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Die Kämpfe um die Niederlausitz bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts

Die Niederlausitz ist ein kleines Land, deren Fläche sich im Lauf der Geschichte zwi-schen 7000 und 8000 km2 bewegte. Sie erstreckt sich zu beiden Seiten der mittleren Spree und der unteren Neiße, auf den heutigen Gebieten Deutschlands und Polens. Im Westen bilden die Flüsse Schwarze Elster und Dahme die Grenze, im Osten reicht sie bis zu Bo-ber und Oder. Genauer lässt sich die Niederlausitz nicht eingrenzen. In geomorphologi-scher Hinsicht gehört sie zum norddeutschen Tiefl and. Es handelt sich um ein Flachland mit zahlreichen Moorgebieten. Charakteristisch sind die wenig fruchtbaren Sandböden und die tiefen Kieferwälder, die ihren historischen Charakter in erheblichem Maß beein-fl ussten.1

Die ersten Slawen kamen wohl gegen Ende des 6., vielleicht auch erst im 8. Jahrhun-dert in das Gebiet der Niederlausitz. Die slawischen Lunsizi, d. h. die in einer Moorland-schaft lebenden Menschen, gaben dem Land auch ihren Namen. Die Bezeichnung Lau-sitz, die sich vor Mitte des 11. Jahrhunderts durchsetzte, bezog sich ursprünglich nur auf die Niederlausitz.2 Der südlich gelegenen Oberlausitz fehlte ein einheitlicher Name, und erst ab Ende des 14. Jahrhunderts begann man für sie die Bezeichnung Oberland zu ver-wenden, da sie höher lag, während die aus Ebenen bestehende Niederlausitz parallel dazu Niederland genannt wurde. Aus diesen Bezeichnungen entwickelten sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der ungarischen Kanzlei der Könige Ladislaus Posthumus und Matthias Corvinus die Namen Lusatia superior und Lusatia inferior, die sich in den beiden Lausitzen im 16. Jahrhundert endgültig durchsetzten.3 So taucht z. B. in Lipperts Lübbener Urkundenbuch die deutsche Bezeichnung „Niederlausitz“ (Niederlausicz, Ni-derlausitz, Niderlausnicz, Nyderlausitz u. ä.) bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts häufi ger auf (erstmals 1470);4 der lateinische Name Lusatia inferior ist hier erstmals für

1 LEHMANN: Geschichte der Niederlausitz, S. 1 – 5.

2 BOBKOVÁ/BŘEZINA/ZDICHYNEC: Horní a Dolní Lužice, S. 10 u. 17 f.

3 KÖHLER, Gustav: Über den Namen Ober- und Niederlausitz, in: NLM 20, 1842, S. 49 – 52. – LIPPERT, Woldemar: Über die Anwendung des Namens Lausitz auf die Oberlausitz im 14. Jahrhundert, in:

NASGA 15, 1894, S. 41 – 54. – LEHMANN: Niederlausitz und Oberlausitz, S. 95 f.

4 UB Lübben III, S. 137 ff., Nr. 142.

1506 belegt.5 Neben den beiden neuen Benennungen existierte jedoch auch weiterhin die Bezeichnung Lausitz.6

Auf den Landkarten fi ndet man den neuen Namen des Territoriums noch später. Als Erster verwendete ihn Hiob Magdeburg für seine Karte der sächsischen Länder, die er auf Bestellung Kurfürst Augusts I. im Jahr 1566 anfertigte (NIDERLAVSNITZ). Dabei hatte dieser Kartograph bereits vier Jahre zuvor in der zweiten Aufl age seiner Karte der Mark Meißen die Bezeichnung LVSATIA ausschließlich für das Gebiet der heutigen Oberlausitz gebraucht, obwohl dieser Begriff in der ersten Aufl age von 1560 noch die Ober- und die Niederlausitz erfasst hatte. Der lateinische Name LVSATIA INFERIOR tauchte erst 1568 auf der Karte der Mark Meißen von Bartholomäus Scultetus (1540 – 1614) auf.7

