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Lyrik zum Tod von Opitz – Selbstfeier einer Literatur unter prekären Bedingungen

Im Dokument Paratextuelle Politik und Praxis (Seite 105-112)

Johannes Görbert

2. Lyrik zum Tod von Opitz – Selbstfeier einer Literatur unter prekären Bedingungen

Eine graduelle Emanzipation von ihren ursprünglichen Zweckbindungen verraten die hier herangezogenen poetischen Grabtexte auf Opitz bereits dadurch, dass keiner von ihnen bei der eigentlichen Bestattung des Autors in der Danziger Marienkirche Verwendung fand.13 Anstatt auf die tatsächliche Trauergemeinde sind diese Texte

13 Dort befindet sich erst seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine relativ schlichte Grabinschrift, deren Wortlaut lediglich Geburts- und Todesort und -daten sowie den Schrift-zug „Dem Dichter seine Landsleute 1873“ verzeichnet, siehe die Abbildung in Opitz: Brief-wechsel und Lebenszeugnisse (2009), 1952. Vgl. zu poetischen Grabschriften außerdem die gleichnamige Anthologie von Segebrecht (1987).

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vielmehr auf die Ansprache von Akteuren im sich konstituierenden literarischen Feld und darüber hinaus ausgerichtet. Aus der Fülle der Epitaphe und Epicedien, welche der Tod von Opitz veranlasste, interessieren im Folgenden vier besonders aussagekräftige Gedichte. Drei von ihnen stammen von kaum weniger prominen-ten Schriftstellerkollegen aus der deutschen Barockliteratur: einmal wiederum von Paul Fleming, zudem von Quirinus Kuhlmann und von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau.14 Die Texte dieser Autoren verdeutlichen ein dem späteren Rezensionswesen nicht unähnliches Verfahren der gegenseitigen Werbung und der Zuerkennung von künstlerischem Prestige.15 Das Gedicht des vierten Opitzi-aners, Wenzel Scherffer von Scherffenstein, ist hingegen vor allem aufschlussreich für Strukturprinzipien von barocker Todesdichtung, die auch in Flemings Auto-Epitaph in maßgeblicher, wenngleich abgewandelter Form zum Tragen kommen.

Kuhlmanns und Hoffmannswaldaus Gedichte haben gemeinsam, dass sie ihre Botschaft jeweils auf die epigrammatische Kürze von vier Alexandrinerversen brin-gen. Ihre Grabschriften auf Opitz lauten wie folgt:

Quirinus Kuhlmann: Grab Martin Opitzens / des Schlesiens Homerus.

Es ligt in diser Grufft Apollo selbst versenket Des Teutschen Helicons / der Schlesien getraenket Mit seinem gueldnem Mund / und wi ein grosses Meer Sich in ganz Teutschland hat ergossen hin und her.16

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Opitzens.

Mich hat ein kleiner Ort der deutschen Welt gegeben / Der wegen meiner wird mit Rom die Wette leben.

Ich suche nicht zu viel / ich bin genug gepriesen / Daß ich die Venus selbst im Deutschen unterwiesen.17

14 Für eine „Indienstnahme des Nachrufs für die Durchsetzung der opitzschen Reform“ durch Huldigungsgedichte weiterer Autoren, hier Johann Peter Titz und Johann Rist, vgl. das so betitelte Kapitel bei Bogner: Der Autor im Nachruf (2006), 131–137. Auch Bogner spricht im Anschluss von der „Forderung nach einer symbolisch wie auch materiell herausgehobe-nen Position des Autors innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie“ (139f.), die mit den Nachrufen auf Opitz vorgebracht wird. Die Autoren verfolgen somit nicht nur das Ziel der

„Monumentalisierung eines Toten“, sondern auch das einer „Selbstkanonisierung“ (142) der Barockliteratur.

