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N-Fluorierte Verbindungen als Oxidationsmittel in der Selen-π-Säure-Katalyse Analog zu NCS und NBS haben sich N-fluorierte Verbindungen als geeignete Oxidationsmittel in der

1.2.4 Moderne Beispiele oxidativer Alkenfunktionalisierungen mittels Selen- π -Säure-Katalyse

1.2.4.2 N-Fluorierte Verbindungen als Oxidationsmittel in der Selen-π-Säure-Katalyse Analog zu NCS und NBS haben sich N-fluorierte Verbindungen als geeignete Oxidationsmittel in der

Selen-π-Säure-Katalyse etabliert und stellen heute eine weit verbreitete Klasse an Oxidantien zur se-lenkatalysierten Alkenfunktionalisierung dar.[38]Als Oxidationsmittel in der Selen-π-Säure-Katalyse eingeführt wurden diese Verbindungen 2013 vonBrederet al.im Kontext der allylischen und viny-lischen Imidierung einfacher Alkene.[162]Ausgangspunkt dieser Arbeit war die allylische Chlorierung vonSharplesset al., bei der aus dem Oxidationsmittel das endogene Nukleophil Chlorid und die für die Eliminierung wichtige Base Succinimid generiert wird.[71] Das mechanistische Rational zur Realisierung der Imidierung bestand in der Variation desN-Haloimid-Oxidationsmittels, sodass nach erfolgter Reduktion ein weniger nukleophiles Halogenid und eine weniger basische Stickstoffkompo-nente freigesetzt werden. Dies sollte die Rollen der Reaktionsteilnehmer umkehren und die Reaktion des Imids als endogenes Nukleophil ermöglichen, während das Halogenid als Base fungiert. Aus-gehend von diesen Überlegungen identifizierten die Autoren N-Fluorbenzolsulfonimid (NFSI, 61) als ideales Oxidationsmittel für selenkatalysierte Alkenfunktionalisierungen.[162] Unter optimierten Bedingungen konnten durch den Einsatz von 5 Mol-% (PhSe)2 in Kombination mit 1.0 Äq. NFSI in THF die Alkene 60 in die allylisch imidierten Produkte62 in Ausbeuten von 49-89% überführt

werden (Tabelle 1.4). Die Methodik zeichnete sich durch eine sehr hohe Selektivität zugunsten der E-konfigurierten allylischen Produkte und eine große Toleranz funktioneller Gruppen aus. Neben Carbonylverbindungen wurden auch Phosphonate, Nitrile und Sulfone unter den Reaktionsbedin-gungen toleriert.

Tabelle 1.4: Allylische Imidierung der Alkene 60 unter Verwendung von NFSI als Oxidationsmittel und Stickstoffquelle.[162]

Interessante Beobachtungen machten Breder und Mitarbeiter bei der Verwendung zykli-scher Alkene als Substrate für die Imidierung. Anstelle der erwarteten allylischen Produkte wurden die vinylische Aza-Wacker-artigen Produkte 64 erhalten. Durch die geringfügige Modifikation der Reaktionsbedingungen konnten verschiedene zyklische Olefine vinylisch funktionalisiert werden (Tabelle 1.5). Im Fall styrylischer Substrate wurden die Produkte mit exklusiver Markovnikov -Selektivität erhalten, unabhängig von der Elektronik des aromatischen Kerns. In allen Fällen wurden ausschließlich die vinylischen Produkte erhalten, was im Rahmen der Selen-π-Säure-Katalyse bis dato eine einmalige Selektivität darstellt. Die Gründe für diesen Wechsel der Selektivität sind nicht vollständig verstanden. Die Z-Konfiguration der Doppelbindung konnte von den Autoren als Ursa-che ausgeschlossen werden, da ein azyklisUrsa-ches, Z-konfiguriertes Alken das allylische Produkt 62 lieferte. Zudem wiesen größere Ringsysteme die Tendenz auf, allylische Produkte zu liefern.[163]

Es wird vermutet, dass die Konformation bestimmter zyklischer Substrate ausschlaggebend für die beobachtete Selektivität ist, auf welchem Wege konnte jedoch nicht abschließend geklärt werden.

