• Keine Ergebnisse gefunden

2 ALLGEMEINES ZUR ENTGELTFORTZAHLUNG IM KRANKHEITSFALL

2.1 K LASSIFIKATION DER D IENSTVERHINDERUNGSGRÜNDE

2 Allgemeines zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

2.1 Klassifikation der Dienstverhinderungsgründe

2.1.1 Österreich

Der normale Arbeitsablauf kann durch eine Vielzahl von Umständen gestört werden. In solchen Fällen stellt sich die Frage, wer die Nichterbringung der Arbeitsleistung zu vertreten hat. Dieses Problem soll nach der österreichischen Lehre durch die so genannte

„Sphärentheorie“ gelöst werden, nach der die verschiedenen Dienstverhinderungsgründe vorweg den drei folgenden Sphären zugeordnet werden:5

Der Entgeltanspruch bei Verhinderungsgründen in der Arbeitgebersphäre wird durch

§ 1155 ABGB geregelt, der dem Arbeitnehmer einen Entgeltfortzahlungsanspruch zugesteht, sofern er zur Arbeitsleistung bereit ist, aber durch Umstände auf Arbeitgeberseite an derselben gehindert wird.6 Zur Abgrenzung der Risikosphären hat sich zunächst die Lokalisationstheorie entwickelt, nach der dem Arbeitgeber das Risiko dann übertragen wird, wenn der Betrieb als Ort räumlich betroffen ist. Im Gegensatz dazu stellt die mittlerweile herrschende Zurechnungstheorie darauf ab, in wessen Sphäre das Entgeltrisiko beherrschbar war.7 § 1155 ABGB umfasst sowohl den Annahmeverzug des Arbeitgebers als auch das ihm zurechenbare Unmöglichwerden der Leistung. Das gesamte Betriebsrisiko wird daher durch den Arbeitgeber getragen,8 welcher unter anderem technische und organisatorische Mängel sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten zu vertreten hat.9 Der Anspruch ist dabei vom Verschulden des Arbeitgebers unabhängig. Der Dienstnehmer ist auch nicht verpflichtet, die Arbeit nachzuholen.10

Probleme bei der Zuordnung einer Dienstverhinderung zur Arbeitgebersphäre ergeben sich im Falle des Arbeitskampfes. Streikende Arbeitnehmer haben mangels Leistungsbereitschaft grundsätzlich keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 1155 ABGB, auch wenn der

5 Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 (2003) 386.

6 Naderhirn, Zum Verhältnis ausgewählter Entgeltfortzahlungstatbestände zueinander, ZAS 2007, 111.

7 So etwa Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht 176 f; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 388 f.

8 Melzer-Azodanloo in Löschnigg, AngG I8 § 8 Rz 10 f.

9 So etwa OGH 9 Ob A 27/98f ARD 4949/5/98 = DRdA 1999/22 = ASoK 1998, 390 = wbl 1998/300.

10 Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht 176.

3

Arbeitskampf als kollektive Maßnahme an sich rechtmäßig ist.11 Problematisch ist allerdings der Teilstreik, bei dem sich vor allem die Frage nach der Ernstlichkeit der Arbeitsbereitschaft der nicht streikenden Arbeitnehmer als Voraussetzung für einen Entgeltfortzahlungsanspruch stellt. Fraglich ist auch, wem in einem solchen Fall das Lohnrisiko zu übertragen ist.

Berücksichtigt man, dass das Ergebnis eines Streiks, nämlich ein gewerkschaftlich erkämpfter Kollektivvertrag, wegen der Außenseiterwirkung nach § 12 ArbVG auch den nicht am Streik teilnehmenden Arbeitnehmern zugute kommen kann, so spricht dies dafür, sie auch während eines Arbeitskampfes mit den streikenden Arbeitnehmern gleichzustellen und der gesamten Arbeitnehmerschaft das Lohnrisiko aufzubürden.12