15 Vgl. Willems: Geschichte der deutschen Literatur (2012), 130.

16 Kuhlmann: Unsterbliche Sterblikeit (21671), 14.

17 Hoffmannswaldau: Poetische Grabschriften (1680), unpaginiert („Grabschrift XXX“ in der Gedichtzählung des Bands).

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Dass diese beiden Lobgedichte 1671 und 1680, d. h. drei bis vier Jahrzehnte nach Opitz’ Tod erscheinen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die weiterbestehende Wirkmächtigkeit des Verstorbenen. Ganz offensichtlich profitieren die beiden Autoren zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer dichterischen Karrieren davon, sich auf das Vorbild Opitz zu verpflichten. Bei Kuhlmann, dem zum Zeit-punkt der Erstveröffentlichung Zwanzigjährigen, steht die Huldigung am Anfang seines Schaffens; bei dem über sechzigjährigen Hoffmannswaldau fällt die Erstver-öffentlichung des Gedichts in die zeitliche Nähe seines eigenen Todes. Trotz des Generationenunterschieds entsprechen sich beide Texte auffällig. Kuhlmann wie Hoffmannswaldau richten sich gleichermaßen nach dem von Isidor von Sevilla geprägten Motto ‚auctor ab augendo‘, nach welchem Dichten Übertreiben heißt.18 Sie setzen Opitz in Beziehung mit ebenjenen Gestalten aus der Antike, mithilfe derer sich allerhöchster Ruhm begründen lässt: bei Kuhlmann mit Homer als dem Patriarchen der abendländischen Literatur sowie mit Apollo als dem Schutzpatron von Kunst und Dichtung.

Kuhlmanns und Hoffmannswaldaus Rückgriff auf die griechisch-römische Antike verfolgt außerdem nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Stoßrichtung. Bunzlau, Provinzort in Schlesien, soll als Geburtsstadt ihres großen Sohnes Opitz gar mit Rom, der Welt- und Hauptstadt des Imperium Romanum konkurrieren können; der Helikon, Gebirge in Griechenland und Sitz der Musen, mithin der künstlerischen Inspiration, erscheint in Kuhlmanns Grabschrift plötz-lich nach Deutschland versetzt. Opitz’ Mund, von Kuhlmann als „golden“ veredelt, apostrophiert sein Epigramm zu einem unermesslich ergiebigen Organ für Sprache und Literatur, zu einer reichhaltig sprudelnden Quelle, die sich von Schlesien aus über ganz Deutschland ergießt und es fruchtbar bewässert.19 Hoffmannswaldau fügt zudem eine amouröse Schlusspointe hinzu. Er stilisiert Opitz zu einer Lehrerfigur, die selbst die Liebesgöttin Venus in die Finessen des Deutschen eingeführt habe.

Opitz, heute wohl in erster Linie durch seine präskriptive Poetik und seine Forde-rung nach regelmäßiger Alternation in der deutschen Metrik bekannt, avanciert bei Hoffmannswaldau somit zusätzlich dazu zum „Vater des deutschen Liebesgedichts“:

18 Vgl. zum gesamten Abschnitt Willems: Geschichte der deutschen Literatur (2012), 133f.

19 Beide örtlichen Referenzen lassen sich durchaus als Provokationen verstehen. Kuhlmanns Verweis auf „ganz Deutschland“ unterschlägt, dass die von Opitz maßgeblich angestoßene Dichtungsreform in erster Linie in den protestantischen, weniger in den katholischen Reichs-gebieten Fuß fassen konnte. Hoffmanswaldaus Nennung von Rom hat ebenfalls etwas He-rausforderndes, setzt sie Opitz' Geburtsort doch auch in ein Verhältnis des Wettstreits mit der Residenzstadt des Papstes. Vgl. zur konfessionalistischen Stoßrichtung der Opitzschen Versreform und seiner Schule exemplarisch Beck: Die Straßburger Eide in der Frühen Neuzeit (2014), 17–18, 194–202, 226, 247 passim (mit Verweis auf weitere Forschungsliteratur).

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d. h. zu dem Lyriker, nach dessen Pionierleistungen das Reden von der Liebe in der deutschen Literatur erst möglich geworden sei.20 Da Hoffmannswaldau selbst vor allem für seine erotische Lyrik einschlägig ist, nimmt es nicht wunder, dass er gerade diesen Aspekt in seiner Opitz-Huldigung hervorhebt.21

Paul Fleming zeigt außerdem, dass sich das Opitz-Lob nicht nur aus prestige-trächtigen antiken Figuren und Orten, sondern auch aus aktuellen politischen Konstellationen herleiten lässt. Er verfasst, höchstwahrscheinlich wenige Zeit nach der Nachricht von Opitz’ Tod, folgendes Sonett auf den ‚Vater der deut-schen Dichtung‘:22

Ueber Herrn Martin Opitzen auff Boberfeld sein Ableben SO zeuch auch du denn hin in dein Elyserfeld / Du Pindar / du Homer / du Maro unsrer Zeiten / Und untermenge dich mit diesen grossen Leuten / Die gantz in deinen Geist sich hatten hier verstellt.

