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M. bovis moduliert die Morphologie von nPMN ausschließlich durch eine direkte Interaktion Zunächst wurde geprüft, inwieweit der M. bovis-Stamm "PG45" einen direkten Einfluss auf neutrophile Granulozyten ausübt. Dafür wurden morphologische (FSC, SSC), phänotypische (CD62L, CD11b und CH138A) und funktionelle (Bildung reaktiver Sauerstoffspezies) Parameter verwendet. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob eine indirekte Stimulation mit M. bovis vergleichbare Veränderungen hervorruft. Der indirekte Effekt wurde dabei anhand von mit M. bovis stimulierten embryonischen bovinen Lungenepithelzell-Überständen vermittelt. Der Erreger bewirkte vor allem direkt eine Veränderung der Morphologie der neutrophilen Granulozyten. Dies äußerte sich in signifikant reduzierten Forward-Scatter-Werten der mit M. bovis direkt inkubierten nPMN (Abbildung 2, A). Eine Zellverkleinerung kann mit der Abgabe von Granula oder NETs im Zusammenhang stehen (FLETCHER u.

SELIGMANN 1985), wenngleich dies mit einer in dieser Arbeit nicht beobachteten (Abbildung 2, ) Veränderung der Komplexität bzw. Granularität einhergeht. Inwieweit die Forward-Scatter-Werte in einem realen Zusammenhang mit einer verminderten Zellgröße stehen, kann lediglich vermutet werden. So können Veränderungen im Forward Scatter auch auf eine Variation in der Zellform zurückzuführen sein, wie Roberts und Hallett. zeigten. Während zirkulierende Zellen eine nahezu sphärische Form haben, weisen die nPMN unmittelbar vor der Extravasation eine Abflachung auf (ROBERTS u. HALLETT 2019). In humanmedizinischen Studien konnte zudem die Apoptose oder Dehydratation der Zelle als Ursache einer Forward-Scatter-Reduktion nachgewiesen werden (YURINSKAYA et al. 2017). Ungeachtet dessen zeigte diese Veränderung, dass M. bovis einen direkten Effekt auf die Morphologie boviner

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nPMN ausübt. Morphologische Zellveränderungen laufen sehr schnell ab, so dass, wie bereits McNeil et al. im Zuge der Stimulation von neutrophilen Granulozyten mit chemotaktischen Peptiden beschrieben, eine zeitabhängige Variation der Zellgröße und -komplexität vorliegen kann (MCNEIL et al. 1985). Um von den morphologischen Veränderungen auf die vorliegende Aktivität der nPMN zu schließen, bedarf es einer, in dieser Arbeit nicht durchgeführten, kinetischen Betrachtung. Auffällig war weiterhin, dass die zellmorphologischen Veränderungen der Größe ausschließlich durch eine direkte Zellstimulation hervorgerufen wurden, eine indirekte Stimulation mit den Epithelzellüberständen hingegen keinen Einfluss auf die Morphologie nahm (Abbildung 5). Werden nPMN mit chemotaktisch aktiven Stoffen inkubiert, ist dies mit einer deutlichen Veränderung der Form assoziiert (DONABEDIAN et al.

1987). Dies lässt vorsichtig vermuten, dass die Epithelzellen unter Stimulation mit M. bovis keine oder wenige Chemokine gebildet haben. Die Membranproteine LAMPs beeinflussten weder direkt noch indirekt die Zellmorphologie. Dies legt die Vermutung nahe, dass nur die Gesamtheit des Pathogens bei direktem Kontakt mit der Zelle die Morphologie beeinflusst.

Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse moduliert M. bovis demnach die Zellmorphologie der neutrophilen Granulozyten ausschließlich als Gesamtorganismus und im Rahmen eines direkten Zellkontaktes.

Direkt und indirekt mit M. bovis stimulierte nPMN unterscheiden sich wesentlich in Phänotyp und Funktion

Für eine erfolgreiche Immunantwort durch neutrophile Granulozyten ist das Ausüben ihrer Funktionen, welche anteilig durch Oberflächenrezeptoren vermittelt werden, erforderlich.

