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2.2 Phänotyp und Funktion neutrophiler Granulozyten

2.2.1 Oberflächenmoleküle von neutrophilen Granulozyten

Die Markierung von Oberflächenmolekülen dient der Identifizierung und Charakterisierung von Immunzellen. Die Expression und Modulation einzelner Moleküle lässt dabei auf bestimmte Funktionszustände, wie beispielsweise die Aktivierung, Migration oder Apoptose der Zelle schließen (VIKENTIOU et al. 2009; DENISET u. KUBES 2016; SILVESTRE-ROIG et al. 2016).

CD62L

Selektine (CD62, Cluster of differentiation) bilden neben Integrinen, Cadherinen und Proteinen der Super-Immunglobuline eine Familie der Zelladhäsionsmoleküle (cell adhesion molecules, CAM). Diese finden sich auf zirkulierenden Leukozyten (L-Selektin), endothelialen Zellen (E-Selektin) und Thrombozyten (platelets, P-(E-Selektin)(LEY 2003). L-Selektin (CD62L) ist ein Typ-1-Transmembran-Lektin-Monomer und wird sowohl auf B-Zellen, dendritischen Zellen, Monozyten, Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) und T-Zellen als auch auf neutrophilen Granulozyten exprimiert (THIEL et al. 1997; FOSTER et al. 2013; IVETIC 2018). Dabei wird L-Selektin auf allen Reifungsstadien von bovinen neutrophilen Granulozyten vom Knochenmark bis zur Zirkulation exprimiert (MONFARDINI et al. 2004). L-Selektin vermittelt die initiale Adhäsion (Tethering) zwischen CD62L und seinen endothelialen Determinanten.

Diese stellt den ersten Schritt der Extravasation von neutrophilen Granulozyten dar und dient der Entschleunigung der nPMN im Blutstrom, sodass sich vermehrt Zellen an der Gefäßwand sammeln (BUTCHER 1991; WALZOG u. GAEHTGENS 2000). Bovines CD62L ist strukturell und funktionell homolog zu humanem oder murinem L-Selektin (DIEZ-FRAILE et al. 2003b).

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Dessen Aufbau besteht aus drei Domänen, wobei der N-terminalen, Kalzium-abhängigen Domäne besondere Bedeutung zukommt. Diese interagiert mit zahlreichen Glykanen, unter anderem dem Tetrasaccharid-Ligand sialyl Lewis x (sLex) auf Epithelzellen (WEDEPOHL et al. 2012). Durch Knüpfen und Auflösen der Bindung mit sLex wird ein Rollen (Rolling) von neutrophilen Granulozyten entlang der luminalen Wände von postkapillären Venolen als Beginn der mehrstufigen reversiblen Adhäsionskaskade initiiert (LEY 2003). Diese Bindung ist transient, da neutrophile Granulozyten mittels Proteolyse ihre Ektodomäne abspalten (sog.

ectodomain shedding), sodass dieser Teil des CD62L als lösliche Form im Blut vorliegt (SCHLEIFFENBAUM et al. 1992; SCHLONDORFF u. BLOBEL 1999). Während des Rollens führen zahlreiche proinflammatorische Entzündungsmediatoren zu einer Aktivierung von L-Selektin, welches als Signalübertragungsrezeptor eine Aktivierung des neutrophilen Granulozyten auslöst. Dieser Prozess wird als outside-in signaling beschrieben (DIEZ-FRAILE et al. 2002). Die Forschung zur Expression von CD62L auf bovinen neutrophilen Granulozyten konzentrierte sich bislang auf die Geburt und frühe Laktation. So wurde gezeigt, dass bovine neutrophile Granulozyten +/- einen Tag post partum weniger L-Selektin exprimieren, was zu einer reduzierten Migration von zirkulierenden nPMN ins Gewebe und somit zu einer erhöhten Suszeptibilität gegenüber Infektionen beitragen könnte (MEGLIA et al. 2001; MONFARDINI et al. 2002). In diesem Kontext wurden einige rindertypische Erreger auf die Modulation der CD62L-Expression hin untersucht. Während eine natürliche Milchdrüseninfektion mit Staphylococcus aureus (S. aureus) und Escherichia coli (E. coli) jeweils zu einer gesteigerten L-Selektin-Expression führte (DIEZ-FRAILLE et al. 2004; NAGAHATA et al. 2011)., zeigten das -Toxin von S. aureus, wie auch der Bestandteil gramnegativer Bakterien LPS ein inverses Verhalten zu dem vollständigen Pathogen, indem sie eine Herabregulation von L-Selektin bewirkten (RIOLLET et al. 2000; DIEZ-FRAILE et al. 2003a). Während Jimbo et al. eine reduzierte L-Selektin-Expression durch die direkte Stimulation mit dem M. bovis-Stamm