Den ersten Bericht über das Land und seine slawische Bevölkerung lieferte Mitte des 9. Jahrhunderts der sog. Bayerische Geograph. Häufi ger wurde das Gebiet der späteren Niederlausitz jedoch erst im 10. Jahrhundert erwähnt. Im Jahr 928/929 begann Heinrich I.

der Vogler, der König des Ostfrankenreichs, seine Expansion nach Osten, und 932 stand er in der Niederlausitz, wo er den Boden für die anschließende Beherrschung des Landes durch Graf Gero I. bereitete, zu der es unter Heinrichs Nachfolger Otto I. kam. Die Nie-derlausitz blieb aber nicht lange in deutscher Hand. Nach dem Tod Kaiser Ottos III. im Jahr 1002 nutzte der erste polnische König Bolesław Chrobry die Schwäche des Reichs, mit dem Polen noch zu Lebzeiten seines Vorgängers Mieszko I. relativ gute Beziehun-gen unterhalten hatte, um unter anderem die Ostmark anzugreifen, deren Bestandteil die Niederlausitz war. Sein Feldzug war erfolgreich und sollte die polnische Oberhoheit über das gesamte Territorium für fast dreißig Jahre sichern. Erst Kaiser Konrad II. zwang 1031 Bolesławs Sohn Mieszko II. zum Rückzug, worauf die Niederlausitz erneut mit der Ost-mark vereinigt wurde. Auf die kurze Herrschaft des Markgrafen Odo folgten 1034 die Wettiner, die als Markgrafen von Meißen mit zwei kurzen Ausnahmen bis zu Anfang des 14. Jahrhunderts die Landesherren blieben. Die erste Unterbrechung der Wettinerherr-schaft entfi el auf die Jahre 1075 – 1081 (Kaiser Heinrich IV. verlieh nach dem Tod De-dos I. die Niederlausitz als Lehen an seinen Anhänger, den böhmischen Herzog Vratis-lav II. aus dem Geschlecht der Přemysliden), die zweite auf den Zeitraum 1117 – 1136, als Graf Wiprecht von Groitzsch, der Askanier Albrecht der Bär und Wiprechts Sohn Heinrich aufeinander folgten. Nach der langen und erfolgreichen Regierung des Meiß-ner Markgrafen Heinrich des Erlauchten (1221 – 1288), in deren Verlauf 1286 auch erst-mals ein Landvogt erwähnt wurde, in dessen Kompetenz das gesamte Territorium der Niederlausitz fi el, gerieten die wettinischen Besitzungen um 1300 in eine tiefe Krise, die

5 UB Lübben III, S. 214 f., Nr. 220. – MANLIUS: Commentariorum rerum Lusaticarum libri VII, Liber VI, Caput CXXXVI, S. 414, § III, war jedoch der Ansicht, dass diese Bezeichnung erstmals im Pri-vileg König Wladislaws vom 1. Februar 1507 erschienen war: „Notandum autem in hoc diplomate primo omnium inferioris epitheton Lusatiae additum, itemque sex civitatum sive hexapoleos (supe-rioris nimirum Lusatiae) reperiri.“

6 UB Lübben III, passim.

7 BÖNISCH, Fritz: Die Niederlausitz in den älteren Kartographie, in: PGM 106, 1962, S. 141 – 150, hier S. 143 f.

1303 – 1304 im Verlust des ganzen Landes gipfelte: Die Niederlausitz fi el an die branden-burgischen Askanier.8

War das 13. Jahrhundert in der Niederlausitz eine Zeit der relativen Ruhe, so erwies sich das folgende Jahrhundert als genaues Gegenteil.9 Unter den Askaniern erlebte das Land noch recht friedliche Jahre, aber nach dem Tod des brandenburgischen Markgrafen Waldemar des Großen, mit dem das Geschlecht der Nachkommen Albrechts des Bären im Jahr 1319 ausstarb, geriet es in ein sehr unruhiges Fahrwasser, aus dem es sich in den folgenden Jahrzehnten nicht befreien konnte. Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg, Vormund des jungen Heinrich von Landsberg, des einzigen Erben der Länder des ver-storbenen Waldemar, erhob sofort Anspruch auf die Niederlausitz, die ihn größtenteils auch als Landesherrn anerkannte. Den südöstlichen Landeszipfel erhielt Herzog Hein-rich von Jauer, dessen Mutter Beatrix aus dem Askaniergeschlecht stammte. Johann von Luxemburg, der sich ebenfalls um einen Anteil am askanischen Erbe bemühte,10 konnte im Kampf um die Niederlausitz kaum Erfolge verzeichnen, da nur Sommerfeld (heute Lubsko) in seinen Besitz überging; ebenso wie im Fall seiner Konkurrenten war der Er-werb nicht von Dauer. Die Situation im Land blieb weiterhin instabil.