Der für Arbeiter und Angestellte gleichermaßen geltende Anspruch des § 1155 ABGB ist zwar zeitlich unbegrenzt, kann aber durch Kollektivvertrag oder durch Arbeitsvertrag abgedungen werden. Dies darf allerdings nicht zu einer missbräuchlichen totalen Überwälzung des Unternehmerrisikos auf den Dienstnehmer führen.13 Der Arbeitnehmer hat sich gemäß § 1155 Abs 1 2. HS ABGB während der Zeit der Dienstverhinderung anrechnen zu lassen, was er sich infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Letzterer Fall liegt vor, wenn der Arbeitnehmer eine sich ihm bietende zumutbare Möglichkeit eines anderen Verdienstes absichtlich ausschlägt.14

Die neutrale Sphäre erfasst Ereignisse, deren Konsequenzen umfassend sind und die nicht nur den einzelnen Betrieb, sondern die Allgemeinheit betreffen, sodass sie weder der Arbeitgeber- noch der Arbeitnehmersphäre zugeordnet werden können. Bei Dienstverhinderungsgründen in der neutralen Sphäre, die generell nur bei Ausnahmezuständen betroffen ist, wird ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers verneint, da es in solchen Fällen unbillig wäre, dem Arbeitgeber das finanzielle Risiko aufzubürden. Für Österreich sind in diesem Zusammenhang vor allem starke Schneefälle von praktischem Interesse, welche die Arbeitnehmer an der Erreichung ihres Arbeitsplatzes

11 So etwa OGH 9 Ob A 347/89 ZAS 1994/1 (Aigner); Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht 180;

Schindler, Rechtsfragen des Streiks unter besonderer Berücksichtigung der Entgeltfortzahlung, in Resch (Hrsg), Fragen der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers (2004) 65 (82).

12 So etwa Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht 180 f; Marhold, Entgeltanspruch für Trittbrettfahrer?, ASoK 2005, 78 (79 f); AA etwa Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 392; Laminger,

Entgeltfortzahlungsanspruch nicht streikender Arbeitnehmer, ecolex 2003, 537 (540), für den unter sehr strengen Voraussetzungen ein Entgeltfortzahlungsanspruch nicht streikender Arbeitnehmer bei einem streikbedingten Betriebsstillstand in Betracht kommt.

13 Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 386 f.

14 OGH 4 Ob 40/83 Arb 10.311.

4

hindern. Der OGH15 hat diesbezüglich sogar außergewöhnlich ergiebige Schneefälle mit behördlich angeordneten Straßensperren nicht der neutralen Sphäre zugeordnet und den verhinderten Arbeitnehmern in der Folge einen Entgeltfortzahlungsanspruch zugestanden.

Verhinderungsgründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, fallen in die Arbeitnehmersphäre.16 Relevant sind hier vor allem Krankheiten und Unglücksfälle sowie die so genannten sonstigen in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Verhinderungsgründe, wie zum Beispiel Pflegefreistellung, Behördengänge oder familiäre Verpflichtungen.17

2.1.2 Italien

Die Bestimmungen des italienischen Arbeitsrechts finden sich ebenso wie die vergleichbaren österreichischen Regelungen nicht in einem einheitlichen Gesetzbuch. Die einschlägigen Vorschriften verteilen sich vielmehr auf das Zivilgesetzbuch (codice civile) und unzählige weitere einzelne gesetzliche Vorschriften. Daneben werden die Beziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien auch durch die einschlägigen Kollektivverträge und das Arbeitsvertragsrecht mitgestaltet.

Die höchste der innerstaatlichen Rechtsquellen zum italienischen Arbeitsrecht ist die Verfassung der Republik Italien (costituzione). Auf der zweiten Ebene stehen die Gesetze (leggi) sowie die Rechtsakte der Regierung, nämlich einerseits die Gesetzesverordnungen (decreti legislativi) und andererseits die Verordnungen mit Gesetzeskraft (decreti legge). Im Rang unter den Gesetzen stehen die Verwaltungsverordnungen der Exekutive (regolamenti) und die Verwaltungsrichtlinien (circolari ministeriali). Letztere binden nur die Verwaltung und dienen der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen in der Praxis. Wiederum eine Ebene darunter finden sich die Kollektivverträge (contratti collettivi), die für beinahe jeden Tätigkeitsbereich einschlägig sind. Die letzte Stufe in der Normenhierarchie bildet das Gewohnheitsrecht.18

Im italienischen Arbeitsrecht wird unter dem Schlagwort „Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses“ (sospensione del rapporto di lavoro) eine Reihe von Fällen

15 Dazu etwa OGH 9 Ob A 202/87 JBl 1988, 802 (Holzer) = ZAS 1988, 167 (Schnorr); Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht 181 f.

