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3 Stand der Forschung: Krisen in der Produktentwicklung

3.2 Modellierung von Entwicklungssituationen und Herleitung des Krisenmodells

3.2.2 Modelle von Entwicklungssituationen

In den folgenden Abschnitten werden die fünf Modelle von Entwicklungssituationen von Reymen (2001), Badke-Schaub & Frankenberger (2004), Demers (2000), Gero (1990) und Gero & Kannengiesser (2004) sowie Gericke (2011) vorgestellt. Aufbauend auf diesen wird das Krisenmodell basierend auf der Systembetrachtung des Systems Engineering nach Haberfellner et al. (2015) hergeleitet.

Entwicklungssituationsmodell nach Reymen (2001)

Das Ziel der Dissertation Improving Design Processes through Structured Reflection von Reymen (2001) war die Entwicklung von domänenunabhängigem Wissen, um die strukturierte Reflexion des Entwicklungsprozesses zu unterstützen. Hierfür entwickelte sie auf der Grundlage von Zustandsübergangssystemen (engl. state-transition systems) ein Modell einer Entwicklungssituation (siehe Anhang A3, Abbildung 10-6). Dieses stellt eine domänen-unabhängige Nomenklatur zur Beschreibung des Entwicklungsprozesses und der dazuge-hörigen Situationen bereit.

Das Modell zeigt eine Entwicklungssituation zu einem bestimmten Zeitpunkt, der durch eine oder mehrere Aktivitäten (engl. activities) in einen anderen Zustand überführt werden kann.

Dabei wechseln sich beim Entwicklungsprozess Entwicklungssituationen und Aktivitäten ab.

Im Detail beschreibt Reymen eine Entwicklungssituation als Kombination des Zustands des Design-Kontexts (engl. state of the design process), des Zustands des entworfenen Produkts (engl. state of the product being designed) und des Zustands des Design-Prozesses (engl. state of the design context), abhängig vom jeweiligen Zeitpunkt.

Der Zustand der Entwicklung ist ein Wertesatz von Eigenschaften, die ein Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreiben. Der Zustand des Entwicklungsprozesses ist definiert als Wertesatz von Eigenschaften, die den Entwicklungsprozess zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreiben. Der Zustand des Designkontexts schließlich wird als Wertesatz von allen Faktoren, die die Eigenschaften des zu entwickelnden Produkts und Entwicklungsprozesses während eines bestimmten Zeitpunkts beeinflussen können. (Reymen, 2001, S. 46 ff. und S. 149 ff.) Modell der Konstruktionspraxis nach Badke-Schaub & Frankenberger (2004) Badke-Schaub & Frankenberger (2004) entwickelten bei ihrer Forschung zu Gruppenarbeiten in Konstruktionsprojekten ein Modell der Konstruktionspraxis (Ponn, 2007, S. 47). Diese Forschungsarbeit war eine Zusammenarbeit zwischen Psychologen und Maschinenbau-ingenieuren. In dieser wurde die tägliche Arbeit von Entwicklern und deren Arbeitsweisen untersucht. Bei dieser Arbeit wurden die Zusammenhänge des Konstruktionsprozesses, d. h.

Aufgabenstellung, Konstruktionsprozess und Ergebnisse, sowie die Einflüsse des Individuums und der Gruppe auf diesen Prozess und die dazugehörigen Rahmenbedingungen untersucht. Im Fokus der Untersuchungen waren kritische Situationen. Als kritisch werden in diesem Zusammenhang Situationen bezeichnet, in denen der Konstruktionsprozess entscheidend geprägt wird, in positiver wie negativer Weise (Frankenberger, 1997, S. 83, Ponn, 2007, S. 47).

Eine kritische Situation hat vier Dimensionen (Badke-Schaub & Frankenberger, 2004, S. 4):

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 Auswirkung

 Situationsbewusstsein

 Wirksamkeit

 Planbarkeit

Mit dem Modell der Konstruktionspraxis werden die Zusammenhänge der einzelnen Einflussfaktoren der Modellelemente als Wirkgefüge dargestellt (siehe Anhang A3, Abbildung 10-7). Die Einflussfaktoren werden dem Konstruktionsprozess, den Einflüssen des Individuums und der Gruppe und den Rahmenbedingungen zugeordnet. Im Wirkgefüge wird der Zusammenhang der Einflussfaktoren durch Relationen dargestellt. Pfeile symbolisieren diese Relationen. Die Ausprägungen der Relationen werden mit „+“ (je mehr bzw. desto mehr) und „–“ (je weniger bzw. desto weniger) gekennzeichnet.

Mit diesem Modell haben Badke-Schaub & Frankenberger (2004) kritische Situationen doku-mentiert, analysiert und kategorisiert. Dadurch konnten Ursachen für Erfolge und Misserfolge von kritischen Situationen identifiziert werden. „Diese bilden das Fundament der Definition von Maßnahmen für das Management Kritischer Situationen“ (Ponn, 2007, S. 47).

Modell zur Darstellung von Entwicklungsprozessen nach Demers (2000)

Demers (2000, S. 77 ff.) entwickelte eine Methode zur dynamischen Planung und Steuerung von Produktentwicklungsprozessen, die auf dem 3-Ebenen-Modell von Giapoulis (1998) und der Methode Problemformulierung aus TRIZ basiert. Ziel des Modells ist es, die ganzheitliche Analyse von Entwicklungssituationen auf Führungs-, Team- und Bearbeiterebene zu ermöglichen. Des Weiteren ist sie an die Structured Analysis and Design Technique (SADT) und die Architecture of Integrated Information Systems (ARIS) angelehnt (Scheer, 1999; Ross, 1977). Ein wesentlicher Bestandteil dieser Methode ist ein Modell zur Darstellung von Entwicklungsprozessen. Das Modell stellt Entwicklungsprozesse als Kausalketten dar. Mithilfe dieser Ketten sollen Entscheidungen an wichtigen und kritischen Punkten systematisch vorbereitet und die operative und strategische Planung unterstützt werden. Bei diesem Modell werden ebenso die Zeitpunkte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betrachtet.

