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2. Theorie der Prävention und Gesundheitsförderung

2.4 Ausgewählte Konzepte und Modelle der Gesundheitsförderung und

Die Konzepte und Modelle, mit denen vorsorgende Maßnahmen arbeiten, haben sich in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Die britischen Wissenschaftlerinnen Naidoo und Wills (2003) beschreiben fünf Ansätze, die sich in ihrer Zielsetzung und den dafür verwendeten Methoden unterscheiden. Sie variieren darüber hinaus in der Akzeptanz durch die Gesell-schaft, in ihrer Wirksamkeit und der Möglichkeit der Evaluation. Ein Vergleich zwischen dem ersten und letzten Ansatz zeigt anschaulich die gesamte Bandbreite der Konzepte der Präven-tion und Gesundheitsförderung.

Schon seit langer Zeit wird der medizinische oder präventive Ansatz genutzt. Sein Ziel be-steht in der Reduktion von Krankheiten und vorzeitigem Tod durch Vorsorgeprogramme und Impfungen. Er genießt einen hohen Status, da er durch wissenschaftlich anerkannte Theorien begründet wird. Politiker schätzen ihn, da die Methode bereits große Erfolge zeigte und kurz-fristig viel billiger als andere Ansätze ist. So ist z. B. das Messen des Augeninnendrucks zur Erkennung und Prävention eines Glaukoms (grünen Stars) viel kostengünstiger als ein zehn-wöchiger Kurs zur Raucherentwöhnung mit fragwürdigem Ausgang. Das Konzept ist jedoch nicht für jedes Problem gleichermaßen einsetzbar. Durch die Konzentration auf die Krankheit und die fehlende Berücksichtigung der Lebenswelten wird die Autorität der Gesundheitsberu-fe gestützt und den BetrofGesundheitsberu-fenen die Eigenverantwortung für ihre Gesundheit genommen.

Nahezu ebenso lange existiert der Ansatz der Verhaltensänderung der Betroffenen. Sein Ziel liegt in der Unterstützung der Betroffenen um ihr Bemühen nach einer gesünderen Verhal-tensweise durch von Fachleuten veranstaltete Kampagnen. Diese vermitteln Information und Aufklärung über Krankheiten und Risiken. Die Wissensvermittlung ist von Fachleuten auf Laien gerichtet und arbeitet mit dem Compliance-Modell, in dem sich Betroffene nach den Anweisungen der Experten richten sollen. Man erhofft sich durch mehr Wissen ein gesünde-res Verhalten und setzt dabei auf die Vernunft des Menschen. Die physischen, sozialen und ökonomischen Lebenswelten der Betroffenen werden nur rudimentär einbezogen. Es handelt sich also um eine Form der reinen Verhaltensprävention. Bis in die 80 er Jahre versah man die Information über Verhaltensprävention zur Abschreckung oft mit Furcht erregenden Bildern und Einzelheiten (wie. z. B. Bilder von "Raucherbeinen"). Heute finden sich beispielsweise Kampagnen zur Reduktion so genannter "Risikofaktoren", z. B. Senkung des Blutdrucks oder Cholesterins. Die Definition dessen, welche Phänomene "Risikofaktoren" darstellen, ist wis-senschaftlich nicht immer eindeutig und kann sich mit der Zeit verändern. Die Grenzwerte der Bluthochdruckkrankheit oder die Richtwerte des Cholesterins sind hierfür gute Beispiele.

Nicht berücksichtigt wird zudem, dass Risikofaktoren für eine Krankheit durchaus Schutzfak-toren für eine andere darstellen können (Castelli et al. 1992, Corvol et al. 2003, Dale et al.

2006, Kolominsky-Rabas 2005, National Institutes of Health, Lung and Blood Institute 1997, Ravnskov 1991, Song et al. 2000, Steffens et al. 2003, Urban 2003).

Die beiden oben genannten Ansätze sehen Gesundheit als individuelles Merkmal. Die Hand-lung und die Notwendigkeit der Verhaltensänderung wird den Betroffenen zugeschrieben. Die Konsequenzen des Fehlverhaltens ebenso. Sie verstärken die Kluft zwischen Fachleuten und Laien. Die Evaluation der Maßnahmen ist vordergründig einfach, da sich der Nachweis der

Verhaltensänderung einfach erbringen lässt. Allerdings nur vordergründig einfach, da es nicht immer eindeutig gelingt, die entsprechende Verhaltensänderung auch einer bestimmten Inter-vention zuzuordnen.

