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5.1 Selektivverträge

5.1.1 Selektivverträge zur sektorenübergreifenden Versorgung

5.1.1.5 Marktakteure

Insgesamt betrachtet liegt das Interesse der Krankenkassen auf der einen Seite darin, dass sie Möglichkeiten zur Leistungssteuerung haben. Dies betrifft Patientenströme, Leistungsmengen, Schwerpunktbildungen und die Leistungsgestaltung. Außerdem ist die Kostensenkung auf der anderen Seite von Bedeutung. Für sie gilt demnach, die Versorgungssituation auf kostenlastige Schwachstellen hin zu analysieren.262 In Selektivverträgen können die Kassen abweichende (niedrigere) Preise bei bestimmten Leistungen vereinbaren. Die Erzielung von Skaleneffekten führt zur Preisreduktion durch zusätzliche Fälle und ermöglicht eine Mengen- und Preissteue-rung. Demgegenüber stehen jedoch Entwicklungs- und Verhandlungsaufwand zu Beginn, sowie Controllingaufwand nach dem Abschluss von Verträgen. Weiterhin entstehen in der Regel Mar-keting- und Kundenbetreuungskosten, damit die Versicherten die Versorgung auch in Anspruch nehmen. Dies alles verursacht Personalkosten.

260 Vgl. Franz (2008; S. 198 - 269)

261 Vgl. Wagner et al. (2007; S. 308 - 333)

262 Vgl. Schmitt (2004; S. 4)

Daneben ist Kundenbindung für Krankenkassen ein immer wichtiger werdendes Themenfeld.

Durch den einheitlichen Beitragssatz wird besonderer Service und das Leistungsangebot für den Versicherten zum Entscheidungskriterium, so dass die Krankenkassen hier tätig werden müssen.263 Für die neuen Bundesländer bieten Selektivverträge zur sektorenübergreifenden Versorgung das Potenzial, die Flächenversorgung zu sichern. Dabei werden Krankenhäuser und Ärztenetze im Vordergrund gesehen. Bischoff-Everding et al. sehen eine Versorgungsopti-mierung bei gleichbleibender Höhe der Gesundheitskosten für die Krankenkassen.264

Verträge zur vollständigen Auslagerung von Krankheitsbildern bei Krankenkassen z. B. an eine Managementgesellschaft in bestimmten Regionen sieht Mohnhaupt für die überwiegende Mehr-zahl der BKKn als ungeeignet an. Die Kassen verfügen bis auf wenige Städte nicht über eine ausreichend regionale Ausprägung.265

Der Umgang der Krankenkassen mit Integrierter Versorgung ist sehr unterschiedlich. Größere Krankenkassen mit einem höheren Marktanteil haben es in der Regel leichter, Verträge zu schließen. Große Regionskassen (z. B. AOKn) hatten es dagegen nach Schmitt schon immer einfacher, unmittelbaren Einfluss auf Vertragsgestaltungen zu nehmen. Insgesamt können Krankenkassen sich an dieser Stelle jedoch als 'Einkäufer' von Leistungen verstehen und die Angebote der Leistungserbringer betrachten.266 Die AOK Brandenburg legt dabei z. B. beson-ders hohen Wert auf Qualitätssicherungsmaßnahmen und Ergebnisverantwortung in ihren Ver-trägen sowie die damit verbundene Kommunikation, Koordination und Kooperation. Die Verträ-ge seien dabei regional begrenzt, da sich die Kasse in der strukturschwachen Region nicht noch durch Zentralisation schwächen lassen möchte. Die Voraussetzungen für Verträge sind bei dieser AOK darüber hinaus verbesserte Qualität in der Versorgung bei höchstens gleichen Kosten bzw. gleiche Qualität bei niedrigeren Kosten. Der Vorteil für die Versicherten sei dann leitliniengestützte Behandlung, Präventionsangebote oder kürzere Wartezeiten sowie die Er-sparnis der Praxisgebühr.267

Die Ersatzkassen werden in diesem Bereich als Marktführer mit besonderen Möglichkeiten an-gesehen. Von der reinen Anzahl der Verträge her, haben die BKKn mehr Verträge. Es gibt Be-sonderheiten im BKK-System, denn aufgrund der unterschiedlichen Morbiditätsstruktur und re-gionalen Ausprägung passen nicht alle Ansätze zu allen Kassen des Systems. Für Kassen mit einer älteren Versichertenstruktur sind DMP-Programme und IV-Verträge für Schlaganfall und geriatrische Versorgung besonders geeignet, für andere mit Versicherten zwischen 25 und 55 Jahren dagegen Geburtsmedizin, ambulante OPs und Rückenerkrankungen.268 Die AOKn und IKKn waren auch vorher gleichzeitig Krankenkasse und Verband auf Landesebene. Demge-genüber hatten die Ersatzkassen keine Vorzüge der Vertragsfreiheit, die sich den eben