16 Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht 182.

17 Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 394.

18 Hofmann/Coslovich, Arbeitsrecht in Italien 2 f; Kindler, Einführung in das italienische Recht2 (2008) 67 ff.

5

zusammengefasst, deren einzige Gemeinsamkeit in der gänzlichen oder teilweisen Unterbrechung der Arbeitspflicht und der für ihre Erfüllung unentbehrlichen Verpflichtungen besteht. Diese Unterbrechungsgründe lassen sich nach einer von der jüngeren Lehre vorgenommenen Klassifikation, ähnlich wie in Österreich, verschiedenen Sphären zuordnen.

Unterschieden wird dabei zwischen Gründen in der Arbeitnehmersphäre und Gründen in der Sphäre des Unternehmens.19

Die Gründe in der Sphäre des Unternehmens betreffen die Produktionsorganisation und lassen sich in zwei verschiedene Kategorien unterteilen, nämlich einerseits in Fälle der vorübergehenden objektiven Unmöglichkeit der Arbeitsausübung wegen höherer Gewalt (oggettiva impossibilità sopravvenuta della prestazione) und andererseits in solche Vorkommnisse, bei denen die Erbringung der Arbeitsleistung bloß mit Schwierigkeiten verbunden ist (mera difficoltà di ricevere la prestazione di lavoro).20 Bei objektiver Unmöglichkeit der Arbeitsleistung wegen höherer Gewalt besteht grundsätzlich, wie auch im österreichischen Recht, keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entrichtung des Entgelts.

Dieser Grundsatz wird allerdings mehrfach, unter anderem durch kollektivvertragliche Dispositionen und im Angestelltenrecht durch die Bestimmung des Art 6 R.D.L. n. 1825/1924, im Sinne einer Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers durchbrochen. Wird die Erlangung der Arbeitsleistung bloß aufgrund von betriebsinternen Krisen oder vorübergehenden Problemen am Arbeitsmarkt erschwert, so ist der Arbeitgeber generell zur Entgeltfortzahlung gegenüber den Arbeitnehmern verpflichtet.21

Die Unterbrechungsgründe in der Sphäre des Arbeitnehmers werden in Art 2110 und Art 2111 c.c. aufgelistet. Diese beiden Bestimmungen regeln nicht nur den wohl bedeutendsten Dienstverhinderungsgrund Krankheit (malattia), sondern darüber hinaus auch die Verhinderungsgründe Unfall (infortunio), Schwangerschaft (gravidanza), Mutterschaft (puerperio) und Wehrdienst (servizio militare).22 Wie auch im österreichischen Recht ist für die Gründe in der Arbeitnehmersphäre charakteristisch, dass das Arbeitsverhältnis bestehen

19 Carinci/Tamajo/Tosi/Treu, Diritto del lavoro II- Il rapporto di lavoro subordinato5 (2003) 325.

20 Galantino, Diritto del lavoro15 (2008) 346.

21 Galantino, Diritto del lavoro15 346.

22 Miscione, Dialoghi di diritto del lavoro (2001) 291; Ferraro in Caruso/Cinelli/Ferraro (Hrsg), Il Rapporto di Lavoro (2004) 174.

6

bleibt, während dem Arbeitgeber unter gewissen Voraussetzungen das Risiko des Unterbleibens der Arbeitsleistung aufgebürdet wird.23

In der vorliegenden Arbeit soll die Entgeltfortzahlung im Falle von Krankheit oder Unglücksfall behandelt werden. Auf eine genauere Darstellung der Verhinderungsgründe in der Arbeitgebersphäre, der sonstigen in der Person des Dienstnehmers gelegenen Dienstverhinderungsgründe sowie der Themenkreise Schwangerschaft und Mutterschaft wird im Rahmen dieser Arbeit hingegen bewusst verzichtet.