Das Modell besteht aus Aktivtäten, Ein-/Ausgangsgrößen, Steuergrößen, Ressourcen und Ver-knüpfungen. Aktivitäten stellen dabei die Handlungen von Menschen, z. B. des Entwicklers, dar. Ein-/Ausgangsgrößen sind Umsatzprodukte von Aktivitäten. Aktivitäten benötigen Eingangsgrößen und erzeugen Ausgangsgrößen. Steuergrößen lösen Aktivitäten aus oder koordinieren diese. Ressourcen fassen Personal- und Sachmittel sowie Hilfsmittel und Methoden zusammen und werden von Aktivitäten benötigt. Die kausalen Zusammenhänge der Modellelemente entstehen durch vier Arten von Verknüpfungen: wird benötigt für, löst aus, verursacht und verhindert/behindert. Ein Modell nach Demers (2000) ist in Abbildung 10-8 im Anhang A3 dargestellt. Diese zeigt ein Modell zur Planung und Einordnung eines Berechnungsprozesses (Demers, 2000, S. 161).

Function-Behaviour-Structure-Rahmenwerk nach Gero (1990)

Das Function-Behaviour-Structure (FBS) Rahmenwerk nach Gero (1990) ist ein Modell des Entwicklungsprozesses. Dieses stellt den Entwicklungsprozess als die Verknüpfung von Zuständen dar. Im Mittelpunkt dieses Modells stehen drei Variablen. Funktionsvariablen (engl.

function variables) beschreiben die Teleologie16 des Objekts. Verhaltensvariablen17 (engl.

behaviour variables) beschreiben die Merkmale, die von der Struktur abgeleitet oder erwartet werden. Strukturvariablen (engl. structure variables) beschreiben die Komponenten und ihre Beziehungen zueinander. Bezogen auf das zu entwickelnde Objekt beantworten diese Variablen die Fragen:

 Wofür ist es? (Funktionsvariablen)

 Was macht es? (Verhaltensvariablen)

 Was ist es? (Strukturvariablen)

Das FBS-Rahmenwerk verknüpft diese drei Variablen über Veränderungsprozesse. Diese Prozesse überführen die geplante Funktion in eine Beschreibung des Designs (engl. design description). Abbildung 10-9 im Anhang A3 zeigt das Rahmenwerk mit den acht Prozess-schritten: Formulierung (Prozessschritt 1), Synthese (Prozessschritt 2), Analyse (Prozessschritt 3), Evaluation (Prozessschritt 4), Dokumentation (Prozessschritt 5) sowie Änderungen der Struktur (Prozessschritt 6), des Verhaltens (Prozessschritt 7) und der Funktion (Prozess-schritt 8).

Aufbauend auf dem Rahmenwerk leiten Gero & Kannengiesser (2004) das situative FBS-Rahmenwerk (engl. situated FBS framework) ab. Mit diesem Modell stellen sie den dyna-mischen Kontext des Entwicklungsprozesses dar. Diese Dynamik (engl. situatedness) beschrei-ben sie als das Zusammenspiel zwischen externer, interpretierter und erwarteter Welt. In diesen drei Welten wird der Entwicklungsprozess als Zusammenspiel der Variablen Funktion, Verhalten und Struktur um Anforderungen ergänzt dargestellt (siehe Anhang A3, Abbildung 10-10).

Kausalmodell für Projektfehler nach Gericke (2011)

In seiner Dissertation Enhancing Project Robustness: A Risk Management Perspective er-forschte Gericke (2011) Produktentwicklungsprojekte. Ziel der Arbeit war der Verständnis-aufbau von robusten Projekte. Im Mittelpunkt der Betrachtungen standen Projektrisiken und die Annahme, dass „Unternehmen, die Risiken präventiv oder proaktiv behandeln, mit größerer Wahrscheinlichkeit ihre Projekte erfolgreich beenden (…)“ (Gericke, 2011, S. V). Um Projektfehler (engl. project failure) und Risikobehandlungsstrategien (engl. risk treatment strategies) zu verknüpfen, modelliert Gericke Projektfehler und deren Konsequenzen als

16 Auffassung, nach der Ereignisse oder Entwicklungen durch bestimmte Zwecke oder ideale Endzustände im Voraus bestimmt sind und sich darauf zubewegen (Dudenverlag, 2017f).

17 Es werden zwei Arten von Verhalten unterschieden: Das erwartete Verhalten (engl. expected behaviour, Be) und das wirkliche Verhalten (engl. actual behaviour, Bs).

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Kausalketten (siehe Anhang A3, Abbildung 10-11). In diesem Modell verursacht ein Projekt-fehler eine oder mehrere Konsequenzen für das Projekt. Das Projektrisiko (engl. project risk) beschreibt die Wahrscheinlichkeit eines Projektfehlers. Dabei besteht ein Projektrisiko aus Ursache (engl. cause) und Effekt (engl. effect). Die Ursachen können im Produkt, im Projekt oder dem Stakeholder begründet sein. Der Effekt ist untergliedert in ein Ereignis (engl. event), das eine Auswirkung zu einem bestimmten Zeitpunkt (engl. impact(t)) verursacht. Dabei kann es mehrere Kausalketten geben, die einen oder mehrere Projektfehler bewirken. Ziel dieses Modells ist es, präventive, proaktive und reaktive Risikobehandlungsstrategien den Ursachen, dem Ereignis und der Auswirkung zuzuordnen.