Zeuch jenen Helden zu / du jenen gleicher Held / Der itzt nichts gleiches hat. Du Hertzog deutscher Seiten;

O Erbe durch dich selbst der steten Ewigkeiten;

O ewiglicher Schatz und auch Verlust der Welt.

Germanie ist todt / die Herrliche / die Freye / Ein Grab verdecket sie und ihre gantze Treue.

Die Mutter die ist hin; Hier liegt nun auch ihr Sohn / Ihr Recher / und sein Arm. Last / last nur alles bleiben Ihr / die ihr übrig seyd / und macht euch nur darvon.

Die Welt hat warlich mehr nichts wuerdigs zu beschreiben.23

20 Willems: Geschichte der deutschen Literatur (2012), 133.

21 Überhaupt lässt sich das kurze Gedicht auch als subtile Selbstinszenierung von Hoffmanns-waldau als eines ‚zweiten Opitz‘ lesen. Schließlich spielt die Venus sowohl in Opitz’ Versre-form als auch an Hoffmannswaldaus erotischer Dichtung eine wichtige Rolle. Opitz münzt das Wort „Venus“ in seiner Metrik um: Ist es auf Latein ein Jambus, wird es bei ihm auf Deutsch ein Trochäus. Hoffmannswaldau schließt sich dieser sprachmateriellen Arbeit mit dem Terminus in seinem Huldigungsgedicht an. Zudem changiert das Wort „ich“ im Text ebenso raffiniert zwischen dem gewürdigten und dem würdigenden Lyriker.

22 „Das Epitaph umfaßt auch andere Gattungen, nimmt aber bevorzugt die Form des Sonetts an“, stellt Nickel generell in ihrer Studie zu „Weltwissen und Sonettistik in der Frühen Neu-zeit“ (2012), 155, fest. Fleming allein schrieb nicht nur das angeführte, sondern gleich vier Sterbesonette auf Opitz. Schlütter: Das Sonett (1979), 83, kommentiert: „Diese Sonette be-zeugen, wie hoch Fleming Opitz verehrte und wie er sich Sorge machte um die deutsche Poesie“.

23 Fleming: Geist- und Weltliche Poëmata (1660), 188.

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Auch Fleming rückt Opitz in die Nähe von Klassikern der griechischen und römi-schen Dichtung: Neben dem erneut genannten Homer befindet sich der Schlesier hier in Gesellschaft von Pindar und Vergil, der im Gedicht mit seinem Cognomen Maro genannt ist. Anstatt auf den Helikon entrückt Fleming Opitz ganz ähnlich auf das „Elysion“, also auf die „Insel der Seligen“ in der griechisch-römischen Mytho-logie, wo die von den Göttern geliebten Helden eine paradiesische Zuflucht finden.

„Held“ ist darüber hinaus auch das entscheidende Stichwort, mit dem Fleming Opitz’ Rolle nicht nur im binnenliterarischen Diskurs, sondern auch im Kontext der Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges würdigt. Opitz, so Fleming, habe seine Literaturreform unter den ungünstigsten Bedingungen erfolgreich durchge-führt. In einer Zeit, wo Deutschland verwüstet und geplündert, die personifizierte

„Mutter Germania“ dahingemeuchelt wurde, habe sich ihr „Sohn“ Opitz zu ihrem

„Rächer“ aufgeschwungen. Er, und nicht die lenkenden Machthaber und Heerfüh-rer, sei im eigentlichen Wortsinne ein Held zu nennen; die Literatur und nicht die Politik habe in dieser Konstellation Herausragendes geleistet. Wo die Kriegstreiber alles daransetzten, die materiellen und geistigen Grundlagen des Landes zu zerstö-ren, habe Opitz den Schatz der Überlieferung bewahrt und ihn für die Gegenwart fruchtbar gemacht. Inmitten von Chaos habe der ‚Vater der deutschen Dichtung‘

den Blick und die Fühlung mit den Wahrheiten und Traditionen behalten, auf die es letztendlich ankomme. Es bezeugt sich darin, so Gottfried Willems, „das gewachsene Selbstbewußtsein der literarischen Welt, wie es sich in der Feier des prominentesten Protagonisten der neuen Literatur seiner selbst vergewissert […].