Daher wurden im Folgenden der Einfluss von M. bovis auf exemplarische Oberflächenmoleküle (Phänotyp) und die ROS-Bildungskapazität der Zellen betrachtet. Übereinstimmend mit Studien zum Mykoplasmenstamm Mb1 zeigte der in dieser Arbeit verwendete Stamm PG45 eine direkt vermittelte Reduktion der Expression des Oberflächenmoleküls CD62L (JIMBO et al. 2017) (Abbildung 3, A). Da L-Selektin die initiale Adhäsion und das Rollen als Auftakt des Extravasationsprozesses mediiert, lässt sich durch M. bovis eine Beeinträchtigung dieser Prozesse mit konsekutiv reduzierter Migration und verminderter Immunabwehr neutrophiler Granulozyten vermuten. Dies steht in Übereinstimmung mit Studien an CD62L-Gen-deaktivierten Mäusen (sog. Knockout-Mäuse), bei denen das fehlende L-Selektin zu einer

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mangelnden Leukozytenrekrutierung mit gesteigerter Empfänglichkeit für Lungeninfektionen führte (HAFEZI-MOGHADAM et al. 2001; CAPPENBERG et al. 2019). In starken Kontrast dazu stehen die histopathologischen Befunde in vivo-infizierter Rinder, die sich durch eine massive Ansammlung degenerierter neutrophiler Granulozyten im alveolaren Bereich auszeichnen (GAGEA et al. 2006). Folglich ist eine Infektion mit M. bovis in vivo in der Tat mit einer Migration der nPMN zum Infektionsort assoziiert und die vorliegenden Ergebnisse könnten ein Phänomen, welches sich auf In-vitro-Studien beschränkt, darstellen. Zusätzlich beruht eine M.-bovis-assoziierte Pneumonie in vivo meist auf einer Ko-Infektion mit bakteriellen oder viralen Erregern (F.P. MAUNSELL et al. 2011). Es wurde bisher nicht untersucht, inwieweit diese Pathogene das Oberflächenmolekül beeinflussen, wodurch eine synergistische Modulation von L-Selektin in vivo durchaus denkbar ist. Die indirekte Stimulation der neutrophilen Granulozyten mit M. bovis dagegen zeigte ein inverses Verhalten mit einer gesteigerten CD62L-Expression (Abbildung 6, A). Dies lässt eine verbesserte migratorische Aktivität durch eine vermehrte Bindungsmöglichkeit an CD62L vermuten, was wiederum zu dem histopathologischen Bild einer M.-bovis-assoziierten Pneumonie passt.

Andererseits steht das Ergebnis im Kontrast zu humanmedizinischen Studien, in denen Erreger wie Heliobacter pylori oder Formylpeptide von gramnegativen Bakterien eine Reduktion der L-Selektin-Expression durch Epithelzellüberstände vermittelten (CROWE et al. 1995; IVETIC 2018). Neben der Bindung proinflammatorischer Entzündungsmediatoren führt auch das Abspalten der Ektodomäne von CD62L zu einer Aktivierung der nPMN mittels outside-in-signaling (PENG et al. 2019). Dieser Verlust der CD62L-Expression der nPMN wird als Goldstandard zur Beurteilung der Zellaktivierung in vivo und in vitro verwendet (IVETIC et al.

2019). Epithelzellüberstände, die unter Stimulation von M. bovis entstanden, verursachen folglich keine Aktivierung der neutrophilen Granulozyten, sondern lassen ein verhindertes Abspalten der Ektodomäne vermuten. Dieses Phänomen ist im Rahmen von Pseudomonas-aeruginosa-induzierten Pneumonien beim Menschen bekannt (CONESE et al. 2003). Bei gemeinsamer Betrachtung der direkten und indirekten Stimulationsergebnisse stellt sich die Frage nach der Realitätsnähe der verschiedenen In-vitro-Modelle. Bisher ist bekannt, dass M.

bovis als invasiver Erreger durch die epithelialen Zellverbindungen in den Blutkreislauf übergehen kann und im Gefolge systemisch verteilt wird, wie durch die Isolation des Erregers im Blut und an zahlreichen Körperstellen nachgewiesen wurde (ADEGBOYE et al. 1995;

