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Sozialräumliche Unterschiede in der Zusammensetzung der

2. Ältere Menschen in Wiesbaden

2.3 Sozialräumliche Unterschiede in der Zusammensetzung der

Tabelle 2.7 gibt Auskunft über die Anzahl und die strukturelle Zusammensetzung der älte-ren Menschen in den einzelnen Stadtteilen von Wiesbaden. Aus Gründen der Übersicht-lichkeit beschränkt sich die Betrachtung auf die Gesamtheit der über 65-Jährigen, ohne zusätzliche Differenzierung nach Alter oder Geschlecht.

Tabelle 2.7: Ältere Menschen über 65 Jahre in den Stadtteilen von Wiesbaden zum 31.12.2011

Quelle: Amt für Strategische Steuerung, Stadtforschung und Statistik Wiesbaden und eigene Berechnungen

Bevölkerung darunter:

ab 65 Jahre Allein- Empfänger mit Mig. Aus-lebende SGB XII hintergr. länder

abs. % Bev. % % % %

Zentrum 479 13,6 50,3 12,9 29,4 19,4

Bergkirchenviertel 815 12,2 35,3 17,5 39,4 26,4

City-Ost / Nord-Ost 7.037 25,7 34,5 2,6 11,1 5,4

Sonnenberg, Rambach 2.717 26,6 23,4 1,6 7,6 3,2

Inneres Westen 669 8,8 41,0 21,2 41,4 33,8

Äußeres Westend 994 9,9 46,3 10,5 24,4 17,1

Adolfsallee, Luxemburgpl. 983 9,7 44,2 10,1 24,7 18,4

Dichterv. / Biebr. Allee 1.390 18,7 40,1 5,5 15,8 8,0

Rheingauviertel 889 11,8 42,4 7,6 22,3 14,8

Hasengartenstr., Friedenstr. 1.208 21,2 33,4 3,1 12,0 6,5

Klarenthal 2.733 26,3 35,0 9,4 20,6 6,4

Hollerborn, Daimlerstr. 1.343 12,7 39,2 8,5 19,6 11,2

Europa-, Künstlerinnenviertel 664 17,7 39,3 8,7 22,4 14,8

Dostojewskistr. / Waldstr. 876 17,7 40,8 7,2 16,0 8,0

Dotzh. alt/Kohlheck/Holzstr. 2.615 22,3 28,6 3,2 11,9 4,7

Siedlungen Dotzheim 700 17,3 19,1 0,7 13,3 3,6

Schelmengraben 1.255 20,7 38,2 17,8 36,7 10,7

Frauenstein 567 24,0 18,2 0,4 5,3 2,6

Sauerland / Belzbachtal 484 10,4 28,5 16,7 39,3 17,8

Amöneburg 199 13,5 32,2 6,5 19,6 13,6

Biebrich-Siedlungen 1.932 23,8 31,5 2,5 11,3 6,4

Gräselberg 1.295 21,5 33,9 5,9 21,0 10,5

Schierstein 2.451 24,0 29,6 2,5 12,8 7,1

Biebrich, Gibb, Kalle 2.308 16,5 35,8 5,1 23,4 17,5

Parkfeld, Rosenfeld 1.396 30,6 35,7 5,7 12,8 5,6

Bierstadt 3.128 25,9 32,6 3,3 9,2 3,9

nordöstliche Vororte 3.988 21,2 18,3 0,9 8,4 2,9

Erbenheim-Hochfeld 707 17,5 36,8 9,2 16,7 10,0

Erbenheim-Rest 847 15,9 28,0 5,3 14,0 7,4

Nordenstadt 1.737 22,1 18,7 3,3 13,7 5,8

Delkenheim 1.085 21,8 17,3 1,7 12,7 3,2

Kastel-alt 1.256 14,6 32,5 5,3 16,3 9,6

Kostheim-alt 1.847 18,9 26,1 2,7 17,0 11,6

Kastel/Kostheim-Neubaugeb. 1.361 17,3 26,8 3,5 23,3 11,6

Gesamtstadt 53.955 19,5 31,5 5,1 16,0 8,3

hoch niedrig wenige

viele

Eine starke Bündelung einzelner Risikolagen zeigt sich in den innenstadtnahen Stadtteilen

"Zentrum", "Inneres" und "Äußeres Westend" sowie "Adolfsallee/ Luxemburgplatz" (vgl.

auch Schaubild 2.10). Dort ist der Anteil der Alleinlebenden wie auch der Empfänger von Grundsicherungsleistungen sowie der Menschen mit Migrationshintergrund unter den Äl-teren sehr hoch. Gleichzeitig sind ältere Menschen hier deutlich in der Minderheit und stel-len nur einen vergleichsweise geringen Anteil an der Bevölkerung.