Auf solche Weise bestärkten [die Autoren] sich gegenseitig in ihren Bestrebungen und arbeiteten sie wechselseitig an ihrem Ruhm, und damit zugleich am Ansehen und der Akzeptanz der Künste und Wissenschaften, denen sie sich widmeten.“24 Die Totenklage gerät damit zur Eigenwerbung, das Lob des verstorbenen Vorbilds und Kollegen zum Ansporn für Kapitalgewinne auf dem künstlerisch-literarischen und allgemein kulturpolitischen Feld.

Wenzel Scherffer von Scherffensteins Beitrag zu den Huldigungen auf Opitz belegt schließlich, dass Traditionen der Antike und auch des Mittelalters nicht nur in stofflich-motivischer, sondern auch in struktureller Hinsicht das Rückgrat der hier betrachteten Grabschriften bilden. Wie Hans Henrik Krummacher her-ausgestellt hat, ist das Genre konventionell dreiteilig angelegt, mit den Kernele-menten „laudatio, lamentatio, consolatio“, d. h. „Lob, Klage, [und] Trost“.25 Aus der Reihe der zeitgenössischen Poetiken hat diesen Dreischritt besonders Magnus Daniel Omeis in seiner Gründlichen Anleitung zur Teutschen acuraten Reim- und

24 Willems: Geschichte der deutschen Literatur (2012), 135 und 130.

25 Krummacher: Das barocke Epicedium (1974), 103.

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Dichtkunst prägnant zusammengefasst. Bei Omeis findet sich folgendes zum Thema Grabschriften ausgeführt:

Die Erfindungen zu den Leich-Gedichten werden genommen (1) von dem Lob der verstorbenen Person; da man Gelegenheit nimmt zu reden von ihrem Vor- und Zunamen / Stamm-Wappen / Vor-Eltern / und des Verstorbenen eigenen Gemü-tes- Leibes- und Glückes-Gaben: absonderlich von ihren Tugenden / herrlichen Thaten und Verdiensten / Wißenschaften / Amt und Profeßion […] Hierauf folget (2) die Klage und Erweckung zur Traurigkeit. Da klaget der Poët über das strenge Gesetz der Sterblichkeit und irrdische Vergänglichkeit […] Es kan auch der affect vermehret werden / wann man siehet auf die Zeit und Art des Todes […] (3) Fol-get der Trost […] Da wird gesagt: Von GOTT komme Leben und Tod; GOttes Wille sey der beste […] Wir seyen Menschen / und müßen alle sterben: es wäre ja beßer den Port bald erreichen / als lang auf dem Meere wallen; beßer die Crone bald erhalten / als lange streiten u.s.w.26

In den insgesamt über 200 Versen, die Scherffenstein dem verstorbenen Opitz in strenger Alternation und mit Paarreim versehen widmet, arbeitet er vor allem das Thema der Klage ausführlich heraus; konsequenterweise beginnt der Titel seines Gedichts mit den Worten „Poetische Thraenen.“27 Der Sprecher des Gedichts zeigt sich psychisch und physisch zutiefst erschüttert von der Todesnachricht, wobei die bereits von den anderen Autoren bekannte Übertreibungsrhetorik sich auch in seinem Text wiederfindet. Seit der Todesnachricht, so Scherffenstein, wüte der Herzschmerz in seinen Eingeweiden, jegliche Farbe sei aus seinem Gesicht gewichen, jeglicher Schlaf aufgrund von Albträumen unmöglich geworden. Das wiederholte Bild des sich ergießenden Meeres, das bei Kuhlmann noch dem goldenen Mund von Opitz entspringt und für Fruchtbarkeit steht, wandelt sich bei Scherffenstein zu einer Tränenflut, die im Rahmen einer Anklage an den personifizierten Tod aus seinen Augen strömt. Nie wieder, so Scherffensteins Gedicht in seinen Exklamati-onen, könne der Sprecher nach Opitz’ Tod im Leben jemals wieder froh werden:

26 Omeis: Gründliche Anleitung (1704), 173f.

27 Scherffenstein: Poetische Thraenen (1640), Titelblatt. Online unter: http://digital.staatsbib-liothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN737082518&PHYSID=PHYS_0009&DMDID= (Zugriff 13.05.2016). Zur besseren Auffindbarkeit der Zitate werden im Folgenden die Scan-seiten der im Original unpaginierten Ausgabe nachgewiesen.

