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7.2 Ergebnisse

7.2.2 Die aktuelle Situation in der sektorenübergreifenden Versorgung und

7.2.2.2 Diskussion

Neue Versorgungsformen werden im Gesundheitswesen benötigt, um geringe Effizienzen, fi-nanzielle (Fehl-)Anreize, Koordinationsdefizite in der Versorgung, Über-, Unter- und Fehlversor-gung und mangelnde Compliance zu beseitigen.425 Vor dem GMG konnten rechtlich betrachtet zwar bereits Selektivverträge abgeschlossen werden, das Interesse der Kassen war allerdings sehr gering. Der Gesetzgeber hat dann mit dem GMG verschiedene gesetzliche Rahmenbedin-gungen zur sektorenübergreifenden Versorgung geschaffen bzw. überarbeitet (§ 63 - 65;

§ 137f-g und § 140a-d SGB V). Außerdem galt es, den Krankenkassen einen Anreiz zum wirt-schaftlichen Handeln zu geben. Nach diesen gesetzlichen Änderungen wurde eine Reihe von Selektivverträgen geschlossen. Das lässt für die Verfasserin dieser Arbeit einen Zusammen-hang zwischen entsprechenden Anreizen (Anschubfinanzierung) und einer Zunahme der Ver-tragsabschlüsse deutlich werden. Nach dem Auslaufen der Anschubfinanzierung Ende Dezem-ber 2008 hat erneut ein Wandel stattgefunden. Krankenkassen mussten bestehende Verträge auf ihre Ziele und deren Erreichung hin eindringlicher prüfen und werden dies nach Meinung der Verfasserin dieser Arbeit in Zukunft sogar noch intensiver tun müssen. Dass die Kassen bereits zunehmend reagieren, zeigen die Ergebnisse aus dieser Erhebung bei der Frage nach Kündi-gungen von IV-Verträgen seit dem Wegfall der Anschubfinanzierung (siehe Tabelle 13). Mehr als die Hälfte der Krankenkassen haben bestehende Verträge bereits gekündigt. Hierbei muss allerdings relativierend bedacht werden, dass nur diejenigen Kassen auch Kündigungen ange-ben konnten, die IV-Verträge besitzen.

Trotzdem beurteilten die Krankenkassen Selektivverträge mit 74 % mit einer 'hohen Bedeutung' in der vorliegenden Studie (siehe Tabelle 8) und 81,2 % der Kassen wollten noch innerhalb des Jahres 2009 weitere Selektivverträge abschließen (siehe Tabelle 11). Die Betrachtung der fol-genden Jahre zeigt jedoch Unsicherheiten, da die Anzahl der bejahenden Planungen deutlich nachließen und die Missings sehr hoch waren. Die Veränderungen der Angaben lassen sich nach Meinung der Verfasserin dieser Arbeit vor allem darauf zurückführen, dass zum Zeitpunkt der Befragung die gesundheitspolitischen Entwicklungen unklar waren. Im Herbst 2009 stand eine Bundestagswahl an, so dass weder feststand, welche Parteien zukünftig regieren würden, noch welche Reformrichtungen geplant waren.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen ferner, dass weder die Krankenkassenart noch die Größe einer Krankenkasse nachweisbare Auswirkungen auf die Beurteilung der Bedeutung von Selektivverträgen hat (siehe Tabelle 9 und Tabelle 10).

Die Krankenkassen gehen weiterhin von einer Ausweitung von Selektivverträgen aus (siehe Tabelle 12). Hierbei ist erkennbar, dass eine Ausweitung in anderes/e Bundesländer (72,4 %) wahrscheinlich ist. Eine Expansion der Verträge auf Gesamt-Deutschland gaben dagegen nur 46,6 % der Kassen an. Das lässt sich damit erklären, dass für eine Ausdehnung in ein anderes Bundesland bereits Konzepte und Erfahrungen mit der Umsetzung vorliegen. Berücksichtigt werden müssen bei diesem Vorgehen besonders die Rahmenbedingungen des neuen

