bislang vermutet durch die Übertragung eines Selenelektrophils initiiert wird, sondern die direkte Oxidation des Intermediats durch den Photokatalysator gefolgt von einem Dimerisierungsschritt die Produktfreisetzung auslöst (Schema 4.2). Kinetische Studien perin situ-NMR-Spektroskopie unter gleichzeitiger Bestrahlung der Probe ergaben darüber hinaus, das sowohl der angeregte Photokatalysator als auch das Interme-diatVam geschwindigkeitsbestimmenden Schritt beteiligt sind, weshalb ein langsamer Elektronen-transfer vom Intermediat auf den angeregten Photosensibilisator als geschwindigkeitsbestimmend angenommen wird.[320] Die genauere Analyse dieses Oxidationsschritts mittels Massenspektrome-trie legte die Dimerisierung der resultierenden Radikalkationen V+ zu dem Dikation VI nahe.

Zusätzlich wurden, analog zu den mechanistischen Untersuchungen im Rahmen der Indolsynthesen, oligomere Selenoniumspezies infolge der Einelektronenoxidation von Diseleniden beobachtet, was

diese oligomeren Selenonuimspezies für die Übertragung einer ArSe-Gruppe auf das Alken und somit für die Bildung des mechanistisch zentralen Seleniraniumions IVmitverantwortlich sind. Genauere Erkenntnisse über die ablaufenden Prozesse nach erfolgter Oxidation des Diselenids und Selenofunk-tionalisierungsintermediats wurden im Rahmen intensiver Untersuchungen beider Redoxereignisse mittels Zyklovoltammetrie erhalten.[358]Diese Experimente zeigten, dass es infolge beider Einelek-tronenoxidationsprozesse höchstwahrscheinlich zur Bildung der dikationischen Dimere III und VI kommt, die für die Alkenaktivierung (III) bzw. die Produktfreisetzung (VI) verantwortlich sind. Das Auftreten analoger dikationischer Spezies wurde im Rahmen der Einelektronenoxidation verschie-dener Diaryldisulfide[230] sowie Dialkyldiselenide und -telluride berichtet.[362,363] Die Einbeziehung der Ergebnisse aller durchgeführten mechanistischen Experimente ermöglichte das Postulat des in Schema 4.2 dargestellten Reaktionsmechanismus, basierend auf experimentellen Befunden.

Se

Schema 4.2: Postulat des Reaktionsmechanismus der dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse unter Einbeziehung aller mechanistischen Untersuchungen.[320]

Zusätzlich zu den mechanistischen Studien wurde mittels CV der Einfluss der Substituenten am Arylteil und am Substrat auf die Redoxpotentiale der beteiligten Selenspezies näher untersucht.

Im Rahmen dieser Studien konnte eine starke Abhängigkeit von den elektronischen Eigenschaften der Arylsubstituenten festgestellt werden, wohingegen die Art des Substrats kaum Einfluss auf das Redoxpotential der Selenspezies hatte (Abbildung 4.1). Diese Ergebnisse liefern die Grundlage für die genauere Abstimmung der Redoxpotentiale von Diselenid und Photokatalysator aufeinander und bilden die Basis für den Einsatz leichter oxidierbarer Substrate und Nukleophile in zukünftigen Umsetzungen. Darüber hinaus erlauben sie eine Einschätzung der auftretenden Redoxpotentiale in neuen Umsetzungen und ermöglichen somit die gezielte Wahl geeigneter Katalysatoren. Neben den mechanistischen Studien konnte ebenfalls die anodische, Selen-π-Säure-katalysierte Zyklisierung des

Tosylamids 198 zum Pyrrolidin 199 in 64% isolierter Ausbeute realisiert werden.[358] Dies stellt eine wichtige Weiterentwicklung der Methodik dar, da die Zyklisierung analoger Tosylamide unter photochemischen Bedingungen aufgrund der Oxidation des Substrats durch den stark oxidierenden Photokatalysator 134nicht erfolgreich war.