"Mb1" nachweisen konnte (JIMBO et al. 2017), bleibt offen, inwieweit der M. bovis-Stamm

"PG45" die Expression von L-Selektin auf bovinen neutrophilen Granulozyten moduliert.

Weiterhin ist unklar, ob ein Unterschied in der Expression nach einer direkten oder indirekten Stimulation der Zellen besteht. Inwieweit die Membranproteine LAMPs einen Einfluss auf die L-Selektin Expression haben, ist bisher nicht erforscht.

27 CD11b

Integrine sind transmembrane Heterodimere mit jeweils einer - und -Untereinheit, die zur Familie der Zelladhäsionsmoleküle zählen. Bisher sind in der Humanmedizin 8 -Untereinheiten und 18 -Untereinheiten bekannt, die zusammen 24 mögliche Integrin-Ausprägungen formen. Dabei beschränkt sich die Expression der 2-Integrin-Subfamilien auf Leukozyten, weshalb sie auch als leukocyte cell adhesion molecules (Leu-CAM) bezeichnet werden (HYNES 2002). Bovine neutrophile Granulozyten exprimieren drei Mitglieder der 2 -Integrin-Oberflächenrezeptoren: CD11a, b und c/CD18 (DIEZ-FRAILE et al. 2002), deren Synthese bereits während der Reifung der neutrophilen Granulozyten im Knochenmark stattfindet (LUND-JOHANSEN u. TERSTAPPEN 1993). Bei dem in dieser Arbeit untersuchten Oberflächenmolekül CD11b handelt sich um die -Untereinheit des Integrins CD11b/CD18, auch bezeichnet als Mac-1 (macrophage-1) oder CR3 (complement receptor type 3). Dieses wird in einem inaktiven Zustand exprimiert und durch CD62L aktiviert, wobei diese schnelle Aktivierung des Integrins durch inside-out signaling zu einer raschen Immunreaktion führt (LEY 2003). Neben dem inside-out signaling können IL-8, Komplementfaktor 5a, platelet activating factor (PAF) oder Leukotrien B4 eine Integrin-Aktivierung auf neutrophilen Granulozyten vermitteln (DIEZ-FRAILE et al. 2002). Durch die Aktivierung von Mac-1 und anderer Integrine kommt es zu einem Wechsel von einem Zustand geringer Affinität zu einem transienten Zustand hoher Affinität. Dadurch entsteht eine feste Adhäsion von Integrinen an unterschiedliche Liganden der Endothelzellen, wie beispielsweise dem intercellular adhesion molecule-1 (ICAM-1), welche zu einem Stillstand der neutrophilen Granulozyten trotz des bestehenden Blutstroms führt (DIEZ-FRAILE et al. 2002). Auch wenn Mac-1-unabhängige Signalwege für die Extravasation von neutrophilen Granulozyten beschrieben sind (VAN GARDEREN et al. 1994; ACKERMANN et al. 1996), wurde nachgewiesen, dass die In-vitro-Migration durch bovine mammäre endotheliale und epitheliale Zellen auf der Funktion von 2-Integrin beruht (SMITS et al. 2000). Neben der Bindung an Endothelzellen fungiert Mac-1 auch als Rezeptor für Teile des Komplementsystems (CR3) und vermittelt so die Phagozytose opsonisierter Bakterien (LUKACSI et al. 2017). Die Relevanz des CD11b-Oberflächenmoleküls für die Leukozyten-Rekrutierung bei Rindern zeigt sich klinisch an der bovinen Leukozyten-Adhäsions-Defizienz (BLAD). Bei dieser kongenitalen Erkrankung führen zahlreiche Mutationen im CD11/CD18-Komplex zu einem Versagen der

