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Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten von Pflegekindern. Masterarbeit

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Academic year: 2022

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Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten von Pflegekindern

Eine Herausforderung für Pflegeeltern

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Kathrin BRANDNER, BA BA

am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft

Begutachterin: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.rer.nat. Hannelore Reicher

Graz, 2021

(2)

D

ANKSAGUNG

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Personen herzlich bedanken, die mich im Laufe meines Studiums und besonders bei der Verfassung meiner Masterarbeit unterstützt und beglei- tet haben.

In erster Linie möchte ich mich bei Frau Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.rer.nat. Hannelore Reicher für die vielen Ratschläge und Hilfestellungen bedanken. Danke für Ihre Unterstützung und hilf- reichen Anregungen bei der Entstehung dieser Arbeit.

Außerdem möchte ich mich bei meiner gesamten Familie und besonders bei meinen Eltern be- danken, die mir das Studieren ermöglicht und mir in all den Jahren den Rücken gestärkt haben.

Ein Dankeschön gilt auch meinem Bruder Martin. Obwohl du nicht mehr unter uns weilst, bist und bleibst du eine Quelle der Kraft, die mich jeden Tag begleitet.

Ein besonderer Dank gilt meinem Freund Georg, für die emotionale Unterstützung und die wertvollen Ratschläge, welche mir nicht nur das Studieren, sondern auch den Alltag erleichtert haben.

Weiters bedanke ich mich bei meinem langjährigen Freund und Mitbewohner Michael für das Korrekturlesen dieser Masterarbeit.

Zu guter Letzt möchte ich mich bei allen Pflegemüttern bedanken, die sich an der Befragung beteiligt haben. Danke für euren Beitrag und für die tiefen Einblicke in den Pflegeelternalltag.

(3)

K

URZZUSAMMENFASSUNG

Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit der Belastungs-Ressourcen-Balance von Pflege- eltern. Im Fokus stehen dabei die internalisierenden und externalisierenden Auffälligkeiten der Pflegekinder und wie diese von den Pflegeeltern wahrgenommen werden. Das Forschungsinte- resse bezieht sich einerseits auf die Belastungen, die aus den Auffälligkeiten der Pflegekinder resultieren. Andererseits wird auf die Ressourcen Bezug genommen, welche die Pflegeeltern in Anspruch nehmen, um mit den Belastungen umzugehen.

Um die Forschungsfragen beantworten zu können, wurden leitfadengestützte Interviews mit acht Pflegemüttern aus Österreich durchgeführt, die über ein Onlineforum zur Pflegeeltern- schaft rekrutiert wurden. Diese wurden mithilfe der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz ausgewertet.

Die Auswertung des Datenmaterials ergab, dass fünf der acht Probandinnen die Auffälligkeiten im Verhalten ihres Pflegekindes als größte Belastung empfanden. Die internalisierenden Auf- fälligkeiten hingegen stellten bei weniger als der Hälfte aller Probandinnen eine Herausforde- rung dar. Zudem erschwerten die Herkunftsfamilie und die Corona-Pandemie die Pflegeeltern- schaft. Als Ressourcen wurden die Familie, Freund*innen und der*die Partner*in ausfindig gemacht. Als besonders unterstützend erwiesen sich andere Pflegeeltern und in einzelnen Fällen Hilfen von Therapeut*innen oder Sozialarbeiter*innen. Bis auf eine Probandin verfügten alle befragten Personen entweder über ausreichende oder über mehr Ressourcen als Belastungen.

(4)

A

BSTRACT

This master thesis deals with the stress-resource-balance of foster parents. The focus is on the internalizing and externalizing problems of the foster children and how they are perceived by the foster parents. On the one hand, the research interest refers to the stress resulting from the foster children's problems. On the other hand, it refers to the resources that the foster parents make use of in order to cope with the stresses.

In an effort to answer the research questions, guided interviews were conducted with eight fos- ter mothers from Austria who were recruited through an online forum for foster parents. These were evaluated by means of qualitative content analysis according to Udo Kuckartz.

The evaluation of the data material revealed that five of the eight subjects perceived the con- spicuousness of their foster child's behavior as the greatest stress. The internalizing problems, however, were a challenge for less than half of the subjects. In addition, the family of origin and the Corona pandemic made foster parenting more difficult. Family, friends and partners were identified as resources. Moreover, other foster parents and, in individual cases, the help of therapists or social workers proved to be particularly supportive. In conclusion, all interview- ees, except for one, had either sufficient resources or more resources than stress.

(5)

I

NHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG ... 1

2. PFLEGEELTERN UND PFLEGEKINDER IN ÖSTERREICH ... 4

2.1. Pflegeeltern in Österreich ... 4

2.2. Gründe für eine Pflegeelternschaft ... 7

2.3. Voraussetzung für Pflegeeltern/Pflegepersonen ... 8

2.4. Definition eines Pflegekindes ... 10

2.5. Gesetzliche Bestimmungen ... 12

2.6. Gründe für Fremdunterbringung ... 13

2.7. Entwicklungsrelevante Aspekte ... 17

2.7.1. Traumatische Erlebnisse ... 17

2.7.2. Pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben ... 19

3. AUFFÄLLIGKEITEN IM ERLEBEN UND VERHALTEN ... 22

3.1. Begriff Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten... 22

3.2. Internalisierende Auffälligkeiten ... 26

3.2.1. Depressionen ... 27

3.2.2. Suizid ... 28

3.2.3. Angststörungen ... 29

3.2.4. Essstörungen ... 31

3.3. Externalisierende Auffälligkeiten ... 32

3.3.1. ADHS ... 33

3.3.2. Aggression ... 34

3.3.3. Delinquenz ... 36

4. URSACHEN VON AUFFÄLLIGKEITEN ... 38

4.1. Bio-psycho-soziales Modell ... 38

4.1.1. Biologische Faktoren ... 39

4.1.2. Psychische Faktoren ... 42

4.1.3. Soziale Faktoren ... 43

5. BELASTUNGS-RESSOURCEN-BALANCE ... 47

5.1. Belastungen ... 47

5.2. Belastungen von Pflegepersonen ... 48

5.2.1. Besuchskontakte ... 50

5.2.2. Pflegekind ... 52

5.2.3. Erleben der Pflegeelternschaft ... 54

5.2.4. Strukturelle Gegebenheiten ... 56

5.3. Ressourcen ... 57

5.3.1. Materielle Ressourcen ... 58

(6)

5.3.2. Orientierungsmittel ... 59

5.3.3. Persönliche Beziehungen ... 60

5.3.4. Ermutigende Lebenserfahrungen ... 61

5.3.5. Zugang zu Personen, mit denen man sich identifizieren kann... 62

5.4. Balance ... 63

6. FORSCHUNGSDESIGN ... 64

6.1. Ziel der Untersuchung und Forschungsfragen ... 65

6.2. Forschungsmethode und Erhebungsinstrument ... 66

6.3. Durchführung der Erhebung ... 68

6.4. Inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz ... 72

7. FORSCHUNGSERGEBNISSE... 75

7.1. Pflegefamilie ... 76

7.2. Pflegekind ... 78

7.3. Auffälligkeiten im Erleben des Pflegekindes ... 83

7.4. Auffälligkeiten im Verhalten der Pflegekinder ... 86

7.5. Herkunftseltern ... 90

7.6. Leben als Pflegemutter... 94

7.7. Belastungen ... 97

7.8. Ressourcen ... 102

7.9. Balance ... 107

8. DISKUSSION DER FORSCHUNGSERGEBNISSE ... 108

8.1. Forschungsfrage 1 ... 108

8.2. Forschungsfrage 2 ... 110

8.3. Forschungsfrage 3 ... 111

8.4. Forschungsfrage 4 ... 114

9. FAZIT ... 115

10. LITERATURVERZEICHNIS ... 117

11. ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS ... 127

12. ANHANG ... 128

(7)

Abkürzungsverzeichnis

ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch

BAFEP Bundesbildungsanstalt für Elementarpädagogik

BH Bezirkshauptmannschaft

B-KJHG Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz

DJI Deutsches Jugendinstitut

DIJuF Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrechte StKJHG Steiermärkisches Kinder- und Jugendhilfegesetz

StJWG-DVO Steiermärkisches Jugendwohlfahrtsgesetz-Durchführungsverordnung

(8)

1. E

INLEITUNG

Im Jahr 2020 wurden in Österreich 5.061 Pflegekinder in Pflegefamilien oder bei Pflegeperso- nen untergebracht (vgl. Statistik Austria, 2021, S. 24). Die Gründe dafür sind vielseitig und reichen von Vernachlässigung bis hin zu sexueller Misshandlung. Auch die Trennung der leib- lichen Eltern, psychische Erkrankungen sowie Drogenkonsum, Alkoholmissbrauch, Überfor- derung oder Tod eines Elternteils können die Ursachen für eine Fremdunterbringung sein (vgl.

Groh, 2010, S. 23). Durch traumatisierende Erlebnisse in der Vergangenheit zeigen Pflegekin- der häufig Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten, deren Aufarbeitung viel Verständnis, Zu- neigung und Geduld erfordert (vgl. graz.at, 2021). Diese Auffälligkeiten im Erleben und Ver- halten können eine Herausforderung für die Pflegeeltern darstellen. Dieser Umstand wird in diversen Untersuchungen sichtbar, wie unter anderem in der Studie von Linderkamp et al. aus dem Jahr 2009. Dabei wurden knapp 160 Pflegefamilien aus Deutschland zu den psychischen Auffälligkeiten ihrer Pflegekinder befragt. 38 Prozent aller Pflegeeltern gaben an, dass ihre Pflegekinder externalisierende und internalisierende Auffälligkeiten zeigen. Am häufigsten wurden Verhaltensprobleme mit Gleichaltrigen genannt (41 Prozent). Emotionale Probleme und Probleme im Verhalten lagen bei rund 35 Prozent. Weiters wurde die Hyperaktivität (26 Prozent) der Pflegekinder als auffällig bezeichnet, wobei 15 Prozent davon grenzwertiges Ver- halten aufwiesen (vgl. Linderkamp et al., 2009, S. 868). Auch andere Studien aus Deutschland konnten ähnliche Ergebnisse feststellen. Dazu zählt beispielsweise jene von Kindler (2011), welche belegte, dass von den 427 untersuchten Pflegekindern rund ein Drittel internalisierende und externalisierende Auffälligkeiten zeigt (vgl. Kindler, 2011, S. 173).