O

Abbildung 4.1: Übersicht über die Redoxpotentiale einiger repräsentativer Selenspezies und über die Ab-hängigkeit von der Substitution des Aromaten; alle Potentiale sind gegen SCE angegeben.[358]

Basierend auf den ermittelten Redoxpotentialen und unterstützt durch Stern-Volmer -Analysen konnte mit dem Acridiniumsalz215 ein neuer, mit der Selen-π-Säure-Katalyse kompati-bler Photokatalysator identifiziert werden. Dies war erforderlich, da sich das Pyryliumsalz 134 als wenig resistent gegenüber stark nukleophilen Bedingungen herausstellte, was den Einsatz harter Nukleophile, wie zum Beispiel Fluorid, Azid oder Cyanid, verhinderte. Zum Abschluss der Arbeit wurden Pilotexperimente zur Erweiterung der etablierten Selen-π-Säure-katalysierten Umsetzungen und der damit verbundenen Redoxchemie auf neue Substrate und Syntheseprobleme durchgeführt.

Im Rahmen dieser Versuche wurden erste positive Ergebnisse bezüglich des Einsatzes von Alki-nen als Subtrate selenkatalysierter Olefinfunktionalisierungen erhalten. Darüber hinaus konnte die selenvermittelte Ringexpansion mittels einer Semipinakolumlagerung, ausgelöst durch die Einelek-tronenoxidation des β-Hydroxyselenids 222a, realisiert werden.

Me Me · Me

Schema 4.3:Pilotexperimente zur Erweiterung der Selen-π-Säure-Katalyse und Selen-Redoxchemie auf neue Substrate und Umsetzungen.[320]

Aufbauend auf den erhaltenen Ergebnissen, steht die Weiterentwicklung der dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse im Zentrum zukünftiger Arbeiten. Intermolekulare Phosphatierungen[317]

und intramolekulare Etherifizierungen[411] konnten unter Anwendung dieses Katalysekonzepts be-reits realisiert werden, was die Übertragbarkeit der dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse auf andere exogene Nukleophile belegt. Darüber hinaus ist besonders die Etablierung der Methodik im Bereich inter- und intramolekularer C – N-, C – S- und C – Hal-Bindungsknüpfungen von großem In-teresse, um die Anwendbarkeit im Kontext komplexerer Syntheseprobleme zu erweitern. Ein erstes

men der Naturstoffsynthese eingesetzt werden konnte, wurde 2017 von Stark, Breder und Christmann im Kontext der Totalsynthese von (+)-Greek tobacco lactone berichtet.[412] In die-sem Zusammenhang stellte sich die selenbasierte Katalysestrategie in einem Schlüsselschritt der Syntheseroute als metallbasierten Verfahren überlegen heraus. Dieses Ergebnis deutet auf das An-wendungspotential der dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse im Bereich der Totalsynthese hin, das in zukünftigen Studien noch weiter untersucht werden wird.

Neben der oxidativen Knüpfung von C – N-, C – S- und C – Hal-Bindungen, steht auch die Verwendung harter Nukleophile im Fokus weiterer Entwicklungen. Vor dem Hintergrund der gegen-über PyrOMe (134) deutlich gesteigerten Stabilität des Katalysators215 unter stark nukleophilen Bedingungen, wird dieser Photokatalysator vermutlich von großer Bedeutung sein für die Entwick-lung allylischer Fluorierungen, Azidierungen und Cyanierungen mittels dualer Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse. Basierend auf den bisherigen Ergebnissen scheint zusätzlich das Verhältnis zwischen protoniertem und anionischem Nukleophil eine große Rolle zu spielen. Um dieses Gleichgewicht zu steuern, erscheint der Einsatz stark saurer und nicht nukleophiler Additive, wie zum Beispiel Sul-fonsäuren, vielversprechend. Im Rahmen der intermolekularen Acyloxylierung wurde gezeigt, dass stark saure Bedingungen toleriert werden.[307] Ähnliche Ergebnisse wurden von Denmark et al.

