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Ostdeutschland

2 Berufsidentität als Gegenstand der Analyse des institutionellen Übergangs von der Kindertagesstätte zur Grundschule

2.4 Feinanalyse in zwei Fallstudien

2.4.2 Fallstudie I in X-Stadt (C.N.)

2.4.2.2 Kindergartenpädagoginnen (C.N.)

Patenkind aus der Vorschulgruppe dabei, sich im Schulgebäude und auf dem Schulge-lände zu orientieren.

Die Vorschulkinder besuchen die Kindertagesstätte regelmäßig. Einmal wöchentlich nutzen sie die in den Räumen des Kindergartens befindliche Sauna. Am „Saunatag“

bleiben die Kinder im Kindergartengebäude. Bei der Gestaltung von Festen und Feiern ist die Vorschulgruppe an den Kindergarten angebunden.

In der Vorschulgruppe wird die bisherige Bildungsdokumentation für jedes Kind in Form eines Portfolios aus der bisherigen Kindergartenzeit bis zum Ende des Vorschul-jahres fortgeführt und dann an die Kinder übergeben. Eine Nutzung oder Weiterführung durch die Lehrerinnen der Grundschule findet nicht statt.

Die Vorschulgruppe kann alle Räume der Schule und die Turnhalle nutzen, wenn sie nicht von Schulkindern benötigt bzw. belegt sind. Es finden auch gemeinsame Projekte und Feste der Vorschul- und Schulkinder statt.

Nachfolgend werden die Perspektiven der an der Kooperation beteiligten Akteure – Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen, Eltern und Kinder – dargestellt.

Alle Interviewpartnerinnen und Interviewpartner wurden über das Forschungsinteresse informiert. Wir erklärten, dass untersucht wird, wie Übergänge von der Kindertagesstät-te zur Grundschule in Thüringen gestalKindertagesstät-tet werden und wir auf die besondere Zusam-menarbeit des Kindergartens und der Grundschule in X-Stadt aufmerksam geworden sind. Nachdem diese Erklärung vollzogen war, baten wir die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, uns zu erzählen und zu beschreiben, wie der Übergang vom Kinder-garten zur Grundschule in X-Stadt gestaltet wird.

Erzieherin: „Also Vorzüge seh ich vor allem, dass da im Haus [im Kindergarten – Erg. d. Verf.] dass die die Großen sind, sie sind auch wieder die Kleinen für unsere Vorschulkinder. So isses ja auch wieder für die älteste Gruppe [in der Schule – Erg.

d. Verf.], aber sie wachsen daran, also man merkt, sie finden sich eher zurecht, sind viel sicherer (.) Wenn die erst in der ersten Klasse sind, die ganzen Räumlichkeiten und alles und die Lehrer und die neuen Schüler kennenlernen (.) Es ist einfach n ganz anderer Umgang (.).“ (Z: 7-11)

Die Befragte beschreibt die Situation der Kinder, die im Kindergarten „die Großen“

sind. Gemeint sind die Kinder, die die Ältesten im Kindergarten sind und damit den Status erlangt haben, „groß“ zu sein. Diese Kinder sind in den Augen der aus dem Kin-dergarten ausgelagerten Vorschulgruppe „auch wieder die Kleinen“, so die Erzieherin.

Die Erzieherin macht ihre Beziehung und Zugehörigkeit zu den Kindern der Vorschul-gruppe deutlich, indem sie sagt „unsere Vorschulkinder“. Sie ist die Erzieherin der Vorschulkinder des Kindergartens, die in dem Gebäude der Grundschule ihren Grup-penraum haben. Die Abgrenzung der beiden Einrichtungen, Kindergarten und Grund-schule, wird an der sprachlichen Differenzierung des Personalpronomens „unsere“

