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2 Grundlagen zur methodischen Problemlösung und zum Verhalten unter Zeitdruck

2.6 Crew Resource Management

2.6 Crew Resource Management

Als letzte Grundlage wird das Crew Resource Management vorgestellt. Dies ist neben dem reflexiven Dialog (siehe Unterkapitel 2.4) und den Heuristiken (siehe Unterkapitel 2.5) die dritte wesentliche Grundlage zur Unterstützung des menschlichen Verhaltens in Krisen. In unterschiedlichen Unternehmen außerhalb des Maschinenbaus und der Produktentwicklung, wie z. B. bei Hilfsorganisationen, wurden Vorgehen zum Umgang mit Krisen entwickelt. Ein in der Praxis angewendetes und in der Literatur dokumentiertes Vorgehen ist das Crew Resource Management. Dabei handelt es sich um ein Training aus der Luftfahrt zur Vermeidung von Fehlern und zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit. Während der Forschungsarbeit hat sich gezeigt, dass dieses Vorgehen für den Einsatz in der Produktentwicklung geeignet ist. Um dieses Vorgehen bei der Erarbeitung des Lösungsansatzes analysieren und anpassen zu können (siehe Unterkapitel 6.2.2 und 7.2), werden im Folgenden kurz die Entstehung, Einsatzbereiche sowie der Einsatz des Crew Resource Managements beschrieben.

„Das grundlegende Ziel des Crew-Resource-Management-Trainings war und ist es, die Einstel-lung der Cockpitbesatzungen zu ihren Teamkollegen zu formen oder zu korrigieren“ (Hagen, 2013, S. 10). Ausgangspunkt für die Entwicklung des Crew Resource Managements war ein von der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA (engl. National Aeronautics and Space Ad-ministration) veranstalteter Workshop im Jahr 1979. In dieser Zeit wurden Flugunfälle hauptsächlich durch menschliches und nicht durch technisches Versagen verursacht. So ereigneten sich viele Unfälle durch schlechte zwischenmenschliche Kommunikation, ungeklärte Führungsautoritäten und entscheidungsschwache Piloten. Seit dem Workshop und der Entwicklung des ersten Crew-Resource-Management-Trainings im Jahr 1981 wurde das Training kontinuierlich weiterentwickelt. Helmreich et al. (1999) und Hagen (2013) beschreiben fünf Generationen von Crew Resource Management.

Tabelle 2-5: Übersicht der Generationen des Crew Resource Managements nach Helmreich et al. (1999)

Generation/Jahr Titel: Ziel Inhalt

1. Generation ab 1981 Cockpit Resource Management:

Individueller Ansatz

Verbesserung des individuellen Verhaltens des Piloten bzgl. Führungsaufgaben und Verhalten im Team, Zusammenarbeit des Teams während Line Oriented Flight Training (LOFT) im Flugsimulator

2. Generation ab 1986

Crew Resource Management:

Team-Ansatz

Ausweitung des Trainings auf die gesamte Flugzeug Crew, Crew Resource Management als fester Bestandteil bei der Ausbildung der Verkehrspiloten, Erlernen von Teamrollen

Ausweitung des Trainings auf die Bereiche Flight Operations, Planung und Betreuung eines Flugs auf dem Boden

5. Generation seit 1997 Crew Resource Management:

Fehlermanagement

Konzentration auf den Umgang mit Fehlern in Krisensituationen: Fehler vermeiden, Fehler erkennen, Fehler ansprechen

Aviation Safety Reporting System (ASRS): System für anonyme Fehlermeldungen

Zu Beginn der 1. Generation des Crew Resource Managements fokussiert sich dieses auf die Ausbildung von Piloten. Daher stammt der ursprüngliche Name Cockpit Resource Management. Ab der 2. Generation wurde das Vorgehen auf die gesamt Flugzeugbesatzung ausgeweitet und in Crew Resource Management umbenannt. Ziel der 3. und 4. Generationen war es nicht nur, die Piloten, sondern das gesamte Kabinenpersonal bzw. auch die Bereiche, die mit der Flugzeugbesatzung zusammenarbeiten, zu integrieren. Heute ist die 5. Generation des Crew Resource Managements in der Anwendung. Diese konzentriert sich auf das Vermeiden, Erkennen und Ansprechen von Fehlern. Insgesamt umfasst das Crew Resource Management folgende fünf Handlungsfelder (Hagen, 2013): Entscheidungsfindung, Führung/Folgsamkeit, Kommunikation, Situationsbewusstsein, Arbeitsbelastung sowie Fehlermanagement und Standardisierung.