Schaubild 2.10: Bündelung einzelner Risikolagen älterer Menschen in den Stadtteilen von Wiesbaden 2011

Empfänger/innen von Grundsicherung im Alter (Kapitel 4 SGB XII)

hoch mittel gering Anteil der Alleinlebenden Anteil der Älteren mit Migrationshintergrund hochmittelgering

hochmittel hochmittelgeringhochmittel

gering gering

Eine sehr hohe Bündelung zeigt sich darüber hinaus auch in der Großsiedlung "Schel-mengraben". Besonders herauszustellen ist der hohe Anteil von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern unter den hier lebenden älteren Menschen.

In den Stadtteilen "Bergkirchenviertel" und "Sauerland/Belzbachtal" stellt sich die Situation ähnlich dar. Allerdings ist der Anteil der Alleinlebenden unter den Älteren nicht ganz so hoch und liegt eher im städtischen Durchschnitt.

Darüber hinaus gibt es eine Gruppe von Stadtteilen, die sich jeweils nur in Bezug auf ein Merkmal besonders hervorheben:

- In den Stadtteilen "Dichterviertel/ Biebricher Allee", "Rheingauviertel", "Hollerborn/

Daimlerstraße", "Europa-/ Künstlerinnen-Viertel" und "Dostojewski-/ Waldstraße" ist es der hohe Anteil der Alleinlebenden unter den Älteren.

- Im Stadtteil "Klarenthal" ist es der hohe Anteil der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen im Alter nach SGB XII.

Eine geringe bis sehr geringe Bündelung einzelner Risikolagen ist in insgesamt 15 Stadt-teilen zu verzeichnen. Zu dieser Gruppe zählt fast der komplette "äußere Gürtel" von Wiesbaden, inklusive der Vororte sowie der gutsituierten innenstadtnahen Wohngebiete (vgl. auch Schaubild 2.11).

Zusammen genommen leben in diesen 15 Stadtteilen 62 % aller über 65-Jährigen von Wiesbaden. In den 7 Stadtteilen mit einer hohen bis sehr hohen Konzentration einzelner Risikolagen leben hingegen zusammen nur rund 11 % aller Älteren.

Diese Ausführungen mögen genügen, um zu verdeutlichen, dass sich die Lebenssituation älterer Menschen in den einzelnen Stadtteilen von Wiesbaden unterschiedlich darstellt.

Was das konkret bedeutet, lässt sich letztlich nur direkt vor Ort gemeinsam mit allen rele-vanten Akteuren näher bestimmen. Fest steht jedoch, dass je nach Präsenz der älteren Menschen im Stadtteil bzw. einzelner Teilgruppen unter ihnen auch unterschiedliche Mög-lichkeiten und Gelegenheiten für einen "Zusammenschluss" bestehen und sich je nach-dem auch unterschiedliche Ansatzpunkte für unterstützende Aktivitäten bieten. Fest steht auch, dass das unmittelbare Wohnumfeld mit entscheidend dafür ist, inwieweit es ältere Menschen gelingt, ihre Selbständigkeit und Selbstbestimmung zu bewahren, und sich beispielsweise je nach Infrastrukturausstattung Einkäufe oder der Gang zum Arzt unter-schiedlich leicht oder schwer bewerkstelligen lassen.

Schaubild 2.11: Räumliche Bündelung einzelner Risikolagen älterer Menschen in Wiesbaden 2011

2.4 Zusammenfassende Betrachtung wesentlicher Eckdaten

Die wichtigsten Eckdaten und Entwicklungen sind in Tabelle 2.8 zusammenfassend dar-gestellt. Festzuhalten bleibt:

- Die Zahl der älteren Menschen, insbesondere auch der hochbetagten älteren Men-schen über 80 Jahre, wird sich in Wiesbaden in den nächsten 10 bis 20 Jahren deutlich erhöhen.