In dieser unruhigen Zeit, als die Herrschaftsverhältnisse in der Niederlausitz unklar waren, versuchten der Adel und die größeren Städte, die ihre Stellung durch den Gewinn von Privilegien langsam verbesserten, in das Geschehen im Land einzugreifen.11 Bereits 1319 verbündeten sich die Herren Johann und Richard von Cottbus mit der Stadt Guben und zwei Klöstern gegen den neuen Landesherrn, einigten sich mit diesen auf ein ge-meinsames Vorgehen und versprachen sich im Bedarfsfall gegenseitige militärische Hil-fe.12 Zwei Jahre später verbanden sich die brandenburgischen Städte mit einigen

Städ-8 LEHMANN: Geschichte der Niederlausitz, S. 20 – 25, 34 – 38. – DERS.: Die Landvögte, S. 432. – Theo-dor SCHELTZ, Gesammt-Geschichte der Ober- und Nieder-Lausitz nach alten Chroniken und Urkun-den, I–II, Halle/Görlitz 1847 – 1882, hier I, S. 28 – 63, 68 – 78, 88 – 94, 103 – 162, 180 – 211. – Jüngst besonders detailliert SCHRAGE, Gertraud Eva: Entstehung und Entwicklung der Markgrafschaft Niederlausitz im hohen Mittelalter, in: NEITMANN, Klaus (Hg.): Im Schatten mächtiger Nachbarn.

Politik, Wirtschaft und Kultur der Niederlausitz (Brandenburgische Historische Studien, 4; Ein-zelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 3), Berlin/Brandenburg 2006, S. 31 – 72. – Eine Übersicht der Landesherren in der Niederlausitz liefert RÖDENBECK, Karl H. S.:

Übersicht der Staats- und Regentenveränderungen der Niederlausitz seit dem ersten Markgrafen der Ostmark, in: NLM 3, 1824, S. 521 – 530. – Später dann LIPPERT, Woldemar: Die Landesherren der Niederlausitz, in: NM 12, 1914, S. 171 – 185. – Zur Verwaltung der Oberlausitz REUTHER, Mar-tin: Verfassung und Verwaltung in der Oberlausitz bis zum Beginn des Sechsstädtebundes 1346, in:

DERS. (Hg.): Oberlausitzer Forschungen. Beiträge zur Landesgeschichte, Leipzig 1961, S. 81 – 103.

9 Für das 14. bis zum frühen 16. Jahrhundert detailliert LIPPERT: Wettiner und Wittelsbacher, S. 1 – 174. – SCHELTZ: Gesammt-Geschichte I, S. 211 – 247, 258 – 278, 287 – 471. – Knapper LEH

-MANN: Geschichte der Niederlausitz, S. 56 – 66.

10 WORBS, Johann Gottlob (Hg.): Inventarium diplomaticum Lusatiae inferioris. Verzeichnis und we-sentlicher Inhalt der bis jetzt über die Nieder-Lausitz aufgefundenen Urkunden, Lübben 1834 (wei-ter: Inventarium), S. 135, Nr. 369. – LEHMANN, Rudolf (Hg.): Urkundeninventar zur Geschichte der Niederlausitz bis 1400, Köln/Wien 1968 (weiter: Urkundeninventar), S. 151 f., Nr. 344 (22.9.1319).

