• Keine Ergebnisse gefunden

Zu den Beiträgen des Bandes

Im Dokument Paratextuelle Politik und Praxis (Seite 28-38)

Die Beiträge gehen auf die am Germanistischen Institut der Universität Innsbruck im Rahmen des FWF-Projekts Zur Funktion auktorialer Paratexte für die Inszenie-rung von Autorschaft vom 17. und 18. März 2016 unter dem Thema Paratextuelle Politik und Praxis. Dynamiken der Genese von Werk und Autorschaft abgehaltene Tagung, die Vorträge und die umfangreichen und ergiebigen Fachdiskussionen,

zurück, wofür wir allen Beteiligten an dieser Stelle noch einmal explizit und herz-lich danken. Ohne eine solche engagierte Diskussion und Zusammenarbeit, insbe-sondere hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen des Zusammendenkens einer von Gérard Genette geprägten Autorschaftszentrierung wie Kommunikationsori-entierung, und die Aufnahme der zahlreichen Anregungen in die Beiträge, wäre dieser Band, in dem Paratexte als sich auf je verschiedene Weise auktorial gebende, autorisierte Kommunikationsakte verstanden werden, nicht möglich gewesen.

Der Band verdankt sein Entstehen dem Engagement seiner Beiträger und dem FWF-Projekt Zur Funktion auktorialer Paratexte für die Inszenierung von Autorschaft unter Leitung von Thomas Wegmann, das den Fokus auf nicht material mit dem Medium des Textes verbundene Paratexte setzt. Dem Titel entsprechend geht es in diesem Projekt um die sehr ambivalente Funktion von Paratexten für die Insze-nierung von Autorschaft. Das diachron vergleichend in zwei Teilprojekten – Para-texte um 1800 (Nadja Reinhard/Torsten Voß) und ParaPara-texte der Moderne (Martin Gerstenbräun-Krug) – wird die komplexe Anbindung von Kunst an die Person des Künstlers als ein zentrales Element moderner Kanonisierungsprozesse unter-sucht und Kategorien wie ‚Werk‘ oder ‚Autor‘ näher beleuchtet. Es ist dabei mit Wegmann von der Hypothese auszugehen, dass Paratexte wie Vorworte, Selbstre-zensionen und Autorenantworten auf Zeitschriftenrundfragen eine wichtige Rolle für die Positionierung des Autors im literarischen Feld spielen.

Die Aufmerksamkeit des vorliegenden Bandes gilt (dementsprechend) den bis-lang nicht unmittelbar im Fokus der Forschung stehenden Paratexten, die mit dem Text-präsentierenden Medium also gerade nicht materiell verbunden sind. Schwer-punkte bildeten dabei die werkkonstitutiven, inszenatorischen und kanonisierenden Funktionen von Paratexten in der periodischen Publizistik. Dazu stellen sich u. a.

die folgenden aspektgeleiteten Fragen:

Zur Schwellenkunde: Ergon und Parergon – Text und Paratext: Wie aussagekräf-tig und funktional sind Rahmenmodelle wie Parergon und Paratext? Gibt es so etwas wie eine wechselseitige Dynamik parergonaler und epitextueller Inszenie-rungspraktiken mit der paratextuellen Organisation von literarischen Texten? Wie lassen sich Dynamiken zwischen Werk und Beiwerk beschreiben? Zur historischen Bedingtheit der Inszenierung von Autorschaft: Wie gestaltet sich die Inszenierung

27

Paratextuelle Politik und Praxis – Einleitung

von Autorschaft im Rahmen von Auktorialitäts- und Universalitätsansprüchen sowie Ausdifferenzierungs-, Autonomisierungs- und Ökonomisierungsprozessen?

Zu (Teil-)Öffentlichkeit und Privatheit – Werk und Leben: Welche Rolle spielen Epi-texte für die literarische Kommunikation? Wie steuern und gestalten Autoren ihre öffentliche Wahrnehmung bzw. das hinter ihrem Namen stehende Autorenbild (als fiktionales, Person, Werk und Leben verknüpfendes gedankliches Konstrukt)?