deutlich. Die Informantin verwendet in dieser Anfangssequenz die Zuschreibungen „die Großen“, „die Kleinen“, „die älteste Gruppe“ für die Kinder, die als Noch-Nicht-Vorschulkinder im Kindergarten die Ältesten sind, und für die Noch-Nicht-Vorschulkinder, die sich schon überwiegend im Schulgebäude befinden und im nächsten Schuljahr reguläre Schulkinder werden. Sie möchte am Anfang ihres Berichtes zur Übergangsgestaltung in X-Stadt die Vorzüge der Kooperationsregelung beschreiben, kommt aber nicht umhin, zunächst klarzustellen, welche Probleme es aus ihrer Sicht – in Verbindung mit der Wahrnehmung der Kinder als „die Großen“ und „die Kleinen“ – gibt. „Die Großen“

im Schulgebäude wären – wenn diese Vorschulkinder im Gebäude des Kindergartens verblieben wären – die Vorschulkinder im Kindergarten. Da sie jedoch im Gebäude der Grundschule sind, werden die Vorschulkinder als „wieder die Kleinen“ wahrgenom-men. Genereller gesagt: es entsteht ein Altersstatus im letzten Kindergartenjahr, der in sich widersprüchlich ist. Und im Kindergartengebäude selber entsteht ein neuer Alters-status der „Großen“, der etwas Irreales hat, weil die wirklich „Großen“ nur räumlich abwesend sind.

Nachdem die Erzieherin für die ältesten Kindergartenkinder die Schwierigkeiten des natürlicherweise „groß zu sein“ beschrieben hat: also einen Status erlangt zu haben, der mit bestimmten Kompetenzen und Verantwortungsübernahme einhergeht, der aber in sich widersprüchlich bleibt, beschreibt sie die tatsächlichen Vorzüge der Übergangssi-tuation vom Kindergarten in die Schule in X-Stadt. Sie leitet ihre Darstellung der

Vor-teile mit dem Wort „aber“ ein, das die Abgrenzung zu den von ihr zuvor benannten bedenkenswerten Nachteilen des Übergangsarrangements in X-Stadt darstellt. Die Vor-schulkinder hätten zwar nicht den Status der größten und ältesten Kinder, wüchsen aber an dieser Situation in der Grundschule, in der sie, die Vorschulkinder, wieder die Klei-nen sind. Dass die Kinder aus Sicht der Befragten „wachsen“, im Sinne von „selbst-ständig werden“, wird von der Informantin damit begründet, dass die jetzigen Vor-schulkinder sich im Schulhaus besser auskennen würden als die VorVor-schulkinder, die bis vor drei Jahren das letzte Kindergartenjahr nicht im Schulgebäude verbrachten. Den Vergleich mit den Kindern, die die Situation nicht kannten, führt sie fort, wenn sie sagt, dass man merke, dass sich die Kinder eher zurechtfänden und viel sicherer seien. Am Beginn des Interviews fokussiert die Erzieherin die Vorzüge des neuen Übergangsar-rangements mit Bezug auf die neue räumliche Regelung, die zur Einschulung in die erste Klasse keine räumliche Veränderung zusätzlich zur institutionellen Anforderungs-veränderung verlangt. Die Erzieherin zählt die die Kinder verunsichernden Faktoren explizit auf, die es beim herkömmlichen Übergang vom Kindergarten in die Schule gibt, der auch einen Wechsel der Gebäude einschließt: „die ganzen Räumlichkeiten und alles und die Lehrer und die neuen Schüler“. Diese verunsichernden Faktoren sind in der neuen Art der Kooperation – so die Informantin – obsolet, und dies wirke sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder aus: sie erlangten durch die räumliche Kontinuität eine größere Selbstständigkeit.

Die Erzieherin beschreibt die Patenschaften der Vorschulkinder mit den Grundschul-kindern des vierten Schuljahres. Im gegenwärtigen Schuljahr wurde die Patenschaft das erste Mal von der vierten Klasse übernommen.

Erzieherin: „Wir hatten dieses Jahr jetzt das erste Mal dann Patenschaften mit der vierten Klasse und das haben wir mit gemischten Gefühlen angefangen, weil vierte Klasse, dass ist ja nun ein Altersunterschied schon /hmm// und da ham wir gedacht hmm, was werden die sagen mit den kleenen Pimpfen. Und so manchmal wirds ihnen vielleicht schwer fallen oder sie sagen: ,und jetzt kommen die schon wieder.’