11 Z. B. Inventarium, S. 124, Nr. 345 (16.7.1311); S. 131, Nr. 359 (8.4.1317); S. 133, Nr. 364 (20.8.1318).

12 Urkundeninventar, S. 150, Nr. 341 (1.9.1319).

ten in der Niederlausitz (Sommerfeld, Guben, Beeskow und Luckau), um die Ansprüche Herzog Rudolfs von Sachsen-Wittenberg und seiner Söhne zu unterstützen.13 Von einer festeren Organisation des Adels, der Städte und der Klöster auf korporativer Grundlage konnnte einstweilen aber keine Rede sein. In den erwähnten Fällen handelte es sich wohl nur um vereinzelte Versuche, den Unwillen gegenüber dem neuen Herrn kundzutun oder jene Partei zu unterstützen, von der man sich mehr versprach.14

In die ungeklärten Verhältnisse nach dem Aussterben der Askanier griff bald der rö-mische König Ludwig der Bayer ein. Im Frühjahr 1323 verlieh er die Niederlausitz zu-sammen mit den anderen Ländern des askanischen Erbes seinem Sohn Ludwig (*1316), genannt der Ältere oder der Brandenburger, zu Lehen. Die Herrschaft der Wittelsbacher Ludwig der Brandenburger (1323 – 1351), Ludwig der Römer (1351 – 1365) und Otto der Faule (1365 – 1368) war von Anfang an – von einigen Jahren abgesehen – mehr oder we-niger nominaler Natur. Die Länder wurden in Wirklichkeit von den Pfandherren verwal-tet, unter denen die Wettiner die führende Position innehatten.

Die wettinische Pfandherrschaft der Jahre 1353 – 1364 hatte für die Niederlausitz vor allem im Hinblick auf die innere Verwaltung außergewöhnlich große Bedeutung. Damals verwandelte sich nämlich das Landvogtamt, das erstmals Mitte der 1280er und dann erst wieder Anfang der 1340er Jahre erwähnt wurde, in eine dauerhaft funktionierende Ein-richtung. Der Landvogt besaß bereits klarer abgegrenzte Kompetenzen, die von der Auf-rechterhaltung der Ordnung im Land über Justiz und Finanzen bis zur Verleihung von Lehen reichten. Dabei hatte sich der Amtsträger wenn möglich in der Niederlausitz auf-zuhalten, obwohl er dort noch nicht über eine feste Residenz verfügte und auf die Un-terstützung der Städte angewiesen war, die unmittelbar dem Landesherrn unterstanden.15 Der Landvogt wurde also zum Zentralorgan der wettinischen landesfürstlichen Verwal-tung, wobei die Pfandherren der Niederlausitz sich nicht nur auf ihn, sondern auch auf die reicheren Adelsgeschlechter stützten, deren Bedeutung immer weiter zunahm.16 Diese Verbindungen bildeten das Fundament der relativ festen Herrschaft der Wettiner, die da-mit rechneten, die Niederlausitz da-mit der Zeit in unda-mittelbaren Besitz zu übernehmen. Ihre Pläne sollten allerdings von dem Luxemburger Karl IV. durchkreuzt werden.

An der Niederlausitz und dem gesamten askanischen Erbe hatte der älteste Sohn Jo-hanns von Luxemburg bereits vor seiner Wahl zum römischen König Interesse gezeigt.

Sieht man vom erfolglosen Bemühen des falschen Waldemars ab – eines alten Mannes, der 1348 beim Magdeburger Erzbischof erschien und sich als gerade aus dem Heiligen Land zurückkehrender und keineswegs verstorbener brandenburgischer Markgraf aus-gab17 –, erfolgte Karls erster entschiedener Schritt erst zu Beginn der 1360er Jahre mit

13 Inventarium, S. 135 f., Nr. 371. – Urkundeninventar, S. 154 f., Nr. 351 (24.8.1321). – LIPPERT: Wet-tiner und Wittelsbacher, S. 16 f.