263 Vgl. Fritsche (2007; S. 47 - 56)

264 Vgl. Bischoff-Everding et al. (2005; S. 5 und S. 24)

265 Vgl. Mohnhaupt (2007; S. 9)

266 Vgl. Schmitt (2004; S. 1 - 4) und Melchert (2004)

267 Vgl. Niebuhr (2006; II/26 - II/27)

268 Vgl. Mohnhaupt (2007; S. 2 f.)

ten Kassen bot. Die Barmer Ersatzkasse evaluierte einen ihrer IV-Verträge zur endoprotheti-schen Versorgung und erhielt als Ergebnis einen besseren Behandlungsablauf und eine signifi-kant höhere Verbesserung des Gesundheitszustandes im Gegensatz zur Vergleichsgruppe, die eine Regelversorgung erhielt. Gleichzeitig hat es eine Kostensenkung um 10 % gegeben.269 Insgesamt fehlt es den Krankenkassen laut Mohnhaupt indes noch an 'Integrationsversor-gern'.270

Die Sichtweise bzw. die Probleme auf Seiten der Leistungserbringer sind andere. Aus diesem Blickwinkel haben Krankenkassen eine starke Position, da sie Art, Umfang und die Partner von IV-Verträgen selbst bestimmen können. Kein Leistungserbringer hat Anspruch auf den Ab-schluss eines Selektivvertrages.271 Die niedergelassenen Ärzte haben nach Aussage einer em-pirischen Erhebung von Schultz et al. ein erhebliches Akzeptanzproblem, da sie nicht ausrei-chend informiert sind über Art, Umfang und Nutzen von Integrierter Versorgung. Außerdem be-klagen sie mangelnde Mitgestaltungsmöglichkeiten und mangelnde Konformität mit den ärztli-chen Werten.272

Krankenhäuser als Leistungserbringer, und hier insbesondere größere Krankenhäuser, vertre-ten oftmals eine noch etwas andere Position. Gerade Maximalversorger stehen in der Kritik, kein Interesse an sektorenübergreifender Zusammenarbeit, vor allem mit niedergelassenen Ärz-ten, zu haben. Die Vernetzung mit externen Leistungserbringern ist nach Aussage von Strehl eher die Ausnahme.273 Dabei haben besonders Universitätskliniken die idealen Voraussetzun-gen, Krankenkassen die Wirksamkeit durch begleitende Studien zu belegen.274 Es könnte auch angenommen werden, dass Krankenhäuser ohnehin mit den niedergelassenen Ärzten, auf-grund ihrer Versorgung an den gleichen Patienten, gut vernetzt sind. Das ist jedoch oftmals nicht der Fall.275

Daneben gibt es noch den Blickwinkel der KVn. Die Möglichkeit der Umstellung in Leistungsbe-reichen von Kollektivverträgen hin zu Selektivverträgen hat bereits Unruhe in verschiedenen Regionen des Landes und vor allem in die KVn gebracht. Sie sehen sich ausgegrenzt und die Versorgungsstrukturen dadurch gefährdet. Die Hausarztversorgung in Baden-Württemberg war der Beginn einer großen öffentlichen Diskussion. Die AOK wollte mit einem Selektivvertrag, oh-ne die KV einzuschließen, eioh-ne oh-neue Versorgung mit Hausärzten der Region aufbauen. Nach-dem sich unterschiedliche Stimmen dafür und dagegen ausgesprochen haben, bleibt abzuwar-ten, wie das Modell sich langfristig bewährt.276

269 Vgl. Schmitt / Stamm (2007; IV/4 - IV/7)

270 Vgl. Mohnhaupt (2007; S. 7)

271 Vgl. Schramm (2006; II/32 - II/34)

272 Vgl. Schultz et al. (2006; S. 176 - 183)

273 Vgl. Strehl (2006; II/19 - II/21) und Dahm (2005; S. 121)

274 Vgl. Tecklenburg / Ballüer (2007)

275 Vgl. Schmitt (2004; S. 2)

276 Vgl. Schlitt (2008)