425 Vgl. Schlette et al. (2005; S. 19)

tes, schließlich funktioniert ein Versorgungskonzept aus einem ländlichen Raum im Osten nicht automatisch in einem Ballungszentrum wie z. B. Berlin. Eine Expansion von Selektivverträgen auf Gesamt-Deutschland ist vermutlich deswegen schwierig, weil die Versorgungsunterschiede der einzelnen Länder sehr groß sind, so dass völlig unterschiedliche Bedürfnisse zugrunde lie-gen. Außerdem ist die Suche nach Leistungserbringern mit bestimmten Anforderungen bezogen auf das Gebiet von Gesamt-Deutschland äußerst schwierig. Letztlich haben viele Krankenkas-sen regionale Einzugsgebiete, so dass schon ihre KasKrankenkas-senstruktur eine Ausweitung auf Ganz-Deutschland gar nicht zulässt. Die Verfasserin dieser Arbeit hält es für unwahrscheinlich, dass ein solches Vorgehen zukünftig vermehrt Anwendung finden wird.

Erkennbar ist in dieser Studie weiterhin, dass Ausweitungen von Selektivverträgen im ambulan-ten (88,1 %) vor denen im stationären Bereich (69 %) stehen. Damit setzt sich der unlängst be-gonnene Trend ambulante vor stationären Leistungen in der sektorenübergreifenden Versor-gung fort.

Ähnliches gilt für Ausweitungen von Verträgen auf andere Krankheitsbilder und andere Ver-tragspartner. Zu Ersterem gaben die Kassen mit 90,3 % eine bejahende Antwort, zur zweiten Möglichkeit war der Wert mit 86,4 % vergleichbar hoch. Die eben beschriebenen Ausweitungs-ambitionen der Krankenkassen in dieser Untersuchung treffen genau die Forderungen des Sachverständigenrates nach mehr Integrationstiefe (die meisten Verträge umfassen nur durch-schnittlich drei Sektoren).426 Als problematisch sieht die Verfasserin dieser Arbeit jedoch dabei die Gewinnung von einer ausreichenden Anzahl an Versicherten. Eine (bessere) Qualität ist für Patienten kaum beurteilbar, daher müssen mehr Serviceleistungen oder wirtschaftliche Anreize angeboten werden, die der Versicherte tatsächlich wahrnimmt.

Als Steuerungsinstrument könnten Selektivverträge in Zukunft eine Rolle spielen (siehe Tabelle 14), dies hängt jedoch besonders von den nächsten Reformen im Gesundheitswesen ab. Als Instrument für eine 'Qualitätsverbesserung in der Versorgung' ist es den vorliegenden Ergebnis-sen zufolge gut geeignet, hier haben die KasErgebnis-sen die höchsten Erwartungen. Für die Erlangung von 'Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen Krankenkassen' scheinen Selektivverträge ebenfalls zweckmäßig zu sein. Sie stehen an zweiter Stelle der Erwartungen. Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass die Kassen Wettbewerb nicht mehr über den Beitragssatz führen können, sondern über ihre angebotenen Leistungen. Die Erwartungen zur 'Kostensenkung' ste-hen erst an dritter Stelle und werden ebenfalls positiv beurteilt; hierauf liegt also nicht das Hauptaugenmerk. Die 'Möglichkeit der Einflussnahme in der Versorgung durch die Krankenkas-se' werden bzgl. der Erwartungen eher mittelmäßig bewertet, und als Kalkulationsgrundlage sind Selektivverträge eher schlecht geeignet. Der Grund hierfür liegt wohl in der Schwierigkeit, eine ausreichende Anzahl an Versicherten für eine neue Versorgungsform zu gewinnen.