Wir ham aber festgestellt, dass ist überhaupt nicht so gewesen, die ham sich wirk-lich gefreut. Die ham uns gegrüßt, sie ham uns besucht, wir ham die Großen besucht und das ist alles Vorteil, wenn man hier im Hause ist“ (Z: 11-18).

Die Befragte führt aus, sie habe die neue Patenschaftsregelung mit gemischten Gefühlen angefangen. Sie spricht im Plural von „wir“, d.h. sie bezieht sich auf mehrere Personen, die gemischte Gefühle hatten. Wen sie genau mit dieser auf mehrere Personen zielenden Darstellung meint, bleibt offen. Sie könnte das Erzieherinnenteam meinen oder auch sich selbst und die Vorschulkinder ihrer Gruppe. Im ersten Fall würde eine

on mit ihren Kolleginnen im Kindergarten stattfinden, im zweiten Fall eine Identifikati-on mit den Kindern ihrer Gruppe. Beide Varianten verweisen auf eine Verortung der Informantin als Erzieherin im Kindergarten.

Nachdem sie ihre Unsicherheit hinsichtlich der Patenklasse beschrieben hat, geht die Erzieherin auf den Grund der Verunsicherung ein. Auch hier spricht sie wiederum im Plural, was darauf schließen lässt, dass sie ihre Kolleginnen und sich selbst meint. Sie benennt den Altersunterschied zwischen den Kindern der Vorschulgruppe und den Kin-dern der vierten Klasse, die die Patenschaft übernehmen sollten, als den Grund ihrer Sorge. Die Erzieherin beschreibt, wie sie und ihre Kolleginnen sich in die Kinder der vierten Klasse hineinversetzt haben, und sie drückt ihre damalige Sorge darüber aus, wie die Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse auf die kontaktsuchenden kleinen Vorschulkinder verbal reagieren würden. Diesem Gedanken verleiht sie durch die von ihr verwandte Bezeichnung der Vorschulkinder als die „kleenen Pimpfe“ besonderen Nachdruck. Sie versetzt sich weiter in die Lage der Viertklässler, von denen sie vermu-tet, dass es ihnen manchmal schwerfallen werde, mit den Vorschulkindern umzugehen.

Sie stellt dann aber fest, dass sich ihre Sorgen und die Sorgen ihrer Kolleginnen nicht bestätigt hätten. Die Informantin beschreibt, dass sie mit ihren Kolleginnen festgestellt habe, dass es faktisch dann aber nicht so gewesen sei, wie sie im Kolleginnenkreis be-fürchtet hätten und dass die Viertklässler sich wirklich gefreut hätten. Auch hier voll-zieht die Befragte ihre Darstellung im Plural, was die Vermutung bestätigt, dass sie sich auf Erinnerungen der Gespräche mit ihren Kolleginnen beruft. Die positive Reaktion der Viertklässler formuliert sie bekräftigend, indem sie sagt, dass diese sich „wirklich“

gefreut hätten. Diese Freude der Viertklässler über die Patenschaften mit den Vorschul-kindern beschreibt die Informantin dann sogar genauer, wenn sie sagt, „die ham uns gegrüßt, sie ham uns besucht, wir ham die Großen besucht“.

Die Befragte resümiert ihre Darstellung zu den Patenschaften mit der Bilanzierung,

„und das ist alles Vorteil, wenn man hier im Hause ist“. Der Vorzug der Vorschulgrup-pe in dem Gebäude der Grundschule wird von ihr mit dem Hinweis auf zwei Schwer-punkte beschrieben: Zum einen würden sich die Kinder im Gebäude auskennen und zum anderen hätten die Kinder Kontakt zu den Schulkindern. Die Erzieherin selbst sieht sich als nicht zugehörig zur Institution Schule. Mit der Aussage „wenn man hier im Hause ist“ wird ihre Distanz zum Schulgebäude deutlich. Spricht die Informantin vom Kindergarten und ihren Kolleginnen, verwendet sie die Differenzierung „Wir“, „uns“

und „anderen“ und verdeutlicht damit ihre Identifikation, Zugehörigkeit und Verwurze-lung im Kindergarten. Dagegen spricht die Informantin in der unpersönlichen „man-Darstellung“ von der Schule – und zwar mit dem örtlichen Verweis „hier im Hause“

und mit der Eingrenzung „wenn man hier (...) ist“. Das weist auf ihre Distanz gegen-über der Institution Schule hin und auch auf ihre Fremdheit in der Schule.