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PFUTZNER u. SACHSE 1996). Dabei bleibt unklar, wie der zeitliche Ablauf der Erregerdissemination im Vergleich zur Immunantwort ist, sodass offen bleibt, in welchem Kompartiment der Erreger auf die nPMN trifft und ob zunächst eine direkte oder indirekte Beeinflussung der Blut-nPMN stattfindet. Lediglich eine In-vivo-Studie von zirkulierenden nPMN, wie auch transmigrierten nPMN zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Infektion könnte Aufschluss in dieser Fragestellung geben. Während LPS als Bestandteil gramnegativer Bakterien und das -Toxin von S. aureus jeweils ein inverses Expressionsmuster von CD62L auf nPMN verglichen mit dem vollständigen Pathogen verursachen, führte weder eine direkte noch eine indirekte Stimulation mit LAMPs zu einer wesentlichen Modulation der L-Selektin-Expression auf neutrophilen Granulozyten (RIOLLET et al. 2000; DIEZ-FRAILE et al. 2003a).

L-Selektin sorgt für eine schnelle Aktivierung des Oberflächenmoleküls CD11b durch inside-out-signaling (LEY 2003). Folglich korreliert eine reduzierte L-Selektin-Expression invers mit einer gesteigerten CD11b-Expression (KISHIMOTO et al. 1989). In dieser Arbeit wurde beobachtet, dass nPMN, die durch M. bovis direkt stimuliert wurden, eine reduzierte CD62L-Expression aufweisen, jedoch keine signifikant modifizierte CD11b-CD62L-Expression (Abbildung 3, B). Dies steht in Übereinstimmung mit den Studien zum Mykoplasmenstamm Mb1 (JIMBO et al. 2017). Auch eine indirekte Epithelzell-mediierte Stimulation mit M. bovis zeigte keine Beeinflussung von CD11b (Abbildung 6, B). Die fehlende Modulation lässt vermuten, dass keine Beeinträchtigung der festen Adhäsion an das Endothel oder der Funktion des CR3-Rezeptors (complement receptor type 3) durch M. bovis verursacht wird. Weder eine direkte noch eine indirekte Stimulation der neutrophilen Granulozyten mit M. bovis führt zu einer wesentlichen Modulation der CH138A-Expression (Abbildung 3, C und Abbildung 6, C). Da auch für den Erregerstamm Mb1 kein Einfluss auf die CH138A-Expression nachweisbar war (JIMBO et al. 2017), scheint CH138A durch Mycoplasma bovis im Allgemeinen nicht moduliert zu werden.

Auch die funktionelle Analyse der mit M. bovis stimulierten nPMN spricht für einen Unterschied zwischen direkter und indirekter Stimulation. So zeigen direkt stimulierte nPMN eine reduzierte Fähigkeit reaktive Sauerstoffspezies zu bilden, während indirekt stimulierte neutrophilen Granulozyten keine Beeinflussung der ROS-Produktion aufweisen (Abbildung 4 und Abbildung 8). Bei Betrachtung der Literatur fallen Unterschiede in der ROS-Beeinflussung zwischen den einzelnen M.-bovis-Stämmen wie auch zwischen den verwendeten Methoden zur

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ROS-Erfassung auf. Thomas et al. stellte zwar ebenfalls eine Reduktion der ROS-Bildung durch eine direkte Stimulation fest, allerdings für den Mykoplasmenstamm "ATCC 25025" und unter Verwendung der Luminol-Chemolumineszenz, welche als hauptsächlicher Nachweis der extrazellulären Superoxidproduktion dient (C. B. THOMAS et al. 1991). Für den in dieser Arbeit verwendeten Stamm PG45 hingegen wurde Dihydrorhodamin123 (DHR123) als Messinstrument intrazellulärer Peroxide, Hydrogenperoxid und Peroxinitrit verwendet (H.