Wie diese Studien betonen, können viele Schwierigkeiten auftreten, wenn Pflegekinder in einer Pflegefamilie untergebracht werden. Dies bedeutet in weiterer Folge für die Pflegeeltern, dass die Inobhutnahme der Kinder mit Herausforderungen in Verbindung steht. Denn die Aufgabe der Pflegeeltern ist es, dem Kind Schutz und Sicherheit zu bieten, um eine positive Persönlich- keitsentwicklung zu fördern (vgl. Marschewski, 2012, S. 189). Durch die prägenden Vorerfah- rungen sind die Anforderungen an die Pflegeeltern sehr hoch und können auch zu Belastungen führen. Das bestätigt auch Linderkamp et al. (2009) mit seiner Untersuchung von Pflegeeltern zu unterschiedlichen Messzeitpunkten. Dabei wurde dreimal im Abstand von einem Jahr die persönliche Einschätzung der Pflegeeltern zu ihrem Wohlbefinden erhoben. Die Ergebnisse sind je nach Geschlecht unterschiedlich und zeigen, dass die Selbstunsicherheit bei Müttern nach einem Jahr Pflegemutterschaft leicht ansteigt und bei Vätern sinkt. Gegenteilige Effekte

(9)

wurden im Bereich der psychischen Störungen entdeckt, wobei Pflegeväter eine Steigerung und Pflegemütter eine Reduzierung dieser verzeichneten (vgl. Linderkamp et al., 2009, S. 874).

Dies betont zum einen die Belastung von Pflegeeltern und zeigt die Relevanz des Themas. Zum anderen verdeutlicht es, dass Männer und Frauen eine unterschiedliche Wahrnehmung bezüg- lich ihres Wohlbefindens haben und verschieden auf Belastungen reagieren.

Aufgrund der vorgelegten Studienergebnisse ist es mir persönlich ein großes Anliegen, mich intensiver mit diesem Thema zu befassen und die Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten der Pflegekinder sowie die Belastungen der Pflegeeltern zu erforschen. Das Ziel ist es, herauszu- finden, welche Auffälligkeiten Pflegekinder im Erleben und Verhalten zeigen und welche Res- sourcen Pflegeeltern nutzen, um mit dieser Belastung umzugehen. Obwohl zu dieser Thematik bereits Forschungen existieren, ist es dennoch relevant, die Situation in Österreich zu beleuch- ten. Außerdem stellt die Corona-Pandemie eine neue Komponente dar, die bisher in Verbin- dung mit Pflegeeltern kaum erforscht worden ist, jedoch in dieser Arbeit berücksichtig wird.

Durch eine ausführliche Literaturrecherche ist unter anderem folgende Forschungsfrage ent- standen: Welche Ressourcen nutzen Pflegeeltern, um mit den Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten ihrer Pflegekinder umzugehen?

Um diese und weitere Fragen zu beantworten, wird zu Beginn der Masterarbeit sowohl auf die Pflegekinder als auch auf die Pflegeeltern in Österreich näher eingegangen. Statistiken und For- schungsergebnisse sollen die aktuellen Gegebenheiten darlegen und die Relevanz des Themas betonen. Das dritte Kapitel handelt von den Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten der Pfle- gekinder. Diese werden in die zwei Kategorien internalisierend und externalisierend eingeteilt, wobei zuvor auf die Begriffsdefinition näher eingegangen wird. Im vierten Kapitel werden die Gründe für die Auffälligkeiten thematisiert, wofür das bio-psycho-soziale Modell herangezo- gen wird. Das Modell geht davon aus, dass die Entwicklung eines Kindes von drei Faktoren, nämlich den biologischen, psychischen und sozialen, abhängig ist. Diese drei Bereiche sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig (vgl. Petermann & Niebank, 1999, S. 260). Der abschließende Teil der Literaturrecherche befasst sich mit Belastungen und Res- sourcen von Pflegeeltern. Dazu werden beide Bereiche einander gegenübergestellt und indivi- duell betrachtet.

Der zweite Teil meiner Masterarbeit bezieht sich auf die Beschreibung, Durchführung und Aus- wertung der empirischen Untersuchung. Zu Beginn wird auf die qualitative Sozialforschung eingegangen, und er wird die inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz vorgestellt. Sie dient als Grundlage für die Auswertung der Daten. Zudem werden die Forschungsfragen und das weitere Vorhaben der Studie geschildert. Um zu erfahren, wie

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Pflegeeltern mit Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten ihrer Pflegekinder umgehen, wurden acht leitfadengestützte Interviews mit Pflegemüttern aus Österreich durchgeführt. Der Zugang zur Stichprobe erfolgte Anfang Jänner 2021 über die Facebook-Gruppe Pflegeeltern in Öster- reich. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung werden mittels MAXQDA ausgewertet und im Kapitel 7 präsentiert. Im darauffolgenden achten Kapitel werden die gewonnen Daten mit der Literatur verglichen, interpretiert und diskutiert. Zudem werden die zuvor genannten Forschungsfragen beantwortet. Den Abschluss dieser Arbeit bildet ein Fazit, welches die ge- wonnenen Erkenntnisse zusammenfasst und einen Ausblick auf weitere Forschungen gibt.

(11)

2. P

FLEGEELTERN UND

P

FLEGEKINDER IN

Ö

STERREICH

In Österreich wie auch international haben Pflegeeltern und ihrer Kinder in den letzten Jahr- zehnten stark an Bedeutung gewonnen. Dies wird vor allem durch die Anzahl der Forschungs- arbeiten sichtbar, welche von 1997 bis 2006, im Vergleich zu 1967 bis 1976, um tausend Pro- zent gestiegen sind (vgl. Scheipl, 2009, S. 225). Das Thema Pflegefamilien ist facettenreich und gliedert sich in unterschiedliche Teilbereiche. Dazu zählen einerseits das Pflegekinderwe- sen, welches all jene Prozesse umfasst, die sich auf Pflegekinder beziehen wie Institutionen, betroffene Personen und politische sowie soziale Gegebenheiten (vgl. Gassmann, 2010, S. 24).

Andererseits zählen die Intentionen, die zu einem Pflegeverhältnis führen, die Voraussetzun- gen, die notwendig sind, um Pflegemutter oder Pflegevater zu werden, und die Aufgaben der Pflegeeltern dazu. Bevor auf die einzelnen Punkte näher eingegangen wird, werden zunächst die Pflegeeltern in Österreich näher beschrieben und auf die Formen von Pflegefamilien näher eingegangen. Um die aktuelle Situation darzustellen, wird unter anderem die Kinder- und Ju- gendhilfestatistik aus den vergangenen Jahren herangezogen.

2.1. P

FLEGEELTERN IN

Ö

STERREICH

Im Vergleich zu den Daten der Pflegekinder, sind jene zu den Pflegeeltern begrenzt verfügbar.

Es ist zwar ersichtlich, wie viele Pflegeeltern es in Österreich gibt, jedoch lassen sich keine Aussagen über demografische Eigenschaften machen. Somit existieren für österreichische Pfle- geeltern keine Angaben über die Altersverteilung, die Geschlechterstruktur oder über die An- zahl der Kinder, die durchschnittlich in einer Pflegefamilie aufgenommen werden. Deshalb wird in diesem Unterkapitel nur eine geringe Anzahl statistischer Daten – in Bezug auf Pflege- eltern – vorgestellt. Dazu zählen die Anzahl der Pflegepersonen in Österreich, aufgeteilt auf die einzelnen Bundesländer sowie die Zahl jener, die an Fortbildungen teilgenommen haben (vgl.

Geserick et al., 2016, S. 16).

Im Jahr 2020 gab es in ganz Österreich 6.406 Pflegepersonen. Der größte Anteil wurden in Wien (1.628) und in Niederösterreich (1.368) verzeichnet, gefolgt von Oberösterreich (850).

Das Burgenland wies mit rund 240 die geringste Anzahl an Pflegepersonen auf. Im Vergleich zum Jahr 2017 gab es in Österreich knapp 400 Pflegepersonen weniger als im Jahr 2020. Der größte Zuwachs konnte in Wien mit einem Plus von 200 Personen verzeichnet werden. Darauf folgen die Steiermark (95) und das Burgenland (65). Mit Ausnahme von Kärnten (-3) und Oberösterreich (-13) konnte in dem genannten Zeitraum bei allen Bundesländern ein Zuwachs an Pflegepersonen festgestellt werden (vgl. Statistik Austria, 2021, S. 85, 88).