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Adé ô Schatz, adé ô freud’

Vnd alles was vorwiechner zeit

In lauter liebligkeit je meiner hat gepflogen,

Komm ewigs weinen komm, komm heulen eingezogen!

O todt, ô grimmer lebens-Feind!

O todt, ô keines Menschen freund!28

Der lobende Teil der Grabschrift bewegt sich zum größten Teil in vertrauten Bah-nen. Wiederum wird der Schlesier bei Scherffenstein als „deutsche[r] Juvenal“ in den Helikon versetzt, wobei die Pointe in der Herleitung seiner Entrückung von Opitz liegt.29 Scherffenstein schafft einen Übergang von Klage zum Lob dadurch, dass auch die Protagonisten des griechisch-römischen Götterhimmels nach Opitz’

Tod in eine derart durch Mark und Bein gehende Trauer verfallen, dass Jupiter schließlich gar nicht anders kann, als der Aufnahme von Opitz in den Kreis der Ihrigen zuzustimmen. Scherffenstein resümiert: „Vnd [so] stehet nun diess Sei-tenspiel / Darauff Herr Opitz offt und viel / Mit gantzen Deutschlands lust jetzt da, jetzt dort gespielet / Ins Himmels blauen zelt, wornach es lengst gezielet.“30

Neue Aspekte im Vergleich zu den schon behandelten Grabschriften setzt Scherf-fenstein besonders durch seine Ausarbeitung des Trostteils. Hier sieht er Opitz im

„Buch der Ewigkeit“, angekommen, mit seiner Dichtkunst, Die nun an denen orten schwebt

Wo nie ein leid der freud’ anklebt;

Da, wo die Musica ohn allen fehler klinget;

Da, wo die Poësi pur rein vnd lauter singet.

Da lebe liebe Seel’ in lust Die vnser keinem noch bewust

Die noch in keines hertz’ ein augenblick ist kommen, Kein Auge nie gesehn, kein ohre nie vernohmmen.31

Diese Schilderung ist kompatibel sowohl mit dem griechisch-römischen Elysium als auch mit christlichen Paradieskonzeptionen; im Fall von Opitz verträgt sie sich

28 Ebd., 16.

29 Ebd., 17.

30 Ebd., 19.

31 Ebd., 20.

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außerdem bestens mit den Vorstellungen des Literaturreformers von einer geläu-terten, begradigten und verfeinerten deutschen Dichtsprache.

Und doch endet Scherffensteins Gedicht, ähnlich wie schon Flemings Grab-schrift auf Opitz, mit einem pessimistischen Ausblick in die Zukunft. „Es stirbt vns schon kein Opitz mehr“, so lautet die Einschätzung des Texts, welche direkt an die einschlägigen, zum Schreibzeitpunkt allesamt noch lebenden Dichterkol-legen Zacharias Lund, Christian Brehme, Paul Fleming und Johann Rist gerichtet ist.32 Was soll nach Opitz, nach diesem Leitstern der deutschen Poesie, schon noch kommen? Sich selbst schätzt Scherffenstein in demonstrativer Bescheidenheit als den Geringsten unter ihnen ein; aber auch unter seinen literarischen Mitstreitern erblickt er niemanden vom Format des Dichtungsreformers. Ihnen allen bleibt nichts Anderes übrig, als dem Meister getreu bis zu ihrem eigenen Tod nachzufolgen:

Wir schreiten auch gemach zum ziel Wie, wo, vnd wenn der hoechste will.

Vnd sollen vnter deß’, als Schüller vns bemühen Die Leyer vff den thon, den Du gewiesen, ziehen Nicht das wir wollten hoeher gehn,

Vnd neben dir beim Phoebus stehn;

Nein: wenn wir alle Kunst schon wenden an im schreiben So wirstu dennoch Printz der Deutschen Spraachen bleiben!33

3. Wetteifern mit dem Vorbild, für die Ewigkeit – die

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