WANG u. JOSEPH 1999). Gondaira et al. konnte für den Stamm PG45 keine wesentliche Manipulation der extrazellulären, nPMN-vermittelten ROS-Produktion mittels Luminol-Chemolumineszenz nachweisen (GONDAIRA et al. 2017). Bisher existierten keine Studien zu der intrazellulären, mittels DH123 messbaren, ROS-Produktion des Erregerstammes PG45.

Lediglich Wiggins et al. widmeten sich den Unterschieden zwischen einzelnen Erregerstämmen unter Verwendung von DHR123 und konnten zeigen, dass durchaus große Differenzen zwischen der Beeinflussung der ROS-Bildungsfähigkeit liegen, die tierindividuell und tagesabhängig variieren (WIGGINS et al. 2011). Eine Beeinträchtigung der bovinen ROS-Bildung wird mit einer gesteigerten Suszeptibilität für Erkrankungen assoziiert (BAEHNER 1990; DINAUER 1993) und könnte auch im Falle von M. bovis maßgeblich zur Pathogenese durch eine Verhinderung der nPMN-Abwehrfunktion beitragen. Dahingegen zeigte die indirekte Stimulation zwar eine gesteigerte ROS-Produktion in bovinen nPMN gegenüber der Mediumkontrolle ohne Zusatz von Epithelzellüberständen, jedoch keine Signifikanz gegenüber Überständen, denen kein Stimulus zugesetzt wurde (Abbildung 8). Folglich scheinen Epithelzellen als Reaktion auf M. bovis keine ROS-modulierenden Substanzen zu bilden.

LAMPs waren im Rahmen der Stimulationsversuche weder direkt noch indirekt in der Lage, die ROS-Produktion signifikant zu beeinflussen, sodass erneut die Hypothese bestätigt wird, dass ausschließlich das Pathogen als Gesamtstruktur die Immunantwort moduliert. Die Zugabe von PMA führte in allen untersuchten Tieren zu einer erhöhten ROS-Produktion der nPMN, wobei alle vorliegenden Ergebnisse unabhängig von einer Stimulation mit PMA waren (Abbildung 4, B und Abbildung 8, B). Daraus lässt sich schließen, dass M. bovis trotz einer PMA-vermittelten Aktivierung der NADPH Oxidase mittels des Proteinkinase-C-Signalweges in der Lage ist, die ROS-Bildung signifikant im Rahmen einer direkten Stimulation zu reduzieren. In dieser Arbeit erfolgte keine Opsonisierung der Mykoplasmen, da ein serumfreies Medium verwendet wurde (RPMI-Medium, 9.3.5) und auch keine Komplementfaktoren oder

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Antikörper hinzugesetzt wurden. Inwieweit in vivo eine Opsonisierung des Erregers mit konsekutiver NADPH-Oxidase-Aktivierung und ROS-Bildung erfolgt, ist bisher nicht erforscht und die vorliegenden Daten sollten unter Berücksichtigung dieses Aspektes betrachtet werden.

Aus den vorliegenden Beobachtungen lässt sich schlussfolgern, dass M. bovis als Gesamtorganismus einen Effekt auf den Phänotyp und die Funktion der neutrophilen Granulozyten ausübt. Präferenziell werden diese Effekte durch einen direkten Kontakt der Granulozyten mit M. bovis vermittelt und weniger über Mediatoren, die M. bovis evtl. in anderen Zellen induziert. Vor allem die Modulation der L-Selektin-Expression neutrophiler Granulozyten scheint eine besondere Rolle in der Pathogenese M. bovis-assoziierter Erkrankungen einzunehmen und ein Schlüssel zur Umgehung der Immunantwort durch das Rind zu sein. Ob das Modell einer direkten oder indirekten Modulation in vivo stattfindet und warum sich trotz der Beeinflussung dieses Migrations-vermittelnden Oberflächenmoleküls histopathologisch sichtbare, hochgradige Ansammlungen von nPMN am Infektionsort zeigen, konnte nicht abschließend geklärt werden. Zudem lässt sich feststellen, dass M. bovis die ROS-Bildung in bovinen nPMN hemmt und so einer Elimination durch die nPMN entgehen könnte.