Eine Erweiterung der vonBreder et al. entwickelten Methode wurde 2015 vonZhao und Mitarbeitern vorgestellt. Durch die Verwendung allylischer Hydroxygruppen als dirigierende Ein-heit konnten die Autoren Aza-Wacker-artige Imidierungen azyklischer Alkene unter ansonsten identischen Bedingungen realisieren (Tabelle 1.6).[164] Die Produkte 66 wurden in guten bis ex-zellenten Ausbeuten mit hoher Selektivität zugunsten des anti-Markovnikov-Produkts erhalten.

Ursächlich für die ungewöhnliche Selektivität ist vermutlich die Koordination der OH-Gruppe auf das Seleniraniumion, wodurch die Funktionalisierung und später die Eliminierung vom terminalen Ende her begünstigt wird.[164] Die Methode stellt eine wichtige Ergänzung Pd-katalysierter Aza-Wacker-artiger Prozesse dar, bei denen in der RegelMichael-Systeme als Substrate verwendet werden müssen, umanti-Markovnikov-Selektivität zu erzielen.[165,166]Durch das Weglassen der Base konnten in der Umsetzungα,β-ungesättigte Enale, vermutlich durch Hydrolyse der intermediär gebildeten imidierten Produkte, erhalten werden.[164]

Tabelle 1.5: Vinylische Imidierung der Alkene 63 unter Verwendung von NFSI als Oxidationsmittel und

Tabelle 1.6: Vinylische Imidierung der Alkene 65 unter Verwendung von NFSI als Oxidationsmittel und Stickstoffquelle und gesteuert durch eine dirigierende OH-Gruppe.[164]

R1

Neben der intermolekularen Imidierung von Alkenen kann NFSI auch zur Diselenid-katalysier-ten C – O-Bindungsknüpfung genutzt werden. In diesem Kontext untersuchDiselenid-katalysier-tenBrederund Mitar-beiter die Zyklisierung derortho-cinnamylierten Benzoesäuren67(Schema 1.8).[167]Entgegen der von Wirth et al. beobachteten Markovnikov-Selektivität bei der Zyklisierung von Carbonsäu-ren[160,161] erhieltenBrederet al.nicht die erwarteten Isocoumarine, sondern die Isobenzofurano-ne 68 als Produkte. Die Bildung dieser für die Naturstoffchemie wichtigen Verbindungsklasse[168]

resultiert formal aus der für Selen-π-Säure-Katalyse ungewöhnlichen C(sp3) – H-Funktionalisierung einer allylischen C – H-Bindung, was bisher nur in wenigen Fällen für einzelne Substrate beobachtet wurde.[52,153] Die Isobenzofuranone 68 konnten durch Verwendung von 10 Mol-% (PhSe)2 und 1.0 Äq. NFSI in 39-81% Ausbeute erhalten werden, die Produktbildung war jedoch stark abhängig vom Substitutionsmuster und den elektronischen Eigenschaften der verwendeten Substrate.[167] So konnte das Produkt 68c in sehr guten 80% Ausbeute erhalten werden, wohingegen das in der 6-Position methoxylierte Analogon68d nur in 39% Ausbeute isoliert wurde. Einen ähnlich starken

Einfluss hatten die Substituenten am Cinnamylteil des Substrats. Das postulierte mechanistische Szenario für die Bildung der ungewöhnlichen C(sp3) – H-Funktionalisierungsprodukte beginnt mit dem SeleniraniumionI(Schema 1.8, unten). Anstelle des üblichen nukleophilen Angriffs findet eine Eliminierung statt, die in der Bildung des AllylselenidsII resultiert. Dieses wird durch NFSI zu Spe-ziesIIIoxidiert und mittels SN2'-Reaktion in das Produkt68überführt. Ein ähnlicher Mechanismus wurde vonSharplessfür die Bildung allylischer Chloride aus Allylseleniden vorgeschlagen.[52]