Die Erzieherin berichtet, dass sie Ängste der Eltern wahrnimmt. Eltern öffneten sich – so die Informantin – den Erzieherinnen und teilten ihnen mit, welche Sorgen sie bezüg-lich des Überganges der Kinder auf die Schule haben.

Erzieherin: „Und es gibt immer Bedenken, äh, jedes Mal wenn' heißt, die Vorschu-le, äh, da kommen immer Bedenken bei Eltern, die sagen: ‘Oh, schafft das mein Kind’ - is aber normal. .. Die seh'n ihr Kind, die kenn' ihr Kind, ge, äh, viele unter-schätzen ihr Kind sogar. Die, die seh'n manchmal gar nicht, die Eltern, was die für Potenzial haben ge, und wenn man dann sagt: ‘Na, aber .. das könn die doch’" (Z:

30-34).

Aus der Sicht der Erzieherinnen ist eine wiederkehrende Hauptsorge der Eltern, ob ihr Kind den Anforderungen eines Vorschulkindes gerecht werden wird. Deutlich wird hier, dass die Eltern davon ausgehen, dass es bereits in der Vorschulgruppe des Kinder-gartens Leistungsanforderungen gibt, denen ihr Kind nicht gerecht werden könnte. Die Vorschulgruppe ist in der Sicht der Eltern demnach keine herkömmliche Kindergarten-gruppe, sondern eine Gruppe mit Leistungsanforderungen. Die Erzieherin empfindet die Sorge als „normale“ Reaktion der Eltern. Sie räumt einerseits ein, dass die Eltern ihr Kind kennen, beurteilt jedoch die Einschätzung der Eltern über ihr eigenes Kind kri-tisch, wenn sie sagt „viele unterschätzen ihr Kind sogar“. Die Ambivalenz der Erziehe-rin wird so sichtbar. Einerseits bestätigt sie die Befürchtungen der Eltern, da sie ja „Ex-perten“ für ihre Kinder seien. Andererseits stellt sie die Beurteilungssfähigkeit der El-tern in Bezug auf das Entwicklungsvermögen ihrer Kinder in Frage. Es wird deutlich, dass es Differenzen in der Wahrnehmung und Beurteilung der Kinder durch die Eltern einerseits und durch die Erzieherinnen andererseits gibt. Diese unterschiedlichen Sicht-weisen rühren aus der emotionalen Beziehung der Eltern zu ihrem Kind und dem Wunsch, dass das Kind den Anforderungen der Bildungsinstitutionen gerecht wird. El-tern haben – so die Informantin – meist nicht das Vermögen, das Entwicklungspotential ihres Kindes einschätzen zu können – allerdings müssen sie dies auch nicht können.

Pädagoginnen dagegen haben einen professionellen Blick auf den Entwicklungsverlauf des Kindes und sollten die Potentiale eines Kindes einschätzen können. Die Erzieherin

verweist auf das Potential der Kinder und verdeutlicht damit, dass die Kinder als Vor-schulkinder tatsächlich schon etwas leisten müssen.

