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2. PFLEGEELTERN UND PFLEGEKINDER IN ÖSTERREICH

2.6. Gründe für Fremdunterbringung

Die Gründe für eine Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen sind vielfältig und meist auf die Kombination mehrerer Faktoren zurückzuführen. Daten zu den Ursachen von Fremd-unterbringungen wurden weder vom Bundesministerium noch von Statistik Austria kürzlich veröffentlicht. Es finden sich jedoch in diversen Forschungsarbeiten Ausführungen dazu, wel-che in diesem Kapitel genauer behandelt werden (vgl. Arnold, 2010, S. 29).

Eine Forschungsarbeit des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus dem Jahr 2013 unterteilt die Gründe für eine Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen in (1) individuelle Problem-lagen, (2) familiäre Problemlagen und (3) nicht ausreichende Förderung oder Versorgung einer Person. Die Jungendämter in Nordrhein-Westfalen wurden anhand dieser drei Kategorien ge-nauer beforscht. Ziel war es, herauszufinden, welche Ursachen für eine Fremdunterbringung

bei den unter Dreijährigen sowie den Drei- bis Sechsjährigen vorliegen. Es wurde festgestellt, dass bei 70 Prozent der Kinder bis drei Jahren eine mangelhafte Versorgung oder Förderung vorlag. Bei der zweiten Altersstufe wurde ein ähnliches Ergebnis (68 Prozent) gefunden. Fami-liäre Problemlagen konnten bei knapp 30 Prozent aller befragten Jugendämter als Ursache für eine Inobhutnahme festgestellt werden. Lediglich bei 1,4 Prozent der bis Dreijährigen und bei 1,9 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen konnte die Fremdplatzierung auf individuelle Problem-lagen zurückgeführt werden (vgl. Kaufhold et al., 2016, S. 9).

Eine andere Einteilung nahm das AFCARS (The Adoption and Foster Care Analysis and Re-porting System) vor. Das System sammelt Informationen von staatlichen Behörden über alle Pflegekinder in den USA. Im Jahre 2019 wurden rund 424.000 Kinder und Jugendliche in Pfle-gefamilien untergebracht. Die am häufigsten genannten Gründe dafür sind in der folgenden Tabelle 2 aufgelistet.

Weitere Gründe, die dem Bericht zu entnehmen waren, handeln von Verhaltensproblemen der Kinder (8 Prozent), Inhaftierung (7 Prozent) und Alkoholismus (5 Prozent) der Eltern, dem im Stich lassen des Kindes (5 Prozent), sexuellem Missbrauch (4 Prozent), Drogenmissbrauch (2 Prozent) oder auch von der Beeinträchtigung der Kinder (2 Prozent). Zudem lag der Tod der Eltern sowie der Alkoholkonsum der Kinder zwischen null und einem Prozent (vgl. Children´s Bureau, 2019, S. 1,2).

Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine australische Untersuchung des Australian Institute of Health and Welfare, welche im Jahr 2018 Statistiken aus unterschiedlichen Bundesstaaten her-anzog. Als Grundlage fungierten Daten aus Kinderschutz- und Familienunterstützungsdiensten, welche Missbrauch und Vernachlässigung als häufigsten Grund für eine Fremdunterbringung ausfindig machten. Es konnte gezeigt werden, dass emotionaler Missbrauch mit rund 60 Pro-zent am häufigsten vorkam. Darauf folgten Vernachlässigung (17 ProPro-zent), körperliche Miss-handlung (15 Prozent) und sexueller Missbrauch (9 Prozent). Hinsichtlich der Geschlechterver-teilung waren weibliche Pflegekinder um zwei Prozent häufiger von sexuellem Missbrauch

Gründe für eine Fremdunterbringung Prozentanteil

Vernachlässigung 63 %

Drogenmissbrauch der Eltern 34 %

Erziehungsunfähigkeit 14 %

Körperlicher Missbrauch 13 %

Schlechte Wohnverhältnisse 10 %

Tabelle 2: Fremdunterbringungsgründe USA; Quelle: Children´s Bureau, 2019, S. 1

betroffen als männliche. Die Jungen waren jedoch häufiger Opfer von Vernachlässigung und körperlicher Misshandlung im Vergleich zu den Mädchen (vgl. Australian Institute of Health and Welfare, 2019, S. 5).