(12)

Hinsichtlich der vorhandenen Daten lassen sich neben der Anzahl der Pflegeeltern in Österreich auch Aussagen über die in Anspruch genommenen Fort- und Ausbildungsmaßnahmen dieser treffen. Im Jahr 2020 besuchten von den insgesamt 6.406 Pflegeeltern 2.764 eine Aus- und Fortbildungsmaßnahme. Dies entspricht einem Anteil von 43,3 Prozent. Auch hier lag der größte Anteil in Wien, mit rund 1.000 Personen, und der kleinste Anteil im Burgenland, mit 18 Personen. Den zweitgrößten Anteil verzeichnete die Steiermark, mit rund 684 Pflegepersonen, die an Weiterbildungsmaßahmen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe teilgenommen ha- ben. Werden die Zahlen von 2017 mit jenen von 2020 verglichen, lässt sich feststellen, dass 2020 knapp 788 Personen weniger an Weiterbildungen teilnahmen. Die geringe Teilnahme an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen kann durch die Corona-Pandemie erklärt werden, da viele Angebote nicht in Anspruch genommen werden konnten (vgl. Statistik Austria, 2021, S. 106, 118). Somit konnte in den letzten drei Jahren ein Zuwachs an Pflegepersonen festgestellt wer- den sowie eine geringere Teilnahme an Fort- und Ausbildungsangeboten.

Betrachtet man nun die Formen der Pflegefamilien, lassen sich Unterschiede feststellen. Zum einen liegt dies an verschiedenen situativen Gegebenheiten und an den Bedürfnissen eines jeden Kindes. Zum anderen lassen sich in den Bundesländern große Ungleichheiten feststellten. So gibt es Abweichungen hinsichtlich der Vertragspartner, der Gestaltung des Vertrages sowie in der Bezeichnung der Verträge. In manchen Bundesländern handelt es sich um freie Dienstver- träge und in anderen wiederum um Arbeitsverträge. Diese können durch einen Kinder- und Jugendhilfeträger oder durch eine private Einrichtung abgewickelt werden (vgl. Geserick et al., 2016, S. 38).

In Bezug auf die Formen von Pflegefamilien wird Josef Scheipl und sein Werk Das Pflegekin- derwesen in Österreich aus dem Jahr 2009 herangezogen. Darin beschreibt er die Krisenpflege, die Kurzzeitpflege und die Langzeitpflege. Ein Langzeitpflegeverhältnis – auch Dauerpflege genannt – wird in Anspruch genommen, wenn das Wohl des Kindes in der Herkunftsfamilie auf längere Zeit nicht mehr gewährleistet werden kann. Bei dieser Form werden die Kinder über einen längeren Zeitraum in einer Pflegefamilie untergebrach. Wie im Kapitel 2.5 zu den gesetzlichen Bestimmungen von Pflegekindern beschrieben wurde, geschieht die Fremdplat- zierung für mehrere Jahre, entweder durch das Einverständnis der Eltern oder durch einen ge- richtlichen Beschluss. In beiden Fällen ist eine Rückführung der Kinder in die Herkunftsfamilie geplant und dadurch wird – wenn möglich – der Kontakt zu dieser aufrechterhalten. Allgemein ist die Langzeitpflege eine Herausforderung für die Pflegeeltern selbst, aber auch für die be- troffenen Sozialarbeiter*innen. Beide Parteien sind sich häufig unsicher, ob ein Kind in einem Dauerpflegeverhältnis untergebracht werden soll und auch Gerichte sind bei der Übertragung

(13)

der vollen Obsorge vorsichtig. Klarere Strukturen und Handlungsweisen können laut Scheipl eine gelingende Bindungssicherheit sowie die Stabilität des Pflegeverhältnisses fördern.

Weitere Formen der Fremdplatzierung sind die Krisenpflege und die Kurzzeitpflege. Bei beiden Formen werden Kinder bis zum 16. Lebensjahr kurzfristig bei Pflegefamilien untergebracht.

Der Grund dafür sind meist Krisen in der Herkunftsfamilie, welche durch eine Fremdplatzie- rung des Kindes überbrückt werden sollen. Es gilt die Situation abzuklären und weitere Vorge- hensweisen zu eruieren. Außerdem sollen die Kinder durch eine angemessene Betreuung Be- ruhigung und Stabilität erfahren (vgl. Scheipl, 2009, S. 232f.). Der Unterschied zwischen den beiden Formen ist, dass die Kurzzeitpflege Minderjährige in Krisensituationen bis zu drei Mo- naten aufnimmt. Hingegen können die betroffenen Kinder bei Krisenpflegeeltern bis zu sechs Monaten bleiben (vgl. §5 Abs. 2 StJWG-DVO, 2021). Diese Angaben beziehen sich jedoch nur auf die Steiermark, denn je nach Bundesland variiert die maximale Dauer der Unterbringung in einer Krisenpflegefamilie. In Tirol sind es beispielsweise nur acht Wochen, in Wien und in Kärnten acht bis zwölf Wochen, in Oberösterreich sind es maximal drei und in Salzburg höchs- tens sechs Monate. Während der gesamten Dauer der Unterbringung wird versucht, den Kon- takt zu den leiblichen Eltern aufrecht zu erhalten, um eine zeitnahe Rückführung zu ermögli- chen (vgl. Scheipl, 2009, S. 232f.).

Diese beiden Formen der Unterbringung sind in den meisten Bundesländern vertreten, mit Aus- nahme von Vorarlberg. Dort gibt es statt der Krisenpflege eine Ankerfamilie1oder Wegbeglei- ter*innen2. Andere Arten der Pflegefamilie gibt es unter anderem in Tirol, in Form einer heil- pädagogischen Pflegeperson, welche bei hohen Betreuungsaufwand eingesetzt wird. Zudem gibt es in der Steiermark eine weitere Form der Pflege, nämlich das familienpädagogische Pfle- geverhältnis. Dabei werden Kinder bis zum 18. Lebensjahr mithilfe von Konzepten aus der Sozialpädagogik betreut. Um dies zu ermöglichen, werden Pflegemütter und Pflegeväter eigens dafür geschult. Eine letzte Form der Pflegefamilie, welche in Niederösterreich vorkommt, han- deln von professionellen Pflegepersonen. Die Pflegepersonen müssen sich auch hier regelmä- ßig fortbilden und sind verpflichtet, kein anderes Dienstverhältnis einzugehen. Die Ausnahme bilden Pflegekinder, die das 10. Lebensjahr erreicht haben und seit mindestens zwei Jahren in der Pflegefamilie untergebracht sind (vgl. Geserick et al., 2016, S. 27f., 31f., 39f.).

Da nun die statistischen Daten und die Formen der Pflegefamilien in Österreich vorgestellt wurden, stellt sich nun die Frage, welche Motive Männer und Frauen haben, ein Pflegekind aufzunehmen. Die Beantwortung dieser Frage steht im Zentrum des folgenden Kapitels.

1 Ankerfamilien nehmen Kinder im schulpflichtigen Alter auf und pflegen sie für mehrere Jahre

2 Wegbegleiter*innen nehmen Kinder bis zu zwei Jahren bei sich auf, mit dem Ziel, die Kinder rückzuführen (vgl.

Vorarlberger Kinderdorf, 2018, S. 3).

(14)

2.2. G

RÜNDE FÜR EINE

P

FLEGEELTERNSCHAFT

Die Motive, ein Pflegekind aufzunehmen, wurden in einer österreichischen Interviewstudie von Geserick et al. (2016) untersucht. Dabei wurden insgesamt 16 Personen befragt, die entweder beruflich mit der Thematik konfrontiert oder selbst Pflegeelternteile waren. Es stellte sich her- aus, dass, entweder aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches oder als Alternative zur Adop- tion, der Großteil der Proband*innen eine Pflegeelternschaft antrat. Die Paare berichteten von einem Kinderwunsch, welcher sich durch eine Adoption länger hinziehen und womöglich ohne Erfolg bleiben würde. Daraufhin haben sich die Befragten dazu entschlossen, eine Pflegeeltern- schaft anzutreten. Damit einher geht der Wunsch jüngere Kinder aufzunehmen, um möglichst viele Eindrücke und Erinnerungen sammeln zu können und um negative Einflüsse von leibli- chen Eltern gering zu halten.

Ein weiterer Grund handelt von der Absicht, etwas Gutes zu tun. Die Pflegepersonen möchten eine Unterbringung in einem Heim vermeiden und dem Kind ein schützendes und familiäres Umfeld schaffen. Charakteristisch bei diesen Proband*innen war der Wunsch, anderen Men- schen zu helfen. Dies kann teilweise auch darauf zurückgeführt werden, dass jenen Proband*in- nen oft genügend Ressourcen zur Verfügung standen, welche sie mit anderen teilen wollten.

Das bezieht sich vor allem auf zeitliche und räumliche Ressourcen. Andere wiederum möchten, aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen, Kindern, die Hilfe benötigen, unterstützen, um etwas zu- rückzugeben. Hier zeigen sich starke empathische Züge von Menschen, die ihn ihrer Kindheit selbst in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sind (vgl. Geserick et al., 2016, S.88-90).

Neben den genannten Motiven gibt es jedoch auch andere, die als problematisch klassifiziert werden. So nehmen manche Personen Pflegekinder in Form eines neuen Partners auf, um eine Lücke in ihrem Leben zu schließen. Hier fungieren die zu pflegenden Kinder als Partnerersatz, als neues Geschwisterchen für das schon vorhandene leibliche Kind oder auch als Beziehungs- retter. Werden die Kinder in eine bestimmte – für sie vorgesehene Rolle – gedrängt, kann sich dies negativ auf das Zusammenleben auswirken.

Weiters haben manche befragte Proband*innen angegeben, dass sie aus einem finanziellen Not- stand heraus ein Pflegekind aufgenommen haben. Dadurch wird das Pflegekind als Geldgeber angesehen oder im schlimmsten Fall auch für die Existenzsicherung verantwortlich gemacht.