- Der „Frauenüberschuss“ in den höheren Altersgruppen schwächt sich ab. Mehr Männer rücken ins hohe Lebensalter vor.

- Unter den älteren, insbesondere auch hochbetagten älteren Menschen wird es zukünf-tig mehr Menschen mit Migrationshintergrund und ausländischer Staatsangehörigkeit geben.

- Die Zahl der Ehepaar-Haushalte nimmt auch unter den hochbetagten älteren Men-schen zu.

- Nur ein sehr geringer Teil der älteren Menschen ist zur Sicherung des Lebensunter-halts auf Grundsicherungsleistungen nach SGB XII angewiesen. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass die nachrückenden Generationen wieder stärker betroffen sind, und ist das Risiko in der Bevölkerung ungleich verteilt.

- Zwischen den einzelnen Stadtteilen von Wiesbaden gibt es Unterschiede in der Zahl der dort lebenden älteren Menschen und in ihrer Zusammensetzung nach sozio-struk-turellen Merkmalen.

Tabelle 2.8: Zentrale Eckdaten und Entwicklung in der Übersicht

31.12.2011 31.12.2030

abs. % abs. %

Einwohner insg. 276.599 100,0 282.890 100,0

unter 60 J. 206.922 74,8 201.973 71,4

60-65 J. 15.722 5,7 18.619 6,6

65-70 J. 13.799 5,0 17.184 6,1

70-75 J. 15.038 5,4 14.147 5,0

75-80 J. 10.398 3,8 11.232 4,0

80-85 J. 7.406 2,7 8.962 3,2

85 J. u.ä. 7.314 2,6 10.773 3,8

65 J. u.ä. 53.955 19,5 62.298 22,0

Männer unter den Älteren* 65 J. u.ä. 22.600 41,9 27.222 43,7 75 J. u.ä. 9.323 37,1 12.556 40,5

Personen mit Migrations- 65 J. u.ä. 8.613 16,0 13.388 21,5 hintergrund unter den Älteren* 75 J. u.ä. 3.226 12,8 5.645 18,2

Ausländer/innen unter 65 J. u.ä. 4.497 8,3 6.446 10,3

den Älteren* 75 J. u.ä. 1.399 5,6 2.589 8,4

Tabelle 2.8: Zentrale Eckdaten und Entwicklung in der Übersicht - Fortsetzung

31.12.2011

abs. %

Saldo der Zu- und Fortzüge* insg. 3.026 1,1 65 J. u.ä. -189 -0,4

Innerstädtische Umzüge* insg. 19.145 6,9

65 J. u.ä. 1.229 2,3

Einpersonenhaushalte* insg. 65.259 23,6

65-75 J. 7.794 27,0 75-85 J. 5.905 33,2 85 J. u.ä. 3.278 44,8

Bezieher von Existenzsicherungs- insg. 34.297 12,4 leistungen (SGB II und XII)* 55-64 J. 3.618 11,2 65-75 J. 1.751 6,1

75-85 J. 805 4,5

85 J. u.ä. 197 2,7

65 J. u.ä. 2.753 5,1

Streuung zwischen den Stadteilen Min Max

Anteil der Älteren über 65 Jahre 8,8% 30,6%

dav.: mit Migrationshintergrund 5,3% 41,1%

mit ausländischer Staatsangehörigkeit 2,6% 33,8%

Alleinlebend 17,3% 50,3%

Grundsicherungsempfänger 0,4% 21,2%

* Prozentangaben bezogen auf 100 Personen der Altersgruppe

3. Lebenslagen im Alter

Wie lässt sich der Lebensabschnitt des Alters fassen? Wodurch zeichnet er sich aus? Wie stellt sich die Situation des Einzelnen dar und welche Unterschiede sind diesbezüglich innerhalb der älteren Bevölkerung zu verzeichnen? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen.

3.1 Besonderheiten des Lebensabschnitts Alter

Alter und Altern sind Ausdruck und Folge eines naturgegebenen Prozesses. Wie sie sich ausgestalten, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Es gibt kein festes, vorgegebenes Muster.