Zu Werkkonstitution und Kanonisierungsprozessen: Wie steuern Autoren die Kons-titution ihres eigenen Werks und ihre Etablierung als Klassiker? Zur organisierten und instrumentalisierten Dialogizität: Welche Rolle spielen Personenkonstellationen, persönliche Kontakte zu Autoren, Herausgebern, Verlegern sowie die Arbeit in Autorenkollektiven und ihre öffentliche oder teilöffentliche Bekanntmachung für die Etablierung des Autornamens und Werks im literarischen Feld? Zu den Steue-rungsdynamiken zwischen Intentionalität und Attentionalität – Skandal, Distinktion und Überbietung: Gibt es historisch übergreifende Strategien der Autorinszenierung?

Unter ‚Inszenierungspraktiken‘ lassen sich, so Christoph Jürgensen/Georg Kai-ser „jene textuellen, paratextuellen und habituellen Techniken und Aktivitäten von SchriftstellerInnen [bezeichnen], in denen oder mit denen sie öffentlichkeitsbezogen für ihre eigene Person, für ihre Tätigkeit und/oder für ihre Produkte Aufmerksam-keit erzeugen“;35 also kurz all diejenigen öffentlichkeitswirksamen verbalen und nonverbalen Äußerungen, mit denen Autoren entsprechende Aufmerksamkeit zu erzeugen versuchen, um sich in einem kompetitiv organisierten literarischen Feld zu positionieren und symbolisches Kapital zu akkumulieren. Dazu gehören auch und gerade kulturelle Praktiken der Distinktion und des Skandals, insbesondere die medial inszenierte Provokation. Zugunsten einer Begriffsschärfung lässt sich allerdings fragen, ob nicht – in Abgrenzung von Paratexten im engeren Sinn – eine Beschränkung des Begriffs ‚Inszenierungspraktik‘ auf „die habituellen Techniken und Aktivitäten von SchriftstellerInnen“ und das, was Genette als faktischen Paratext bezeichnet, sinnvoll ist. Mit dem Begriff „paratexte factuel“ (Seuils, 13) bezeichnet Genette verkürzend die Verständigung über Tatsachen wie den Habitus und das Auftreten des Autors, die Jürgensen/Kaiser unter dem weniger begriffliche Konfu-sion erzeugenden Begriff einer (faktisch vorliegenden und somit beobachtbaren) Inszenierungspraxis fassen. Diese muss allerdings erst kommuniziert werden, um als allgemein bekannt gelten zu können, so dass erst die mittels Kommunikation zum allgemein bekannten Faktum werdende Inszenierungspraxis als Paratext wirkt.

Den funktional verkürzt pointierten Begriff verwendet Genette lediglich einmalig als Gegenbegriff und zur Kontrastierung mit dem Regelfall, dem „paratexte textuel“

35 Jürgensen/Kaiser: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken (2011), 10.

28 Nadja Reinhard

(Seuils, 14), d. h. dem auktorial und funktional sowie relational bestimmten Para-text im engeren Sinn als Text.