Auf der anderen Seite der Betrachtungsebene haben die Krankenhäuser in Deutschland in den letzten Jahren durch die Einführung der DRGs große Änderungen erfahren. Hier zeigt sich, dass große Marktteilnehmer sich aktiv positionieren müssen. Universitätskliniken sind große

426 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung und Entwicklung im Gesundheitswesen (2009)

Marktteilnehmer und nach Meinung der Verfasserin dieser Arbeit als bedeutende Marktmacht im Gesundheitswesen zu sehen, da sie ca. 10 % aller stationären Fälle behandeln.427 Will eine Universitätsklinik sich richtig positionieren, muss sie die Bedürfnisse ihrer Abnehmer berück-sichtigen. Hierfür ist nicht nur der stationäre Bereich zu betrachten, sondern die im Gesund-heitswesen zunehmende Forderung nach Vernetzung. In der Dreiteilung von Universitätsklini-ken ist dabei die KranUniversitätsklini-kenversorgung angesprochen. Als Leistungen können sie ihren Abneh-mern als Experten im Bereich medizinischer Behandlungen zur Verfügung stehen. Sie sollten dies nicht nur im stationären Sektor tun, sondern sektorenübergreifend mit ihren Leistungen an den Markt gehen.

Zu einer neuen Form der Vergütung, mit der noch nicht all zu viele Erfahrungen bestehen, er-folgte in der Erhebung die Frage nach der Bedeutung von Erfolgsbeteiligungen der Leistungs-erbringer (siehe Abbildung 7-5). Diese Bedeutung wird als 'ziemlich' bis 'mittelmäßig bedeutend' eingestuft. Den vorliegenden Ergebnissen zufolge kommt diese Vergütungsform also zuneh-mend in Betracht. Die Verfasserin dieser Arbeit sieht das Interesse der Kassen daran vornehm-lich deswegen steigen, da die finanziellen Anreize der Anschubfinanzierung nicht mehr vorhan-den sind. Erfolgsbeteiligung bietet dann in anderer Form eine finanzielle Absicherung. Diese Form der Vergütung könnte demnach für Selektivverträge zukünftig eine wichtige Rolle in der Versorgung spielen.

Krankenhäuser als Leistungserbringer und besonders Maximalversorger/Universitätskliniken stehen in der Kritik, kein Interesse an sektorenübergreifender Zusammenarbeit zu haben.428 Nur eine aktive Vernetzung mit vor- und nachgelagerten Leistungserbringern, die eine abgestimmte Versorgungskette enthält, ermöglicht jedoch langfristig, im überregionalen Wettbewerb zu be-stehen. Besonders geeignet für Vernetzung mit Universitätskliniken sind dafür schwerpunktmä-ßige Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen. Außerdem sind Pharma-, IT- und Medizintechnikunternehmen für Kooperationen sinnvoll.429

Um die Wahrnehmung der Krankenkassen zu Universitätskliniken als Vertragspartner zu unter-suchen, sind hierzu verschiedene Fragen zu der Preisgestaltung der Leistungen, der Zusam-menarbeit mit Universitätskliniken und deren Gegebenheiten bei der Versorgung gestellt wor-den.

Die Frage danach, ob Universitätskliniken für gleiche Leistungen in Selektivverträgen höhere Preise als andere Leistungsanbieter fordern, beantworteten die Kassen mit einem mittleren Wert (siehe Abbildung 7-6). Die Kosten für Leistungen werden demnach bei Universitätskliniken tendenziell höher kalkuliert als bei anderen Leistungserbringern. Es liegen hier aber seitens der Kassen offenbar unterschiedliche Erfahrungen mit Universitätskliniken vor. So besteht in

427 Vgl. Ott (2005; S. 79)

428 Vgl. Dahm (2005; S. 121), Strehl (2006; II/19 - II/21) und Kartte / Rong (2009; S. 359 f.)

429 Vgl. Kartte / Rong (2009; S. 360 und S. 363 f.)

kreisen die Meinung, dass „niedergelassene Ärzte […] viele Leistungen preiswerter erbringen [können] als Krankenhäuser“.430 An dieser Stelle ist noch intensive Forschungsarbeit notwendig, die klären könnte, ob und ggf. welche Unterschiede es z. B. bei der Kalkulation zwischen den einzelnen Universitätskliniken gibt.