Die Erzieherin des Kindergartens spricht zwar den Eltern Mut zu, wenn sie Befürchtun-gen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit ihrer Kinder haben. Die eiBefürchtun-gentliche Intention eines Kindergartens – der die Entwicklung eines Kindes vor allem durch vielfältige Formen des Spiels unterstützt – wird von der Erzieherin hier aber nicht vertreten. Die inhaltliche Ausgestaltung des letzten Kindergartenjahres ist nicht – wie von der Erzie-herin selbst ausgeführt – lediglich eine räumliche Veränderung, an die sich die Kinder langsam gewöhnen können und dient auch nicht nur zum Kennenlernen der Kinder, die bereits die Schule besuchen, sondern umfasst Leistungsanforderungen, die die Kinder

„schaffen“ müssen. Ein ganzheitlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag ist demgegen-über bei der Erzieherin der Vorschulgruppe nicht erkennbar. Vielmehr geht es aus ihrer Sicht um eine Anpassung der Kinder an Anforderungen, die die Schule an sie stellen wird – die Gestaltung des letzten Kindergartenjahres wird also nicht von elementarpä-dagogischen Inhalten bestimmt, sondern zur gezielten kognitiven Schulvorbereitung genutzt.

An der Darstellung der Erzieherin ist zu erkennen, dass sie die Sorgen der Eltern als wiederkehrendes Verhaltensmuster der Eltern von werdenden Vorschulkindern wahr-nimmt, die sich nicht explizit auf die räumliche Trennung der Vorschule von der Kin-dertagesstätte beziehen, sondern auf die Kern- und Ordnungsanforderungen der Vor-schule.

2.4.2.2.2 Gleichberechtigung und Dominanz der Pädagoginnen:

„Wir sind gut ausgebildete, bestens ausgebildete Erzieherinnen mit viel Erfahrung. Aber da bringt sich dann die Schule ein.“

Bei der Gestaltung des Übergangs von Kindergarten zur Schule in X-Stadt sind die Aufgaben innerhalb der Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule unter den Pädagoginnen beider Institutionen aufgeteilt. Die Vorschulgruppe ist eine aus dem Ge-bäude des Kindergartens ausgelagerte Kindergartengruppe, die strukturell zum Kinder-garten gehört. Da die Gruppe sich in den Räumen der Grundschule befindet, ist eine Zuständigkeitsregelung erforderlich gewesen. Die inhaltlich-pädagogische Ausgestal-tung des letzten Kindergartenjahres ist Aufgabe der Kindergartenleiterin sowie der Er-zieherinnen des Kindergartens und alle organisatorischen Sachverhalte fallen in die

Zu-ständigkeit der Grundschulleitung. Die Kindergartenleiterin wird von den Interviewe-rinnen gefragt, wie das letzte Kindergartenjahr inhaltlich gestaltet wird und ob Abspra-chen zur inhaltliAbspra-chen Gestaltung mit der Schulleiterin getroffen werden.

Kindergartenleiterin: „Also ohne sich abzusprechen, inhaltlich, also wenn die Kin-der dann oben sind, äh wir ham, also unser, wir ham ja auch unser Programm, und der Bildungsplan is die Grundlage sowieso, ge. Das is äh ausschlaggebend und das is auch das Material für die Erzieherinnen“ (Z: 150-153).

Die Leiterin des Kindergartens führt aus, es gebe keine auf die pädagogisch-inhaltliche Arbeit bezogenen Absprachen zwischen ihr und der Schulleiterin. Für die Kinder des letzten Kindergartenjahres, die mit einer Erzieherin „oben“ 88 in den Räumen der Grundschule seien, gebe es ein „Programm“, d.h. es gibt geplante Abläufe, die mit den Kindern des letzten Kindergartenjahres vollzogen werden. Die Kindergartenleiterin verwendet das Personalpronomen „wir“. Das macht ihre Verantwortung diesen Kindern gegenüber deutlich. Sie als die Leiterin des Kindergartens hat zusammen mit ihrem Team ein Programm sowohl für die jüngeren Kinder im Gebäude des Kindergartens als auch für die Gruppe im Schulgebäude, das, so führt sie aus, als Grundlage den Thürin-ger Bildungsplan habe. Trotz der räumlichen Trennung der Vorschulkinder von der Kindertagesstätte, sind diese Kinder aus ihrer Sicht Kindergartenkinder und keine Schulkinder.