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normalen 2-Integrin-Oberflächenexpression mit konsekutiver Beeinträchtigung der Extravasation neutrophiler Granulozyten, wodurch sich chronische und wiederkehrende Infektionen zeigen (GERARDI 1996; NAGAHATA 2004). Durch die Verwendung inflammatorischer Stimuli wie dem bovinem IL-8 konnte in vitro eine gesteigerte Mac-1-Expression auf bovinen neutrophilen Granulozyten nachgewiesen werden (D.

MCCLENAHAN 2000). Dabei zeigten mehrere Studien im bovinen Feld, dass eine Steigerung der Mac-1-Expression durch neutrophile Granulozyten auf ein zytoplasmatisches Reservoir zurückzuführen ist (GILBERT et al. 1992; ROETS et al. 1999; DIEZ-FRAILE et al. 2003b).

Die Erhöhung der CD11b-Expression auf der nPMN-Oberfläche, die durch inflammatorische Mediatoren wie LPS oder TNF- induziert wird (DIEZ-FRAILE et al. 2004), korreliert mit einer gesteigerten CD11b-basierten Adhärenz und transendothelialen Migration (ANDERSON et al. 1986; DIAMOND u. SPRINGER 1993).Weitere Induktoren einer erhöhten CD11b-Expression sind sowohl die Transmigration entlang eines IL-8-Gradienten (EICKHOFF 2018) als auch In-vivo-Infektionen mit Erregern wie E. coli, Streptococcus uberis und Pasteurella haemolytica (DOSOGNE et al. 1997; SMITS et al. 1998; D. J. MCCLENAHAN et al. 1999).

Während sich therapeutische Ansätze bisher auf eine Expressionsbeeinflussung durch Cortisol und Dexamethason beschränken (BURTON et al. 1995; DIEZ-FRAILE et al. 2000), sind in der Humanmedizin bereits Integrin-Antagonisten als Therapeutika zur Behandlung von autoimmunen, entzündlichen Erkrankungen, wie der Colitis ulcerosa, des Morbus Crohn und der schubförmig verlaufenden multiplen Sklerose, zugelassen (EUROPEAN MEDICINES AGENCY (EMA) 12.08.2019). Für M. bovis wurde bisher ausschließlich der Einfluss durch den Stamm Mb1 untersucht, der keine Modulation von CD11b zeigte (JIMBO et al. 2017).

Inwieweit weitere M.-bovis-Stämme einen direkten oder indirekten, modulatorischen Effekt auf die Expression von CD11b und damit einen Einfluss auf die feste Adhäsion von neutrophilen Granulozyten an das Endothel im Entzündungsgeschehen hat, ist bisher nicht untersucht.

CH138A-Zielstruktur

Davis et al. beschrieb 1987 erstmalig den Antikörper CH138A, welcher spezifisch an eine bisher unbekannte Zielstruktur auf der Oberfläche von bovinen Granulozyten bindet. Dadurch ist eine Zelldiskriminierung gegenüber anderen myeloiden Zellen, wie Monozyten und Makrophagen, sowie Lymphozyten möglich (DAVIS et al. 1987). Entsprechend wird CH138A vermehrt zur Identifikation von Granulozyten im peripheren Blut von Rindern (MEHRZAD et

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al. 2001; LAMOTE et al. 2004; DEPREESTER et al. 2017), sowie zur speziesübergreifenden Identifikation von bovinen PMN verwendet. CH138A zeigt zudem eine hohe Sensitivität und Spezifität für Granulozyten in der Milch und ermöglicht so eine Abgrenzung gegenüber anderen somatischen Zellen (PIEPERS et al. 2009). Die Zielstruktur wird Individuen-spezifisch auf eosinophilen und neutrophilen Granulozyten oder selektiv ausschließlich auf neutrophilen Granulozyten exprimiert (EICKHOFF 2018). 2018 wurde CH138A erfolgreich immunhistologisch zur Färbung von Granulozyten in Euterparenchymschnitten verwendet, wobei sich eine verminderte Anfärbbarkeit von apoptotischen und nekrotischen Zellen zeigte.