„Altern ist ein Prozess, der sich höchst unterschiedlich entwickelt. Er ist das Ergeb-nis eines individuellen Lebenslaufs samt seiner sozialen Bezüge, bringt also keine allgemein festlegbaren Eigenschaften oder Verhaltensweisen mit sich.“ (Altenhilfe-plan der Landeshauptstadt Wiesbaden 1979: 4)

Der Prozess des Älterwerdens beinhaltet nicht nur eine Ansammlung von Lebensjahren, sondern insbesondere auch ein Hintereinanderreihen unterschiedlicher Lebensereignisse, Lebensbedingungen und Lebenserfahrungen. Entsprechend unterschiedlich gestalten sich die individuellen Ressourcen und Potenziale und ergibt sich eine jeweils andere Weichenstellung für das Leben im Alter und den Umgang mit den damit verbundenen Herausforderungen.

Schaubild 3.1: Soziale Determinanten der Lebensphase Alter

Welche Möglichkeiten sich dem Einzelnen im Laufe des Lebens bieten, ist eng mit den ge-samtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen und dem jeweiligen zeithistorischen Kontext verknüpft. Die heute 85-Jährigen und älteren wurden in andere Zeiten hineingeboren als die Kinder der Nachkriegszeit oder des Wirtschaftswachstums und waren zu unterschied-lichen Zeitpunkten in ihrem Leben mit jeweils unterschiedunterschied-lichen Bedingungen und Ereig-nissen konfrontiert. Man denke beispielsweise an die Zeit der „Anwerbeabkommen“, die strukturellen Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt oder die Reformen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme.

Beispielhaft hierfür sind die Veränderungen in der Häufigkeit der erzielten Bildungsab-schlüsse. Von den im Rahmen der Erhebung zur Generation 55 plus des Amtes für Stra-tegische Steuerung, Stadtforschung und Statistik 2013 in Wiesbaden repräsentativ

be-fragten Älteren hatten 33 % der 65-69-Jährigen Abitur. In der Altersgruppe der 55-59-Jäh-rigen lag der Anteil bei 46 %. Unter den Frauen waren es 34 %, bei den Männern 46 %.

Schaubild 3.2: Zeithistorische Ereignisse im Lebenslauf einzelner Geburtsjahrgänge

Zur sozialen Realität gehört auch, wie das Thema Alter in der Gesellschaft wahrgenom-men und diskutiert wird. Das Bild hat sich auch vom eigenen Selbstverständnis her deut-lich gewandelt. Im Vergleich zu vor 30 Jahren fühlen sich die heute Ältere deutdeut-lich jünger, gesünder und aktiver, was u.a. in einem veränderten Lebensstil zum Ausdruck kommt (vgl. Schaubild 3.3). Spätestens seit dem fünften Altenbericht der Bundesregierung 2005 sind neben dem Aspekt der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit daher auch die Potenziale des Alters verstärkt mit in den Blick gerückt (BMFSFJ 2005).

Schaubild 3.3: Häufigkeit der Verwendung von Lippenstift unter älteren Frauen als Ausdruck eines veränderten Lebensgefühls

Quelle: Generali Altersstudie (2012)

Alter in Jahren 2013 85 J. 75 J. 65 J. 55 J. 45 J.

Geburtsjahrgang 1928 1938 1948 1958 1968

2. Weltkrieg (1939-1945) 11-17 J. 1-7 J. Ausbildung und

Berufs-Nachkriegsphase (1946-1948) 18-20 J. 8-10 J. einmündung (6-25 Jahre)

Erste Aufbauphase (1949-1960) 21-32 J. 11-22 J. 1-12 J. 0-2 J.

(Arbeitslosenquote von 10 auf 2 %) Erwerbsphase (20-65 J.)

Wohlstandsphase (1961-1973) 33-45 J. 23-35 J. 13-25 J. 3-15 J. 0-5 J.

[ Anwerbeverträge [ Bildungsexpansion

Erste Ölpreiskrise (1974-1981) 46-53 J. 36-43 J. 27-36 J. 16-23 J. 6-13 J.