Die Beiträge dieses Bandes sind damit einerseits vor dem Hintergrund der für die eigenständige Positionierung als Schriftsteller im literarischen Feld bedeutsamen und sich von einer moraldidaktischen hin zu einer kunstästhetischen Blickrichtung entwickelnden periodischen Zeitschriften und zum anderen vor der Folie von Genet-tes Konzept der Paratextualität zu sehen, das sich in dessen Gesamtkonzept einer insgesamt relational zu verstehenden Transtextualität fügt. Im Folgenden sollen die Dynamiken der Genese von Werk und Autorschaft mit Blick auf die paratextuelle Politik und Praxis im literarischen Feld näher beleuchtet werden. Das heißt, der Fokus liegt damit einerseits auf dem Autor und seiner aktiv-strategischen Lenkung mittels Paratexten, also auf der Autorenpolitik im Spiegel von Herausgeber- und Verlegerpolitik, auf der anderen Seite, auf praxeologischer Ebene, auf den bezogen auf Genettes Konzept parergonal erweiterten Bezugsgrößen Werk (also nicht nur als Einzelwerk, sondern auch als Gesamtwerk verstanden bzw. nicht nur als Text, son-dern kommunikationsorientiert umfassender und damit auch das Phänomen der Autorschaft einschließend). Um die Frage nach der Funktion auktorialer Paratexte für Werk und Autorschaft (und darüber hinaus auch für Verleger- und Herausge-berschaft) zu beantworten, bedarf es einer am Einzelfall orientierten detaillierten historisch-semantischen wie empirisch orientierten Analyse, als welche die folgen-den Beiträge zum Band Paratextuelle Politik und Praxis verstanfolgen-den werfolgen-den können, die sich durchaus nicht nur auf genuin literarische Texte beschränken. Ohne die den paratextuellen Dynamiken der Genese von Werk und Autorschaft inhärente Kontingenz und auch ohne die nichtauktoriale Steuerung durch Metatexte und Nicht-Texte (die als Paratexte/Parerga wirken können) zu verleugnen, setzt sich der Band damit zum Ziel, die Dynamiken der Genese von Werk und Autorschaft zu ergründen, ohne dabei auktoriale Parerga wie Materialität/Gestaltung/Produktion als werkkonstitutive Bestandteile zu vergessen. Genettes Konzept der Paratextualität bildet den zentralen Ausgangspunkt für die folgenden Tagungsbeiträge.

Neben der Einleitung finden sich vier weitere theoretisch orientierte Beiträge, die einerseits zum aktuellen Forschungsdiskurs Stellung beziehen und andererseits pro-duktive Ausdifferenzierungen des Genette’schen Paratextkonzepts vorschlagen. Diese Vorüberlegungen werden ergänzt durch zehn Einzelstudien zu unterschiedlichen Zeiträumen, wobei die Reihung der Beiträge der Chronologie der Beispiele folgt.

David-Christopher Assmann führt in seinem Beitrag Zur Unterscheidung von primären und sekundären literarischen Formen systemtheoretische Überlegungen mit dem Paratextkonzept Genettes und dessen Kritik bzw. Aktualisierung zusammen:

die Forderung nach begrifflicher Eingrenzung (Moenninghoff), die Gefahr eines Umschlagens in Kontextualität (Jürgensen), die mediale Erweiterung (Stanitzek),

29

Paratextuelle Politik und Praxis – Einleitung

die Betonung einer liminalen Zone und die peritextuelle zwischen Fiktionalität und Realität changierende Schwellenfunktion. Assmann plädiert entgegen der Genette’schen Rückbindung an die Autorität des Autors (und seiner Verbündeten) dafür, epitextuelle Analysen vom Autor zu lösen und sowohl den Autorbegriff wie auch den Paratextbegriff kommunikationstheoretisch/systemtheoretisch zu refor-mieren. Er schlägt (im Sinne der Luhmann’schen Unterscheidung von Medium und Form) vor, unterschiedliche Festigkeitsgrade zu unterscheiden und Paratexte als sekundäre Form der Kommunikation zu fassen.

