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Inhaltliche Probleme und technische Schwierigkeiten

2 Drei Elemente von Gedankenexperimenten

2.1 Sich ein Szenario vorstellen

2.1.2 Was heißt es, sich ein Szenario vorzustellen?

2.1.2.4 Mögliche und unmögliche Szenarien

2.1.2.4.2 Inhaltliche Probleme und technische Schwierigkeiten

Das Modell ist allerdings in einigen Punkten gefährlich vereinfachend. Erstens sollte es nicht verdecken, daß die entsprechenden Charakterisierungen (logisch, begrifflich, etc.) nicht einheitlich verwandt werden. Z.B. wird der Ausdruck „logische Möglichkeit“ besonders in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts für etwas benutzt, daß Cohnitz wohl als begriffliche Möglichkeit bezeichnen würde. Schlimmer noch: Meist wird einfach vorausgesetzt, daß sich von alleine versteht, welche Art Notwendigkeit gemeint ist und es ist schlicht von „Möglichkeit“ die

163 Cohnitz [GiP] 179f.

164 Cohnitz [GiP] 179.

Rede. Schließlich wird die Möglichkeit von Szenarien in Gedankenexperimenten oft gar nicht thematisiert. Soweit ist das Problem aber rein interpretatorisch. Die obigen Unterscheidungen sollen gerade helfen, zu entscheiden, worum es jeweils geht.

Zweitens verbergen sich hinter den verschiedenen Terminologien aber zum Teil ernste philosophische Konflikte. Insbesondere der Begriff der metaphysischen Notwendigkeit ist in sehr verschiedener Weise ausbuchstabiert worden. Mit dem Zwiebelbild kollidiert vor allem eine Auffassung, die metaphysische Notwendigkeit als grundlegend versteht. Wenn man die Aufgabe der Philosophie im allgemeinen und von Gedankenexperimenten im Besonderen darin sieht, metaphysische Notwendigkeiten zu erkennen, so ist man direkt mit dem Problem konfrontiert, zu sagen, was metaphysische Notwendigkeiten sein sollen und zu erklären, inwiefern wir fähig sind, solche metaphysischen Notwendigkeiten zu erkennen und zu rechtfertigen. Insbesondere kann man sich fragen, ob wir dies a priori können. In den letzten Jahren hat sich zu diesen Fragen eine breite Debatte entwickelt, deren Ende und Ergebnis nicht abzusehen ist.165 Was Gedankenexperimente angeht, so sind die wahren Probleme m.E. aber an anderer Stelle zu verorten.166 Sowohl bei Anhängern des neuen Rationalismus als auch bei Naturalisten (welche die prominentesten modernen Vertreter eines Empirismus sind) finden sich geteilte Thesen, die ihre Positionen in bezug auf Gedankenexperimente problematisch machen. In Kapitel 6 werde ich sowohl die These, daß wir aus Gedankenexperimenten in erster Linie über unsere Sprache oder Begriffe lernen, als auch die These, daß wir uns in Gedankenexperimenten auf Intuitionen berufen, kritisch diskutieren.

Drittens ist das Zwiebelbild in zwei Hinsichten klar falsch. Zum einen lassen sich Notwendigkeiten nicht mehr konzentrisch anordnen, wenn nicht-gesetzesmäßige Sätze zugelassen werden, relativ zu denen die Notwendigkeit bestimmt werden soll.167 Zum anderen ist auch für die Standardklassen nicht garantiert, daß ihr Verhältnis in allen Kontexten stabil ist. Ich diskutiere ein Beispiel in Kapitel 4.2. Dort steht zur Debatte, ob begriffliche Möglichkeit in allen Fällen unabhängig ist von naturwissenschaftlicher Möglichkeit.

165 Ich denke vor allem an die von Chalmers und Jacksons modalem Rationalismus neu eröffnete Debatte.

166 Cohnitz referiert verschiedene Positionen zur Möglichkeit apriorischer Erkenntnis von metaphysischen Möglichkeiten in Kapitel 7.2 von [GiP]. Dieses Kapitel ist lesenswert, um einen Überblick über die Problematik zu bekommen, die ich hier bewußt ausblende. Mir scheint aber, daß Cohnitz nicht sieht, daß all diese Positionen gemeinsame Probleme aufweisen.