[ Wirtschaftliche Umbrüche (Arbeitslosenquote um 5 %)

Zweite Ölpreiskrise (1982-1988) 54-60 J. 44-50 J. 34-40 J. 24-30 J. 14-20 J.

[ Wirtschaftliche Umbrüche (Arbeitslosenquote um 9 %)

Umbruch im Osten (1993-2000) 65-74 J. 55-64 J. 45-54 J. 25-44 J. 25-34 J.

[ Rentenreformen

(Arbeitslosenquote über 10 %)

[ Weitere Reformen im Rentenrecht 75 J. u.ä. 65 J. u.ä. 55 J. u.ä. 45 J. u.ä. 35 J. u.ä.

[ Agenda 2010 [ ….

Eintritt in die Gruppe der

… über 65-Jährigen 1993 2003 2013 2023 2033

… über 85-Jährigen 2013 2023 2033 2043 2053

3.1.1 Die „gewonnenen Jahre“

Noch nie war die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland so hoch wie heute.

Immer mehr Menschen rücken in ein hohes bis sehr hohes Lebensalter vor. Allein was die Zahl der Hundertjährigen betrifft, ist davon auszugehen, dass sich diese pro Dekade mehr als verdoppelt (vgl. Robert Bosch Stiftung 2013). Statistisch gesehen erreicht gegenwärtig jeder zweite Mann das 80. Lebensjahr und jede zweite Frau mindestens das 85. Lebens-jahr.

Schaubild 3.4: Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung bei Geburt und im Alter von 65 Jahren in Deutschland 1986/88-2009/11

Quelle: www.destatis.de

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede haben sich im Zeitverlauf leicht eingeebnet, bestehen aber weiter (vgl. Schaubild 3.4). Bei den Frauen lag die so genannte „fernere“

Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren bezogen auf die Sterbetafel 2009/2011 bei zu erwartenden 20,7 weiteren Jahren, bei den 65-jährigen Männern bei 17,7 Jahren.

Schaubild 3.5: Morbiditätskompression vs. Morbiditätsexpansion

Quelle: Kroll & Ziese (2009)

Die Frage, ob es sich dabei tatsächlich im Sinne von Imhof (1981) um „gewonnene Jahre“

handelt, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Folgt man der These einer

Mor-biditätskompression, so verschiebt sich das Auftreten von ernsthaften Krankheiten und Behinderungen zunehmend ins hohe Alter hinein und konzentriert sich auf eine immer kürzere Zeitspanne unmittelbar vor dem Tod. Andere betonen, dass sich weder beim Zeit-punkt noch bei der Häufigkeit des Auftreten von schwerwiegenden Erkrankungen oder Behinderungen wesentliche Veränderungen ergeben haben, die Überlebenschancen und Überlebenszeiten aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts aber deutlich ange-stiegen sind, so dass insgesamt eine Morbiditätsexpansion zu verzeichnen ist.

Die empirischen Befunde weisen in beide Richtungen. Wie verschiedene Studien belegen, hat sich sowohl die Zahl der Jahre verlängert, die ohne größere Beschwerden und Ein-schränkungen verbracht werden, als auch die Zahl der Jahre, die durch das Vorliegen von ernsthaften Erkrankungen und Behinderungen gekennzeichnet sind (vgl. u.a. Datenreport 2013, Rothgang et al. 2013). Wie hoch der „Zugewinn“ auf der einen und der anderen Seite jeweils beziffert wird und in welchem Verhältnis beide zueinander stehen, schwankt in Abhängigkeit vom Untersuchungsdesign und der Datenquelle.

Laut Angaben von Eurostat SILC für Deutschland entfällt etwa ein Drittel der ferneren Le-benserwartung im Alter von 65 Jahren auf „gesunde Lebensjahre“ ohne Anzeichen von ernsthaften Erkrankungen oder Behinderungen. Durchschnittlich 9,5 Jahre bei den Frauen und 8,1 Jahre bei den Männern sind durch leichte Beeinträchtigungen gekennzeichnet.