Dies kann dazu führen, dass bei Spannungen im Pflegeverhältnis die Pflegepersonen dennoch zwanghaft versuchen, die Betreuung aufrecht zu erhalten (vgl. Geserick et al., 2016, S. 91f.).

Durch die unterschiedlichen Motive konnte gezeigt werden, dass nicht nur ein offen gebliebener Kinderwunsch der Grund für eine Aufnahme eines Pflegekindes sein kann. Die verschiedenen Angaben der Proband*innen machen deutlich, dass eine genaue Prüfung der Pflegeeltern

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wichtig ist, um eine angemessene Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Welche Personen als Pflegeeltern oder als Pflegepersonen geeignet sind und welche Voraussetzungen jene erfüllen müssen, wird in dem nächsten Kapitel genauer dargestellt.

2.3. V

ORAUSSETZUNG FÜR

P

FLEGEELTERN

/P

FLEGEPERSONEN

Spricht man von Pflegeeltern oder einer Pflegeperson, so handelt es sich dabei um Menschen, die Minderjährigen Erziehung und Pflege gewähren, ohne mit ihnen in einem verwandtschaft- lichen Verhältnis zu stehen (vgl. § 5 Abs. 1. StJWG-DVO, 2021). Dies können sowohl Paare als auch alleinerziehende Personen sein (vgl. graz.at, 2021). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Pflegepersonen homosexuell oder heterosexuell sind. Vorrangig geht es darum, eine Pflegefa- milie als rechtlich gültige Familienform anzuerkennen, welche auch die Vielseitigkeit der Le- bensformen in einer Gesellschaft widerspiegelt (vgl. Scheipl, 2009, S. 229). Bei der Auswahl von Pflegepersonen ist entscheidend, dass die Bewerber*innen eine gewisse Lebenserfahrung mit sich bringen. In den letzten Jahren zeigte sich, dass Personen, welche dieser anspruchsvol- len Aufgabe nachgehen, nicht jünger als 25 Jahre sind. Zudem sollten nicht mehr als 45 Jahre zwischen dem Alter des Pflegekindes und dem der pflegeberechtigten Personen liegen.

Bevor sich Einzelpersonen oder Paare dazu entschließen, ein oder mehrere Pflegekinder aufzu- nehmen, wird deren persönliche, soziale, gesundheitliche und wirtschaftliche Situation über- prüft (vgl. graz.at, 2021). Für die Auswahl der Pflegepersonen wird der Kinder- und Jugendhil- feträger herangezogen, welcher geeignete Personen mit der Pflege und Erziehung beauftragen kann. Die Vermittlung von Pflegeverhältnissen, fachlicher Unterstützung oder auch Maßnah- men zur Qualifizierung, können auch von nicht öffentlichen Kinder- und Jugendhilfeeinrich- tungen übernommen werden (vgl. § 33 Abs. 1 StKJHG, 2021).

Laut dem steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetz aus dem Jahr 2013 müssen die Pflegeper- sonen 14 Kriterien erfüllen, um ein Pflegekind aufnehmen zu können. Zu den Kriterien zählen unter anderem die Kontakt-, Kommunikations-, Beziehung-, Integrations- und Konfliktlösefä- higkeit. Außerdem sind eine hohe Belastbarkeit, Selbstreflexion, die Bereitschaft zu Fortbil- dungen, eine positive Haltung gegenüber den leiblichen Eltern und ein Verständnis für Verhal- tensauffälligkeiten von Bedeutung (vgl. § 6 Abs. 2 StJWG-DVO, 2021).

Neben den gesetzlich verankerten Bestimmungen sind auch einige weitere zu beachten, die für die Pflege eines Kindes von Vorteil sind. Dazu zählen Erfahrungen in der Erziehung und Pflege von Kindern. Auch die Bereitschaft, einem Kind Zeit und Unterstützung zu bieten, um eine gelingende Entwicklung zu ermöglichen, ist wichtig. In Bezug auf die Lebensweise ist anzu- merken, dass der Wohnraum auf Kinder ausgelegt sein sollte und dass genügend Platz für das

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Pflegekind, die leiblichen Kinder und die Pflegeperson vorhanden ist. Neben ausreichenden räumlichen Kapazitäten sollten werdende Pflegemütter und Pflegeväter frei von Lebenskrisen, finanziellen Belastungen oder anderen Problemen sein. Außerdem ist eine stabile Persönlich- keit und ein gesunder Umgang mit Krisen für ein stabiles Pflegeverhältnis wichtig.

Auf die innere Struktur der Familie bezogen, ist ein harmonisches, herzliches, verständnisvolles Klima erforderlich, welches von allem Mitgliedern der Familie ausgeht. Ist der Wunsch, ein Pflegekind aufzunehmen nur einseitig formuliert und wird er nicht von anderen Mitgliedern der Familie geteilt, kann es häufiger zu Konflikten kommen. Daher ist es notwendig, dass alle An- gehörigen der Familie den Wunsch unterstützen, ein Pflegekind aufzunehmen. Zudem ist eine gute Zusammenarbeit mit den Sozialarbeiter*innen und der Herkunftsfamilie wünschenswert.

Zu guter Letzt sollten die Pflegepersonen mit einer Rückführung des Kindes in die Herkunfts- familie umgehen können und sich vor dem Antritt des Pflegeverhältnisses darauf einstellen (vgl. wien.gv.at, 2018).

Werden Pflegeeltern ausgewählt, können auf einem Pflegeplatz höchstens zwei Pflegekinder untergebracht werden. Die Anzahl der zu betreuenden Kinder soll nicht größer als vier sein, wobei hier auch die leiblichen Kinder miteinbezogen werden. In Ausnahmefällen kann ein drit- tes Kind aufgenommen werden, jedoch wird in diesen Fällen die Belastbarkeit der Pflegeper- sonen und der Entwicklungsstand der bereits dort lebenden Kinder berücksichtigt (vgl. § 9 Abs.

1, 2 StJWG-DVO, 2021).

Zusätzlich zu den genannten Kriterien müssen potenzielle Pflegepersonen auf die Bedürfnisse des Pflegekindes eingehen und dahingehend eine förderliche Erziehung und Pflege ermögli- chen. Auch eine verpflichtende Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen wird von den Pfle- geeltern erwartet. Schließlich sind die Pflegepersonen dazu verpflichtet, dem Kinder- und Ju- gendhilfeträger Auskünfte zu geben und relevante Dokumente vorzuweisen. Dazu zählt auch eine Besichtigung der Räumlichkeiten in der die zu pflegenden Kinder untergebracht sind (vgl.

§33 Abs. 2-4 StKJHG, 2021).

Bisher wurde deutlich gemacht, dass sowohl bei der Zählung der Pflegeeltern als auch bei den Formen der Pflegefamilien große Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen. Zudem konnten die Gründe für die Aufnahme eines Pflegekindes dargelegt werden, welche sich auf eine zusätzliche Einnahmequelle, die Erfüllung eines Kinderwunsches oder der Absicht, etwas Gutes zu tun, zusammenfassen lassen. Schließlich betonen die Voraussetzungen für eine Pfle- geelternschaft die vielseitigen Anforderungen, die Pflegeeltern erfüllen müssen. Da nun die Aspekte rund um Pflegeeltern in Österreich dargestellt wurden, stehen in den folgenden Kapi- teln die Pflegekinder im Fokus. Dabei handelt es sich um die gesetzlichen Bestimmungen, die

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Gründe für eine Fremdunterbringung sowie aktuelle Statistiken über Pflegekinder. Zudem wer- den traumatische Erfahrungen und die Entwicklungsaufgaben der Pflegekinder näher beschrie- ben. Im nächsten Kapitel steht die Definition von Pflegekindern im Zentrum und somit die Frage, ab wann ein Pflegekind als solches bezeichnet wird.

2.4. D

EFINITION EINES

P

FLEGEKINDES

Laut dem Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 sind Pflegekinder „Kinder und Jugend- liche, die von anderen als den Eltern oder sonstigen mit Pflege und Erziehung betrauten Per- sonen nicht nur vorübergehend gepflegt und erzogen werden“ (§18 Abs. 1 B-KJHG, 2013).

Dabei werden Pflegekinder im Rahmen der vollen Erziehung fremduntergebracht. Dies ge- schieht (1) aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls, (2), wenn das Verweilen im familiären Umfeld nicht mehr zumutbar ist und (3) eine Gefährdung nur durch eine Fremdunterbringung verhindert werden kann. Eine Fremdunterbringung bezieht sich allgemein nicht nur auf Pflege- familien, sondern auch auf sozialpädagogische Einrichtungen oder auf die Betreuung durch Angehörige (vgl. Pratscher, 2016, S. 12).

In dieser Masterarbeit wird die volle Erziehung jedoch nur in Verbindung mit Pflegefamilien beleuchtet. Dazu liegen Daten der Statistik Austria vor. Bei der Interpretation der Daten gilt jedoch zu beachten, dass Doppelzählungen vorkommen können. Dies liegt zum einen an unter- schiedlichen Stichtagen sowie an uneinheitlichen Einflusskriterien der einzelnen Bundesländer.

Zum anderen handelt es sich um unklare Angaben, welche die Daten verzerren und zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Situation führen können (vgl. Scheipl, 2009, S. 228). Den- noch weisen sie eine statistische Aussagekraft auf.