Gemeinsam mit der Feststellung, dass abgetötete Leukozyten eine Herabregulation der CH138A-Zielsstruktur zeigen, schlussfolgerte Eickhoff, dass der Vorgang der Apoptose und Nekrose selbst oder der Einfluss nekrotischer Zellen auf vitale PMN zu einer Modulation der Oberflächenstruktur führt (EICKHOFF 2018). Ausschließlich das proinflammatorische Zytokin TNF- hat einen Einfluss auf die Expression der CH138A-Zielstruktur, hingegen führen die Zytokine IL-10, IL-1 und IFN- zu keiner Veränderung. Auch zirkulierende lösliche Faktoren im Plasma oder Serum haben keinen differenziellen Einfluss auf die CH138A-Zielstruktur (EICKHOFF 2018). Bovines CXCL-8 (boCXCL-8) selbst, sowie die in-vitro-Migration entlang eines boCXCL8-Gradienten, bewirken eine Hochregulation des Epitops für CH138A auf separierten neutrophilen Granulozyten, wohingegen keine Veränderung der Oberflächenstruktur durch boCXCL-8 im Vollblut stattfindet. Eickhoff bewies erstmalig, dass auch Erreger einen Einfluss auf die Expression der Oberflächenstruktur bewirken. So regulierte der Mastitis-Erreger Staphylococcus aureus (S. aureus) die CH138A-Zielstruktur in vivo bei adulten Kühen herab, wohingegen Escherichia coli (E. coli) keine Modulation verursachte (EICKHOFF 2018). Im Gegensatz dazu führte die In-vitro-Phagozytose von S. aureus und E. coli durch neutrophile Granulozyten von Kälbern zu keiner Modulation der Zielstruktur (BATISTA et al. 2015). Ob weitere Erreger einen modulierenden Einfluss auf die Oberflächenstruktur haben, bleibt zu untersuchen. Jimbo et al. konnten zwar für den Mykoplasmen-Stamm Mb1 keinen Einfluss auf die CH138A-Expression nachweisen (JIMBO et al. 2017), offen bleibt aber, ob dies für alle Mykoplasmenstämme im Allgemeinen gilt.

30 2.2.2 Transmigration

Für eine effektive Pathogenabwehr durch neutrophile Granulozyten ist eine räumliche Nähe zum Erreger unabdingbar. Die Emigration von neutrophilen Granulozyten aus Blutgefäßen in das umliegende Gewebe unter Einfluss eines chemotaktischen Signals wird als Transmigration oder Diapedese beschrieben und stellt den finalen Schritt des Extravasationsprozesses dar (MULLER 2003). Die Transmigration basiert auf einer Rezeptor-vermittelten Aktivierung neutrophiler Granulozyten durch ein chemotaktisches Signal, wodurch es zu einer erhöhten Expression von Integrinen und anderen an der Transmigration beteiligten Molekülen auf der Zelloberfläche kommt (BAGGIOLINI 1998). Chemotaktisch wirksame Zytokine (Chemokine) werden in der ersten Phase einer Infektion durch Sensorzellen im Gewebe (Mastzellen, Makrophagen, dendritische Zellen) freigesetzt und führen über ein Konzentrationsgefälle, dem sogenannten Chemokingradienten, zu der selektiven Rekrutierung von Leukozyten zum Infektionsgeschehen (BAGGIOLINI et al. 1989; STOJKOVIC et al. 2016). Wichtige chemotaktische Signale für neutrophile Granulozyten sind der Komplementfaktor C5a, der Lipidbotenstoff Leukotrien B4 (LTB4) sowie Interleukin-8 (IL-8) (REN-FENG GUO u. WARD 2004; LÄMMERMANN et al. 2013). Interleukin-8 gehört zu der Gruppe der CXC-Motiv-Chemokine und wird u.a. von Monozyten, Endo- und Epithelzellen sowie Fibroblasten gebildet.