Auch Martin Gerstenbräun-Krug plädiert dafür, den Paratextbegriff einer Revi-sion zu unterziehen und vor allem den Epitext als den Ort der Inszenierung von Autorschaft zu berücksichtigen. Unter dem Titel Paradigma Paratextualität. Ein-sichten und AusEin-sichten. Zum Potential eines paratextuellen Forschungsansatzes für die Beschreibung moderner Autorschaft referiert er zum aktuellen Stand der Paratextforschung und stellt dabei einerseits heraus, dass Typographie nur in Aus-nahmefällen als Paratext anzusehen ist und andererseits die Zurechnung habitueller Praktiken zum Bereich des Epitexts abhängig vom jeweils ins Feld geführten Text-Begriff ist. Der Text-Begriff des Paratexts könne, so Gerstenbräun-Krug, als Spezialfall seines Hyperonyms Parergon gelten, wobei er im Genette’schen Sinne stets der auktorialen Bindung bedarf und im Wesentlichen auf Texte angewendet werden kann, die nach der Frühen Neuzeit entstanden sind. Durch die auktoriale Bindung sei das Paratextkonzept nicht nur ein Werkzeug, um Text-Text Beziehungen zu beschreiben, sondern auch ein Mittel zur Analyse der Konsitution von Autorschaft.

Dabei sei Genettes Konzept vor allem für die Untersuchung moderner, text- und autorbasierter Inszenierungspraktiken geeignet.

Matthias Schaffrick tritt in seinem Beitrag Paratext Bestsellerliste. Zur rela-tionalen Dynamik von Popularität und Autorisierung für eine Erweiterung des Paratextkonzepts ein. Laut Schaffrick gehört auch die von Dritten erstellte Best-stellerliste zu den von Genette als ‚faktisch‘ bezeichneten Paratexten. Entgegen der schon im 18. Jahrhundert üblichen Dichterscala (Schubart 1792), die relational bewer-tend nach festgelegten Kriterien verfährt, kenne die Bestsellerliste als statistische Erhebung allein die Popularität als wertendes Kriterium. Als Popularitätsindikator erscheine dieser Listenplatz – zunächst ein Epitext – z. B. auf den die Umschläge ihrerseits umschlagenden Bauchbinden im unmittelbaren peritextuellen Umfeld des Werks. Im Grunde, so Schaffrick, wirke jeder Kontext als Paratext und könne der Genette’schen Definition gemäß dem Text einen Kommentar hinzufügen und auf seiner Rezeption lasten. Schaffrick argumentiert daher gegen die von Genette angenommene Richtigkeit des auktorialen Standpunkts und dafür, Autorschaft als Autorisierungsstrategie zu verstehen.

30 Nadja Reinhard

Der Beitrag Zwischen Fakt und Fiktion – zu einigen Aspekten der frankopho-nen Paratextforschung von Maria Piok und Thomas Wegmann „versteht sich […] als kleines und kursorisches Forschungsreferat, das exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit der Frage nachgeht, wie in der frankophonen Lite-raturwissenschaft Genettes Überlegungen aufgegriffen, rezipiert und diskutiert wurden.“ So konstatiert Andrea Del Lungo in „Seuils“, vingt ans après. Quelques pistes pour l’étude du paratexte après Genette (2009) ein „literaturwissenschaftliches ,Schweigen‘“ hinsichtlich einer noch ausstehenden literaturtheoretisch fundierten Paratextdiskussion. Del Lungo selbst hebe auf die Schwellenfunktion des Paratex-tes ab, auf das „Verschwimmen der Grenzen“ im Verhältnis von Raum und Zeit und schlage vor, nicht nur die pragmatische Steuerungsfunktion des Paratexts, sondern Paratexte auch als „Verfahren der Sinnerzeugung“ ernst zu nehmen und sich auf material mit dem Buch verbundene Paratexte zu beschränken. Auch in anderen Forschungsbeiträgen werde die „Wechselbeziehung von Paratext und fik-tionalem Werk“ fokussiert und die lektüresteuernde Wirkung von Paratexten, die einen „besseren Zugang zum literarischen Werk ermöglichen“. Als in „Techniken der Verhüllung“ implizierte Verführungsfunktion eröffnen Paratexte nach Mari-cela Strungariu (in Rückbezug auf Genette) mittels assoziativer Mechanismen neue Sinnzusammenhänge. In der frankophonen Paratextforschung kristallisiere sich heraus, dass der Paratext die Auslegung des literarischen Werks erleichtere und mitbestimme, andererseits werde durch „den Paratext eine Verbindung zum literarischen Feld, insbesondere in Hinblick auf seine Instanzen und Akteure (also Autor, Leser, Verleger, Kritiker etc.) hergestellt.“

Johannes Görberts Beitrag „Es ligt in diser Grufft Apollo selbst versenket“.