O

68a 68b 68c 68d 68e 68f

Schema 1.8:Bildung der Isobenzofuranone68mittels C(sp3) – Funktionalisierung einer allylischen C – H-Bindung.[167]

Eine Weiterentwicklung der für die Selen-π-Säure-Katalyse zur Verfügung stehenden Oxidati-onsmittel gelang 2014 Denmark et al. im Rahmen einer bahnbrechenden Arbeit zur 1,2-syn-Dichlorierung nichtaktivierter Alkene.[169]Dieses Strukturmotiv ist als integraler Bestandteil vieler mariner Naturstoffe von großem synthetischem Interesse,[170–173] der Aufbau von 1,2-syn-Dichloriden unter oxidativen Bedingungen stellt aber immer noch eine große Herausfor-derung dar.[19–21] Darüber hinaus gibt es nur wenige Beispiele, die den Einsatz von nukleophi-lem Chlorid zur Dichlorierung von Olefinen erlauben. Dies ist, trotz der großen Fortschritte bei der Entwicklung elektrophiler Chlorquellen, im Hinblick auf Verfügbarkeit und Handhabbarkeit von großem Interesse.[19,174] Aufbauend auf den allylischen Chlorierungen von Sharpless[52,71]

und Tunge[153] strebten Denmark und Mitarbeiter eine selenokatalytische Lösung dieses Syn-theseproblems an.[169] Ihr Ansatz bestand in der Kombination der Selenochlorierung mit SeIV -Verbindungen[55,72] und der Chlordeselenierung aus den resultierenden Addukten,[55,73,74] was auf-grund der Stereospezifizität beider Teilprozesse in einemsyn-dichlorierten Produkt resultieren sollte.

Beide Reaktionen sind unter stöchiometrischen Bedingungen literaturbekannt, eine katalytische Um-setzung konnte bisher jedoch nicht realisiert werden. Besonders der zweite Reaktionsschritt ist von großer Wichtigkeit, um die Substitution der Seleneinheit durch Chlorid gegenüber der konkurrieren-den Dehydrodeselenierung zu begünstigen. Bisherige Berichte über verwandte Chlorierungsreaktio-nen lassen vermuten, dass das Vorhandensein einer SeIV-Spezies im

Selenofunktionalisierungsinter-mediat ausschlaggebend ist, um die Chlorodeselenierung zu ermöglichen und die allylische Chlorie-rung zu unterbinden (vgl. Schema 1.2).[71,153] In diesem Hinblick von entscheidender Bedeutung für die Realisierung einer selenokatalytischensyn-Dichlorierung war die Wahl des Oxidationsmittels.

Da bisherige Oxidantien nur zu monochlorierten Produkten führen[71] oder konkurrierende endoge-ne Nukleophile freisetzen,[162,164,167] musstenDenmark et al. ein neues Oxidationsmittel finden, das (1) hochgradig chemoselektiv den Selenkatalysator oder das Intermediat oxidiert und nicht das Alken oder Chlorid, (2) keine endogenen Nukleophile freisetzt, die eine mit Chlorid vergleichbare Reaktivität aufweisen, und das (3) in der Lage ist, das Selenofunktionalisierungsprodukt zu einer SeIV-Spezies aufzuoxidieren und die Substitution zu initiieren. Unter Berücksichtigung dieser Krite-rien identifizierten Denmark und Mitarbeiter N-Fluorpyridiniumtetrafluorborat ([PyF][BF4]) als geeignetes Oxidationsmittel.[169] Diese Verbindung zeichnet sich dadurch aus, dass sie neben dem schlechten Nukleophil Fluorid ein im Vergleich zu den Imidanionen (vgl. NCS, NBS und NFSI) weit weniger reaktives, neutrales Pyridin freisetzt.