Auf der Suche nach Forschungsberichten und Ergebnissen, die sich auf Österreich beziehen, konnten zwei Untersuchungen ausfindig gemacht werden. Der erste Bericht stammt von Statis-tik Austria, welche bis zum Jahr 1999 die Ursachen für Erziehungshilfen erfasste. Dieser the-matisiert zwölf Gründe, die für eine Hilfe im Beriech der Erziehung verantwortlich sind. Meist wurden Erziehungsprobleme, ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse, Trennung oder auch Tod einzelner Personen sowie Auffälligkeiten im Verhalten von Minderjährigen für eine Hilfe in der Erziehung genannt. Andere Ursachen umfassten Alkoholmissbrauch, Obdachlosigkeit, Misshandlung, Suchtgiftmissbrauch der Eltern und sexueller Missbrauch sowie Suchtgift- oder Alkoholmissbrauch der Minderjährigen. Zudem stellte sich heraus, dass eine Hilfe in der Er-ziehung häufiger aufgrund einer Vereinbarung als durch eine gerichtliche Anordnung erfolgte (vgl. Statistik Austria, 2001, zitiert nach Gspurning, Heimgartner, Hojnik, Pantucek, Reicher &

Stuhlpfarrer, 2020, S. 24).

Die zweite Studie von Gspurning et al. (2020), die sich auf österreichische Gegebenheiten be-zieht, stellt das Bundesland Steiermark mit den Bezirken Graz-Umgebung (GU) und Liezen (LI) in das Zentrum der Untersuchung. Die behandelten Themen der Studie sind unter anderem die Gründe für eine Fremdunterbringung, Risiko- und Schutzfaktoren sowie der Belastungsgrad der Eltern (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 9). Für die Untersuchung wurden verschiedene Me-thoden verwendet, wie eine standardisierte Befragung von Eltern aus Kindergärten sowie Ak-tenanalysen von Fremdunterbringungen (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 27).

Die Forscher*innen haben – hinsichtlich der Gründe für eine Fremdunterbringung – die Ant-worten der Proband*innen in drei Kategorien eingeteilt. Dabei handelte es sich erstens um Me-tagründe, welche sich mit Gewalt und Vernachlässigung in Bezug auf eine Kindeswohlgefähr-dung auseinandersetzen. Zweitens stehen die Primärgründe im Fokus. Diese sind spezifischer und umfassen die Probleme, die sich direkt am Kind feststellen lassen. Dazu gehören eine un-zureichende Nahrungsaufnahme, eine mangelhafte medizinische Versorgung oder eine Gewalt-tat am Kind. Auch unzureichender Schutz, eine nicht ausreichende Betreuung und Schwierig-keiten hinsichtlich der Pflege zählen zu den Primärgründen. Zu guter Letzt befassen sich die Sekundärgründe mit Alkoholabhängigkeit, psychischen und partnerschaftlichen Problemen, Unterkunftsproblemen und mit dem Tod der leiblichen Eltern (vgl. Gspurning et al., 2020, S.

77,81).

Die Ergebnisse der Fragebögen ergaben, dass in der ersten Kategorie (Metagründe) die Ver-nachlässigung bei mehr als der Hälfte aller Angaben als Ursache für eine Fremdunterbringung angegeben wurde. Am zweithäufigsten wurde körperliche Gewalt gefolgt von psychischer Ge-walt genannt. Den Abschluss bildete die sexuelle GeGe-walt mit rund fünf Prozent. In allen Berei-chen wurde differenziert zwisBerei-chen den Bezirken Graz-Umgebung und Liezen. Mit Ausnahme von sexueller Gewalt waren die Werte in Graz-Umgebung um vier bis sieben Prozent höher als in Liezen. Außerdem zeigte sich, dass, bis auf den Bereich körperliche Gewalt, Mädchen öfter betroffen waren als Jungen (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 79f.).

