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2. Theorie der Prävention und Gesundheitsförderung

2.2 Krankheits- bzw. Gesundheitsmodelle als Grundlage

Basis präventiver und gesundheitsförderlicher Konzepte sind die zugrunde liegenden Vorstel-lungen von Krankheit und Gesundheit. In den letzten 100 Jahren war das naturalistisch-medizinische oder bionaturalistisch-medizinische Krankheitsmodell das einflussreichste. Es entstand im Zeitalter der Aufklärung, als sich Wissenschaft und Vernunft gegen Religion und Aberglau-ben durchsetzten. Es geht davon aus, dass der Körper mit einer Maschine vergleichbar ist, deren Funktionen und Funktionsstörungen verstanden werden können, indem die Organsys-teme und -strukturen sowie die physiologischen Prozesse möglichst genau analysiert werden.

Krankheitssymptome (körperliche Beschwerden, körperliche Veränderungen, psychische Auffälligkeiten) werden so durch organische (anatomische oder physiologische) Defekte er-klärt, die die eigentliche Krankheit bilden. Entscheidend sind das Erkennen des Defekts und die Suche nach Möglichkeiten, ihn zu beheben. Der kranke Mensch als Subjekt und

1 Die Einteilung der Prävention und Gesundheitsförderung nach oben genannten Parametern durch die Gesundheitswissenschaftler ist nicht die einzig mögliche, wenn auch eine einfach strukturierte und gut ver-ständliche und daher häufig gebrauchte. In der Psychologie finden sich weitere Einteilungsmöglichkeiten der vorbeugenden Maßnahmen. Für nähere Informationen siehe auch Röhrle 1999a.

der wird in diesem Konzept weitgehend ausgeklammert. Er ist passives Objekt physikalischer Prozesse, auf die seine psychische und soziale Wirklichkeit und sein Verhalten keinen Ein-fluss haben (Tripp 2008). Das intendierte Schema Erreger → Defekt → spezifische Behan d-lung → Heid-lung bestimmt auch heute noch das Krankheitsverständnis vieler Menschen. Das gilt auch für die Definition von Gesundheit, die in diesem Zusammenhang als Nicht-Vorhandensein von Krankheit definiert wird (Franzkowiak 2003).

Zunehmend werden jedoch die unikausalen Erklärungsmodelle zugunsten multikausaler Mo-delle aufgegeben. Als ein solches Beispiel nennt Faltermaier (1999) das psychosoziale Modell der Krankheitsätiologie von Adler und Matthews (1994), das sich in die vier Bereiche soziale Umwelt, individuelle Disposition, gesundheitsbezogene Verhaltensweisen und psychophysio-logische Mechanismen aufteilt und über diese die Entstehung von Krankheit erklärt.

Ein weiteres Beispiel stellt das Salutogenesekonzept von Antonovsky (1979, 1997) dar. Hier werden Gesundheit und Krankheit als Endpunkte eines Kontinuums betrachtet. Der Gesund-heitszustand eines Individuums ist dynamisch und wird von körperlich-konstitutionellen, per-sonal-psychischen, interpersonal-sozialen, soziokulturellen und materiellen Widerstandsres-sourcen, die ein so genanntes Kohärenzgefühl bestimmen, sowie durch innere und äußere Stressoren bestimmt. Das Kohärenzgefühl (Sence of Coherence, SOC) wird durch drei Kom-ponenten gebildet: dem Gefühl der Verstehbarkeit, der Handhabbarkeit und der Sinnhaftigkeit der Welt. Es gilt als eines der wichtigsten interdisziplinären, integrierenden Gesundheitskon-zepte. Bedauerlicherweise gelang es wegen der Komplexität des Modells bisher nicht, die Aussagen empirisch zu untermauern. Die Bedeutung des Konzepts ist dennoch unumstritten, vor allem, da es einen Paradigmenwechsel von der Pathogenese und dem hier typischen Blick auf das Kranke, Schwächende hin zu der Salutogenese mit Blick auf die Gesundheit und die vorhandenen Ressourcen bewirkte.