(BAGGIOLINI u. CLARK-LEWIS 1992). Aufgrund seiner potenten chemotaktischen Wirkung wird IL-8 im Rahmen von Studien zur Migrationsinduktion sowie in höheren Konzentrationen als Positivkontrolle verwendet. Seine Wirkung auf neutrophile Granulozyten wurde in zahlreichen Studien untersucht (ZEILHOFER u. SCHORR 2000; EICKHOFF 2018).

Die Transmigration von neutrophilen Granulozyten durch die Wände postkapillärer Venolen beinhaltet eine Penetration der Endothelzell-Barriere und dessen Basalmembran und kann je nach Chemokinspektrum über eine para- oder transzelluläre Route verlaufen (LEY et al. 2007).

Für die Migration entlang des parazellulären Weges werden lösliche kationische Proteine durch neutrophile Granulozyten freigesetzt, sodass die intrazelluläre Kalziumkonzentration ansteigt (A. J. HUANG et al. 1993; GAUTAM et al. 2000). Es kommt zu einer Aktivierung der myosin light chain kinase (MLCK), wodurch es zu einer Retraktion der Endothelzellen und der Öffnung interzellulärer Kontakte kommt (HIXENBAUGH et al. 1997; GARCIA et al. 1998). Adhärente Leukozyten transmigrieren mittels zahlreicher Einzelbindungen entlang verschiedener endothelialer Zelladhäsions-Moleküle durch die interzelluläre Öffnung. Moleküle wie

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platelet / endothelial cell adhesion molecule 1 (PECAM1) und junctional adhesion molecule A (JAM-A) üben dabei einen haptotaktischen Reiz auf die neutrophilen Granulozyten aus (MULLER 2003), während andere Moleküle, wie ICAM1 & 2 (intercellular adhesion molecule), JAM-A, -B, -C und CD99 aktiv die parazelluläre Migration vermitteln (VESTWEBER 2002). Neben dieser Form der Diapedese können neutrophile Granulozyten auch durch den endothelialen Zellkörper migrieren. Für diese transzelluläre Route erfolgt eine ICAM1-vermittelte Bildung von vesikulo-vakuolären Organellen (VVOs), die einen intrazellulären, Membran-assoziierten Durchgang bilden. Durch diesen können die nPMN migrieren, wobei diese Beobachtung bisher nur in vivo gemacht werden konnte (DVORAK u.

FENG 2001). Diese Transmigrationsform kommt nur im Bereich dünner Endothelschichten vor, da hier die kürzeste Migrationsdistanz vorliegt (CARMAN u. SPRINGER 2004). Bisher wird vermutet, dass die gleichen Moleküle wie bei der parazellulären Migration involviert sind (ENGELHARDT u. WOLBURG 2004). Nach Durchdringen der Endothelzell-Barriere erfolgt die Migration durch die Basalmembran und die umgebenden Perizyten. Während die zugrunde liegenden Prozesse noch nicht vollständig geklärt sind, konnte festgestellt werden, dass neutrophile Granulozyten dabei dem Weg des geringsten Widerstandes wählen und so durch Zwischenräume der Perizyten und Regionen geringer Proteindichte wandern (SHIJUN WANG et al. 2006). Diese Bereiche weisen eine erhöhten Durchlässigkeit für chemotaktische Signale auf, wodurch der chemotaktische Gradient den neutrophilen Granulozyten richtungsweisend wirkt (KURZ et al. 2016). Zahlreiche Bakterien manipulieren den Transmigrationsprozess, um die Immunantwort durch neutrophile Granulozyten zu beeinflussen. Während Pasteurella multocida eine gesteigerte Transmigration verursacht (GALDIERO et al. 2000), führen Streptococcus uberis und E. coli zu einer Verzögerung der Extravasation (SMITS et al. 1998;

BURVENICH et al. 2007). Auch wenn bereits große Teile des bovinen Transmigrationsprozesses und der modulierenden Erregereinflüsse erforscht sind, existiert für Mycoplasma bovis bisher nur eine Studie, welche sich mit der Transmigration von Monozyten befasst (LU u. ROSENBUSCH 2004).Welchen Einfluss M. bovis auf die Transmigration von neutrophilen Granulozyten hat, ist bisher nicht Bestandteil der Forschung gewesen.