14 LEHMANN: Geschichte der Niederlausitz, S. 106.

15 LIPPERT: Wettiner und Wittelsbacher, S. 188 – 215. – LEHMANN, Die Landvögte, S. 432 – 436.

16 LIPPERT: Wettiner und Wittelsbacher, S. 251, Nr. 40 (1353).

17 SCHULTZE, Johannes: Die Mark Brandenburg, I–V, Berlin 19892, hier II, S. 74 – 109. – ASSING, Hel-mut: Die Landesherrschaft der Askanier, Wittelsbacher und Luxemburger (Mitte des 12. bis Anfang

dem Erwerb der Stadt Spremberg, die strategisch günstig an der Handelsstraße von Dres-den nach Frankfurt an der Oder lag.18 1363 schloss er in Nürnberg mit Ludwig dem Rö-mer mehrere Abkommen, die unter anderem einen Erbvertrag enthielten, wonach Karls damals zweijähriger Sohn Wenzel oder dessen Nachkommen die Niederlausitz und Bran-denburg erben sollten, falls der branBran-denburgische Markgraf kinderlos verstarb. Gemein-sam mit Herzog Bolko II. von Schweidnitz erhielt Karl zugleich die Erlaubnis, anstelle der brandenburgischen Markgrafen bei den Wettinern die verpfändete Niederlausitz aus-zulösen.

Das genannte Abkommen wurde gleich im Folgejahr 1364 umgesetzt. Friedrich III.

von Meißen erhielt die Pfandsumme ausgezahlt, wobei Herzog Bolko von Schweidnitz für seinen Anteil an diesem Vorgang das Recht auf lebenslangen Besitz der Niederlausitz zugesprochen wurde, obwohl die Wittelsbacher auch weiterhin die Eigentümer des Lan-des blieben. Nach dem Tod Lan-des brandenburgischen Markgrafen Ludwig trat Lan-dessen jün-gerer Bruder Otto die Regierung an, der im Oktober 1367 die Niederlausitz verkaufte und im Januar des Folgejahrs defi nitiv zugunsten von Karls Sohn Wenzel auf dieses Territo-rium verzichtete. Als Herzog Bolko II. von Schweidnitz am 28. Juli 1368 starb, gelangte das gesamte Land endgültig in die Hände des siebenjährigen gekrönten böhmischen Kö-nigs Wenzel IV.19

Noch unlängst nahm man an, dass Karl IV. mit der Niederlausitz auf gleiche Weise verfuhr wie mit der Oberlausitz, Schlesien oder der Oberpfalz und dass er sie auf ähn-lich legale Weise in die Böhmische Krone inkorporierte, wie es eine angebähn-lich in Prag am 1. August 1370 gesiegelte Urkunde auf den ersten Blick zu bezeugen scheint.20 Die überzeugende Analyse von Ulrike Hohensee – deren Schlussfolgerungen allerdings nicht allgemeint akzeptiert sind – deutet dagegen an, dass die betreffende, in zwei Exempla-ren überlieferte Urkunde eher ein Beispiel für Karls bewusste Manipulationen und sein Bemühen um die Stärkung der Hausmacht sein könnte. Mit Hilfe der kaiserlichen Bestä-tigung wollte Karl für die Zukunft auf unanfechtbare Weise die Zugehörigkeit der Nie-derlausitz zur Böhmischen Krone absichern; daher nutzte er die Möglichkeiten, die ihm

des 15. Jahrhunderts), in: MATERNA, Ingo; RIBBE, Wolfgang (Hg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 85 – 168, hier S. 141 ff.

18 LEHMANN, Rudolf: Die Herrschaften in der Niederlausitz. Untersuchungen zur Entstehung und Ge-schichte (Mitteldeutsche Forschungen; 40), Köln/Graz 1966, S. 59.

19 Zum Erwerb der Niederlausitz zuletzt KAVKA, František: Vláda Karla IV. za jeho císařství (1355 – 1378). Země České koruny, rodová, říšská a evropská politika, I–II, Praha 1993, hier I, S. 124 f., 152, 154 f., 195 f.; II, S. 7 ff., 53 f., 65, 67 f., 75. – BOBKOVÁ: Územní politika, S. 120 – 126. – DIES.: Velké dějiny zemí Koruny české, IVa–b, 1310 – 1402, Praha/Litomyšl 2003, hier IVa, S. 349, 371 ff., 402 – 407. – HOHENSEE, Ulrike: Zur Erwerbung der Lausitz und Bran-denburgs durch Kaiser Karl IV., in: LINDNER, Michael; MÜLLER-MERTENS, Eckhard; RADER, Olaf B. (Hg.): Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Historica (Berichte und Abhand-lungen; Sonderband 2), Berlin 1997, S. 213 – 243, hier bes. S. 217 – 221.