Über die Jahre wurde die Wirksamkeit des Crew Resource Managements in unterschiedlichen Studien überprüft. Es gibt kein einheitliches Ergebnis über die Wirksamkeit des Crew Resource Managements. Dies liegt nach Helmreich et al. (1999, S. 4) daran, dass die Unfallrate pro eine Million Flüge zu niedrig ist, um eine Aussage treffen zu können. Stattdessen kann der Erfolg am Verhalten im Cockpit und an der Akzeptanz und Einstellung gegenüber dem Training gemessen werden. Das Verhalten von Piloten im Training zeigt, dass sie das Vorgehen des Crew Resource Managements anwenden. Ob sie das Vorgehen in kritischen Situationen während des Flugbetriebs einsetzen, kann dadurch aber nicht überprüft werden. Auch wenn das Crew Resource Management nie alle Piloten erreichen wird, zeigt sich ebenso, dass Crew Resource Management positiv von den Piloten wahrgenommen wird. (Helmreich et al., 1999)

Salas et al. (2006) greifen die genannten Aspekte auf und können ebenfalls kein einheitlich positives oder negatives Fazit ziehen. Generell sehen sie aber einen Erfolg des Trainings und fassen diesen in den folgenden drei Punkten zusammen (Salas et al., 2006, S. 17):

1. Positive Reaktionen

2. Verbessertes Lernen (gemessen durch einen Wandel in der Einstellung sowie Wissenstests und Wissensstrukturen)

3. Erwünschte Änderung des Verhaltens in Cockpit sowohl im Simulator als auch in der Realität

Das Vorgehen des Crew Resource Managements wird mittlerweile nicht nur in der gewerb-lichen und militärischen Luftfahrt und Flugsicherung eingesetzt, sondern auch in anderen Be-reichen. So wird das Crew Resource Management auch in den folgenden Bereichen genutzt (Moecke et al., 2013, S. 153):

 Kernkraftwerke

 Ölbohrinseln

 Feuerwehr

 Medizin

 Bergführung

Die Ausbildung im Rahmen des Crew Resource Managements erfolgt anhand von ein- oder mehrtägigen Schulungen, vor allem in der Luftfahrt muss das Training regelmäßig wiederholt werden (Lufthansa, 2014). Die Trainingsinhalte werden meistens in Prinzipien dokumentiert.

2.6 Crew Resource Management 29

In den Recherchen zum Crew Resource Management konnte keine einheitliche Liste von Prinzipien ermittelt werden. Stattdessen konnte eine Liste von Prinzipien aus den unterschiedlichen Beschreibungen herausgearbeitet (siehe Tabelle 2-6).

Tabelle 2-6: Übersicht der Crew-Resource-Management-Prinzipien mit entsprechenden Quellen

Prinzip Quelle(n)

Anwendung von Teamwork Lufthansa (2014)

Verringerung des Hierarchiegefälles Edwards (1975), Hagen (2013) Führung einer offenen Kommunikation und

Verteilung von Informationen Helmreich et al. 2003

Fehlermanagement Hagen (2013, S. 192), Moecke et al. (2013),

Helmreich et al. (1999) Einführung von Sanktionsfreiheit Hagen (2013)

Checklisten, genaue Vorgehensweisen Helmreich et al. (1999), Hagen (2013)

Standardisierte Ansagen Hagen (2013, S. 116)

(De-)Briefing Hagen (2013)

FORDEC12 Hagen (2013, S. 116)

Planung und Verteilung der Aufmerksamkeit/der

Aufgaben Lufthansa (2014), Moecke et al. (2013, S. 8)

Anforderung von Hilfe und Ressourcen Moecke et al. (2013)

Lernen aus vergangenen Krisen Hagen (2013)

Stetiges Training HEAT Flight Support (2016)

Während die oben gezeigte Aufführung sich hauptsächlich auf die Luftfahrt bezieht, haben Rall

& Lackner (2010) 15 Prinzipien des Crew Resource Managements für die Akutmedizin aufgelistet:

1. Kenne Deine Arbeitsumgebung.

2. Antizipiere und plane voraus.

3. Hilfe anfordern, lieber früh als spät.

4. Übernimm die Führungsrolle oder sei ein gutes Teammitglied mit Beharrlichkeit.

5. Verteile die Arbeitsbelastung (10 Sekunden für 10 Minuten).

6. Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen (Personen und Technik).

7. Kommuniziere sicher und effektiv – Sag, was Dich bewegt.

8. Beachte und verwende alle vorhandenen Informationen.

9. Verhindere und erkenne Fixierungsfehler.

10. Habe Zweifel und überprüfe genau („double check“, nie etwas annehmen).

11. Verwende Merkhilfen und schlage nach.

12. Reevaluiere die Situation immer wieder (wende das 10-Sekunden-für-10-Minuten-Prinzip an).

13. Achte auf gute Teamarbeit – andere unterstützen und sich koordinieren.

14. Lenke Deine Aufmerksamkeit bewusst.

15. Setze Prioritäten dynamisch.

12 FORDEC: Akronym für eine Entscheidungsfindungsmethode. Die Buchstaben des Akronyms beschreiben die sechs Vorgehensschritte: Facts, Options, Risks & Benefits, Decision, Execution und Check.

Zusammenfassend ist das Hauptziel des Crew Resource Managements die effektive Nutzung von allen Ressourcen in den unterschiedlichen Bereichen, um Fehler zu vermeiden und die Sicherheit und Leistungsfähigkeit zu verbessern (International Association of Fire Chiefs, 2002). Zur Unterstützung von Entwicklern in Krisen wird dieser Ansatz analysiert und in Form von angepassten Prinzipien in die Produktentwicklung übertragen.