Die Verwendung von 1.3 Äq. [PyF][BF4] und 5 Mol-% (PhSe)2zusammen mit einer Kombina-tion aus BnEt3NCl und TMSCl ermöglichte die vicinalesyn-Dichlorierung einer Reihe einfacher Al-kene (Schema 1.9). TMSCl ist als Quelle exogenen Chlorids zusätzlich zu BnEt3NCl nicht zwingend erforderlich, verhindert aber durch das Binden des gebildeten Fluorids unerwünschte Nebenreaktio-nen durch dieses Halogenid. Die Produkte70wurden unabhängig von der Doppelbindungskonfigura-tion mit sehr hoher Diastereoselektivität in Ausbeuten von 37-91% erhalten.E-konfigurierte Alkene lieferten syn-dichlorierte Produkte, wohingegen der Einsatz von Z-Alkenen zur Bildung der anti -dichlorierten Derivate führte. Neben unfunktionalisierten Olefinen wurden auch diverse funktionelle Gruppen, wie zum Beispiel Ether, Ester, Acetale, Imide, Carbamate und ungeschützte Alkohole un-ter den Reaktionsbedingungen toleriert. Lediglich der Einsatz konjugierun-ter, 1,1-disubstituierun-ter oder elektronenziehend substituierter Alkene, sowie die Anwesenheit konkurrierender intramolekularer Nukleophile im Substrat verhinderten eine effiziente Produktbildung. Besonders sterischer Druck in allylischer Position wirkte sich negativ auf die Funktionalisierung aus, ein Phänomen, dass auch bei anderen selenkatalysierten Alkenfunktionalisierungen beobachtet wurde.[175] Der vorgeschlagene Mechanismus beginnt mit der Oxidation des Diselenid-Präkatalysators zur chlorierten SeIV-Spezies I. Durch die reversible Dissoziation eines Chlorids entsteht die extrem elektrophile kationische Spezi-esII, die mit dem Substrat das SeleniraniumionIIIbildet. Ringöffnung von VerbindungIIIliefert die bekannte SeIV-SpeziesIV,[55,72]die durch die anschließende Chlorodeselenierung[73,74]das Produkt 70und PhSeCl freisetzt. Die Reoxidation von PhSeCl zu VerbindungI schließt den Katalysezyklus.

Alternativ zu dieser Hypothese bestünde auch die Möglichkeit der direkten Addition von PhSeCl an das Alken. Das Schlüsselintermediat IV würde in diesem Szenario durch die Oxidation des Se-lenochlorierungsprodukts gefolgt von der Koordination zweier Chloride gebildet werden.[169] Der beobachtete geschwindigkeitssteigernde Effekt des Lutidin-N-oxids (LNO) ist mechanistisch bisher noch nicht verstanden. Eine Ursache könnte die Stabilisierung der kationischen Spezies II oder III sein, was der Lewis-Basen-Aktivierung von Selenelektrophilen[18] (vgl. Schema 1.3) oder der Stabilisierung von Sulfeniumkationen vergleichbar wäre.[176–178]

Der Einsatz von N-Fluorpyridiniumverbindungen als Oxidationsmittel selenkatalysierter Um-setzungen wurde in der Folge vonZhaoet al.im Hinblick auf ein breiteres Spektrum an Substraten und Nukleophilen erweitert. Durch die Verwendung von 1.2 Äq. [PyF][OTf] in Kombination mit 5 Mol-% (PhSe)2 konnten die5-exo- und6-exo-Zyklisierung verschiedener Alkenole realisiert

wer-R1 R2

Schema 1.9:Selenkatalysiertesyn-Dichlorierung vonE- undZ-Alkenen nachDenmarket al.[169]

den. Andere in der Selenchemie übliche Oxidationsmittel, wie zum Beispiel PIFA, (NH4)2S2O8, Selectfluor oder NFSI, lieferten gar keine oder geringere Ausbeuten als das Pyridiniumsalz.[179] Die Zugabe von NaF als HF-Fänger war essentiell um eine effektive Produktbildung zu gewährleisten.