Um in Erfahrung zu bringen, wie viele Pflegekinder in Österreich leben, werden die jährlich herausgegebenen Berichte der Kinder- und Jugendhilfestatistik herangezogen. Im Jahr 2020 erhielten in Österreich rund 38.500 Kinder und Jugendliche Hilfe bei der Erziehung in der Fa- milie. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies ein Plus von 5,6 Prozent (1.980 Personen). Hin- gegen wurde ein leichter Rückgang (-0,8 Prozent) bei den Kindern, welche im Rahmen der vollen Erziehung fremduntergebracht werden, festgestellt. Somit beläuft sich die Anzahl der Minderjährigen, die 2020 in sozialpädagogischen Einrichtungen oder bei Pflegefamilien unter- gebracht wurden auf 13.126. Davon lebten rund 5.000 Kinder und Jugendliche ausschließlich bei Pflegepersonen (vgl. Statistik Austria, 2021, S. 4, 58).

Bei Betrachtung der Bundesländer wird deutlich, dass die Verteilung der Kinder und Jugendlichen, die in Pflegefamilien leben, unterschiedlich ist. Die nachstehende Tabelle 1 gibt

(18)

einen Einblick in die Aufteilung und vergleicht die Daten aus dem Jahr 2020 mit jenen von 2017.

Durch die Daten aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik 2020 wird deutlich, dass in Wien sowohl im Jahr 2017 als auch drei Jahre später die meisten Pflegekinder aufgenommen wurden.

Die Steiermark lag auf Platz zwei, wobei im Jahr 2020 knapp 20 Prozent weniger Pflegekinder fremduntergebracht wurden als drei Jahre zuvor. Der größte Rückgang fremduntergebrachter Pflegekinder konnte in Kärnten verzeichnet werden. Einen Zuwachs hingegen gab es in Nie- derösterreich gefolgt von Wien und Tirol. Obwohl in diesen drei Bundesländern in dem ge- nannten Zeitraum mehr Pflegekinder aufgenommen wurden, zeigt die Statistik, dass es insge- samt einen Rückgang an fremduntergebrachten Pflegekindern in Österreich gab (vgl. Statistik Austria, 2021, S. 62, 74).

Mit einem Blick auf die Geschlechterverteilung wird deutlich, dass von den Kindern und Ju- gendlichen, die von Pflegepersonen betreut werden, 50,8 Prozent männlich und 49,2 Prozent weiblich sind. Durch die Verteilung kann von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis gesprochen werden. Auch in den Alterskategorien lassen sich zwischen den Geschlechtern keine großen Unterschiede feststellen. Das zeigte die Kinder- und Jugendhilfestatistik 2020, welche das Alter der Pflegekinder in drei Gruppen einteilte. Kinder bis sechs Jahre waren in der ersten Gruppe, jene die sechs bis 14 Jahre alt waren, wurden der zweiten Gruppe zugeteilt, und die letzte Gruppe umfasste Jugendliche von 14 bis 18 Jahre. Es konnte für das Jahr 2020 festgestellt werden, dass knapp 50 Prozent der Mädchen und Jungen zwischen sechs und 14

Bundesländer 2017 2020 Veränderung

Burgenland 126 127 -0,7 %

Kärnten 294 229 -28,4 %

Niederösterreich 698 794 +13,7 %

Oberösterreich 740 656 -12,8 %

Salzburg 242 211 -14,7 %

Steiermark 919 770 -19,4 %

Tirol 236 245 +3,8 %

Vorarlberg 262 252 -3,9 %

Wien 1.704 1.777 +4,28 %

Gesamt 5.221 5.061 -3,2 %

Tabelle 1: Fremdunterbringung Bundesländer; Quelle Statistik Austria 2020, S. 62, 74

(19)

Jahre alt waren. In der ersten Gruppe lag der prozentuale Anteil bei 30 Prozent und jener der dritten Gruppe lag bei circa 20 Prozent. Für das Jahr 2017 konnten weder bezüglich der Alters- struktur noch hinsichtlich der Geschlechterverteilung Unterschiede zu den aktuellen Daten er- kannt werden (vgl. Statistik Austria, 2021, S. 58).

Obwohl die Anzahl der Pflegekinder in Österreich, im Vergleich zu 2017, gesunken ist, bleibt die Relevanz der Thematik aufrecht. Dies liegt unter anderem daran, dass aktuell rund 5.000 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien fremduntergebracht sind. Neben der Alters- und Ge- schlechterverteilung, sind auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen bedeutend, welche nun näher beschrieben werden.

2.5. G

ESETZLICHE

B

ESTIMMUNGEN

Wird eine Erziehungshilfe in Form einer Fremdunterbringung in Aussicht gestellt, kann zwi- schen einer Hilfe aufgrund einer gesetzlichen Verfügung oder aufgrund einer Vereinbarung unterschieden werden. Hilfen, die durch eine Vereinbarung zustande kommen, erfordern das Einverständnis der Eltern oder der pflege- und erziehungsberechtigten Personen sowie eine schriftliche Abmachung mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger. Im Gegensatz dazu verlangen Hilfen durch eine gerichtliche Anordnung ausschließlich einen Antrag des Kinder- und Jun- gendhilfeträgers. Dabei kann es sich um den vollständigen oder auch teilweisen Entzug der Obsorge durch ein Gericht handeln. Liegt eine Gefährdung des Kindeswohls vor, ist seitens des Kinder- und Jugendhilfeträgers eine sofortige Erziehungshilfe zu leisten (vgl. § 29 Abs. 1 StKJHG, 2021).

Werden Kinder in einer Pflegefamilie fremduntergebracht, liegt dies häufig daran, dass eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt. Im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) wurden im Jahr 2013 Kriterien festgehalten, die das Wohl eines Kindes beurteilen. Durch die Anwendung der 12 eingeführten Kriterien kann festgestellt werden, ob das Wohl des Kindes gefährdet ist. Dabei wird unter anderem eine angemessene, medizinische und sanitäre Versor- gung sowie ausreihend Nahrung, Wohnraum und Erziehung thematisiert. Die Vermeidung von Gefahren, Loyalitätskonflikten und verlässliche Kontakte zu beiden Elternteilen werden betont.

Weiters umfassen die Kriterien ausreichend Fürsorge, Schutz, Geborgenheit sowie Wertschät- zung und Akzeptanz des Kindes. Auch die Berücksichtigung der Meinungen, Fähigkeiten, In- teressen und Anlagen der Kinder sind in den 12 Kriterien enthalten. Diese Bestimmungen gel- ten jedoch für alle Kinder in Österreich und sind nicht nur auf Pflegekinder ausgelegt (vgl. §138 ABGB, 2021).

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Die Rechtslage von Pflegekindern und deren Pflegeeltern ist im Bundes-Kinder- und Jugend- hilfegesetz (B-KJHG) aus dem Jahr 2013 verankert. Dort befinden sich Bestimmungen zu den Themen Pflegekindergeld, Pflegeverhältnisse sowie Pflegekinder und ihre Pflegepersonen. Aus dem Gesetz lässt sich entnehmen, dass die Pflege sowie die Erziehung von Kindern und Ju- gendlichen eine Pflicht der Eltern oder anderer betrauter Personen darstellt. Ist dies nicht mög- lich, treten Erziehungshilfen in Kraft. Dabei steht das Wohl des Kindes im Zentrum, welches durch die Kinder- und Jugendhilfe in Verbindung mit dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozi- alsystem wahrgenommen wird (vgl. §1 Abs. 1,6 B-KJHG, 2013).

Grundsätzlich können Pflegekinder von nahen Angehörigen aufgenommen werden, wenn dies im Rahmen der vollen Erziehung erfolgt (vgl. §18 Abs. 2 B-KJHG, 2013). Der Kinder- und Jugendhilfeträger ist dafür zuständig, die Eignung der Pflegepersonen zu überprüfen. Dabei sind die

geistige und körperliche Gesundheit, die Erziehungseinstellung, die Erziehungsfähigkeit, das Alter und die Zuverlässigkeit der Pflegepersonen sowie die Belastbarkeit des Famili- ensystems in Betracht zu ziehen (§19 Abs. 3 B-KJHG, 2013).

Das Pflegekindergeld wird pauschalisiert durch den Kinder- und Jugendhilfeträger festgelegt und kann als Aufwandsentschädigung angesehen werden. Dabei werden je nach Alter und nach Bundesland unterschiedliche Maßstäbe gesetzt (vgl. §20 Abs. 2,3 B-KJHG, 2013).

Die kurze Darstellung der gesetzlichen Bestimmungen zur Aufnahme eines Pflegekindes und den Bedingungen, die damit einhergehen, zeigen die Vielseitigkeit dieser Thematik. Wichtig sind in diesem Kontext auch die Ursachen einer Fremdunterbringung, welche im folgenden Kapitel näher erläutert werden.

2.6. G

RÜNDE FÜR

F

REMDUNTERBRINGUNG

Die Gründe für eine Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen sind vielfältig und meist auf die Kombination mehrerer Faktoren zurückzuführen. Daten zu den Ursachen von Fremd- unterbringungen wurden weder vom Bundesministerium noch von Statistik Austria kürzlich veröffentlicht. Es finden sich jedoch in diversen Forschungsarbeiten Ausführungen dazu, wel- che in diesem Kapitel genauer behandelt werden (vgl. Arnold, 2010, S. 29).

Eine Forschungsarbeit des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus dem Jahr 2013 unterteilt die Gründe für eine Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen in (1) individuelle Problem- lagen, (2) familiäre Problemlagen und (3) nicht ausreichende Förderung oder Versorgung einer Person. Die Jungendämter in Nordrhein-Westfalen wurden anhand dieser drei Kategorien ge- nauer beforscht. Ziel war es, herauszufinden, welche Ursachen für eine Fremdunterbringung

(21)

bei den unter Dreijährigen sowie den Drei- bis Sechsjährigen vorliegen. Es wurde festgestellt, dass bei 70 Prozent der Kinder bis drei Jahren eine mangelhafte Versorgung oder Förderung vorlag. Bei der zweiten Altersstufe wurde ein ähnliches Ergebnis (68 Prozent) gefunden. Fami- liäre Problemlagen konnten bei knapp 30 Prozent aller befragten Jugendämter als Ursache für eine Inobhutnahme festgestellt werden. Lediglich bei 1,4 Prozent der bis Dreijährigen und bei 1,9 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen konnte die Fremdplatzierung auf individuelle Problem- lagen zurückgeführt werden (vgl. Kaufhold et al., 2016, S. 9).