Schaubild 3.6: Verteilung der „gewonnen Jahre“

Quelle: epp.eurostat.ec.europa.eu und eigene Berechnungen

Weitere 4,5 Jahre bei den Frauen und 3 Jahre bei den Männern entfallen auf Zeiten, in denen erhebliche Einschränkungen zu verzeichnen sind, die teils aber noch unterhalb der Schwelle zur Pflegebedürftigkeit liegen. Die Phase der Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne erstreckt sich nach den Angaben des Barmer GEK Pflegereports bei den Frauen im Durchschnitt über 2,8 Jahre und bei den Männern über 1,4 Jahre. (vgl. Rothgang et al.

2013).

3.1.2 Phasenmodell des Alters

Angesichts der zeitlichen Ausdehnung, die die Lebensphase des Alters erfahren hat, und der Unterschiedlichkeit der Lebenssituationen wird in der Literatur häufig eine Unterteilung vorgenommen und zwischen so genannten „jungen Alten“ und so genannten „alten Alten“

unterschieden. Meist wird die Grenze zwischen dem 75. und dem 80. Lebensjahr gezo-gen.

Schaubild 3.7: Unterschiedliche Phasen und Herausforderungen des Lebensabschnitts

Vermehrtes Auftreten von körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen bis hin zum Vorliegen einer Hilfe- und Pflegebedürftigkeit

"junge Alte"

Einige Autoren sehen darüber hinaus im Vorliegen einer Hochaltrigkeit ab 85 bzw. 90 Jah-ren eine weitere Besonderheit und einen eigenen Lebensabschnitt. Andere beziehen die vorgelagerte Phase des Übergangs in den Ruhestand in die Betrachtung mit ein und zäh-len bereits 50- oder 55-Jährige mit zur Gruppe der „Älteren“ (vgl. u.a. Backes & Clemens 2003, Robert Bosch Stiftung 2013, Höpflinger 2014).

Diese Unterteilung verdeutlicht eindrucksvoll, wie sich einzelne Themenfelder und Prob-lematiken in ihrer Schwerpunktsetzung im Laufe der Altersphase verlagern. Eine eindeu-tige Grenzziehung lässt sich allerdings nicht vornehmen, die Übergänge sind fließend.

Darüber hinaus handelt es sich lediglich um allgemeine Trendaussagen, die keinesfalls allen gerecht werden und teils auch an der Mehrheit vorbeigehen. So weisen beispiels-weise selbst unter den 85-Jährigen und älteren immerhin knapp zwei Drittel keinen Pfle-gebedarf auf. In der direkt vorangehenden Alterskategorie der 80-84-Jährigen ist der An-teil der Pflegebedürftigen allerdings nur etwa halb so hoch, so dass eine getrennte Be-trachtung und Ausweisung der Altersgruppen durchaus Sinn ergibt.

Alles in allem bleibt festzuhalten, dass Alter und Altern keinem vorgegebenen, starren Muster folgen. Ältere Menschen zeichnen sich durch Gemeinsamkeiten, aber schon allein aufgrund der immensen zeitlichen Ausdehnung der Altersphase und der Vielfalt der ein-bezogenen Geburtsjahrgänge durch ebenso viele Unterschiede aus. Einige verlieren sich gegebenenfalls mit zunehmendem Alter, andere bleiben bestehen und nehmen - wenn überhaupt - lediglich eine neue Qualität an oder gewinnen sogar noch an Bedeutung.

Sehr viel umfassender und weitreichender als bisher stellt sich daher die Frage nach den konkreten Lebensbedingungen und der individuellen Ausgestaltung der späten Lebens-phase. Auf einige allgemeine Befunde zur Lebenslage der Älteren und besonders bedeut-same Aspekte soll im Folgenden näher eingegangen werden.

3.2 Lebenslage älterer Menschen

Wie sich die Lebenssituation im Alter darstellt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Ne-ben den Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe, zum leNe-benslangen Lernen und zur Selbstorganisation spielen insbesondere auch die finanziellen Verhältnisse sowie der Ge-sundheitszustand eine zentrale Rolle und sind die gewachsenen sozialen Bezüge und das Wohnumfeld mitentscheidend für die Lebensqualität. Zahlreiche bundesweite Studien geben differenzierte Einblicke in die Lebenslage älterer Menschen. Einige Aspekte und zentrale Dimensionen sollen im Folgenden kurz beleuchtet werden, wobei sich der Blick vor allem auf die zugrundeliegenden Zusammenhangsstrukturen richtet.