Unter optimierten Bedingungen konnten die Furane und Pyrane 72 in sehr guten Ausbeuten und mit exzellenter Markovnikov-Selektivität erhalten werden. Lediglich die Diastereoselektivität der Reaktion bei der Verwendung sekundärer Alkohole konnte nicht gesteuert werden (Tabelle 1.7, 72f). Mit zunehmender sterischer Hinderung der Alkoholfunktion nahm die isolierte Ausbeute der Produkte ab, aber selbst das aus dem teriären Alkohol 71e gebildete Furan 72e konnte in 67%

Ausbeute erhalten werden.

Zusätzlich zur Zykloetherifizierung eignete sich die Methode auch für die Zykloamidiernug ungesättigter Tosylamide (Tabelle 1.8).[179]Lediglich die Katalysatorbeladung und das Lösungsmit-tel mussten modifiziert werden, um eine effektive Zyklisierung der Substrate 73 zu gewährleisten.

Die Pyrrolidine 74a–e konnten in guten Ausbeuten als reine Markovnikov-Produkte erhalten werden und auch die Zyklisierung eines ǫ,ζ-ungesättigten Substrats führte zur Bildung des

erwar-Tabelle 1.7:Intramolekulare allylische Etherifizierung unter Verwendung von [PyF][OTf] als

teten Piperidins 74f. Einen interessanten Wechsel der Chemoselektivität konnten Zhaoet al. bei der Halbierung der eingesetzten Menge an Base beobachten. Entgegen der erwarteten Piperidine lieferten die ǫ,ζ-ungesättigten Amide73g,hbei der Verwendung von 0.5 Äq. NaF die Tetrahydroa-zepine 75a,b als Produkte einer7-endo-Zyklisierung. Die Autoren vermuten eine der Zyklisierung nachgeschaltete Brønsted-Säure-katalysierte Isomerisierung der entsprechenden Piperidine zu den Azepinen als ursächlich für die beobachtete Selektivität.[179]

Tabelle 1.8: Intramolekulare allylische Amidierung unter Verwendung von [PyF][OTf] als Oxidationsmit-tel.[179]

Neben der Untersuchung der Substratbreite der Umsetzung führten Zhao und Mitarbeiter eine Reihe mechanistischer Experimente zum besseren Verständnis der zugrundeliegende Elementar-schritte der Reaktion durch.[179]In19F- und77Se-NMR-Experimenten einer äquimolaren Mischung von (PhSe)2 und [PyF][OTf] konnten die Autoren eine neugebildete Selenspezies beobachten, bei

der es sich vermutlich um PhSeF handelt. Unterstützt wird diese Annahme durch die77Se chemische Verschiebung von δ = 1440.6 ppm und den Vergleich mit chemischen Verschiebungen ähnlicher Verbindungen.[180] Wurde zu diesem in situ erzeugten Reagenz ein Alken hinzugefügt, konnte das SelenofunktionalisierungsproduktIII(Schema 1.10) in 61% Ausbeute erhalten werden, was die An-nahme der Bildung von PhSeF weiter unterstützt. Auch die Freisetzung des Produkts aus SpeziesIII wurde vonZhaoet al.eingehender untersucht. Zusätzlich zur direkten Oxidation durch [PyF][OTf]

besteht die Möglichkeit der Übertragung eines Selenelektrophils (z.B. PhSeF) zur Aktivierung des Selenatoms für die anschließende Eliminierung. Um zwischen diesen Szenarien zu differenzieren, führten die Autoren eine Reihe an Versuchen zur Eliminierung der Seleneinheit unter Einsatz ver-schiedener Selenelektrophile und [PyF][OTf] durch. Lediglich bei der Verwendung von [PyF][OTf]

konnte das Produkt erhalten werden. Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse, wurde folgender Mechanismus postuliert (Schema 1.10). Die initiale Oxidation des Diselenid-Präkatalysators gene-riert die elektrophile SelenspeziesI, die über das Seleniraniumion II und intramolekulare Zyklisie-rung das SelenofunktionalisieZyklisie-rungsintermediatIIIliefert. Die direkte Oxidation dieser Spezies durch [PyF][OTf] führt zur Bildung des Oxidationsprodukts IV, das durch Eliminierung die Produkte72 und 74 freisetzt und SpeziesIregeneriert.