Eine andere Einteilung nahm das AFCARS (The Adoption and Foster Care Analysis and Re- porting System) vor. Das System sammelt Informationen von staatlichen Behörden über alle Pflegekinder in den USA. Im Jahre 2019 wurden rund 424.000 Kinder und Jugendliche in Pfle- gefamilien untergebracht. Die am häufigsten genannten Gründe dafür sind in der folgenden Tabelle 2 aufgelistet.

Weitere Gründe, die dem Bericht zu entnehmen waren, handeln von Verhaltensproblemen der Kinder (8 Prozent), Inhaftierung (7 Prozent) und Alkoholismus (5 Prozent) der Eltern, dem im Stich lassen des Kindes (5 Prozent), sexuellem Missbrauch (4 Prozent), Drogenmissbrauch (2 Prozent) oder auch von der Beeinträchtigung der Kinder (2 Prozent). Zudem lag der Tod der Eltern sowie der Alkoholkonsum der Kinder zwischen null und einem Prozent (vgl. Children´s Bureau, 2019, S. 1,2).

Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine australische Untersuchung des Australian Institute of Health and Welfare, welche im Jahr 2018 Statistiken aus unterschiedlichen Bundesstaaten her- anzog. Als Grundlage fungierten Daten aus Kinderschutz- und Familienunterstützungsdiensten, welche Missbrauch und Vernachlässigung als häufigsten Grund für eine Fremdunterbringung ausfindig machten. Es konnte gezeigt werden, dass emotionaler Missbrauch mit rund 60 Pro- zent am häufigsten vorkam. Darauf folgten Vernachlässigung (17 Prozent), körperliche Miss- handlung (15 Prozent) und sexueller Missbrauch (9 Prozent). Hinsichtlich der Geschlechterver- teilung waren weibliche Pflegekinder um zwei Prozent häufiger von sexuellem Missbrauch

Gründe für eine Fremdunterbringung Prozentanteil

Vernachlässigung 63 %

Drogenmissbrauch der Eltern 34 %

Erziehungsunfähigkeit 14 %

Körperlicher Missbrauch 13 %

Schlechte Wohnverhältnisse 10 %

Tabelle 2: Fremdunterbringungsgründe USA; Quelle: Children´s Bureau, 2019, S. 1

(22)

betroffen als männliche. Die Jungen waren jedoch häufiger Opfer von Vernachlässigung und körperlicher Misshandlung im Vergleich zu den Mädchen (vgl. Australian Institute of Health and Welfare, 2019, S. 5).

Auf der Suche nach Forschungsberichten und Ergebnissen, die sich auf Österreich beziehen, konnten zwei Untersuchungen ausfindig gemacht werden. Der erste Bericht stammt von Statis- tik Austria, welche bis zum Jahr 1999 die Ursachen für Erziehungshilfen erfasste. Dieser the- matisiert zwölf Gründe, die für eine Hilfe im Beriech der Erziehung verantwortlich sind. Meist wurden Erziehungsprobleme, ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse, Trennung oder auch Tod einzelner Personen sowie Auffälligkeiten im Verhalten von Minderjährigen für eine Hilfe in der Erziehung genannt. Andere Ursachen umfassten Alkoholmissbrauch, Obdachlosigkeit, Misshandlung, Suchtgiftmissbrauch der Eltern und sexueller Missbrauch sowie Suchtgift- oder Alkoholmissbrauch der Minderjährigen. Zudem stellte sich heraus, dass eine Hilfe in der Er- ziehung häufiger aufgrund einer Vereinbarung als durch eine gerichtliche Anordnung erfolgte (vgl. Statistik Austria, 2001, zitiert nach Gspurning, Heimgartner, Hojnik, Pantucek, Reicher &

Stuhlpfarrer, 2020, S. 24).

Die zweite Studie von Gspurning et al. (2020), die sich auf österreichische Gegebenheiten be- zieht, stellt das Bundesland Steiermark mit den Bezirken Graz-Umgebung (GU) und Liezen (LI) in das Zentrum der Untersuchung. Die behandelten Themen der Studie sind unter anderem die Gründe für eine Fremdunterbringung, Risiko- und Schutzfaktoren sowie der Belastungsgrad der Eltern (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 9). Für die Untersuchung wurden verschiedene Me- thoden verwendet, wie eine standardisierte Befragung von Eltern aus Kindergärten sowie Ak- tenanalysen von Fremdunterbringungen (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 27).

Die Forscher*innen haben – hinsichtlich der Gründe für eine Fremdunterbringung – die Ant- worten der Proband*innen in drei Kategorien eingeteilt. Dabei handelte es sich erstens um Me- tagründe, welche sich mit Gewalt und Vernachlässigung in Bezug auf eine Kindeswohlgefähr- dung auseinandersetzen. Zweitens stehen die Primärgründe im Fokus. Diese sind spezifischer und umfassen die Probleme, die sich direkt am Kind feststellen lassen. Dazu gehören eine un- zureichende Nahrungsaufnahme, eine mangelhafte medizinische Versorgung oder eine Gewalt- tat am Kind. Auch unzureichender Schutz, eine nicht ausreichende Betreuung und Schwierig- keiten hinsichtlich der Pflege zählen zu den Primärgründen. Zu guter Letzt befassen sich die Sekundärgründe mit Alkoholabhängigkeit, psychischen und partnerschaftlichen Problemen, Unterkunftsproblemen und mit dem Tod der leiblichen Eltern (vgl. Gspurning et al., 2020, S.

77,81).

(23)

Die Ergebnisse der Fragebögen ergaben, dass in der ersten Kategorie (Metagründe) die Ver- nachlässigung bei mehr als der Hälfte aller Angaben als Ursache für eine Fremdunterbringung angegeben wurde. Am zweithäufigsten wurde körperliche Gewalt gefolgt von psychischer Ge- walt genannt. Den Abschluss bildete die sexuelle Gewalt mit rund fünf Prozent. In allen Berei- chen wurde differenziert zwischen den Bezirken Graz-Umgebung und Liezen. Mit Ausnahme von sexueller Gewalt waren die Werte in Graz-Umgebung um vier bis sieben Prozent höher als in Liezen. Außerdem zeigte sich, dass, bis auf den Bereich körperliche Gewalt, Mädchen öfter betroffen waren als Jungen (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 79f.).

Die Auswertung der Primärgründe wurde – wie die Metagründe – in die zwei untersuchten Bezirke sowie in die Kategorien großes Problem, mittleres Problem und nicht genannt einge- teilt. Die oben genannten Probleme, die sich zu den Primärgründen zuordnen lassen, wurden von 48,3 Prozent der Proband*innen als großes Problem beschrieben. Zwischen 15 und 21 Pro- zent klassifizierten die Defizite als mittleres Problem und die übrigen Prozent befanden sich in der Kategorie nicht genannt. Im Vergleich zu Graz-Umgebung nannten die Befragten aus Lie- zen sechs Prozent weniger mittlere Probleme und vier Prozent mehr große Probleme.

Eine weitere Differenzierung wurde bei den Primärgründen unternommen hinsichtlich der Vä- ter und Mütter. Die Forscher*innen untersuchen, ob Mütter oder Väter die Ursache für eine Fremdunterbringung waren. Dazu wurden drei Kategorien gebildet, nämlich (1) Schutz vor Ge- fahren, (2) Betreuung des Kindes und (3) emotionale Zuwendung. In allen drei Gruppen war häufiger das Verhalten der Mutter ausschlaggebend, welches zu einer Inobhutnahme führte.

Somit wurden in knapp 40 Prozent aller Fälle in Graz-Umgebung festgestellt, dass Mütter nicht ausreichend Schutz vor Gefahren boten. Im Vergleich lagen die Werte der Väter bei rund 23 Prozent. Der höchste Wert lag im Bezirk Liezen, welcher zeigte, dass 54,9 Prozent der Mütter ihr Kind unzureichend betreuten (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 80–82).

Die dritte und letzte Kategorie umfasst die Sekundärgründe. In Graz-Umgebung und in Liezen konnten psychische Auffälligkeiten bei rund 19 Prozent in GU und 13 Prozent in LI aller Eltern festgestellt und als großes Problem klassifiziert werden. Bei den Auffälligkeiten der Eltern han- delte es sich um Depressionen, eine geminderte Intelligenz oder um das Borderline-Syndrom (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 97). Weiters wurde der Suchtmittelkonsum genauer untersucht.

In der Untersuchung war der Konsum von Alkohol mit Abstand die am häufigsten festgestellte Suchtmittelsubstanz. Im Bezirk Liezen wurde bei rund 20 Prozent der Mütter ein Alkoholprob- lem festgestellt (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 99). Der Bereich Wohnen und Unterkunft stellte sich bei 24,7 Prozent der Fälle als Problem heraus. Insgesamt waren 14,7 Prozent der

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Unterkünfte schmutzig oder verwahrlost, wobei hingegen 18,9 Prozent als zufriedenstellend beschrieben wurden (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 102).