Paratextuelle Taxierungen von Autorschaft in Epitaphen und Epicedien des Barock (Martin Opitz, Paul Fleming) bildet den Auftakt zur im Folgenden dia-chron angelegten Auseinandersetzung mit paratextuellem Inszenierungspotential am konkreten Einzelfall. Görbert zeigt anhand von Grabschriften aus dem Barock, wie Gedichte/Epitaphe – hier in Bezug auf Martin Opitz sowie ein gleichfalls auf Opitz referierendes lyrisches Eigenlob Paul Flemings – als Epitexte wirken und die Rezeption von Autor und Werk maßgeblich beeinflussen. Im Falle Paul Flemings kann gerade dessen selbst verfasste und sich von der Tradition emanzipierende Grabschrift posthum eine bis dahin nicht zuerkannte Aufmerksamkeit auf den bereits im Alter von 30 Jahren verstorbenen Arzt und Dichter lenken. Mit den Versen „Mein Schall floh überweit,/ kein Landsmann sang mir gleich“ bedient er sich der aemulatio als Inszenierungspraxis mit dem ‚maximalen Haltbarkeitsdatum‘

bis zum jüngsten Tag und hinterlässt so – im Gestus des Horaz’schen Unvergäng-lichkeitstopos und seinen Lehrer Opitz noch übertrumpfend – der Nachwelt eine Visitenkarte, die bleibt.

31

Paratextuelle Politik und Praxis – Einleitung

Daniel Ehrmann betont in Wir. Prekäre Erscheinungsweisen kollektiver Autoren und Werke um 1800 die empirische, umstandsbedingte Historizität von Paratexten und das „synekdochische Verhältnis“ des Beiwerks zum Werk, das ein gleichsam evidentes Faktum schaffe, das als Tat-sache nicht nur Sache, sondern in seiner kon-kreten medialen Gestaltung auch Tat ist. Selbst wenn jeder Kontext als Paratext wirke, seien diese offenbar nicht identisch; vielmehr gehe der Paratext physisch-mediale Verbindungen ein, codiere Semantiken und Textregeln, die der textuellen Kultur entnommen sind und ihrerseits mit einer gewissen Offenheit (Zielgruppe/

Form/Funktion) auf dieselben referieren. Am Beispiel des zunächst anonym, dann der Popularisierungsstrategie geschuldet unter dem Markenprädikat „Goethe“

he rausgegebenen und in sechs Stücken erscheinenden „periodischen Schrift“ Pro-pyläen (so angekündigt in der Allgemeinen Zeitung/Cotta) sowie deren generischer Zugehörigkeit zum Werk Goethes macht Ehrmann deutlich, dass biblionome Fakten über Paratexte verhandelt und dargestellt werden. Die nur zwei Jahre erscheinende Zeitschrift für bildende Kunst war somit hauptsächlich mit dem Namen Goethes verknüpft, während weitere Autoren – u. a. Friedrich Schiller – anonym blieben;

der Kollektivname „Weimarerische Kunstfreunde“, zumal als „Geist gleichdenken-der Freunde“ im Sinne einer „Textpolitik“, sei erst später greifbar.