Die Auswertung der Primärgründe wurde – wie die Metagründe – in die zwei untersuchten Bezirke sowie in die Kategorien großes Problem, mittleres Problem und nicht genannt einge-teilt. Die oben genannten Probleme, die sich zu den Primärgründen zuordnen lassen, wurden von 48,3 Prozent der Proband*innen als großes Problem beschrieben. Zwischen 15 und 21 Pro-zent klassifizierten die Defizite als mittleres Problem und die übrigen ProPro-zent befanden sich in der Kategorie nicht genannt. Im Vergleich zu Graz-Umgebung nannten die Befragten aus Lie-zen sechs ProLie-zent weniger mittlere Probleme und vier ProLie-zent mehr große Probleme.

Eine weitere Differenzierung wurde bei den Primärgründen unternommen hinsichtlich der Vä-ter und MütVä-ter. Die Forscher*innen unVä-tersuchen, ob MütVä-ter oder VäVä-ter die Ursache für eine Fremdunterbringung waren. Dazu wurden drei Kategorien gebildet, nämlich (1) Schutz vor Ge-fahren, (2) Betreuung des Kindes und (3) emotionale Zuwendung. In allen drei Gruppen war häufiger das Verhalten der Mutter ausschlaggebend, welches zu einer Inobhutnahme führte.

Somit wurden in knapp 40 Prozent aller Fälle in Graz-Umgebung festgestellt, dass Mütter nicht ausreichend Schutz vor Gefahren boten. Im Vergleich lagen die Werte der Väter bei rund 23 Prozent. Der höchste Wert lag im Bezirk Liezen, welcher zeigte, dass 54,9 Prozent der Mütter ihr Kind unzureichend betreuten (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 80–82).

Die dritte und letzte Kategorie umfasst die Sekundärgründe. In Graz-Umgebung und in Liezen konnten psychische Auffälligkeiten bei rund 19 Prozent in GU und 13 Prozent in LI aller Eltern festgestellt und als großes Problem klassifiziert werden. Bei den Auffälligkeiten der Eltern han-delte es sich um Depressionen, eine geminderte Intelligenz oder um das Borderline-Syndrom (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 97). Weiters wurde der Suchtmittelkonsum genauer untersucht.

In der Untersuchung war der Konsum von Alkohol mit Abstand die am häufigsten festgestellte Suchtmittelsubstanz. Im Bezirk Liezen wurde bei rund 20 Prozent der Mütter ein Alkoholprob-lem festgestellt (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 99). Der Bereich Wohnen und Unterkunft stellte sich bei 24,7 Prozent der Fälle als Problem heraus. Insgesamt waren 14,7 Prozent der

Unterkünfte schmutzig oder verwahrlost, wobei hingegen 18,9 Prozent als zufriedenstellend beschrieben wurden (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 102).

Der letzte Bereich, welcher im Zuge der Sekundärgründe betrachtet wird, umfasst den Tod der Eltern. Auffällig war, dass in Liezen 7,8 Prozent der Proband*innen den Tod des Vaters und 3,9 Prozent den Tod der Mutter als Ursache für eine Fremdunterbringung angaben. In Graz-Umgebung lagen die Werte lediglich bei 0,5 Prozent (Mütter) und einem Prozent (Väter). Somit wurde der Verlust des Vaters öfter als Ursache für eine Inobhutnahme angesehen, als der Ver-lust der Mutter (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 105).

Durch die Aufarbeitung der einzelnen Themen konnten unter anderem drei zentrale Aspekte deutlich gemacht werden. Dies sind zum einen die Rechte der Pflegekinder, welche im Kinder- und Jugendhilfegesetzt verankert sind. Dadurch werden auf juristischer Ebene klare Strukturen geschaffen, die eine angemessene Versorgung der Pflegekinder gewährleisten. Zum anderen konnte gezeigt werden, dass Wien den größten Anteil an Pflegekindern in ganz Österreich auf-weist. Abschließend wurden anhand zweier Studien die Gründe für einen Fremdunterbringung dargestellt, wobei die häufigsten Ursachen dafür Vernachlässigung, unzureichende Versorgung und körperliche Gewalt waren. Die Gründe, weswegen Kinder und Jugendliche fremdunterge-bracht werden, beinhalten belastende Erfahrungen, die weitreichende Folgen haben können.

Diese werden im nun folgenden Abschnitt genauer beschrieben.