Die Grenzen des Konzepts zeigt exemplarisch eine Studie im Bereich der Suchtprävention.

Die alleinige Informationsvermittlung ohne zusätzliche verhaltenstherapeutische Maßnahmen zeigte nicht nur keine Wirksamkeit, sondern war insbesondere bei Jugendlichen sogar oft kontraproduktiv und verunsicherte häufig durch widersprüchliche Meinungen der Fachleute (Faltermaier 1999, Kutza et al. 1999). Dennoch ist diese Methode der Vermittlung von Infor-mationen zur Prävention auch heute im deutschen Gesundheitssystem noch weit verbreitet.

Als Erweiterung der oben genannten Ansätze ist die Gesundheitsaufklärung zu nennen. Ihr Ziel ist nicht nur die Vermittlung von Wissen, sondern auch der notwendigen Fähig- und Fer-tigkeiten, um die richtigen Entscheidungen für das individuelle Gesundheitsverhalten selber treffen zu können. Als Arbeitsmaterialien dienen Informationsbroschüren, Ausstellungen, Fortbildungsprogramme, Gruppendiskussionen sowie persönliche Beratungen. Der Unter-schied zur reinen Verhaltensänderung liegt in der freien Entscheidung der Klienten, in welche Richtung sie sich verändern wollen. Die Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, der Emotionen der Betroffenen, des Verhaltensaspekts und der Kom-plexität des Entscheidungsprozesses fehlen jedoch.

Ende des vorigen Jahrhunderts konnte sich der Ansatz des "Empowerments" zunehmend etablieren. Sein Ziel ist die Befähigung zur Ausbildung eines höheren Maßes an Selbstbe-stimmung der Menschen über ihre Gesundheit. Hierbei unterstützen Professionelle die Patien-ten, VersicherPatien-ten, Bürger in der Erkennung und Lösung gesundheitlicher Probleme mit dem Ziel, sich langfristig überflüssig zu machen. Dieser Ansatz zeichnet sich durch einen hohen finanziellen Aufwand aus, da die Maßnahmen meist weitreichend und langwierig sind und einen hohen Personalaufwand benötigen. Er ist sehr zeitintensiv, da sich eine solch weitrei-chende Änderung der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen nicht schnell erreichen lässt.

Fehlende Kenntnisse in Kommunikations- Planungs- und Organisationsfähigkeiten bei den Helfern durch mangelhafte Ausbildung und eine problematische Evaluierung der Maßnahmen kommen erschwerend hinzu.

Als weitreichenster Ansatz ist der Ansatz der sozialen und politischen Veränderung oder fundamentalen Gesundheitsförderung zu sehen. Als sein Ziel gelten Veränderungen der physischen, sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen durch politische Maßnahmen

zur Schaffung besserer Gesundheitsbedingungen. Dies gelingt nur durch gesellschaftliche Veränderungen, z. B. in Bezug auf Kosten, Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von (Kon-sum)Gütern. Ein Problem dieses Ansatzes stellt die fehlende notwendige Ausbildung der Fachleute des Gesundheitswesens in Lobbyarbeit, Politik- und Strategieplanung dar, ein wei-teres die unterschiedlich verteilten Ressourcen und Inwei-teressen in einem auf Wettbewerb und Profit orientierten Gesellschaftssystem. Darüber hinaus ist er sehr kosten- und zeitintensiv und gesellschaftlich nicht immer erwünscht. Die Evaluation der Maßnahmen ist sehr schwie-rig, da die beteiligten Parameter vielschichtig sind.

Auch im deutschsprachigen Raum werden die Konzepte der Prävention und Gesundheitsför-derung klassifiziert. So fasst beispielsweise Leppin (2004) den zweiten, dritten und vierten Ansatz von Naidoo und Wills (2003) unter dem Begriff der psycho-eduktive Verfahren aus dem eher präventiven Formenkreises zusammen. Diese setzen sich aus den drei Unterpunkten Information/Aufklärung, Beratung und Verhaltens- und Selbstmanagementtraining zusam-men. Zu ihrer Durchführung bedarf es der Einsicht- und der Veränderungsbereitschaft der Betroffenen. Den fünften Ansatz sieht sie in sozio-eduktiven Verfahren aus dem eher gesundheitsfördernden Formenkreises verwirklicht. Diese setzen sich aus den Unterpunkten der Initiierung von präventiven Prozessen in Gruppen und Organisationen sowie der Über-zeugungsarbeit bei Entscheidungsträgern und der Koalitionsbildung und Mobilisierung von Betroffenen zusammen. Hier sind die Übergänge sozialpolitischer Aktivierungs- und Mobili-sierungsprozesse fließend. Darüber hinaus ergänzt sie die Einteilung von Naidoo und Wills (2003) um normativ-regulatorische Verfahren der Verhältnisprävention, die mit Gesetzen und Vorschriften arbeiten und ökonomische Anreiz- und Bestrafungsverfahren.