R1

Schema 1.10:Vorgeschlagener Mechanismus für die intramolekulare Etherifizierung und Amidierung nach Zhaoet al.[179]

N-Fluorpyridiniumverbindungen eignen sich neben Halogenierungen und intramolekularen Umsetzungen zusätzlich als Oxidationsmittel für intermolekulare Funktionalisierungen, sowohl mit endogenem als auch mit exogenem Nukleophil. Beides konnte vonZhaoet al.2017 mit der intermo-lekularen Pyridinierung von 1,3-Dienen und einfachen Alkenen demonstriert werden (Schema 1.11).[181]Als Katalysator dieser Umsetzung dienten 20 Mol-% Dibenzyldiselenid ((BnSe)2) in Kombination mit [PyF][OTf] als Oxidationsmittel. Die hohe Katalysatorbeladung war bedingt durch die Verwendung des benzylsubstituierten Diselenids, da dieses unter oxidativen Bedingun-gen ein weitaus höheres Maß an Zersetzung aufwies als die analoBedingun-gen Arylderivate. Die Produk-te 79 und 80 wurden in Ausbeuten von 40-96% als Trifluormethansulfonate erhalten. Im Fall

der 1,3-Diene fand die Pyridinierung ausschließlich an der terminalen Doppelbindung des Diens mit hoher Markovnikov-Selektivität statt, was eine orthogonale Regioselektivität gegenüber der bei metallkatalysierten Verfahren beobachtetenanti-Markovnikov-Selektivität darstellt.[182–186]

Die gleiche Markovnikov-Selektivität wurde bei der Verwendung der Alkene 77 beobachtet.

Substrate, die neben der Dieneinheit noch ein isoliertes Alken aufwiesen, wurden bevorzugt am Dien funktionalisiert, ohne dass ein negativer Effekt auf die Produktbildung festgestellt werden konnte (Schema 1.11, 79e). Lediglich die Erhöhung des sterischen Drucks in der 4-Position des Diens oder die Einführung eines Substituenten an der terminalen Position des Diens resultier-ten in verminderresultier-ten Ausbeuresultier-ten. Während der Optimierung stellresultier-ten die Autoren fest, dass bei der Verwendung o,o'-disubstituierter Pyridiniumsalze keine Produktbildung stattfindet, vermut-lich aufgrund der sterischen Abschirmung des nukleophilen Elektronenpaars am Stickstoffatom.

Dieser Effekt konnte ausgenutzt werden, um intermolekulare Pyridinierungen mit exogenen Nukleo-philen zu realisieren.[181] Anstelle des unsubstituierten Pyridiniumsalzes 78 wurde N-Fluor-2,4,6-trimethylpyridiniumtetrafluorborat ([TMPyF][BF4]) als Oxidationsmittel eingesetzt. Unter diesen Bedingungen konnte 4-Methylpyridin (81) als Nukleophil verwendet und das Produkt 82 in 68%

Ausbeute erhalten werden (Schema 1.11, unten). Dieses Ergebnis ist eines der wenigen Beispiele für eine intermolekulare Funktionalisierung mit exogenem Nukleophil und zeigt, dass eine generelle Lösung des Problems intermolekularer Umsetzungen mit exogenen Nukleophilen in der Selen-π-Säure-Katalyse durch den Einsatz sterisch gehinderter N-Fluorpyridiniumoxidantien eventuell mög-lich ist.