20 An unlängst erschienenen Arbeiten z. B. BOBKOVÁ: Územní politika, S. 124, 142 ff. – HOHENSEE: Zur Erwerbung der Lausitz, S. 221 – 224 u. 228, Anm. 84, wo allerdings erste Zweifel an der Inkorpora-tionsurkunde im Zusammenhang mit der unwahrscheinlichen Anwesenheit des Otto von Branden-burg in der Zeugenreihe laut werden.

die kaiserliche Kanzlei bot, und ließ zwischen Frühjahr 1373 und Herbst 1374 eine In-korporationsurkunde ausfertigen, die durch das Verschweigen des rechtlichen Status der Niederlausitz als Reichslehen diesen Zweck erfüllte. Dank dieses Betrugs verwandelte sich die Niederlausitz in aller Stille von einem Reichslehen in ein böhmisches Lehen und wurde zugleich zu einem Nebenland der Böhmischen Krone: Dies sollte sie dann bis 1635 bleiben, als Kaiser Ferdinand II. sie an Sachsen abtrat. Ein Lehen des Böhmischen Königreichs war die Niederlausitz sogar bis 1815.21

Dass die Inkorporationsurkunde für die Niederlausitz eine allerdings sehr kunstvoll ausgeführte Fälschung war, würde zugleich erklären, warum in der am 2. Oktober 1373 ausgestellten Urkunde nicht nur für Brandenburg, sondern auch für die Niederlausitz eine Union mit den Ländern der Böhmischen Krone verkündet wurde und warum dieses neue Land, für dessen Erwerb Karl IV. soviel geopfert hatte, selbst nicht inkorporiert wurde – wie manchmal betont wird.22 Eine Inkorporation Brandenburgs, das ebenfalls ein Reichs-lehen war, ging Anfang der 1370er Jahre wohl über Karls Möglichkeiten hinaus, und wegen der Größe und Bedeutung des Territoriums wagte er es anscheinend auch nicht, denselben Betrug wie im Fall der Niederlausitz zu begehen.23

Seit dem Tod Bolkos II. von Schweidnitz Mitte 1368 regierte in der Niederlausitz of-fi ziell der von Karl eingesetzte Wenzel IV., vertreten durch den Prager Erzbischof Johann Očko von Wlaschim (Jan Očko z Vlašimi), wobei sich die Zügel der Regierung auch weiterhin fest in den Händen des Kaisers befanden. Nach Karls Tod Ende 1378 kam es zu einer Teilung der Luxemburger Besitzungen und zugleich zu einer Zersplitterung der Niederlausitz.24 Der Westen des Landes blieb unter der Verwaltung Wenzels IV., während die östliche Hälfte als Bestandteil des neu gebildeten Herzogtums Görlitz Karls jüngstem Sohn Johann zufi el, dessen treuer Ratgeber der Oberlausitzer und für eine gewisse Zeit parallel dazu auch Niederlausitzer Landvogt Benesch von Duba (Beneš z Dubé) war. Die-ser Zustand dauerte bis 1396 an, als Herzog Johann von Görlitz in der Nacht auf den 1.

März unerwartet in Kloster Neuzelle in der Niederlausitz verstarb. Anschließend wurde die Niederlausitz erneut der Regierung Wenzels IV. unterstellt, der sie zusammen mit der Oberlausitz für eine gewisse Zeit seinem mährischen Vetter Jobst (1397 – 1411) überließ, der zugleich Pfandherr der Markgrafschaft Brandenburg war.25

21 HOHENSEE, Ulrike: Die Inkorporationsurkunde Karls IV. für die Niederlausitz – Echtheitsfragen, in: MORAW, Peter (Hg.): Akkulturation und Selbstbehauptung. Studien zur Entwicklungsgeschichte der Lande zwischen Elbe/Saale und Oder im späten Mittelalter (Berichte und Abhandlungen; Son-derband 6), Berlin 2001, S. 257 – 286, hier bes. S. 264, 275 – 278. Eine Edition der Inkorporations-urkunde ebd., S. 280 – 286. – Von Hohensees Schlussfolgerungen nicht ganz überzeugt und eine gründliche Überprüfung verlangend NEITMANN: Das ständische Urkundenarchiv, S. 80 f., Anm. 7.