erhalten.[112]

Zur Etablierung der selenabhängigen Ringexpansion mittels Semipinakolumlagerung sind noch viele weitere Schritte notwendig. Ein großes Problem in diesem Zusammenhang stellt die Synthese des Selenoacetals 227 dar. Die Darstellung von Verbindung 227 war schwer reproduzierbar und lieferte stark variierende Ergebnisse. Darüber hinaus weisen nur alkyl- oder arylsubstituierte Ace-tale eine moderate Stabilität auf. Die Synthese der analogen KeAce-tale ist aufgrund ihrer geringen Stabilität sehr schwierig und nur für wenige Beispiele bekannt.[409] Diese Probleme machen eine alternative Synthesestrategie zur Darstellung derβ-Hydroxyselenide222, bevorzugt ausgehend von dem analogen Arylselenid, notwendig. Ein weiteres Problem bei der Entwicklung stellen stereoche-mische Aspekte der Umsetzung dar (Schema 4.4). Die Generierung eines neuen Stereozentrums pro Umlagerungsschritt macht die Kontrolle der Konfiguration des Zentrums obligatorisch, um die Entwicklung eines nützlichen, iterativen Ringexpansionsprozesses zu ermöglichen. Der kritische Re-aktionsschritt in diesem Kontext ist vermutlich die Addition des Selenids an das Keton, da die nachfolgende Umlagerung höchstwahrscheinlich stereospezifisch abläuft. Analoge enantioselektive Additionsreaktionen wurden von Nakamura und Mitarbeitern berichtet, jedoch waren die Sub-stratbreite sehr begrenzt und die erzielten Enantiomeren- und Diastereomerenüberschüsse oft nur mäßig,[410] weshalb die Addition in Bezug auf Substratbreite und Enantioselektivität weiterentwi-ckelt werden muss.

HO PhSe

R

O R (PhSe)2

[NO][BF4] DCM

O R

R

O R

Rn

2 Stereoisomere 4 Stereoisomere 2n+1 Stereoisomere

* *

* *

*

222 223 228 229

Schema 4.4:Exponentielle Zunahme der Anzahl möglicher Stereoisomere bei der iterativen Semipinakolum-lagerung des Selenoalkohols222.

Ein weiteres wichtiges Feld für die Weiterentwicklung der dualen Photoredox-/Selen-π-Säure-Katalyse stellt der Einsatz von Alkinen als Substrate dar. Die im Rahmen der Pilotexperimente erhaltenen Ergebnisse deuten darauf hin, dass es prinzipiell möglich ist Alkine unter den photo-chemischen Bedingungen zu funktionalisieren. Eine große Rolle in diesem Zusammenhang wird vermutlich die Reaktionstemperatur spielen, da die Eliminierung der Seleneinheit aus vinylischer Position unter Bildung des Allens vermutlich schwierig ist. Um genauere Kenntnis über günstige Reaktionsbedingungen zum erfolgreichen Ablaufen dieser Prozesse zu erlangen, wird es wichtig sein, die einzelnen Teilschritte, die Selenofunktionalisierung von Alkinen und die anschließende oxi-dative Allenfreisetzung, gesondert voneinander unter stöchiometrischen Bedingungen zu studieren.

Bei erfolgreicher Übertragung der stöchiometrischen Reaktionsbedingungen auf eine katalytische Version stehen vielfältige Derivatisierungsmöglichkeiten zur Auswahl. Neben der Darstellung unter-schiedlich funktionalisierter Allene sind dies vor allem die En-In-Zyklisierung unter Einbau eines zusätzlichen exogenen Nukleophils und die inter- oder intramolekulare Difunktionalisierung unter Bildung tetrasubstituierter Alkene.