Der letzte Bereich, welcher im Zuge der Sekundärgründe betrachtet wird, umfasst den Tod der Eltern. Auffällig war, dass in Liezen 7,8 Prozent der Proband*innen den Tod des Vaters und 3,9 Prozent den Tod der Mutter als Ursache für eine Fremdunterbringung angaben. In Graz- Umgebung lagen die Werte lediglich bei 0,5 Prozent (Mütter) und einem Prozent (Väter). Somit wurde der Verlust des Vaters öfter als Ursache für eine Inobhutnahme angesehen, als der Ver- lust der Mutter (vgl. Gspurning et al., 2020, S. 105).

Durch die Aufarbeitung der einzelnen Themen konnten unter anderem drei zentrale Aspekte deutlich gemacht werden. Dies sind zum einen die Rechte der Pflegekinder, welche im Kinder- und Jugendhilfegesetzt verankert sind. Dadurch werden auf juristischer Ebene klare Strukturen geschaffen, die eine angemessene Versorgung der Pflegekinder gewährleisten. Zum anderen konnte gezeigt werden, dass Wien den größten Anteil an Pflegekindern in ganz Österreich auf- weist. Abschließend wurden anhand zweier Studien die Gründe für einen Fremdunterbringung dargestellt, wobei die häufigsten Ursachen dafür Vernachlässigung, unzureichende Versorgung und körperliche Gewalt waren. Die Gründe, weswegen Kinder und Jugendliche fremdunterge- bracht werden, beinhalten belastende Erfahrungen, die weitreichende Folgen haben können.

Diese werden im nun folgenden Abschnitt genauer beschrieben.

2.7. E

NTWICKLUNGSRELEVANTE

A

SPEKTE

Wie im letzten Kapitel deutlich gemacht wurde, werden Kinder aufgrund unterschiedlicher ne- gativer Erlebnisse in ihrer Herkunftsfamilie fremduntergebracht. Die Erfahrungen in der Kind- heit prägen das Leben der Pflegekinder wesentlich und führen unter anderem zu Traumata und zur Bewältigung von spezifischen Entwicklungsaufgaben (vgl. Gassmann, 2015b, S. 10f.).

Diese beiden Aspekte werden im folgenden Unterkapitel behandelt.

2.7.1. Traumatische Erlebnisse

Kinder, die in einer Pflegefamilie untergebracht worden sind, haben meist negative Erfahrun- gen in der Ursprungsfamilie erlebt. Diese wirken sich in weiterer Folge auf das Erleben und Verhalten der Kinder aus und bestimmen sowohl das Verhältnis zu anderen Menschen als auch das zur Umwelt. Dabei geht es nicht um allgemeine Erfahrungen, welche die Persönlichkeit des Kindes beeinflussen, sondern um spezielle Erlebnisse, die in der Psychologie als traumatisch bezeichnet werden (vgl. Nienstedt et al., 2017, S. 41). Wird von einem Trauma (griechisch:

Wunde) gesprochen, kommen unterschiedliche Definitionen zum Vorschein, welche sich meist

(25)

Erlebnis als besonders herausfordernd angesehen wird. Zweites handelt es sich um ein Trauma, wenn die Aufarbeitung eins bedrohlichen Erlebnisses als schwierig erlebt wird. Zu guter Letzt werden Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten, welche auf ein bedrohliches Erlebnis zu- rückzuführen sind, als Trauma bezeichnet (vgl. Kindler, 2011, S. 55f.).

Laut Nienstedt und Westermann (1998) kann von einem Trauma gesprochen werden, wenn die leiblichen Eltern die elementarsten Bedürfnisse des Kindes nicht wahrnehmen (vgl. Nienstedt

& Westermann, 1998, zitiert nach Remiorz, 2012, S. 45). Da Kinder von den Eltern abhängig sind, erleben sie diese als Naturmacht, welcher sie sich nicht entziehen können. Sind Eltern für ihre Kinder da und werden sie als Zufluchtsort angesehen, können negative Erlebnisse leichter verarbeitet werden. Bieten Eltern ihren Kindern jedoch keinen Schutz, haben sie keine Mög- lichkeit, zu fliehen, und suchen sich andere Auswege. Meist versuchen Kinder ihre Erfahrungen zu verdrängen, wodurch eine Lücke zwischen Erfahrung und Erinnerung entsteht. Somit sind laut den Autoren die Ursachen eines Traumas unter anderem die Nichterfüllung der Grundbe- dürfnisse und der unzureichende Schutz seitens der Eltern (vgl. Nienstedt et al., 2017, S. 43).

Weitere Gründe für die Entstehung eines Traumas fasst Alice Ebel (2011) in ihrer Monografie zusammen. Dazu zählen Gewalt, Vernachlässigung, sexuelle Übergriffe, Misshandlung aber auch Substanzmissbrauch, Überforderung und psychische Erkrankungen der Eltern. Auch das Einsperren und Alleinlassen der Kinder sowie eine fehlende Bindung und das Gefühl, ausge- liefert zu sein, begünstigen die Entwicklung eines Traumas (vgl. Ebel, 2011, S. 112).

Grundsätzlich können zwei Arten von Traumata unterschieden werden. Der Typ 1 umfasst Er- fahrungen, die plötzlich auftreten und Angst verbreiten. Dabei kann es sich um den Tod einer geschätzten Person oder um einen Unfall handeln. Das Vertrauen des Kindes wird bedroht, da durch ein Ereignis das Leben plötzlich auf den Kopf gestellt wird. In Bezug auf den Typ zwei dauern die bedrohlichen Ereignisse über einen längeren Zeitraum an und wiederholen sich kon- tinuierlich. Eine Situation kann zu Beginn als harmlos eingestuft werden, doch nach und nach steigt die Belastung des Kindes an und entwickelt sich zu einem Trauma. Beispiele dafür sind Mobbing oder sexueller Missbrauch (vgl. Eckardt, 2005, S. 9f.). Bei Pflegekindern stammen die traumatischen Erfahrungen meist von dauerhaften bedrohlichen Ereignissen. Dadurch wer- den sie hinsichtlich der Traumatisierung dem Typ zwei zugeordnet (vgl. Arnold, 2010, S. 72).

Neben den genannten Klassifikationen, kann zudem zwischen einer akuten und einer posttrau- matischen Belastungsstörung unterschieden werden. Eine akute Belastungsstörung entwickelt sich rund vier Wochen nach einer traumatischen Erfahrung und klingt nach einigen Tagen wie- der ab. Um eine posttraumatische Belastungsstörung handelt es sich, wenn die Symptome über einen längeren Zeitraum anhalten (vgl. Remiorz, 2012, S. 45f.).

(26)

Welche traumatischen Erlebnisse Pflegekinder miterlebten, wurde ausführlich in empirischen Untersuchungen erforscht. Unter anderem führten Petermann und Vasileva (2017) ausgehend von der Universität Bremen eine Studie mit 324 Pflegeeltern durch, um die traumatischen Er- fahrungen der Pflegekinder ausfindig zu machen. Laut den Angaben der Proband*innen durch- lebten rund 45 Prozent der Kinder ein Trauma, hervorgerufen durch Misshandlung, Kranken- hausaufenthalte oder medizinische Behandlungen. Viele von ihnen erlebten ein bis zwei trau- matische Erfahrungen und über 85 Prozent zeigten zumindest ein Anzeichen einer posttrauma- tischen Belastungsstörung (vgl. Petermann & Vasileva, 2017, S. 1f.).

Eine weitere Untersuchung aus Chicago von Kisiel und Greeson (2011) erforschte die Auswir- kungen von traumatischen Erfahrungen auf das Verhalten bei 2.251 Pflegekindern. Kinder und Jugendliche (0-21 Jahre) mit mehr als zwei traumatischen Erfahrungen zeigten ein hohes Risiko für internalisierende Verhaltensauffälligkeiten, posttraumatischen Stress und klinische Betreu- ung. Die häufigsten Ursachen für eine Traumatisierung waren Vernachlässigung, Gewalt oder beeinträchtigte Pflegepersonen. Diese traten bei über 70 Prozent der Proband*innen auf (vgl.

Kisiel & Greeson, 2011, S. 98,103).

Auch in Österreich wurden Forschungen zum Thema Pflegekinder und Traumatisierungen durchgeführt. Dazu zählt unter anderem jene von Haselgruber et al., welche im Jahr 2020 rund 200 Pflegekinder mithilfe des international trauma questionnaire befragten. Knapp 60 Prozent der Kinder gaben an, mehr als ein Kindheitstrauma erlebt zu haben. Davon erfuhren 10 Prozent mehr als fünf Traumata in ihrer Kindheit. Es konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der erlebten Traumata und der psychischen Gesundheit erkannt werden (vgl.

Haselgruber et al., 2021, S. 374). Durch die angeführte Literatur und die Studien wurde deut- lich, dass traumatische Erfahrungen bei Pflegekindern keine Seltenheit sind. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen wirken sich auch auf die Entwicklung aus. Welche Aufgaben Pflegekinder in ihrer Entwicklung zusätzlich aufgrund ihrer negativen Erfahrungen bewältigen müssen, wird im nächsten Kapitel geschildert.

2.7.2. Pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben

Das Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde maßgeblich geprägt von Robert J. Havighurst.

In seinem 1948 erschienenen Werk Developmental Tasks and Education beschrieb Havighurst die unterschiedlichen Aufgaben, die ein Mensch in seiner Entwicklung bewältigen muss (vgl.

Reinders, 2002, S. 13). Havighurst beschreibt Entwicklungsaufgaben wie folgt:

A developmental task is a task which arises at or about a certain period of life of the individual, successful achievement of which leads to his happiness and to success with

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later tasks, while failure leads to unhappiness in the individual, disapproval by the society, and difficulty with later tasks (Havighurst, 1972, zitiert nach Reinders, 2002, S. 13).