167 Um ein abwegiges, aber m.E. einleuchtendes Beispiel zu geben: Welche Notwendigkeit soll weiter innen liegen, eine relativ zur Tatsache, daß Tomaten rot sind, oder ein relativ zur Tatsache, daß Zitronen gelb sind?

Viertens ist notorisch vage, was mit einzelnen Arten von Notwendigkeit gemeint ist. Das zeigt sich z.B. an der Rede von nomischer oder naturgesetzlicher Notwendigkeit. Wir reden in philosophischen Kontexten häufig in der folgenden Art: „Es ist naturgesetzlich unmöglich, daß ich in einer Minute in Los Angeles bin.“ Und dies wird so verstanden, daß es mit den Naturgesetzen unvereinbar ist, daß ich in einer Minute in Los Angeles sein werde. Aber relativ zu den Naturgesetzen ist es sehr wohl möglich, daß ich in einer Minute in Los Angeles sein werde.

Es gibt kein biologisches, chemisches oder physikalisches Gesetz, daß inkonsistent mit meinem Aufenthalt in Los Angeles in einer Minute ist. Erst relativ zu den Naturgesetzen, dem bisherigen Verlauf der Geschichte (inklusive des wesentlichen Details, daß ich genau jetzt in Göttingen sitze), allen möglichen Annahmen, wer ich bin und was meine Fähigkeiten sind, ist es unmöglich, daß ich in einer Minute in Los Angeles sitzen werde.168 Welche Zusatzannahmen jeweils einschlägig sind, ist eine Frage, die in verschiedenen philosophischen Kontexten durchaus verschieden beantwortet werden kann.

Fünftens schließlich haben wir bislang die Unterscheidung von rein technischen versus tiefen Unmöglichkeiten nicht eingeordnet. Das liegt daran, daß, was genau als rein technische Unmöglichkeit gilt, meist nicht ausbuchstabiert wird. Häggqvist bringt das Problem auf den Punkt:

What is ruled out by mere empirical fact may nevertheless be possible in principle, and hence (so the defence has run) yield substantive philosophical conclusions. What counts as “empirical” in this context varies, of course. Just according to which principles are possibilities in principle possible? This has often been left very implicit by the exploiters of this line of defence.169

Häggqvists Vermutung, daß die Unterscheidung von prinzipiellen und rein technischen Unmöglichkeiten eigentlich eine Immunisierungsstrategie darstellt, ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, die man in der Analyse einzelner Gedankenexperimente in Betracht ziehen sollte:

The following interpretation would be malicious, but perhaps not wholly wide off the mark: “p is possible iff p is not in blatant conflict with anything you have (publicly) committed yourself to; if an opponent points out that p is in blatant conflict with q, steadfastly declare q merely empirical and hence irrelevant.”.170

Ich steige hier nicht tiefer in Fragen modaler Zusammenhänge ein. Die bisherigen Ausführungen genügen, um uns als Leitfaden für die weitere Untersuchung zu dienen. Wir können die Rede von verschiedenen Notwendigkeiten verstehen als „Notwendig relativ zu einer Klasse von Sätzen, die

168 Auf diese Laxheit im Umgang mit dem Begriff naturgesetzlicher Notwendigkeit weist auch Häggqvist ([TEiP 142f.]) hin.

169 Häggqvist [TEiP] 143.

170 Häggqvist [TEiP] 143 Fußnote 111.

als wahr angenommen werden.“ Die genauen Verhältnisse zwischen den verschiedenen Klassen von Notwendigkeit und insbesondere die Frage, wie man die weiteste Art von Notwendigkeit bestimmen sollte, können wir offen lassen.

2.1.2.5 Interpretation des Szenarios und Toleranz gegenüber fehlerhaften Szenarien

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