32 2.2.3 Die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies

Nach der Einwanderung von neutrophilen Granulozyten in das Gewebe gehören zu deren Effektorfunktionen die Pathogenaufnahme durch Phagozytose und das Abtöten von Erregern.

Dafür produzieren sie eine Vielfalt bakterizider Moleküle, darunter Defensine, Lysozyme und reaktive Sauerstoffspezies (reactive oxygen species, ROS) (GUDMUNDSSON u.

AGERBERTH 1999). Der Bildung von ROS kommt eine bedeutende Rolle in der Abwehr zu, weshalb eine beeinträchtige ROS-Bildung mit einer gesteigerten Suszeptibilität für Erkrankungen assoziiert wird (BAEHNER 1990; DINAUER 1993). Die Entstehung von ROS wird durch einen Membran-assoziierten Protein-Enzym-Komplex, die NADPH-Oxidase, mediiert (HAMPTON et al. 1998). Der Enzym-Komplex liegt inaktiv vor und kann durch eine Reihe von Faktoren, darunter opsonisierte Bakterien, Zymosan oder Phorbol-12-myristat-13-acetat (PMA) aktiviert werden (CZUPRYNSKI u. HAMILTON 1985; LEINO u. PAAPE 1993;

RAMBEAUD et al. 2006). Bei PMA handelt es sich um ein nicht-physiologisches Analogon von Diacylglycerol, welches die NADPH-Oxidase mittels des Proteinkinase-C-Signalweges aktiviert (WINTERBOURN et al. 2016). Reaktive Sauerstoffspezies umfassen verschiedene reaktive Moleküle und freie Radikale, die aus molekularem Sauerstoff entstehen. So reduziert die NADPH-Oxidase nach ihrer Aktivierung den extrazellulären oder im Phagosom vorhandenen Sauerstoff zu Superoxidanionen (O2-), welche als potenteste Sauerstoffspezies angesehen werden (WEISS 1989; EL-BENNA et al. 2005). Superoxidanionen können Membranen passieren und mithilfe einer Superoxid-Dismutase oder durch spontane Dismutation in Hydrogenperoxid (H2O2) umgewandelt werden (HAMPTON et al. 1998).

Hydrogenperoxid wiederum kann einerseits mit Superoxidanionen zu Hydroxylradikalen (OH) reagieren und andererseits mittels des Enzyms Myeloperoxidase, in Gegenwart von Halogenen, zu Hypochlorit (OCl) und Hypoiodit (OI) umgewandelt werden. Die unterschiedlichen ROS sind intra- und extrazellulär nachweisbar (HAMPTON et al. 1998). Die extrazelluläre Produktion resultiert aus der membranständigen Lokalisation der NADPH-Oxidase. Im Zuge der Phagozytose wird die Membran internalisiert und zu einem Phagosom abgeschnürt, welches den Membran-Komplex enthält, so dass eine intrazelluläre ROS-Produktion innerhalb des phagosomalen Kompartiments stattfindet (DAHLGREN u. KARLSSON 1999). Viele Pathogene haben Mechanismen entwickelt, um die bakteriziden ROS der neutrophilen Granulozyten zu bekämpfen oder zu umgehen. So sezernieren Salmonellen ein Protein, das die

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Aktivierung der NADPH-Oxidase verhindert (VAZQUEZ-TORRES et al. 2000), während E.

coli die Aktivierung eines Proteins der nPMN nutzt, um eine Resistenz gegenüber Hypochlorit zu erreichen (JAKOB et al. 1999; WINTER et al. 2008). Manche Erreger wie Mycoplasma mycoides ssp. mycoides oder Erregerbestandteile wie Lipopolysacharide von E. coli verursachen hingegen eine gesteigerte ROS-Produktion (REVELO u. WALDRON 2012; DI TEODORO et al. 2018). Für Mycoplasma bovis bestehen unterschiedliche Studienergebnisse.

Während häufig eine verminderte ROS-Produktion festgestellt werde konnte (HOWARD u.