Die Bewertung der Zusammenarbeit mit Universitätskliniken ist unterschiedlich (siehe Abbildung 7-7). Die 'Kommunikation' und 'Managementfähigkeit' sind 'mittelmäßig' beurteilt worden. 'Zuver-lässigkeit' wird dagegen als 'gut' angesehen und 'Flexibilität' als 'mittelmäßig' bis 'eher schlecht'.

Die 'Kooperationsfähigkeit bei der Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten' und 'Leis-tungsfinanzierern' findet eine 'mittelmäßige' Bewertung, wobei Letztere tendenziell in den Be-reich 'eher schlecht' gelangt. Die mittelmäßig bis schlechten Aspekte sollten daher seitens der Universitätskliniken überdacht werden.

Einen anderen Eindruck vermitteln Universitätskliniken den Kassen dagegen bei der Versor-gung an sich (siehe Tabelle 15), hier beurteilen Krankenkassen die Fähigkeiten zwischen 'sehr gut' und 'gut'. Besonders die 'Neuesten medizinischen Technologien' und 'Behandlung auf höchstem medizinischem Niveau' werden besonders positiv bewertet. 'Interdisziplinäre Behand-lung' und 'Neueste Informationstechnologien' erhalten vorwiegend eine 'gute' Wertung. Somit liefern diese Ergebnisse bereits einen allgemeinen Trend hin zur Wettbewerbsstrategie Diffe-renzierung. Diese entsteht vor allem an der Schnittstelle zwischen Abnehmer und einem Unter-nehmen. Bei der Differenzierung muss ein Unternehmen einem Kunden etwas bieten, das für diesen mehr Wert besitzt als der bloße Kaufpreis. Ein Abnehmer zahlt nur einen höheren Preis, wenn er einen entsprechenden Nutzen hat.431 Die Ergebnisse belegen, dass Spitzenmedizin als Leistung für Abnehmer (als Mehrwert) erkennbar ist.

Zusammenfassend ist die Anzahl der Verträge derzeit eher rückläufig. Es hängt nun sehr von den nächsten Reformen des Gesetzgebers ab, wie die Entwicklung in den nächsten Jahren wei-tergeht. Mit einigen Einschränkungen ist dennoch ein positiver Trend der Selektivverträge zur sektorenübergreifender Versorgung zu verzeichnen. Das Kollektivvertragssystem wird sicherlich immer weiter aufgeweicht werden, aber eine Ablösung in großen Teilen ist nicht zu erwarten.

Bestehende tatsächlich wirtschaftliche Verträge werden jedoch weiter ausgeweitet werden. Au-ßerdem wird sich der Trend, der hin zu einer zunehmenden Verzahnung der Sektoren geht, auch durch Kooperationen, fortsetzen. Um im zukünftigen Gesundheitsmarkt bestehen zu kön-nen und eine gute Position am Markt zu erlangen oder zu halten, müssen sich Universitätsklini-ken mit anderen Versorgungsstrukturen vernetzen. Übergeordnet betrachtet ist hierfür eine Konzentration auf speziell ausgewählte Leistungen der Spitzenmedizin sinnvoll. Der Ansatz ei-nes Integrationsversorgers kann hier in den Vordergrund gestellt werden.

Demzufolge benötigen die Universitätskliniken Wettbewerbsstrategien zur sektorenübergreifen-den Versorgung. Die erste Hypothese („Universitätskliniken benötigen Wettbewerbsstrategien

430 o.V. (2009a; S. 259)

431 Vgl. Porter (2000; S. 85 f., S. 169 und S. 182 f.)

zur sektorenübergreifenden Versorgung. Im zukünftigen Gesundheitsmarkt muss sich ein Uni-versitätsklinikum mit anderen Versorgungsstrukturen vernetzen. Als Strategie ist eine Entschei-dung zwischen einer Differenzierung und einer Kostenführerschaft erforderlich.“) ist demnach übergeordnet betrachtet verifiziert.

Die weiteren Hypothesen untersuchte die Verfasserin dieser Arbeit in den folgenden Fallstu-dien.

7.2.3 Fallstudie psychische Erkrankungen