Neben den skizzierten Beispielen existieren in jeder Gesellschaft auch noch andere Erklä-rungsversuche für Gesundheit und Krankheit, wie z. B. metaphysische, anthropologische, soziokulturelle oder psychosomatische Modelle. Es bleibt festzuhalten, dass sich der Krank-heitsbegriff nicht einheitlich und zu unterschiedlichen Zeiten ganz unterschiedlich definieren lässt (Franzkowiak 2003). "Die pluralistische Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts hat keine Einigkeit über eine allgemein verbindliche Definition von Gesundheit und Krank-heit" (v. Troschke 2003, S. 372).

2.2.1 Was beeinflusst Gesundheit und Krankheit?

Inzwischen wissen wir, dass soziale und ökologische Faktoren einen erheblichen Einfluss auf Morbidität und Mortalität der Bevölkerung ausüben (Hurrelmann 2010). Besondere Bedeu-tung haben Bildungsstand, Beruf und Einkommen. Es handelt sich hierbei um Parameter zur Definition der sozio-ökonomischen Schichtzugehörigkeit. In zahlreichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass Menschen aus unteren sozialen Schichten häufiger krank sind und früher sterben (Marmot et al. 1991, Mielck und Helmert 2003, Richter 2003, 2005a). So fand sich beispielsweise in Bremen eine erheblich höhere Mortalität in Ortsteilen mit geringem ökonomischen Status als in Ortsteilen mit hohem sozioökonomischen Status (Tempel und Witzko 1994). Die Sterblichkeit von Männern zwischen 30 und 59 Jahren der unteren Ein-kommensgruppe ist am höchsten und nimmt mit steigendem Einkommen ab (Klosterhuis und Müller-Fahrnow 1994). Die Deutsche Herz-Kreislauf-Präventionsstudie weist einen beson-ders schlechten Gesundheitszustand einkommensarmer Personen nach. Die Morbidität war bei diesen zwischen 1,6 und 2,8 mal höher als bei Besserverdienenden (Forschungsverbund DHP 1998). Auch bei schweren psychischen Störungen findet sich eine Häufung in den unte-ren sozialen Schichten (Röhrle und Sommer 1999). Bei bildungsschwachen Personen ist die Lebenserwartung um vier Jahre verkürzt, Betroffene mit weniger als neun Jahren Schulbil-dung haben im Vergleich zu denjenigen mit über 15 Jahren SchulbilSchulbil-dung eine erhöhte Sterbe-rate um den Faktor 1,46 (Maasberg et al. 2003). Nach einer weiteren Studie haben Männer ohne Abitur eine um 3,3 Jahre kürzere Lebenserwartung als Männer mit Abitur, bei Frauen liegt der Unterschied sogar bei 3,9 Jahren (Klein 1996).

Auch im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) zeigen sich enge Zusammenhänge zwischen dem sozio-ökonomischen Status und dem Gesundheitszustand. "Kinder und Jugend-liche aus der niedrigen Statusgruppe weisen zweimal seltener einen sehr gesunden Gesund-heitszustand auf als diejenigen aus der hohen Statusgruppe." (Lampert und Kurth 2007, 2944-9).

Diese Befunde unterstreichen die Relevanz von gesundheitsförderlichen und präventiven Ak-tivitäten, die auf das Verhalten der Menschen abzielen, aber ebenso darauf, die Lebensbedin-gungen zu verbessern. Verbesserte LebensbedinLebensbedin-gungen erkennbar durch eine bessere Schul-bildung, anerkanntere berufliche Tätigkeit und höhere finanzielle Ressourcen führen zu mehr Gesundheit (Andresen et al. 2010, Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2009, Hurrelmann 2010, Klocke und Hurrelmann 2001).