TAYLOR 1983; C. B. THOMAS et al. 1991), zeigten Gondaira et al. 2016, dass eine Stimulation mit M. bovis keinen Einfluss auf die ROS-Bildung hatte (GONDAIRA et al. 2017).

Wiggins et al. führten die variierenden Ergebnisse auf Unterschiede zwischen den einzelnen M.-bovis-Isolaten zurück (WIGGINS et al. 2011). Inwieweit M. bovis oder seine Lipid-assoziierten Membranproteine (LAMPs) indirekte Einflüsse auf die ROS-Bildung ausüben, war bisher nicht Bestandteil der Forschung.

Neben der Bildung reaktiver Sauerstoffspezies enthält das Zytoplasma neutrophiler Granulozyten verschiedene Granula-Typen, deren Enzymausstattung eine weitere Grundlage ihrer bakteriziden Wirksamkeit gegen zahlreiche Mikroorganismen darstellt (GENNARO et al.

1983). So enthalten primäre Granula u.a. Myeloperoxidasen, Hydrolasen oder Defensine.

Sekundäre Granula enthalten Lysozyme, Elastasen, Lactoferrin und Kollagenasen, während tertiäre Granula hauptsächlich Metalloproteinasen und verschiedene antimikrobielle Proteine enthalten (FAURSCHOU u. BORREGAARD 2003; AMULIC et al. 2012). Eine weitere Defensivfunktion der neutrophilen Granulozyten, die erstmalig in 2004 beschrieben wurde, ist die Auslagerung von Chromatinstrukturen mit daran gebundenen Granula, welche als neutrophil extracellular traps (NETs) bezeichnet werden (BRINKMANN et al. 2004). Durch die lokale Konzentration antimikrobieller Bestandteile werden Mikroorganismen gebunden, immobilisiert und abgetötet (BRINKMANN u. ZYCHLINSKY 2007).

2.3 Die Regulation entzündlicher Prozesse durch myeloide Zellen

Gewebsschäden und Infektionen führen zu einer raschen Aktivierung der lokalen Immunantwort durch myeloide Zellen, um Pathogene zu beseitigen und Schädigungen des Gewebes zu reparieren. Eine angemessene Terminierung der inflammatorischen Kaskade ist essentiell, um eine Resolution der Immunantwort mit nachfolgender Restitution der

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Gewebshomöostase zu ermöglichen (ELLIOTT et al. 2017). Eine Störung dieser Resolution kann in einer chronischen Inflammation und dem Verlust der Selbsttoleranz resultieren und so zu kardiovaskulären Erkrankungen, kanzerogenen Entartungen oder Autoimmunität führen (HEADLAND u. NORLING 2015). Bei gesunden, immunkompetenten Individuen wird sowohl der Beginn als auch die Resolution gut orchestriert, wodurch der Inflammationsprozess selbstlimitierend ist (SERHAN u. SAVILL 2005). Der Erfolg der Immunantwort hängt dabei maßgeblich von der Interaktion verschiedener Immunzellen, insbesondere der neutrophilen Granulozyten, Monozyten und Makrophagen, ab (SOEHNLEIN u. LINDBOM 2010). In der Anfangsphase der Entzündung sezernieren diese pro-inflammatorische Mediatoren, wie Prostaglandine und Leukotriene, welche die Aktivierung von Leukozyten, Endothel- und Epithelzellen sowie den Durchmesser und die Permeabilität der Gefäße steuern (SOEHNLEIN u. LINDBOM 2010). In der Endphase der Entzündung durchlaufen neutrophile Granulozyten eine spezialisierte Form des programmierten Zelltodes, bekannt als Apoptose (PAAPE et al.

2003). Während der anschließenden Efferozytose, einem Prozess bei dem apoptotische nPMN durch Phagozyten beseitigt werden, werden anti-inflammatorische Zytokine und sogenannte specialized pro-resolving mediators (SPMs), produziert und es kommt zu einem Lipid-Mediatorwechsel. So erfolgt ein Umschwung von einem pro- zu einem antiinflammatorischen Milieu mit Resolution des Inflammationsprozesses (GREENLEE-WACKER 2016).