3.2.1 Gesellschaftliche Teilhabe Älterer 3.2.1.1 Erwerbstätigkeit

Erwerbstätigkeit ist eine der zentralen Schlüsselgrößen für die Partizipation und Integra-tion des Einzelnen. Sie ist Quelle des Lebensunterhalts und darüber hinaus ein wichtiger Bezugspunkt für das Selbstwertgefühl und die gesellschaftliche Anerkennung und Zuge-hörigkeit. Der Übergang in den Altersruhestand stellt nicht nur in finanzieller, sondern auch in sozialer Hinsicht einen markanten Einschnitt dar und erfordert nicht zuletzt auch zeitlich eine grundlegende Neuorientierung und Neujustierung.

Schaubild 3.8: Erwerbstätigenquote Älterer in Deutschland im Vergleich 2006 und 2012

Quelle: www.sozialpolitik-aktuell.de

Nach einem über Jahre anhaltenden Trend zur Frühverrentung setzte in den 1990er Jah-ren auf Bundesebene eine bewusste Gegensteuerung durch zahlreiche Jah-renten- und ar-beitsmarktpolitische Reformen ein (u.a. Einführung von Rentenabschlägen, Wegfall der 58er-Regelung im SGB III). Seitdem steigt das durchschnittliche Renteneintrittsalter bun-desweit wieder an und hat sich die Erwerbsbeteiligung der 55-64-Jährigen Älteren merk-lich erhöht (vgl. Schaubild 3.8).

Dennoch lag das durchschnittliche Renteneintrittsalter auch 2012 mit 64,1 Jahren noch leicht unter der vorgesehenen Regelaltersgrenze von 65 Jahren und 1 Monat. Zudem fällt die Erwerbsbeteiligung um das 60. Lebensjahr nach wie vor deutlich ab. Für die Alters-gruppe der 55-59-Jährigen ist für 2012 bundesweit eine Erwerbstätigenquote von durch-wegs über 70 % ausgewiesen, bei den 60-Jährigen geht sie auf 62 %, bei den 64-Jährigen auf 29 % zurück.

Wie aus Schaubild 3.9 hervorgeht, stellt der direkte Übergang aus einer sozialversiche-rungspflichtigen Beschäftigung in die Altersrente zudem eher die Ausnahme denn die Re-gel dar. Bundesweit befanden sich 2012 17 % der Männer und 12 % der Frauen davor bereits im Vorruhestand bzw. in der Altersteilzeit. Bei rund 10 % ging eine Phase der Ar-beitslosigkeit nach SGB III voraus.4)

Schaubild 3.9: Status vor Eintritt in die Altersrente 2012 in Deutschland

Quelle: www.sozialpolitik-aktuell.de

Die Zahlen für Wiesbaden untermauern den bundesweiten Trend (Amt für Strategische Steuerung, Stadtplanung und Statistik 2013). Von denjenigen, die 2010 in die Altersrente einmündeten, waren davor 15 % bereits in Altersteilzeit, 20 % waren arbeitslos. Die Er-werbsbeteiligung lag bezogen auf die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsver-hältnisse in Wiesbaden bei den 55-59-Jährigen bei 59,7 %, bei den 60-64-Jährigen bei 37,0 %.

Sowohl beim Zeitpunkt des Übergangs in den Ruhestand als auch bei den näheren Um-ständen ist somit eine erhebliche Streuung und Variationsbreite zu verzeichnen. Hinzu-kommt ein weiterer Trend, der sich seit einigen Jahren abzeichnet, nämlich die zuneh-mende Erwerbsbeteiligung über das Rentenalter hinaus, wobei es sich zu einem hohen Anteil um so genannte Minijobber handelt. 2012 gingen bundesweit 4,9 % der 65-Jährigen und älteren mindestens einer Stunde pro Woche einer Erwerbstätigkeit nach, im Jahr 2000 waren es mit einem Anteil von 2,6 % nur halb so viele (vgl. www.sozialpolitik-aktu-ell.de). Die Gründe hierfür sind sicherlich mannigfaltig und reichen von finanziellen Erwägungen und der Notwendigkeit eines Zuverdienstes bis hin zum Wunsch, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten und sich auch weiterhin beruflich einzubringen.