Die von Schiller herausgegebene und sich gleichermaßen an ein akademisches wie nichtakademisches Publikum richtende Zeitschrift Die Horen steht im Mit-telpunkt des Beitrags von Volker C. Dörr. In Schillers Horen: klassischer Epitext zeigt er, dass Schillers Ankündigungstext nicht nur in intertextueller Beziehung zu seinen Briefen Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen steht, sondern auch als mit ihnen epitextuell verbunden gedeutet werden kann. (Damit plädiert er zugleich für eine weitere, rezeptionsorientierte und funktionale Auffassung eines relatio-nalen Begriffs des Epitexts.) Im Versuch, seine Zeitschrift am Markt zu etablieren und sein symbolisches ebenso wie sein ökonomisches Kapital zu mehren, greift Schiller u. a. zu dem, so Dörr, „Winkelzug“, beim Herausgeber der Allgemeinen Literatur-Zeitung eine positive Rezension zu bestellen, die sich also zu Schillers Zeitschrift epitextuell verhält. Nicht erst, wie schon mehrfach gesehen worden ist, Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten, sondern schon sein allerers-ter Beitrag zu den Horen, das Gedicht Erste Epistel, formuliert aber eigentlich ein Gegenprogramm zu Schillers Ästhetischer Erziehung. Damit liest Dörr an den Horen als Ganzes eine doppelte epitextuelle Relation zum vermeintlichen Gesamt- und Gemeinschaftswerk der Klassik ab: weil sie die Binnendifferenz der Klassik, den Widerspruch zwischen Goethes und Schillers Ästhetik, ausstellen, zugleich aber dazu führen, dass Goethe und Schiller zukünftig meist als Einheit gesehen werden – als die sie dann in Reaktion auf die Rezeption der Horen, in ihren gemeinsamen Xenien, auch (einmal) agieren.

32 Nadja Reinhard

Christoph Jürgensen präsentiert Görres in seinem Beitrag „Jesaias, Dante und manchmal Shakespeare“: Joseph Görres und der Rheinische Merkur als aktiven Netzwerker im literarischen und politischen Feld. Er selbst habe sich nur als spo-radisch dichtend verstanden und bewege sich gleichermaßen in den Feldern von Kunst/Literatur, Philosophie/Religion sowie Mathematik/Technik; mit Jean Paul gesprochen sei er „ein Mann der aus Männern besteht“. Sein im Rheinischen Merkur ausgetragener Kampf gegen Napoleon zeige Görres als Politiker mit kosmopolitischer Gesinnung. Schon Das rote Blatt sowie Die vaterländischen Musen können als pro-grammatische Vorschriften (Paratexte) zum Rheinischen Merkur aufgefasst werden, die Görres bereits als eigenständige politische Instanz ausweisen. Charakteristisch sei für den Rheinischen Merkur das Sprechen mit einer Stimme, die Einstimmig-keit, die durch das Schreiben von politischen Verbündeten mit Görres’scher Feder bzw. in Görres’schem Ton gewährleistet und bei der die Zuordnung zu einzelnen Autoren unerheblich werde. Dementsprechend erscheinen auch die meisten Bei-träge anonym, gelegentlich unter Angabe von Initialen. Selbst bekannte Autoren wie Jakob Grimm würden mit Kleister und Schere zugunsten einer Görres’schen Form und Stil-Aneignung zurechtgestutzt. Der Rheinische Merkur habe sich so zu einem „Organ zur Bildung der öffentlichen Meinung“ entwickelt, in dem politi-sche Leitartikel im Geiste einer „instrumentellen Vernunft“ in „kunstvoller Argu-mentationslogik“ als Serien ausgebreitet würden.