Die Interviewerin fragt die Kindergartenleiterin, ob der Thüringer Bildungsplan auch die Grundlage für Grundschullehrerinnen ist.

Kindergartenleiterin: „Normalerweise auch für die Grundschullehrerinnen. Aber es wird dann die Grundschule, also die äh .. bringt sich dann schon ein, dann is, äh ..

Früh-Englisch. Einmal in der Woche nehm' sie sich dann immer Gruppen, machen ne dreiviertel Stunde Früh-Englisch, dann gibts ’Hören-Lauschen-Lernen’ .. bietet eine Lehrerin an. Da sin wir dann raus, obwohl wir das auch gut können. Erzieher - wir sind gut ausgebildete, bestens ausgebildete Erzieherinnen mit viel Erfahrung. ..

Aber da .. bringt sich dann die Schule ein“ (Z: 158-164).

Die Kindergartenleiterin antwortet, der Thüringer Bildungsplan gelte auch für die Grundschullehrerinnen. Sie bestätigt, dass der Bildungsplan auch für die Arbeit der Grundschullehrerinnen maßgeblich sei, mit dem einführenden Wort „normalerweise“

88 Zur Erklärung: Mit „oben“ meint die Leiterin des Kindergartens, das Schulgebäude. Das Gebäude des Kindergartens wird in allen Interviews in X-Stadt als „unten“ bezeichnet. Sprechen die Interviewpartne-rinnen von „oben“ und „hoch“ ist die Schule gemeint, sprechen sie von „unten“ und „runter“ meinen sie den Kindergarten.

und deutet damit an, dass es im konkreten Fall anders ist. Der Thüringer Bildungsplan ist für die pädagogische Arbeit mit Kindern bis zehn Jahren konzipiert. Für den Elemen-tarbereich bildet er die verbindliche Arbeitsgrundlage. Die Pädagoginnen des Primarbe-reiches sind angehalten den Bildungsplan zu nutzen, es gibt allerdings in Thüringen dazu keine verbindliche Regelung.

Die Kindergartenleiterin führt anschließend aus, in welcher Weise die Grundschule in den Ablauf des Kindergartenalltags einwirke. Sie beschreibt, dass die Lehrerinnen sich die Kinder „nehmen“ und in kleinen Gruppen in einem separaten Raum mit ihnen bei-spielsweise „Früh-Englisch“ oder das Training zum phonologischen Bewusstsein „Hö-ren-Lauschen-Lernen“ durchführen. Diese vorschulischen Einheiten dauern nach Anga-be der Kindergartenleiterin 45 Minuten; das entspricht einer schulischen Unterrichts-stunde. Die Kindergartenleiterin verwendet das Verb „nehmen“ und vermittelt den Ein-druck, die Kinder werden der Erzieherin oder auch dem Kindergarten durch die Lehre-rin weggenommen, um die vorschulischen Trainingsprogramme durchzuführen. Diese Interpretation wird von der Aussage unterstützt, dass die Erzieherinnen „dann raus sind“. Die Kindergartenleiterin beschreibt einen Prozess, der in dem Kooperationsmo-dell in X-Stadt stattfindet, bei dem die für die Kinder zuständige Institution des Kinder-gartens und deren Leiterin als Verantwortliche des KinderKinder-gartens ohnmächtig scheinen und sich strukturelle Routinen eingeschliffen haben, die anscheinend von der Kinder-gartenleiterin nicht gewollt und nicht unterstützt werden. Die KinderKinder-gartenleiterin führt aus, die Erzieherinnen können diese Aufgaben der vorschulischen Arbeit genauso gut wie die Lehrerinnen. Dass die Lehrerinnen diese Aufgaben wahrnehmen, missfällt ihr.