2.3.1 Apoptose

Neutrophile Granulozyten sind kurzlebige Zellen, die nach einer Lebenszeit von wenigen Tagen im Gewebe spontan apoptotisch werden (CARLSON u. KANEKO 1975). Werden diese Zellen über einen längeren Zeitraum im Gewebe belassen, führt dies in bovinem mammären Gewebe zur Freisetzung zytotoxischer Sauerstoffradikale und Proteasen mit nachfolgender Epithelschädigung (CAPUCO et al. 1986; LEDBETTER et al. 2001). Folglich dient der als Apoptose bezeichnete programmierte Zelltod der Entfernung überschüssiger oder potenziell schädlicher Zellen und stellt damit einen bedeutsamen Mechanismus zur Aufrechterhaltung der Gewebshomöostase dar. Die Apoptose kann über zwei Signalwege initiiert werden: Beim extrinsischen Weg wird das Auslösesignal für die Apoptose über die Bindung von Liganden an membranständige Todesrezeptoren vermittelt. Zu ihnen zählen der TNF-Rezeptor-1, CD95 (auch: Fas oder APO-1), das TNF receptor-related apoptosis-mediating protein (TRAMP), sowie der TNF-related apoptosis-inducing ligand (TRAIL) Rezeptor 1 und 2

(SCHULZE-35

OSTHOFF et al. 1998). Im Gegensatz dazu können Auslöser des intrinsischen Signalwegs Schädigungen der DNS durch Hypoxie, UV-Strahlung oder Wachstumsfaktor-Entzug sein (S.

FOX et al. 2010). Sie führen zu einer Verschiebung der Balance intrazellulärer Proteine der Bcl-2 Familie der pro-apoptotischen gegenüber den anti-apoptotischen Proteinen, wodurch es zur Freisetzung weiterer Kaskadenelemente aus den Mitochondrien kommt. Beide Wege führen im weiteren Verlauf zur Aktivierung der Caspasen-Enzymgruppe (Cystein-Aspartat-spezifische Proteasen), die durch Spaltung von intrazellulären Proteinen oder durch Aktivierung anderer Enzyme die Apoptose vermitteln und damit Apoptose-typische strukturelle Veränderungen der Zelle induzieren (NICHOLSON u. THORNBERRY 1997). Eine solche Zellveränderung umfasst die Translokation des intrazellulären Phosphatidylserin auf die Außenseite der Zellmembran mittels sog. Flipasen (S. J. MARTIN et al. 1995). Die Exposition des Phosphatidylserins markiert neutrophile Granulozyten für Makrophagen und führt so zur Phagozytose der apoptotischen Zellen (MCEVOY et al. 1986). Weitere zellmorphologische Anzeichen der Apoptose sind die Kondensierung des Zellkerns, welche zu einer Abnahme des Zellvolumens führt, die nukleäre Fragmentation, sowie die Bildung von blasenförmigen Ausbuchtungen an der Zelloberfläche (membrane blebbing) (GRANVILLE et al. 1998).

Letztere schnüren sich als kleine, membranumhüllte Teilstücke (Apoptose-Körper) ab und verhindern so die Freisetzung zytotoxischer Inhaltsstoffe in den extrazellulären Raum (SLADEK u. RYSANEK 2000). Dies unterscheidet den programmierten apoptotischen Zelltod vom provozierten Zelltod, der Nekrose. Letztere entsteht durch exogene physikalische oder chemische Einflüsse, kann aber auch als sekundäre Nekrose auf die Apoptose folgen, wenn keine Phagozytose der apoptotischen Zellen erfolgt (S. FOX et al. 2010). Der nekrotische

Letztere schnüren sich als kleine, membranumhüllte Teilstücke (Apoptose-Körper) ab und verhindern so die Freisetzung zytotoxischer Inhaltsstoffe in den extrazellulären Raum (SLADEK u. RYSANEK 2000). Dies unterscheidet den programmierten apoptotischen Zelltod vom provozierten Zelltod, der Nekrose. Letztere entsteht durch exogene physikalische oder chemische Einflüsse, kann aber auch als sekundäre Nekrose auf die Apoptose folgen, wenn keine Phagozytose der apoptotischen Zellen erfolgt (S. FOX et al. 2010). Der nekrotische