Auf die Darstellungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Medium Zeitschrift unter Berücksichtigung der spezifischen Format- und Druckbedingungen fokus-siert Andreas Beck in seinem Beitrag Friedrich der Große schlägt Napoleon bei Waterloo – die Geschichte Friedrichs des Grossen im Epitext des Pfennig-Magazins. Franz Kuglers Geschichte Friedrichs des Grossen von 1836, die Gedenk-ausgabe zum 150. Todestag mit Holzstichen von Adolf Menzel, wird in der seriel-len Wiederverwertung im Pfennig-Magazin nicht einmal erwähnt. Schon die im Subskriptionsverfahren finanzierte Ursprungsausgabe erschien mit ein bis zwei monatlichen und insgesamt 18–20 Einzellieferungen in ungebundenen Bögen mit rein drucktechnisch bestimmtem Abbruch, der zu groben inhaltlichen Brüchen und zum Unmut der Subskribenten führte. Das Pfennig-Magazin hingegen, so Beck, nutze die drucktechnischen Gegebenheiten, bei denen zwingend ein reiner Textbogen einem bebilderten Bogen folgen muss, als Gestaltungsmöglichkeit zur subtilen Leserlenkung mittels einer Geschichte in der Geschichte, konkret einer Bildergeschichte mit In-/bzw. Subscriptio, die als Paratext zur Geschichte selbst, aber auch als eigenständige Narration funktioniert. Als typographische Gestal-tungsmöglichkeit zur inhaltlichen Fokussierung werden hier auch die Umbrüche gezielt genutzt, deren so hervorgehobene Textpassagen ihrerseits auch als Paratext zur Bildergeschichte gelesen werden können. Parallel organisierte Bildarrangements

33

Paratextuelle Politik und Praxis – Einleitung

und Symbole (beispielsweise eine Schere im Bild, die den Blick auf den Schnitt, also die Unterbrechung der Geschichte lenkt) verweisen so gezielt auf die Fort-setzung im Folgeheft. Einem Comic ähnlich – so Jürgensens Kommentar in der anschließenden Diskussion – ergeben sich interessante Text-Bild-Korrelationen.

In „Zunächst sieht jeder nach, ob er selber drin steht“. Abbreviaturen und Alphabete: Inszenierte Autorschaft in Kürschners Deutschem Literatur-Kalen-der betont Michael Pilz in Abgrenzung von Karl Goedecke, Literatur-Kalen-der bibliographische Daten zu Autoren und Werken zusammenträgt, dass sich im Kürschner bereits 1858/59 eine erste Fragebogenaktion mit Autographen-Charakter verzeichnen lässt.

Der 1903 als Autorenhandbuch im Almanach-Charakter gegründete Kalender, der unter Joseph Kürschner zu einem biobibliographischen Lexikon avanciert, beruht in der Regel auf Selbstauskünften angefragter Autoren und Autorinnen. Die Ein-träge in Kürschners Kalender, so Pilz, sind daher als auktoriale Epitexte zu werten.

Es handelt sich bei ihnen um biobibliographische Kürzestangaben und Adressen, also um ein alphabetisch sortiertes, auf Fachschriftsteller bezogenes Nachschlage-werk, dem ein weiter Literaturbegriff zugrunde liege: Schriftsteller ist jeder, der eine Monographie verfasst hat. Am Beispiel Rilkes veranschaulicht Pilz, wie ein ‚schnö-des‘ Lexikon zur Selbstinszenierung durch ‚junge‘ Autoren in Dienst genommen werden kann. So verzeichnen die ersten Einträge Rilkes neben seinen tatsächlichen Vornamen Reiner Maria die fiktive Namenszugabe Cäsar und seine Herausgeber-schaft und Redakteurstätigkeit bei dem kurzlebigen Periodikum Wegwarten sowie seine Zuordnung unter die literarische Kategorie Psychodrama.

Fabian Schmitz bereichert mit Marcel Prousts epitextuelle Recherchen nach Autorschaft im Prozess der Werkgenese: Memoiren, Imitation und der Autor im literarischen Feld den Band um einen romanistischen Beitrag. Prousts Car-nets (4 Notizbücher mit Vorarbeiten zu der Recherche) und seine Esquisses (Motiv

Fabian Schmitz bereichert mit Marcel Prousts epitextuelle Recherchen nach Autorschaft im Prozess der Werkgenese: Memoiren, Imitation und der Autor im literarischen Feld den Band um einen romanistischen Beitrag. Prousts Car-nets (4 Notizbücher mit Vorarbeiten zu der Recherche) und seine Esquisses (Motiv

Im Dokument Paratextuelle Politik und Praxis (Seite 28-38)