Wie dargestellt, existieren unterschiedliche, vom Kern her jedoch durchaus vergleichbare Modelle und Interventionsansätze zur Prävention und Gesundheitsförderung. Neuere wissen-schaftliche Überlegungen zielen inzwischen darauf ab, bewährte Methoden zu so genannten Lebenskompetenzprogrammen zu vereinen, denn vieles spricht dafür, dass präventive Maß-nahmen besser wirken, wenn sie aufeinander aufbauen (Kolip 2003). Entsprechende Pro-gramme wurden in den letzten Jahren vor allem in der Suchtprävention in Deutschland erfolg-reich etabliert.

Neben umfassenden Lebenskompetenzprogrammen, die helfen sollen, insgesamt im Leben besser zurecht zu kommen, existieren eine Vielzahl von einfacheren Programmen zur Verbes-serung oder Verhinderung von bestehenden oder sich entwickelnden Defiziten in klar umris-senen Teilbereichen des Lebens und menschlichen Miteinanders. Unter diese Art von

Pro-grammen fällt unter anderem auch das der Studie zugrunde liegende Würzburger Trainings-programm "Hören, lauschen, lernen" zur Erleichterung des Schriftspracherwerbs. Auch diese Programme haben ihre Existenzberechtigung, denn sie helfen in vielen Fällen, klar definierte Probleme wenn nicht zu verhindern, so doch zu verbessern. Ihr Vorteil liegt unter anderem in der genau definierten Zielsetzung, der einfachen Einsetzbarkeit und der Möglichkeit der si-cheren Ergebnisevaluation. Sinnvoll erscheint es, solche Programme in umfassendere Le-benskompetenzprogramme zu integrieren. Dies stellt jedoch ein schwieriges Unterfangen dar und nicht jedes Programm ist dafür geeignet.

Welches Programm oder Modell auch immer man zur Prävention und Gesundheitsförderung verwendet, man muss bei der Durchführung bestimmte Voraussetzungen beachten. Hurrel-mann et al. (2004b) fordern folgende Kriterien:

 klare Zielgruppenausrichtung

 Bedürfnisorientierung

 soziokulturelle Relevanz

 Aufbau auf positiven Sozialkontakten

 wissenschaftliche, theoretische Begründung

 Benutzung unterschiedlicher Interventionskomponenten und Unterrichtstechniken

 trainierte Professionelle

 ausreichende Intensität und Dosierung

 Rechtzeitigkeit

 Möglichkeiten der Veränderung

Über diese Merkmale eines guten Programms hinaus fordern Altgeld und Kolip (2004):

 Manualisierung des Programms

 gute Erreichbarkeit und leichte Zugänglichkeit des Programms (niedrigschwelliges Angebot)

 hohe Akzeptanz des Programms durch die Betroffenen

 Stabilität der erzielten Effekte

Unstrittig ist, dass eine abschließende wissenschaftlich gut fundierte Evaluation (Ergebniseva-luation) nicht allein wegen der nun auch gesetzlich verankerten Qualitätssicherung

unabding-bar ist. Qualitätskontrolle und -sicherung von gesundheitsförderlichen und präventiven Pro-jekten auch in Form von Prozessanalysen und Untersuchungen der Kosten-Nutzen-Relation müssen vorangetrieben werden. Angesichts immer knapper werdenden finanzieller Ressour-cen ist die Finanzierung der oft kostspieligen wirkungsvollen Maßnahmen strittig und sollte eine breite Finanzierungsbasis finden. Voraussetzung dafür wäre eine Klärung der Zuständig-keiten und Einbindung anderer Sozialversicherungszweige als der gesetzlichen Krankenversi-cherung (Altgeld und Kolip 2004). Die gesetzliche Reglung der Inanspruchnahme anderer gesellschaftlicher Kostenträger sollte überdacht werden. Angesichts der jüngsten Ablehnung des Präventionsgesetzes wird das Problem der Kostenübernahme aber auch weiterhin nicht zu klären sein.