– LEHMANN: Geschichte der Niederlausitz, S. 66.

22 KAVKA: Vláda II, S. 154 u. 161. – BOBKOVÁ: Územní politika, S. 132 u. 143. – SEIBT, Ferdinand: Ka-rel IV. Císař v Evropě (1346 – 1378), Praha 1999, S. 282.

23 Ich führe hier die Argumentation von HOHENSEE: Die Inkorporationsurkunde, S. 277 f., weiter aus.

24 Zur Aufteilung von Karls Erbe SPĚVÁČEK, Jiří: Karel IV. Život a dílo (1316 – 1378), Praha 1979, S. 459 – 467. – KAVKA: Vláda II, S. 201 f. – BOBKOVÁ: Velké dějiny IVa, S. 433 – 437.

25 Zur Regierung Johanns von Görlitz in der Niederlausitz besonders detailliert GELBE, Richard:

Herzog Johann von Görlitz, in: NLM 59, 1883, S. 1 – 201, hier S. 90 – 99. – Zu seinem Hof und

Wie die Wettiner hielten auch alle Landesherren aus dem Geschlecht der Luxembur-ger am bewährten System der Ernennung von Landvögten fest, die bis Mitte des 15. Jahr-hunderts ähnlich wie z. B. in Brandenburg mit Begriffen wie voit, advocatus, capitaneus oder weniger häufi g phleger bezeichnet wurden.26 Die Luxemburger Herrscher beriefen in der Regel Angehörige des böhmischen Herrenadels, die nicht selten noch eine andere wichtige Funktion ausübten, in das Amt des Landvogts, des höchsten Verwaltungsbeam-ten im Land. Damit vertrauVerwaltungsbeam-ten die Luxemburger auf PersönlichkeiVerwaltungsbeam-ten, die ihre Fähig-keiten und Loyalität bereits anderswo bewiesen hatten. Und die ausgewählten Kandida-ten konnKandida-ten ihre Ernennung als Belohnung für geleistete Dienste verstehen, obwohl die Niederlausitz sie wohl nicht sonderlich anzog und sie lieber weiterhin in der Nähe des Herrschers tätig waren. In einigen Fällen kam es auch zur Vereinigung der höchsten Lan-desämter der Ober- und Niederlausitz in der Person eines einzigen Adligen: Neben dem bereits erwähnten Benesch von Duba war z. B. auch Anselm von Ronow zeitgleich vogt in beiden Ländern. Diese Verknüpfung der ober- und der niederlausitzischen Land-vogtei, die noch einige Male im 15. und zuletzt zu Beginn des 16. Jahrhunderts erfolgte, war jedoch nur eine zeitlich begrenzte Notlösung, hinter der sich nicht etwa eine ange-strebte Vereinigung der Ober- und der Niederlausitz verbarg.27

Die von Wenzel IV., Johann von Görlitz und Jobst von Mähren ausgeübte Regie-rung war schwach, und auch die Macht ihrer überwiegend nur auf kurze Zeit ernannten Landvögte war eingeschränkt. Deshalb konnten sich Unruhe und Unfrieden im Land ver-breiten, während zugleich die Expansionsgelüste der Nachbarn wuchsen. Besonders die sächsisch-wittenbergischen Askanier interessierten sich für neue Landgewinne zu Lasten der Niederlausitz, aber ihre Erfolge waren zeitlich befristet. Dauerhaft verloren

Die von Wenzel IV., Johann von Görlitz und Jobst von Mähren ausgeübte Regie-rung war schwach, und auch die Macht ihrer überwiegend nur auf kurze Zeit ernannten Landvögte war eingeschränkt. Deshalb konnten sich Unruhe und Unfrieden im Land ver-breiten, während zugleich die Expansionsgelüste der Nachbarn wuchsen. Besonders die sächsisch-wittenbergischen Askanier interessierten sich für neue Landgewinne zu Lasten der Niederlausitz, aber ihre Erfolge waren zeitlich befristet. Dauerhaft verloren