Nach Havighurst sind Entwicklungsaufgaben Erwartungen an ein Individuum, die je nach Alter und Geschlecht von der Gesellschaft und dessen Mitgliedern an das Individuum herangetragen werden. Jene Aufgaben strukturieren das Leben eines Menschen und legen Ziele für jeden Ab- schnitt fest (vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2015, S. 261f.). Demnach können sie auch als Lern- aufgaben angesehen werden, die miteinander in Verbindung stehen und bewältigt werden müs- sen (vgl. Eschenbeck & Knauf, 2018, S. 26). Bewältigung meint in diesem Sinne einen Ent- wicklungs- und Auseinandersetzungsprozess, in dem das Individuum, die Gesellschaft und die Umwelt aufeinander wirken (vgl. Gassmann, 2015b, S. 11).

Havighurst unterscheidet drei Altersgruppen, in denen verschiedene Entwicklungsaufgaben be- wältigt werden müssen. Dazu zählen erstens die mittlere Kindheit (6-12 Jahre), zweitens das Jugendalter (12-18 Jahre) und drittens das frühe Erwachsenenalter (18-30 Jahre). In der ersten Altersgruppe zählen unter anderem die körperliche Geschicklichkeit, die Entwicklung von Ge- schlechterrollen, Moral und Wertemaßstäben oder auch der angemessene Umgang mit Peers zu den Aufgaben. Im Jugendalter stehen hingegen das Akzeptieren des eigenen Körpers, die Aus- bildungs- und Berufswahl, ein sozialverantwortliches Handeln oder die emotionale Unabhän- gigkeit von den Eltern im Fokus. Im Alter von 18-30 Jahren gilt es sowohl einen Lebenspartner zu finden, eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen als auch gesellschaftliche Verant- wortung zu übernehmen.

Neben Havighurst gibt es zahlreiche andere Wissenschaftler*innen wie Michael Dreher und Eva Dreher (1985) oder auch Erik Erikson (1950), die sich mit Entwicklungsaufgaben befasst haben. In den vergangenen 60 Jahren sind neue Konzepte von Entwicklungsaufgaben entwi- ckelt worden, die mit den ursprünglichen viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Dies wird auch in der deutschen Shell Jugendstudie von Eschenbeck und Knauf aus dem Jahr 2015 deutlich, wel- che weitere Entwicklungsaufgaben für Kinder und Jugendliche ausfindig machte. Dazu zählen die Aneignung von schulischen und beruflichen Kenntnissen, die Bildung einer Geschlechtsi- dentität, die Fähigkeit, mit Medien, Konsum und Freizeitaktivitäten umzugehen, sowie ein per- sönliches Wertesystem zu entwickeln (vgl. Eschenbeck & Knauf, 2018, S. 26).

Es gibt neben den grundlegenden Aufgaben, die eine Person in ihrer Entwicklung bewältigen muss, auch jene, die nur für besondere Personengruppen relevant sind. Dazu zählen beispiels- weise auch Pflegekinder (vgl. Gassmann, 2010, S. 74). Sie unterscheiden sich von anderen Kin- dern, denn sie haben meist Verunsicherungen, Verluste oder Brüche in ihren Beziehungen er- fahren. Yvonne Gassmann (2015a) betont, dass Pflegekinder in ihrer Herkunftsfamilie unzu- reichend Schutz und Unterstützung erhalten haben. Dadurch zeigen Pflegekinder auffällige

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Verhaltensweisen, die mit nicht bewältigten Entwicklungsaufgaben in Verbindung stehen (vgl.

Gassmann, 2015a, S. 43).

Besonders relevant ist bei Pflegekindern die Frage nach der Identitätsbildung, welche in der Jugendphase auftritt. Es geht dabei um die Fragen „Wer bin ich?“, „Wie unterscheide ich mich von anderen?“ und „Mit welchen Werten kann ich mich identifizieren?“. Diese Fragen sind besonders für Pflegekinder nicht leicht zu beantworten, da eine Fremdplatzierung den Kindern die Orientierung nimmt und dabei die Identität angegriffen wird.

Grundsätzlich wird die Identität durch soziale Beziehungen wirksam und ist auch von diesen abhängig. Im Zuge dessen ist die Selbstachtung und die Selbstsicherheit wichtig für die Ent- wicklung einer Identität. Diese können durch Beziehungsabbrüche und Vertrauensverluste ver- ringert werden. Um die Identität der Kinder zu stärken, ist die Akzeptanz ausgehend von der Familie, den Peers und Erwachsenen ausschlaggebend. Außerdem hat das Kind die Aufgabe, die Erfahrungen aus der Vergangenheit in das Selbst einzubinden, und dafür Verständnis auf- zubringen (vgl. Gassmann, 2010, S. 74).

Hinsichtlich der Identität spielen auch die Loyalitätskonflikte der Kinder eine Rolle, denn Pfle- gekinder befindet sich zwischen zwei Familien. Den unterschiedlichen Ansprüchen zu genügen und eine faire Umgangsweise mit beiden Systemen zu gewährleisten, ist für Pflegekinder keine leichte Aufgabe. Dabei stellt sich häufig die Frage nach Zugehörigkeit, Solidarität und Treue in Bezug auf die Herkunftsfamilie. Es werden bisherige Beziehungen angezweifelt und dadurch entstehen große Unsicherheiten seitens der Kinder. Auch Identitätskrisen treten bei Pflegekin- dern auf, welche durch die Konfrontation mit zwei Familiensystemen begünstig werden (vgl.

Gassmann, 2015a, S. 46). Aus einer Longitudinalstudie von Daniela Reimer und Corinna Petri (2017) geht hervor, dass auch die Ablösung von zwei Familiensystemen im jungen Erwachse- nenalter zu den Entwicklungsaufgaben gehört (vgl. Reimer & Petri, 2017, S. 23). Mit der Los- lösung steht ein Pflegkind zudem vor der Aufgabe, sich zu fragen, welche Familienkultur und welcher Lebensstil passend erscheint. Handelt es sich dabei um die Lebensweise der Herkunfts- familie, um die der Pflegefamilie oder um keine von beiden (vgl. Reimer & Petri, 2017, S. 32).

Eine weitere Aufgabe, die vor allem bei Pflegekindern auftaucht, bezieht sich auf das Gefühl der Normalität. Pflegekinder haben einen bestimmten Status in der Gesellschaft, welcher ihnen das Gefühl gibt, nicht „normal“ zu sein. Dieses Empfinden wird besonders durch die Tatsache verstärkt, dass sie nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen (vgl. Gassmann, 2015a, S. 47f.).

Besonders in der Schule oder im Kindergarten treten Situationen auf, die ein Pflegekind von anderen unterscheidet. Das kann der Nachname des Kindes sein, welcher häufig nicht mit dem der Pflegeeltern übereinstimmt oder die Aufgabe, Fotos von der Familie für die Erstellung eines

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Stammbaumes mitzubringen. Auch Auskünfte über das Pflegekind dürfen nicht immer an die Pflegeeltern weitergegeben werden, wodurch der Schulalltag herausfordernd sein kann (vgl.

Reimer & Petri, 2017, S. 34).

Die daraus entstehenden pflegekindspezifischen Entwicklungsaufgaben umfassen die Herstel- lung einer Balance von Abweichung und Normalität. Weiters stehen die Kinder vor den Auf- gaben, die Fremdunterbringung zu verarbeiten, eine Beziehung zur Pflegefamilie aufzubauen und mit Loyalitätskonflikten umzugehen. Besonders die Stärkung der Beziehung zu den Pfle- geeltern ist wichtig, denn eine gelungene Beziehung gilt als Voraussetzung, um die Entwick- lungsaufgaben meistern zu können (vgl. Gassmann, 2015a, S. 49).

Grundsätzlich können Pflegekinder die allgemeinen und spezifischen Entwicklungsaufgaben gut bewältigen, wenn sie mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind. Ist die Pflegekindzufrieden- heit hoch, steigt damit auch die Selbstsicherheit, die Bindung zur Pflegefamilie sowie die sozi- ale Kompetenz. Diese Erkenntnis geht aus der Untersuchung von Gassmann (2015a) hervor, welche mit theoretisch fundierten Annahmen übereinstimmen (vgl. Gassmann, 2015a, S. 53).

Wie bereits in diesem vorgestellten zweiten Kapitel angedeutet wurde, weisen Pflegekinder aufgrund negativer Erfahrungen Auffälligkeiten im Erleben oder Verhalten auf. Daher widmet sich das folgende Kapitel der Frage, welche Auffälligkeiten bei Pflegekindern auftreten können.

3. A

UFFÄLLIGKEITEN IM

E

RLEBEN UND

V

ERHALTEN

„Kinder, die Probleme machen, haben welche“

(Sieland, 2008, S. 118).

In diesem Kapitel stehen die Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten der Pflegekinder im Zentrum. Um den Sachverhalt angemessen und strukturiert darzustellen, wird zunächst auf die Begriffsdefinition von Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten eingegangen. Weiters werden beide Bereiche anhand von Studien vorgestellt.

3.1. B

EGRIFF

A

UFFÄLLIGKEITEN IM

E

RLEBEN UND

V

ERHALTEN

Um die Auffälligkeiten von Pflegekindern im Erleben und Verhalten einzuordnen, ist es zuvor notwendig, diese Begriffe zu erläutern. Es ist wichtig, zu beachten, dass es keine punktgenaue Unterscheidung oder Definition dieser Begriffe gibt. Es handelt sich dabei um eine oder meh- rere Dimensionen, die einer Entwicklungsdynamik unterliegen. Die Definition dessen, was auf- fällig, störend oder problematisch ist, ist immer an soziale Prozesse gebunden. Somit sind bei

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