Die Übernahme der Aufgabe der Schulvorbereitung der Kinder des letzten Kindergar-tenjahres durch die Lehrerinnen ist aus ihrer Sicht unnötig. Sie begründet ihre Aussage damit, dass die Erzieherinnen eine sehr gute Ausbildung absolvierten und alle Kollegin-nen des Kindergartens Erfahrungen mit der Arbeit mit den Vorschulkindern haben. Die Ausbildung zur Erzieherin und ihre Erfahrung autorisieren nach Ansicht der Kindergar-tenleiterin die Erzieherinnen, die benannten vorschulischen Inhalte anzubieten. Trotz dieser Kompetenzen bringe sich die Schule an dieser Stelle ein und okkupiere diesen Bereich im Tages- bzw. Wochenplan des Kindergartens, so die Kindergartenleiterin.

Vor dem Hintergrund der inhaltlichen und organisatorischen Absprachen und der Inter-pretation des Interviewabschnittes kristallisiert sich heraus, dass die Kindergartenleite-rin sich und die ErzieheKindergartenleite-rinnen der Kinder des letzten Kindergartenjahres in Konkurrenz zur Schule sieht.

Die Interviewerin fragt nach, ob die Kindergartenleiterin der Grundschulleiterin gegen-über den Wunsch formuliert habe, dass die vorschulischen Einheiten, wie Basaltraining etc. die Erzieherinnen durchführen.

Kindergartenleiterin: „Das ham wir schon paar mal gesagt, dass - wir könn' das auch und dann werd’n eben dann Arbeitshefte eingeführt. Ich sag: ‘Wir ham so schöne Arbeitsblätter, wir machen schon ganz viele Jahre .. bringen Kinder in die Schule und die war'n nich schlechter .. wie jetzt, ge’. Also, äh aber das is so biss-chen das, was - was uns eigentlich ähm die sprebiss-chen uns das ab, als wenn wir das nich nicht so konsequent könnten, wie die Lehrerinnen“ (Z: 173-178).

Die Kindergartenleiterin berichtet, sie habe gegenüber der Schule mehrmals darauf hin-gewiesen, dass die Erzieherinnen die vorschulischen Elemente durchführen wollen und können. Daraufhin seien Arbeitshefte von der Schule eingeführt worden, mit denen die Erzieherinnen diese Einheiten durchführen sollten. Aus Sicht der Kindergartenleiterin seien die Arbeitshefte der Schule für die Kinder des letzten Kindergartenjahres unnötig, da im Kindergarten Arbeitsblätter zur Verfügung stehen. Diese Arbeitsvorlagen seien bereits in den vergangenen Jahren bei der schulvorbereitenden Arbeit genutzt wurden, auch zu der Zeit, als das Kooperationsmodell noch nicht existierte und die Schulvorbe-reitung der Kindergartenkinder ausschließlich durch die Erzieherinnen im Kindergar-tengebäude stattgefunden habe, so die Kindergartenleiterin. Die Kindergartenleiterin vergleicht die Kinder, die durch die Erzieherinnen des Kindergartens auf die Schule vorbereitet wurden mit den Kindern, die durch die Lehrerinnen auf die Schule vorberei-tet wurden. Sie stellt fest, die Kinder, die durch die Erzieherinnen auf die Schule vorbe-reitet wurden, seien nicht weniger gut, als die Kinder, die die Schulvorbereitung durch die Lehrerinnen erhielten. Die Kindergartenleiterin ist offenkundig mit der Regelung, dass die Lehrerinnen die vorschulischen Inhalte übernehmen, unzufrieden. Sie meint, die Erzieherinnen werden mit ihrer fachlichen Kompetenz nicht angemessen bei der Aufgabenverteilung in der Kooperation zwischen Kindergarten und Schule in X-Stadt berücksichtigt. Die Kindergartenleiterin stellt bei ihrer Kritik an der Aufgabenverteilung zwischen Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen nicht die schulvorbereitenden Ele-mente per se in Frage. Den Ausführungen der Kindergartenleiterin ist zu entnehmen, dass im Kindergarten anscheinend ähnliche Übungen zur Schulvorbereitung von den Erzieherinnen durchgeführt wurden, wie sie seit der Kooperation von den Lehrerinnen genutzt werden. Die Erzieherinnen hatten demnach ähnliche Arbeitsvorlagen wie die Lehrerinnen, um eine gezielte Schulvorbereitung durchzuführen.