4) Zu den sonstigen Personen mit aktiver Versicherung zählen neben pflegenden Angehörigen, die über das SGB XI rentenversichert sind, u.a. die Empfänger von SGB II-Leistungen, für die seit 2011 keine Beiträge mehr entrichtet werden, aber Anrechnungszeiten gelten.

Die größte Gruppe stellen die so genannten „passiv Versicherten“, bei denen direkt vor dem Übergang in die Altersrente keine Beitragszahlungen oder Anrechnungszeiten mehr angefallen sind, sei es aufgrund eines Wechsels ins Beamtenverhältnis oder der Aufnahme einer Selbständigkeit, eines kompletten vorzeitigen Rückzugs aus dem Erwerbsleben mit der Heirat und Geburt von Kindern oder aufgrund des Ausübens eines versicherungsfreien Minijobs, wo-bei der Frauenanteil deutlich überwiegt.

In Wiesbaden gab es 2011 knapp 484 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte über 65 Jahre. 2.288 Ältere gingen einer geringfügigen Beschäftigung nach. Gemessen an der Altersgruppe der über 65-Jährigen entspricht dies einem Anteil von 5,1 %.

3.2.1.2 Bürgerschaftliches Engagement, ehrenamtliche Tätigkeit und lebenslanges Lernen

Bürgerschaftliches Engagement, ehrenamtliche Tätigkeit und lebenslanges Lernen sowie generell der gesamte Bereich der aktiven Freizeitgestaltung sind eng miteinander ver-knüpft. Alle vier dienen der sozialen Integration und gesellschaftlichen Teilhabe. Sie bie-ten eine Plattform, um sich auch nach Abschluss der Erwerbsphase weiterhin sinnvoll einzubringen, individuelle Fähigkeiten und Kenntnisse unter Beweis zu stellen und soziale Bestätigung und Anerkennung zu erfahren. Die Einbindung in größere Zusammenhangs-strukturen bleibt erhalten. Alltagskompetenzen und vorhandenes Wissen werden gefestigt und erweitert.

In allen Bereichen hat sich die Einbindung der Älteren in den letzten Jahren erhöht:

- In der Altersgruppe der 65-69-Jährigen ist der Anteil der ehrenamtlich Engagierten bundesweit von 29 % im Jahr 1999 auf 37 % im Jahr 2009 angestiegen. Mit zunehmen-dem Alter flacht der Anteil etwas ab. Aber selbst von den 75-85-Jährigen übten 2009 immerhin noch 20 % ein Ehrenamt aus (vgl. Schaubild 3.10).

Schaubild 3.10: Anteil freiwillig Engagierter in ausgewählten Altersgruppen 1999 und 2009

Quelle: Freiwilligensurveys 1999 und 2009

- 2008 waren nach den Angaben des Deutschen Alterssurveys 61 % der 55-69-Jährigen Mitglied in mindestens einem Verein, einer Gruppe oder einer Organisation; 1996 lag der Anteil noch bei 51 %. Ein ähnlich hoher Anstieg ist bei der Altersgruppe der 70-85-Jährigen zu verzeichnen. Hier hat sich der Anteil von ursprünglich 43 % im Jahr 1996 auf 54 % im Jahr 2008 erhöht.

- Der Anteil derjenige, die außerhäusliche Bildungsangebote in Form von Kursen oder Vorträgen besuchten, hat sich zwischen 1996 und 2008 bei den 55-69-Jährigen von 26 auf 35 % erhöht und bei den 70-85-Jährigen von 12 auf 16 % (Deutsche Alterssurveys 1996 und 2008).

- Ein besonders hoher Stellenwert kommt darüber hinaus dem Bereich des „informellen Lernens“ zu (vgl. BMFSFJ 2010). In einer 2007 europaweit durchgeführten Erhebung gaben 45 % der 55-64-Jährigen und 38 % der 65-80-Jährigen an, sich im Verlauf des

- Ein besonders hoher Stellenwert kommt darüber hinaus dem Bereich des „informellen Lernens“ zu (vgl. BMFSFJ 2010). In einer 2007 europaweit durchgeführten Erhebung gaben 45 % der 55-64-Jährigen und 38 % der 65-80-Jährigen an, sich im Verlauf des