79a 79b 79c 79d 79e

79f 79g 80a 80b 80c

76a 81 82

Schema 1.11:Intermolekulare Pyridinierung von 1,3-Dienen und Alkenen unter Verwendung von [PyF][OTf]

als Oxidationsmittel und Beispiel einer Pyridinierung mit exogenem Nukleophil nachZhaoet al.[181]

In einer bahnbrechenden Studie gelang Maruokaet al. 2016 die erste hochgradig

stereos-elektive selenkatalysierte Alkenfunktionalisierung. Aufbauend auf ihren Studien über chirale Thiyl-radikale für Carbozyklisierungsreaktionen unter radikalischen Bedingungen[187] identifizierten die Autoren das Indan-abgeleitete Selenid 83a als geeigneten Präkatalysator für die oxidative Zykli-sierung der ungesättigten Carbonsäuren 85 zu den enantiomerenangereicherten γ-Butyrolaktonen 86.[152] Schlüssel zum Erfolg der enantioselektiven Zyklisierung war ein genaues Katalysatordesign.

Die Autoren vermuteten, dass die klassisch verwendeten chiralen, Lewis-basischen Seitengrup-pen[141,147,148,188] nicht ausreichend stark mit dem Selenzentrum wechselwirkten um bei Raum-temperatur eine hohe Stereoinduktion zu erzielen.[152] Ihr Ansatz war die zusätzliche Installation eines sterisch anspruchsvollen Substituenten in der Nähe des Selenatoms, um eine größere Starr-heit der chiralen Umgebung zu erreichen. Aus synthetischen Gründen wählten die Autoren das 4-Methoxybenzylselenid 83a als Präkatalysator, das unter oxidativen Bedingungen durch Abspal-tung der Methoxybenzylgruppe den aktiven Katalysator freisetzt (Schema 1.12).

PMBSe

Schema 1.12: Katalysatordesign für einen chiralen Selenkatalysator nachMaruokaet al. und Vergleich mit bisherigen chiralen Katalysatoren (oben) sowie die Freisetzung des aktiven Katalysators aus dem Präka-talysator83unter oxidativen Bedingungen.[152]

Im Rahmen der Optimierung des Katalysatorsystems identifizierten die Autoren NFSI als optimales Oxidationsmittel, um mit 10 Mol-% des Präkatalysators (S)-83a und 3.0 Äq. CaCO3 eine effektive und enantioselektive Zyklisierung zu ermöglichen (Tabelle 1.9). Eine große Auswahl β,γ-ungesättigter Carbonsäuren konnte unter diesen Bedingungen mit sehr guten Ausbeuten und exzellenten Enantiomerenüberschüssen in die Laktone 86 überführt werden. Verschiedene funktio-nelle Gruppen, wie zum Beispiel Imide, Nitrile und sogar Alkine wurden in der Reaktion toleriert. Bei styrylischen Substraten musste anstelle von CaCO3 TMSOCOCF3 als Base verwendet werden um zufriedenstellende Enantioselektivitäten zu erhalten. Die Autoren spekulierten, dass Trifluoracetat als Gegenion für die aktive Katalysatorspezies (vgl. Schema 1.12, III) entscheidend ist um in dieser Substratklasse eine hohe Stereoinduktion zu erzielen. Die beeindruckende Selektivität des Systems von Maruokaet al. konnte mit der Synthese des Produkts86f weiter unter Beweis gestellt wer-den. Durch die Verwendung von Katalysator (S)-83a lieferte die Zyklisierung der Säure (S)-85e das Lakton (S,S)-86e in 97% Ausbeute mit einem Diastereomerenüberschuss von 98:2. Der enan-tiomere Katalysator (R)-83a lieferte das diastereomere Produkt (R,S)-86e in 81% Ausbeute und einem Diastereomerenverhältnis von 97:3. Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass das aufgebaute Stereozentrum unabhängig von der Konfiguration benachbarter Gruppen und ohne Abnahme der Stereoinduktion vollständig kontrolliert werden kann.

Tabelle 1.9:Intramolekulare enantioselektive Laktonisierung der ungesättigten Carbonsäuren85unter Ver-wendung des chiralen Präkatalysators(S)-83a.[152]

R

O

OH 10 Mol-% (S)-83a NFSI (1.1 Äq.) CaCO3 (3.0 Äq.) oder TMSOCOCF3 (1.2 Äq.) PhMe, 23 °C

O O

85 86R

O O

iPr

O O

O O

O O

NPhth CN

99%, 93% ee

3 2

2 TIPS

O O

Me

iPr

3

90%, 96% ee >99%, 94% ee 60%, 94% ee 97%, 98:2 d.r.

O O

O O

O O

O O

O O

OMe CF3

Me Me

Me O2N

>99%, 85% ee >99%, 75% ee 92%, 83% ee >99%, 84% ee >99%, 81% ee

86a 86b 86c 86d 86e

86f 86g 86h 86i 86j

Wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, spielt bei der Entwicklung Selen-π-Säure-katalysierter Umsetzungen die Natur des Oxidationsmittels eine zentrale Rolle. Besonders im Kontext intermo-lekularer Alkenfunktionalisierungen diktiert das verwendete Oxidationsmittel durch die Freisetzung endogener Nukleophile oftmals die Natur der neu aufgebauten Funktionalität. Vor dem Beginn die-ser Arbeit waren im Fall intermolekularer Umsetzungen unter Verwendung selenkatalysierter Stra-tegien hauptsächlich Halogenierungsreaktionen bekannt, bei denen das nukleophile Halogenid aus dem Oxidationsmittel freigesetzt wird.[71,153,154,169] Die einzige Ausnahme zu dieser Regel stellte der Einsatz von (NH4)2S2O8 als Oxidationsmittel dar, dessen Verwendung neben vielen intramole-kularen Umsetzungen[93,189] auch in intermolekularen Funktionalisierungen erfolgreich war.[94,151]

Die geringe Toleranz funktioneller Gruppen, verbunden mit der schlechten Löslichkeit in vielen organischen Lösungsmitteln, haben eine Generalisierung der (NH4)2S2O8-basierten Selenkatalyse bislang jedoch verhindert.

Vor diesem Hintergrund war es Ziel des Promotionsvorhabens, ein breit anwendbares Selen-π-Säure-Katalysekonzept zu entwickeln, das den Einsatz exogener Nukleophile ermöglicht. Neben intramolekularen Umsetzungen, lag der Fokus besonders auf der Etablierung eines Konzepts zur intermolekularen, selenkatalysierten Alkenfunktionalisierung mit exogenen Nukleophilen. Aufgrund der Konkurrenz exogener und endogener Nukleophile, war die Untersuchung der Wechselwirkung von Diselenidkatalysator und Oxidationsmittel im Rahmen dieser Arbeit von zentraler Bedeutung.

Als ein erster Schritt sollte die Anwendungsbreite der vonBrederet al.entwickelten NFSI-basierten C – N-Bindungsknüpfung erweitert werden.[162]Von besonderem Interesse in diesem Kon-text war der Einsatz exogener, intramolekularer Nukleophile in Kombination mit NFSI, wodurch nähere Erkenntnisse über die Konkurrenz des endogenen Imids mit exogenen Nukleophilen gewon-nen werden sollten. Anschließend sollte die Eignung von NFSI als Oxidationsmittel in intermole-kularen, selenkatalysierten Umsetzungen untersucht werden, mit dem Ziel, exogene Nukleophile in das Edukt zu integrieren. Neben der Knüpfung von C – N-Bindungen war auch der Aufbau al-lylischer C – O-, C – S- und C – Hal-Bindungsmotive von Interesse, um die Anwendungsbreite der Selen-π-Säure-Katalyse im Kontext komplexerer Syntheseprobleme zu erweitern.

In einem parallelen Projekt sollte dem Oxidationsmittel an sich nähere Aufmerksamkeit ge-widmet werden. Zu Beginn des Promotionsvorhabens war im Kontext der Selen-π-Säure-Katalyse lediglich der Einsatz von Oxidationsmitteln bekannt, die infolge der Oxidation des Diselenids starke,

In einem parallelen Projekt sollte dem Oxidationsmittel an sich nähere Aufmerksamkeit ge-widmet werden. Zu Beginn des Promotionsvorhabens war im Kontext der Selen-π-Säure-Katalyse lediglich der Einsatz von Oxidationsmitteln bekannt, die infolge der Oxidation des Diselenids starke,